Samstag, 9. August 2008

Paul Auster: The Brooklyn Follies

»I was looking for a quiet place to die. Someone recommended Brooklyn.«
Mit diesen beiden kurzen Sätzen beginnt ein Roman, der mich berührt hat wie kaum einer in den letzten Monaten oder gar Jahren. Nathan Glass, 60 Jahre alt, ist der Protagonist. Wie die ersten Worte andeuten, ein Mensch, der in Ruhe sterben will und nichts mehr vom Leben erwartet. Er hat zwar den Lungenkrebs (der ihn als Nichtraucher befiel) halbwegs überwunden, aber seine Frau hat ihn verlassen, einen Sinn im Weiterleben vermag er nicht auszumachen - also kehrt er nach Brooklyn zurück, an den Ort seiner Geburt, ein »quiet place to die«, wie er hofft.

Der Roman entwickelt sich zu einer Ode an das Leben. Denn Nathan und sein einst vielversprechender, jedoch nun mit Anfang 30 erfolgloser Neffe Tom erleben zusammen mit dem Buchhändler Harry, dass auch ein Leben, von dem man nichts mehr erwartet, noch allerlei Überraschungen bringen und vor allem lebenswert und für andere Menschen wichtig werden kann.

Lucy, acht Jahre alt, steht plötzlich vor der Tür und spricht kein Wort. Sie ist die Tochter von Toms Schwester, wo sie herkommt, warum sie überhaupt völlig alleine unterwegs ist und auf welche Weise sie angereist sein mag, bleibt rätselhaft. Da das Mädchen sich weigert, auch nur ein Wort zu sagen, beginnen die drei Männer mit der Suche nach Lucys Eltern und dem Grund ihres plötzlichen Erscheinens...

Paul Auster hat mich mit diesem Roman keinen Augenblick gelangweilt, er hat mich häufig überrascht, zum Schmunzeln und Seufzen gebracht... - so soll ein Roman sein. Vor allem die Dialoge sind hervorragend gelungen, tragen dazu bei, die Personen kennen und schätzen zu lernen.

TOM: I'm not talking about saving the world. At this point, I just want to save myself. And some of the people I care about. Like you, Nathan. And you, too, Harry.
HARRY: Why so glum, boy? You're about to eat the best dinner you've had in years, you're the youngest person sitting at this table, and as far as I know, you still haven't contracted a major disease. Look at Nathan over there. He's had lung cancer, and he never even smoked. And I've had two heart attacks. Do you see us grumbling? We're the happiest men in the world.
TOM: No, you're not. You're just as miserable as I am.
NATHAN: Harry's right, Tom. It's not as bad as all that.
TOM: Yes it is. If anything, it's even worse.
HARRY: Please define "it." I don't even know what we're talking about anymore.
TOM: The world. The big black hole we call the world.
HARRY: Ah, the world. Well of course. That goes without saying. The world stinks. Everyone knows that. But we do our best to avoid it, don't we?
TOM: No, we don't. We're right in the thick of it, whether we like it or not. It's all around us, and every time I lift my head and take a good look at it, I'm filled with disgust. Sadness and disgust. You'd think World War Two would have settled things, at least for a couple of hundred years. But we're still hacking each other to pieces, aren't we? We still hate each other as much as we ever did.
NATHAN: So that's what we're talking about. Politics.
TOM: Among other things, yes. And economics. And greed. And the horrible place this country has turned into. The maniacs on the Christian Right. The twenty-year-old dot-com millionaires. The Golf Channel. The Fuck Channel. The Vomit Channel. Capitalism triumphant, with nothing to oppose it anymore. And all of us so smug, so pleased with ourselves, while half the world is starving to death and we don't lift a finger to help. I can't take it anymore, gentlemen, I want out.
HARRY: Out? And where are you going to go? Jupiter? Pluto? Some asteroid in the next galaxy? Poor Tom-All-Alone, like the Little Prince marooned on his rock in the middle of space.
TOM: You tell me where to go, Harry. I'm open to any and all suggestions.
Ein gelungenes Buch, ein großer Roman über das Leben und seine vielen Facetten. Paul Auster stellt Menschen vor, glaubhafte Charaktere, die nicht mehr zur Jugend zählen, denen jedoch die späteren Lebensjahre womöglich mehr schenken, als manch junger Mensch sich vorstellen kann. Das gilt auch für die Liebe.
Sex among ageing people can have its embarassments and comical longeurs, but there is also a tenderness to it that often eludes the young. Your breasts might sag, your cock might droop, but your skin is still your skin and when someone you care about reaches out and touches you or holds you in her arms and kisses you on the mouth you can still melt in the same way you did when you thought you would live forever.
Gelassenheit und die Bereitschaft, sich vom Leben überraschen und herausfordern zu lassen, prägen den Protagionisten, der ja ursprünglich nach Brooklyn kam, um in Ruhe zu sterben. Es gibt manche Enttäuschung, nicht alles verläuft angenehm und so wie gewünscht, aber Nathan meistert auch Widrigkeiten und Schicksalsschläge wie den Tod seines Freundes, weil er mehr und mehr anders zu denken vermag als zu Beginn des Romans.

Das Buch endet an jenem tragischen 11. September, der unvergessen bleiben wird. Als wir kürzlich in New York waren, sind wir über die Manhattan Bridge gelaufen, unter anderem deshalb, weil ich den Blick von Brooklyn auf Manhattan nachempfinden wollte, der Nathan am Ende des Romans erschüttert. Uns blieben die Rauchwolken Gott sei Dank erspart.

Fazit: Ausgesprochen lesenswert, inhaltlich und sprachlich weit über dem Durchschnitt. (Wie gut die deutsche Fassung ist, vermag ich nicht zu sagen.)

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1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

klingt hoffnungsvoll trotz anfänglicher Hoffnungslosigkeit !

Nach dem Motto: Simple Twist of fate