Dienstag, 11. September 2007

Über das Schreiben 1

Mit diesem Beitrag starte ich eine kleine Serie über das Schreiben, in der ich häufig gestellte Fragen aufgreife. Das erste Thema:

Außen pfui, innen hui?

Am Sonntag nach dem Gottesdienst saßen meine Frau und ich so lange mit einer Autorin beim Kaffee, dass die Kinder unserer Gesprächspartnerin trotz Limonade und Süßigkeiten ungeduldig wurden. Wir waren ins Gespräch gekommen, weil ich eine Neuerscheinung aus einem Verlag auf dem Tisch liegen hatte, der permanent inhaltlich gute Bücher herausbringt, die sich durch handwerkliche Mängel auszeichnen. Das ist, mit Verlaub, leider bei frommen Publikationen häufig der Fall.

Nicole B., so heißt die Autorin, hat das an einem eigenen Werk erlebt. Daraus ein winziges Beispiel von leider sehr vielen:

Diese Lasten abzuwerfen, das ist es , was die Seele begehrt.

Dass es zwischen Wort und Satzzeichen in der deutschen Sprache unter keinen Umständen ein Leerzeichen gibt, egal ob Komma, Doppelpunkt, Semikolon, Ausrufe- oder Fragezeichen, sollte ein Verleger (oder zumindest sein Lektor) wissen. Und er sollte darauf achten, dass sich solche Schlampereien nicht in Büchern aus seinem Verlag finden lassen.

Nicole erzählte, dass sie keine Datei, sondern Papier abgeliefert habe. Sie beherrscht die deutsche Sprache. Irgendjemand, der das offenbar nicht von sich sagen kann, hat das Manuskript abgetippt und dabei den Text mit zahlreichen Fehlern garniert: Abstände zwischen Wort und Satzzeichen, Zeilenwechsel, wo keine hingehören, allerlei falsch geschriebene Worte... Sie bekam keine Gelegenheit, das Buch vor dem Druck noch einmal in Augenschein zu nehmen und war entsetzt, als sie das Ergebnis in Händen hielt.

Inzwischen publiziert sie über einen anderen Verlag und hat beachtliche Verkaufserfolge, eine eigene Radiosendung und viele künftige Projekte im Kopf.


Wir unterhielten uns über die Frage, ob guter Inhalt schlechte Form rechtfertigt beziehungsweise entschuldigt. Wir waren der gleichen Meinung: Nein. Ein gedrucktes Buch ist kein schnell mal eben hingetippter Beitrag in einem Internet-Forum oder Blog, und ein gedrucktes Buch, dessen Autor evangelistische Intentionen verfolgt, sollte erst recht ansprechend und handwerklich einwandfrei sein. Andernfalls wird ein Leser von vorne herein mit der Botschaft konfrontiert: Wir geben uns keine Mühe, ordentlich zu arbeiten, möchten aber, dass Du dich trotzdem für unseren Glauben interessierst.

Natürlich kostet mehr Qualität mehr Geld. Einen ehrenamtlichen Lektor, der Rechtschreibung und Ausdruck beherrscht, wird man mit der Lupe suchen müssen. Einen Layoutexperten, der auf Gestaltung und ansprechende Form achtet, muss man in der Regel entlohnen. Und angesichts leerer Kassen in christlichen Verlagen ist das oft nicht finanzierbar.

Also opfert man die Qualität, um überhaupt etwas publizieren zu können. Und daraus folgt der schlechte Ruf, den „fromme“ Produktionen zumindest bei denjenigen haben, denen es nicht egal ist, auf welche Weise ihnen der Inhalt präsentiert wird.

Es gibt bei aller Sparsamkeit jedoch Abhilfe. Je fehlerfreier der abgelieferte Text ist, desto entbehrlicher werden Korrekturen. (Nicole hat zwar ihr fehlerfreies Manuskript nicht geholfen, weil die Fehler alle vom Verlag stammten, aber sie hat daraus gelernt, darauf zu bestehen, dass sie persönlich vor dem Druck eines Textes die Freigabe erteilt.)

