Samstag, 21. Juli 2007

Unser Spiegelbild

Negative Kritik hat ihr Gutes, wenn man sie ernst nimmt. Nicht immer ist es angebracht, sich der Meinung des Kritikers anzuschließen, aber die Beschäftigung mit einem Widerspruch bietet die Chance, in einen Spiegel zu blicken. Denn das, was man dort sieht ist das, was der Kritiker empfindet.

Christopher Hitchens, Kritiker der Religion, erklärt gerne und unermüdlich, warum zivilisierte Zeitgenossen Atheisten sein müssen. Ich fühle mich als gläubiger Mensch betroffen, denn was Hitchens empfindet, hat ursächlich etwas damit zu tun, wie Religion auf Aussenstehende wirkt. Er wirft alles in einen Topf, Islam, Buddhismus, Christentum... - da er Engländer ist, muss eigentlich vornehmlich das Christentum Ursache seiner Einstellung sein. Denn hätte er Christus kennen gelernt statt einer Religion, würde er so nicht denken. Ich zitiere hier Auszüge aus seiner Kolumne mit dem Titel Religion vergiftet die ganze Welt:

"Wir (Atheisten) haben es nicht nötig, uns jeden Tag, oder alle acht Tage oder an hohen Feier- und Festtagen zu versammeln, um unsere Gerechtigkeit zu proklamieren oder im Staub zu liegen wegen unserer Ungerechtigkeit. Wir Atheisten brauchen weder Priester noch irgendeine Hierarchie als Polizisten unserer Lehre."

Hitchens weiß nicht, dass ein Christ nicht wegen Ungerechtigkeit im Staub liegt, weil er durch das Opfer am Kreuz von aller Ungerechtigkeit befreit wurde. Er weiß auch nicht, dass Christen ihre Gerechtigkeit nicht proklamieren, sondern als Geschenk dankbar annehmen, statt damit zu prahlen. Es ist ihm auch unbekannt, dass Jesus Polizisten zwar liebt, aber in seiner Gemeinde keine vergleichbare Funktion für wünschenswert hält.

"Die Religion hat vor langer Zeit zum letzten Mal verständliche, edle oder gar inspirierende Worte gesprochen - es sei denn, sie hätte sich verwandelt in einen bewundernswerten, aber nebulösen Humanismus, wie es etwa bei Dietrich Bonhoeffer der Fall war, einem tapferen lutherischen Theologen, den die Nazis aufhängten, weil er sich weigerte, mit ihnen zusammenzuarbeiten."

Was Hitchens als nebulösen Humanismus wahrnimmt würde ich als Nächstenliebe bezeichnen. Woran mag es liegen, dass der Unterschied zwischen Humanismus und Nächstenliebe nicht erkennbar ist? Christus jedenfalls will, dass wir Nächstenliebe nicht predigen oder analysieren, sondern leben. Hitchens scheint solcher gelebten Liebe nicht begegnet zu sein.

"Zwar sind mache religiösen Apologien – man könnte Pascal nennen - auf eine beschränkte Art großartig, während andere – hier kommt man nicht umhin, den britischen Schriftsteller und Theologen C. S. Lewis zu nennen – eher dröge und absurd sind; doch haben alle etwas gemeinsam, nämlich die schreckliche Last, die sie tragen müssen. Wie anstrengend ist es doch, das Unglaubliche zu bekennen!"

Abgesehen davon, dass ich C. S. Lewis nicht als dröge empfinde, hat Hitchens natürlich recht, dass es anstrengend ist, Unglaubliches zu bekennen. Es sei denn, das Unglaubliche geschieht. Die Predigt des Evangeliums sollte eigentlich durch übernatürliche Bestätigung begleitet sein, so das Modell, das Christus seinen Nachfolgern als Auftrag nannte. Wenn das eine fehlt, ist das andere mühsam und unglaubwürdig. Hitchens hat leider das Unglaubliche nicht geschehen sehen.

"Wieviel Selbstliebe muss notdürftig kaschiert werden, um sich selbst als persönliches Objekt eines göttlichen Plans auszugeben! Wieviel Selbstachtung muss geopfert werden, damit man sich ständig im Bewusstsein der eigenen Sündhaftigkeit windet!"

Hitchens ist keinem Christen begegnet, der wie Paulus einem göttlichen Plan ohne jegliche Selbstliebe folgte. Er hat statt dessen zerknirschte, sich windende Menschen beobachtet, die ihre Sündhaftigkeit nie wirklich gegen die Gerechtigkeit in Christus eingetauscht haben.

"Und doch behaupten die Gläubigen, Wissende zu sein! Nicht nur Wissende, sondern Allwissende. Sie wissen nicht nur, dass Gott existiert und dass er die ganze Geschichte schuf und beaufsichtigt, sondern sie wissen auch, was „er“ von uns verlangt, von Diätvorschriften über Rituale bis hin zur Sexualmoral."

Wenn Religion als Katalog von Ge- und Verboten erscheint, ist die Freiheit in Christus verloren gegangen. Es ist etwas völlig anderes, ohne sexuelle Ausschweifungen zu leben, weil man ein erneuerter Mensch ist, als sich Zwängen gegen die nach wie vor vorhandene Lust unterzuordnen. Da ist die Reihenfolge vertauscht und heraus kommen diese sich windenden Gestalten. Hitchens hat wohl befreite Christen nicht getroffen. Die sehen das nämlich so wie beispielsweise Xavier Naidoo oder ich:
"Ich glaube an Jesus, aber nicht an die Kirche", sagte Xavier Naidoo in einem Interview mit der Bravo. "Religion ist das, was im Vatikan stattfindet - verbohrte Dogmen, Regeln, Heiligenverehrung und Marienbilder. Und ein Papst, der Kondome verbietet. Ich finde das schlimm, es sollte gar keinen Papst geben!" Naidoo lebt ohne Religion, aber mit der Bibel: "Ich habe einen Bibelkreis in Mannheim. Da treffe ich mich jeden Dienstag mit anderen Christen, und wir lesen gemeinsam in der Heiligen Schrift und diskutieren."

"Während ich diese Zeilen schreibe, und während Sie sie lesen, sind gläubige Menschen dabei, Ihre und meine Vernichtung zu planen und die Vernichtung all der schwer erkämpften menschlichen Errungenschaften, von denen ich gesprochen habe. Die Religion vergiftet alles."

Er hat völlig recht, der Christopher Hitchens. Die von ihm wahrgenommene und beschriebene Religion vergiftet alles. Es tut mir leid, dass wir als Christen offensichtlich ein solch jämmerliches Bild abgeben.

Man könnte als Christ darüber lamentieren, dass die "böse Welt" uns so sieht. Ich blicke lieber mit offenen Augen in ein solches Spiegelbild und versuche im Alltag, bei der Begegnung mit Atheisten, Moslems, wem auch immer, Christus sichtbar werden zu lassen. Ich glaube nicht an eine Religion, sondern ich kenne den, der unter anderem aus der Religiösität zu retten vermag.