Freitag, 4. April 2008

Kann man Liebe erklären?

Gestern kam ich prima voran mit meiner Arbeit am Manuskript. Etwa 14 Stunden habe ich daran gearbeitet. Mittags traf ich mich mit einem Freund am Potsdamer Platz bei Maredo zum Business Lunch, wie eine Mittagsmahlzeit zu günstigen Preisen heutzutage daselbst heißt. 7,20 Euro für ein leckeres Gericht ist durchaus angemessen. Die zwei Stunden Arbeitsunterbrechung mit angeregtem und viele Themen berührendem Gespräch habe ich sehr genossen.

Ich hatte mich entschlossen, die S-Bahn zu nehmen, da sie mich von zu Hause ohne Umsteigen direkt zum Ziel bringt, Parkplatzsuche und -gebühren spart und weil ich während der Hin- und Rückfahrt mit dem Kleinen (regelmäßige Blogleser kennen ihn) arbeiten konnte.


Auf der Rückfahrt überarbeitete ich die folgende Passage. Nico ist ein 13jähriger Draufgänger, der sich mit meiner Hauptfigur Roland angefreundet hat. Mehr als Freundschaft ist inzwischen entstanden.

...Also erklärte ich, dass ich auf so etwas wie Geldwäsche gestoßen sei, während wir Nirvana hörten. Ich sagte, dass der Mann, der mich angesprochen hatte, offenbar Informationen über die Transaktionen hatte.
»Klasse, das wird ja immer aufregender und spannender!« Nico war ganz aus dem Häuschen. »Wer weiß, was da noch auf uns zukommt.«
Wir hörten einen Moment aufmerksam Kurt Cobain zu, der uns erklärte:
With the lights out, it's less dangerous
Here we are now, entertain us
I feel stupid and contagious
Here we are now, entertain us…

Ich beschwichtigte: »Auf uns kommt gar nichts zu. Du hältst dich da gefälligst raus. Ich erzähle dir, was sich so tut, aber ich möchte nicht, dass du irgendwie in die Angelegenheit verwickelt wirst. Das ist offenbar ein gefährliches Gelände, mein Lieber!«
»Hast du etwa Angst um mich?«
»Natürlich habe ich Angst um dich! Was glaubst du denn? Soweit ich das jetzt überblicke, sind sowohl Sabrina als auch Thomas Graf der gleichen Bande von Verbrechern zum Opfer gefallen, die mir eine Bombe in den Flur gestellt hat. Das reicht doch wohl?«
»Ja, natürlich. Ich bin es nur irgendwie noch nicht gewöhnt, dass sich jemand überhaupt Gedanken darum macht, was mit mir passiert.«
»Mache ich mir eben.«
»Danke.«
Er sah mich mit seinen großen Augen an, in denen ich einen Schimmer von Tränen erkennen konnte. Ich lächelte ihm aufmunternd zu.
»Es wäre wirklich schön, wenn du am Wochenende auch in Rothberg sein könntest«, meinte Nico. »Ich hoffe, ich gehe dir nicht auf die Nerven?«
»Unfug. Warum solltest du mir auf die Nerven gehen?«
»Weil ich dauernd bei dir ‘rumhänge.«
»Nico, ich freue mich, wenn du da bist. Warum würde ich sonst alle möglichen und unmöglichen Ämter aufscheuchen, damit du hier einziehen kannst?«
»Mitleid mit einem Waisenkind vielleicht?«
»Nein. Absolut nicht. Da kannst du sicher sein.«
»Warum sollte mich irgendjemand mögen?«

Diese Frage zielte genau auf das, was man nie erklären, nie benennen kann. Ich verstand, dass Nico unsicher war, nachdem er so viele Jahre in einem Kinderheim zugebracht hatte, nachdem seine eigenen Eltern ihn ausgesetzt und vergessen hatten wie ein abgelegtes Kleidungsstück, das man in den Caritas-Container wirft. Selbstwertgefühl wird durch bewiesene Zuneigung aufgebaut - der Hänsel-und-Gretel-Effekt muss demnach genau das Gegenteil bewirken. Die Erzieher im Heim mochten noch so fürsorglich und liebevoll mit den Kindern umgehen - sie wurden dafür bezahlt, dass sie das taten.
Wie konnte ich Nico erklären, warum ich ihn liebte? Wie kann man irgendjemandem erklären, warum man ihn oder sie liebt? Es geht gar nicht. Es gibt keine messbaren Fakten dafür.
And I forget just why I taste
Oh yeah, I guess it makes me smile
I found it hard, it was hard to find
Oh well, whatever, nevermind...