Mir unterlaufen Tippfehler, keine Frage. Ich bin dankbar, wenn Leser mich darauf hinweisen, denn ich bin daran interessiert, möglichst gute Qualität anzubieten. Manchen Fehler sieht man einfach selbst nicht, und wenn man den eigenen Text fünfmal liest. Einem Leser fällt dann sofort ins Auge, was der Aufmerksamkeit des Autors entgangen ist.

Daher mein Tipp Nummer 1 zum Schreiben: Lesen lassen!

Das beinhaltet, Kritik zu suchen und anzunehmen. Man sollte die Testleser ausdrücklich darum bitten, auf formale und inhaltliche Mängel zu achten und diese auch zu nennen, statt aus Angst, der Autor könne verletzt sein, nur Lobeshymnen anzustimmen.


Frage vornehmlich an die Leser, die selbst keine Autoren sind: Entschuldigt guter Inhalt schlechte Ausführung? Autoren dürfen natürlich ebenfalls antworten.

15 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Antwort: Nein!

Inhalt & ästhetische Form sollten
unbedingt eine Einheit bilden !

Beispiel: "Underwood"
endlich! wieder in den
Vordergrund gerückt...
:-)

storch hat gesagt…

klares "jein". ich verstehe eure argumentation und ärgere mich auch über offensichtlichen pfusch (das ist übrigens in der weltlichen verlagsszene nicht anders; was man da oft an übersetzungen zu lesen bekommt - au backe!), aber ich lese inhaltsorientiert.
zum beweis habe ich reclams und hamburger lesehefte, die sicherlich nicht ansprechend gemacht sind, aber ich lese sie dennoch. gerade auf dem sachbuchmarkt gibt es viele schlechte (richtig schlechte...) autoren mit gutem inhalt. denkt man allein an alle theologiebücher, die nur predigtmitschnitte enthalten, weiss man wie gross die handwerklichen mängel sind.
sollte mich die ästhetik da vom wachstum im glauben abhalten?

Günter J. Matthia hat gesagt…

@storch: Du hast recht, dass es hundsmiserable Übersetzungen gibt, weltlich und fromm. Ich habe mehrere Bücher und zahllose Artikel übersetzt und weiß, dass diese Arbeit keine leichte ist, sondern viel Zeit und Fleiß erfordert. Daran mangelt es leider allzu häufig. Oder der Übersetzer hat nur marginale Deutschkenntnisse. Man denkt mit Grausen an Nichtworte wie "Unvergebenheit"...

Ich halte es wie Du: Wenn mich der Inhalt brennend interessiert, dann lese ich trotz aller optischen und sprachlichen Katastrophen. Aber ich ärgere mich beim Lesen darüber.

Die Reclam-Hefte haben ja im Übrigen einen eigenen Charme, der sie auszeichnet und schonen den Geldbeutel. Aber von einem Buch für 15 oder mehr Euro erwarte ich doch mehr Qualität.

Anonym hat gesagt…

Ein klares Nein. Schlamperei mit der Sprache und Rechtschreibung deuten darauf hin, dass sich jemand keine Mühe gegeben hat. Warum soll mich der Inhalt interessieren, wenn schon der erste Blick offenbart, dass dem Autor sein Text so wenig Mühe wert ist?

Anonym hat gesagt…

@storch
Deine Frage:
"sollte mich die Ästhetik da vom wachstum im glauben abhalten?"

klares Nein !
ist ja dann doch nur eine Äußerlichkeit... ;-)

Ich habe meine Aussage auch auf weltliche Bücher bezogen und finde die graphische Gestaltung des Bucheinbandes nicht unwichtig!

