Freitag, 29. Februar 2008

Tilo hat doch recht!

Der Berliner an und für sich...
...hat mit Hilfe seiner Berlinismen die Fähigkeit entwickelt, Situationen derb-humorig zu kommentieren, ohne schwere Schimpfworte einzusetzen oder gar in lautstarke Diskussionen zu verfallen – ein Umstand, der auf neu Zugezogene oft verwirrend wirkt.
(Quelle: Wikipedia)
Ein Politiker, der das ganz besonders gut beherrscht, ist unser Finanzsenator Tilo Sarrazin. Natürlich verstehen ihn manche zugereisten Jornalisten und Politiker nicht. Eine riesige Aufregung gab es kürzlich wegen eines Scherzes:
Nach Angaben der in Würzburg erscheinenden Zeitung »Main-Post« vom Samstag habe Sarrazin bei einer Veranstaltung in der Landesvertretung von Rheinland-Pfalz in Berlin einen Vergleich mit bayerischen Schülern vorgenommen: »Die können aber mehr ohne Abschluss als unsere in Berlin mit Abschluss.«
Quelle: Die WELT
Ich bin in Bayern zur Schule gegangen. Das ist zwar lange her, aber schon damals fiel mir als zugezogenem Berliner wegen der deutlich höheren Anforderungen die Eingewöhnung nicht leicht. Dazu kam natürlich, dass ich neben Englisch und Latein gleich noch eine weitere Fremdsprache lernen musste, um Lehrer und Schüler zu verstehen: Bayerisch.

»Wann i nimmer megn dat, gangat i hoam.« »Heit gemma net ins Bad, s iss fui z'kolt..« »A so a Seckel, du Hirsch, du damischer, homms dir ins Ghirn eini gschissn?«
Das war für mich, waschechter Berliner Junge im zarten Alter von rund 11 Jahren, nicht wesentlich leichter zu verstehen als »Gallia est omnis divisa in partes tres, quarum unam incolunt Belgae, aliam Aquitani, tertiam, qui ipsorum lingua Celtae, nostra Galli appellantur.«

Zurück zum Berliner Finanzminister. Es fehlt in all dem aufgeregten Gejohle und Gebrülle über seine Worte der Beweis, dass Herr Sarrazin mit seinem Scherz nicht die Wahrheit ausgesprochen hätte. Alle lautstarken Kritiker in den letzten Tagen haben - warum wohl? - zur Sache überhaupt nichts gesagt, sondern nur den Senator auf völlig unberlinische Art und Weise verbal verprügelt.

Die Berliner Schulen sind in der Tat auch heute nicht sonderlich lehrreich. Ich bekomme zur Zeit Dutzende von Berwerbungsunterlagen von Abiturienten (!) auf den Tisch, in denen es nur so von Rechtschreib- und Ausdrucksfehlern wimmelt.
  • »Ich Arbeite gerne am Computer...« - da die Arbeit ein Substantiv ist, muss man wohl auch die Verbform groß schreiben?
  • »Im Sommer 2007 habe ich auf der Hermann- Hesse- Gymnasium Mein Abitur gemacht...« Leerzeichen zwischen Bindestrich und Folgewort und natürlich muss man mein groß schreiben, weil es ja nun das persönliche Abitur ist. Ganz abgesehen davon, dass das Gymnasium zu die Gymnasium geworden ist. Der Lateiner in mir würde zur Gymnasia tendieren...
  • »Diese drei Stichwörter gehören zu meinen persönlichen Eigenschaften.« Aha. Ich wusste noch nicht, dass Stichwörter Eigenschaften sein können. Man lernt ja nie aus.
Diese Bewerber haben Abitur. Im Fach Sport haben sie fast alle 13 Punkte erreicht. Sie sind überwiegend Deutsche. Sie wollen Industriekaufleute werden. Man müsste ihnen im Betrieb aber neben dem Fachwissen auch noch grundlegende Sprachkenntnisse in Deutsch vermitteln, bevor sie mit Kunden, Geschäftspartnern und Auftraggebern korrespondieren. Daher wächst der Stapel im Fach »Absagen« täglich ganz erheblich an.

Wer eine Bewerbung für einen Ausbildungsplatz schreibt, sollte sich doch - so meine altmodische Auffassung - mehr Mühe geben als bei der SMS an den Freund. Da ist es doch wohl angebracht, einen möglichst fehlerfreien Text zu schreiben? Und wenn sie, wie fast alle behaupten, sich so gut mit dem Computer auskennen... - warum haben sie dann noch nicht die Rechtschreibkorrektur entdeckt? Oder wollen sie gar nicht ernsthaft einen Ausbildungsplatz, sondern bewerben sich nur, um Absagen zu sammeln? Tatsache ist jedenfalls: Von bisher gelesenen 147 Bewerbungen waren ganze 3 (in Worten: drei) ohne solche Fehler.

Vermutlich hat Herr Sarrazin also nicht ganz Unrecht. Dass jemand ein Berliner Abitur absolviert hat, heißt noch lange nicht, dass er auch sonderlich viel gelernt haben muss.

P.S.: Vielleicht sollten wir die Stellenangebote nur noch in Bayern ausschreiben?
P.P.S.: Bild von nichtlustig.de

3 Kommentare:

storch hat gesagt…

als ich noch als buchhändler arbeitete habe ich unseren praktikanten immer untersagt (=absolut verboten), bücher ins regal zu stellen. da KEINER das alphabet in wünschnwertem mass beherrschte, hätten wir die bücher nicht wiedergefunden.
auch bei mir zuhause ist es dem besuch nicht gestattet ein buch zurückzustellen. die situation hier ist ähnlich.
auf orthographie lege ich indessen kaum noch wert, ausser in druckerzeugnissen, aber im netz oder in mails ist es mir schlicht egal.

Günter J. Matthia hat gesagt…

O ja, das Alphabet... Ich habe mal eine Auszubildende die Urlaubsanträge der Mitarbeiter alphabetisch sortieren lassen. Warum mache ich das wohl seither nur noch selbst?
Ortographie ist beispielsweise in der Korrespondenz mit Kunden oder Geschäftspartnern schon wichtig, denn Schlampigkeiten oder Unfähigkeiten erwecken leicht den Eindruck, die ganze Firma lege keinen Wert auf Qualität oder qualifizierte Mitarbeiter.
Was die Auszubildenden und anderen Mitarbeiter privat so zusammenschreiben, ist mir piepegal - aber wenn schon das Bewerbungsschreiben voller Fehler ist, dann liegt das doch wohl an mangelnder schulischer Vorbereitung auf das Leben?

Anonym hat gesagt…

Orthographie finde ich wichtig,
nicht nur bei Bewerbungsschreiben!
Allerdings ist da heutzutage noch mehr Eigeninitiative erforderlich, weil das in der Schule viel zu wenig gelehrt wird.
Bei den sich ständig ändernden Regeln der Rechtschreibung, kennen sich ja nur allzu oft die Lehrer selbst gar nicht mehr aus...

@günter:
Endlich hast Du Dich "geoutet", dass Du in Bayern in die Schule gegangen bist.
Ich habe ja immer gesagt, der Günter hat eine bayrische Klangfarbe, wenn er spricht... ;-)