Vielleicht hatte Kurt Cobain recht. Nicht nach Erklärungen suchen. Einfach denken: Well, whatever, nevermind… Ich hatte Sabrina geliebt, liebte sie noch immer, obwohl sie tot war. Deshalb schmerzte jeder Gedanke an sie nach wie vor. So oft ich ihr auch erklärt hatte, dass ich sie liebte, das warum war immer offen geblieben.
Wegen Ihrer Schönheit? Schönheit ist vergänglich, die Liebe bleibt. Auch ausgesprochen unansehnliche Menschen finden Partner, mit denen sie eine tiefe Liebesbeziehung teilen können. Wegen Ihres Humors? Ich liebte sie auch dann, wenn sie traurig oder verzweifelt und jede Spur von Frohsinn weit entfernt war. Weil unser Sex uns tief erfüllte? Auch in Zeiten der Krankheit oder zu großer Müdigkeit und daraus resultierender sexueller Abstinenz nahm meine Liebe nicht ab.
Warum hatte Sabrina mich geliebt? Das war mir ebenso stets ein Rätsel geblieben. Ich fand mich nicht ungestalt und hatte mir keine bösartigen Charakterzüge vorzuwerfen, aber ich kannte zahlreiche Männer, die besser aussahen und aus meiner Sicht für eine Frau begehrenswerter sein mussten als ausgerechnet ich. Dennoch liebte Sabrina mich und verschwendete keinen Gedanken an andere.
Ich konnte Nico zwar aufzählen, was er an bemerkenswerten Eigenschaften und liebenswerten Merkmalen mitbrachte, aber das würde alles nicht den Kern der Sache treffen.
A denial! A denial! A denial!... brüllte Kurt Cobain. Ich wollte meine Liebe nicht leugnen. Ich wollte, dass Nico verstand, dass ich ihn wirklich liebte. Auch wenn ich es nicht begründen konnte.
»Nico, ich bin kein Philosoph. Und selbst die hatten Probleme damit, die Liebe zu begründen. Ich kann dir nur sagen, dass du für mich der Sohn geworden bist, den ich nie hatte. Ich kann dir erklären, wie sehr ich deine Offenheit, deine Abenteuerlust und deine Treue schätze. Ich kann dir sagen, dass es dir gelingt, immer wieder, etwas tief in mir anzurühren. Ich bin eigentlich ein Einsiedler, ein Eigenbrötler, aber Du dringst irgendwie durch. Und das genieße ich, das tut mir gut. Ich kann dir versichern, dass ich jede Stunde, die wir miteinander verbringen, genieße. Du bist für mich eben liebenswert, wichtig, wertvoll. Besser ausdrücken kann ich es nicht. So wie die Amerikaner sagen shit happens, so sage ich love happens
»An dir ist doch ein Philosoph verloren gegangen. Wenn ich mir je einen Vater vorstellen könnte, der diese Bezeichnung verdient, dann wärest du das, Roland.«

Das bringt mich zu der Frage: Kann irgend jemand unter meinen Bloglesern erklären, warum man liebt?

10 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Wir sind Rudeltiere. Und sollten wir keine sein, dann sind wir eben so veranlagt. Es ist in uns angelegt, Beziehungen aufzubauen. Wenn es egal ist, ob jemand da ist oder nicht, sind keine Beziehungen möglich. Und dieses Nichtegal ist dann Liebe in sämtlichen Varianten.
Ich bin heut sehr unromantisch drauf. Liebe ist dann erstmal Egozentrik. Nicht-alleine-sein-wollen. Der Mensch als Beziehungswesen geht schlicht kaputt, wenn er kein Gegenüber hat, dass er liebhaben kann und dass ihn liebhat. Die gefährlichste und irreführendste Form der Liebe ist die Verliebtheit. Man kann sehr böse Dinge tun, wenn man verliebt ist.
Ich denke, dass Liebe oft (nicht immer) nicht nur edle und selbstlose Gründe hat und schon garnicht grundlos ist.
Interessant ist auch, dass Menschen Tiere wahnsinnig lieben können, obwohl ihnen die Fähigkeit zur Menschenliebe fast abhanden gekommen ist. Oder gerade deshalb? Liebe ist aber nicht nur Egoismus. So bin ich nun auch nicht drauf. Das wirklich interessante ist die selbstlose Liebe. Und dahinter steht die Frage, ob sie es denn wirklich ist? Spätestens, wenn man für einen anderen in den Tod geht, wird es schwierig, da noch einen egozentrischen Grund zu finden.
Liebe ist ein schwieriges Thema.

Anonym hat gesagt…

@trümmerlotte:
Was Du über Liebe schreibst, ist mir zu negativ...