Reclamhefte sind in ihrer kargen Schlichtheit für mich auch ansprechend!
Außerdem passen sie in jede Jackentasche...

Anonym hat gesagt…

@Günther
Entschuldigt schlechter Inhalt
gute Ausführung in Form, Ausdruck,
Grammatikkenntnis und Formulierungskunst... ? ;-)

Wer befindet über guten oder schlechten Inhalt ?
Das ist ja wiederum sehr subjektiv !

Günter J. Matthia hat gesagt…

@Barbara: Über guten oder schlechten Inhalt befindet immer der Leser. Was den einen interessiert oder fesselt, findet der andere zum Gähnen.
Inhalt ist immer subjektiv, klare Sache. Form ist, was Rechtschreibregeln betrifft, objektiv messbar. Ausdruck ist wiederum grenzwertig, Geschmacksfrage.

Anonym hat gesagt…

Blog-Tipp Nummer 1 :

Der Leser präge sich früh morgens
inhaltlich und visuell ästhetisch
die jeweilige "Zeilenführung"
des Tages-Blogs gut ein,
denn im Laufe des Tages
wird Inhalt und / oder Form
bereits verändert sein... ;-)

"The Blogs they are a-changin´"...

Anonym hat gesagt…

Auch von mir ein klares Nein zur Ausgangsfrage. Einige wenige Tippfehler in einem dicken Wälzer finde ich hinnehmbar. Schließlich ist niemand perfekt. Was aber der Autorin Nicole B. passiert ist, ist wirklich nicht mehr in Ordnung. Hat sie die Bücher einstampfen lassen? Der Leser macht sich ja nicht unbedingt eine genaue Vorstellung davon, wie so ein Buch konkret hergestellt wird, und lastet die Fehler dann der Autorin an.

Wenn ich ein Buch kaufe, erwarte ich (weitgehend) einwandfreie handwerkliche Qualität. Ob mir dann auch der Inhalt gefällt, ist wieder eine andere Sache.

Günter J. Matthia hat gesagt…

@marion: Es war ihr erstes Buch, sie war unerfahren und hat es nicht einstampfen lassen, sondern es blieb so auf dem Markt.
Ich habe gerade eine Neuerscheinung aus jenem Verlag als Rezensionsexemplar (das war ja der Auslöser unseres langen Gespräches) und eins weiß ich nach flüchtigem Blick bereits jetzt: Der Verlag wird in der Rezension von mir gescholten werden müssen. O Graus, o Weh, O Not!

Anonym hat gesagt…

Ich meine wie Du, Günter, dass man unterscheiden muss zwischen Blog / Forum und "seriösen" Veröffentlichungen. Allerdings: Ein Kommentar, der mir in einer Internetdiskussion schon durch jämmerliches Sprachvermögen des Schreiberlings auffällt, nehme ich dann auch inhaltlich nicht allzu ernst, wenn ich ihn überhaupt lese.
Warum sind es eigentlich meistens die Stänkerer und Meckerer, die durch grauenhafte Form auffallen?

Anonym hat gesagt…

"Ein Buch muss die Axt sein
für das gefrorene Meer in uns."

Anonym hat gesagt…

@franz kafka: Warum muss es denn gleich die Axt sein? Sie könnte tödliche Splitter im Inneren hinterlassen...
Ich bevorzuge die Auftaumethode à la
Weihnachtsgans: Sehr langsam im Kühlschrank.
Für gefrorenes menschliches Seelengewebe ist behutsame äußere wie innere Wärmeanwendung sicher besser als die rohe Gewalt. Bücher können durchaus helfen, ganz besonders eines!

Anonym hat gesagt…

Nach langer Suche habe ich sie endlich wiedergefunden...
Da ist sie ja zum Glück immer noch
die gute alte UNDERWOOD :-)

Barbara hat gesagt…

UNDERWOOD-Schreibmaschine kam gestern
im Miss Marple-Krimi vor! :-)