Echte Liebe kann gar nicht egozentrisch sein, denn Liebe hat etwas mit Wertschätzung zu tun und auch mit Loslassen, dass der andere so sein darf, wie er ist!
Ausserdem besteht eine Faszination der Einmaligkeit des geliebten Menschen.
Liebe sollte eigentlich immer selbstlos sein, denn wenn ich den anderen nur unter der Bedingung liebe, dass ich dafür eine Gegenleistung erhalte, wäre es ein Tauschgeschäft.
Übrigens bleibe ich trotz Enttäuschung ein Verfechter der romantischen Liebe! :-)

@günter:
zu Deinen Fragen:
"Kann man Liebe erklären?"
"Warum man liebt?"

Ich denke, dass es sich nicht erklären lässt, warum man sich in einen bestimmten Menschen verliebt oder eben nicht.
Den Zustand der Liebe könnte man mit Bildern oder Vergleichen versuchen mit Worten zu erklären.
Ich denke man liebt, weil man das Gute und Liebe weitergeben will.

Aber das ist auch nur ein Versuch einer Antwort. ;-)

Anonym hat gesagt…

Hi,

die romantische Version gibts bei mir auch, kein Thema *g* Ich mag Liebe. Ich hab noch nichtmal Enttäuschungen hinter mir, seh nur viel außen rum. Man kann Liebe eben von ganz viel verschiedenen Seiten betrachten. Und heut Früh war mir nach "von dieser Seite".

Liebe *grins* Grüße
TrüLo

Günter J. Matthia hat gesagt…

So allumfassend hatte ich die Frage gar nicht gemeint. Was ist Liebe... welche Arten gibt es... ist Liebe egozentrisch...

Es ist mir nie so recht gelungen, zu erklären - oder eine Figur in einer Erzählung erklären zu lassen - warum ich liebe / warum jemand liebt. Kann man wohl nicht begründen...

Eigentlich sagt auch die Bibel nur, dass Gott uns so sehr geliebt hat - aber warum?

Was man so aufzählt, vom Aussehen über Charakter oder Fähigkeiten, das beantwortet irgendwie nicht das warum. Eher das wie.

Don Ralfo hat gesagt…

Vielleicht erkennt man Anteile von sich selbst in dem Anderen, die man "liebt"? Auf jeden Fall erkennt man etwas Begehrenswertes im Gegenüber, sei es nun Gott oder Mensch.
Ist dieses Begehren immer egoistisch? Keine Ahnung. Ich spreche jetzt nicht über körperliches Begehren (Eros), sondern Phileo und Agape. Freundschaftliche Liebe und göttliche Liebe. Kann es eine Liebe ohne Begehren überhaupt geben? Agape-Liebe soll ja solch eine selbstlose Liebe sein - ich bin im Zweifel, ob ich mit dieser Art Liebe jemals geliebt habe. Jedenfalls auf Dauer.
Adam "erkannte" sein Weib ;-)) Dieses Wort ist ME das gleiche Wort, wenn es um das "Kennen" Gottes geht.

Anonym hat gesagt…

@don ralfo:Oft ziehen sich aber auch gegensätzliche Fähigkeiten oder Charaktereigenschaften besonders an!
Das ist auch spannend.-

Don Ralfo hat gesagt…

@Barbara: Also, nachdem Du jetzt festgestellt hast, daß man gerade auch die Gegensätzlichen Charakterzüge im Anderen Begehren und lieben kann, ist Liebe noch unerklärbarer für mich geworden! ;-))
@Günter: Vielleicht ist Liebe tatsächlich eine "Himmelsmacht" und es lässt sich rational einfach nicht erklären, warum man liebt?

Günter J. Matthia hat gesagt…

...ich bin schon recht überzeugt, dass man das "warum" einfach nicht in Worte kleiden kann. Man kann Eigenschaften aufzählen, äußerliche und innere Werte nennen, aber irgendwie wird man kaum jemals wirklich ausdrücken: Darum liebe ich dich.

Anonym hat gesagt…

Vielleicht ziehen sich die Gegensätze an, weil sie einen selbst vervollständigen?
Mein Mann ist ein rechter Büffel und hasst Schwäche. Wir hatten ein fettes Problem und ich sag ihm, dass ich mich nicht outen konnte, weil er Schwäche hasst, wie die Pest und er nimmt mich in den Arm und sagt: Son Quatsch, Du bist doch n Mädchen...
Jeder Emanze rollts die Fußnägel hoch. Mir nicht. Ich war hin und weg... Sich ergänzen, Schwächen des anderen auffangen, andere Sichtweisen ins gemeinsame Leben einbringen. Hat alles auch was mit den Gegensätzen zu tun.

Liebe Grüße
TrüLo

Anonym hat gesagt…

@trümmerlotte:Da sind wir einer Meinung!
:-)
Liebe Grüße B.