Dienstag, 11. November 2008

Elisabeth George: What Came Before He Shot Her

Muss alles, was sich gut verkauft, auch gut sein? Nein. Nie und nimmer. Auch dann nicht, wenn es um Bücher geht.
Elisabeth George ist eine Bestsellerautorin. Ihre ersten Romane habe ich vor etlichen Jahren auch gerne gelesen, da sie mich gut unterhalten haben. Irgendwann aber hat die Autorin begonnen, mich zu langweilen. Die Bücher gerieten mit ihrer wachsenden Popularität immer dicker, aber die Ideen und Handlungsstränge wurden keineswegs ergiebiger. Es gab nur immer ausschweifendere Schilderungen von oft genug belanglosen Nebensächlichkeiten.

Nun war ich angestachelt worden, »What Came Before He Shot Her« zu lesen. Weil es keines der üblichen Werke dieser Autorin sei, kein weiterer Krimi vom Fließband. Weil das Buch überraschende Wendungen und Einsichten gestatten würde. Weil sprachlich so manches Neuland zu entdecken wäre.

Ich habe gelesen. Von der ersten bis zur letzten Seite. Es war ein mühsamer Weg. Ein beschwerlicher Weg. Ein staubiger Weg.

Durchaus sei zugestanden, dass es überraschende Wendungen im Buch gibt. Zweifellos gestattet das Werk auch Einsichten in Funktion und Psyche einer Randgruppe der Gesellschaft, die nicht nur in London, dem Schauplatz des Romans, sondern in ähnlicher Ausprägung auch hierzulande anzutreffen ist. Und es war auch nicht zu verkennen, dass die Autorin sich um authentische Wiedergabe der Sprache ihrer Protagonisten bemüht.
...
You listen good, yellow! You in my face, and dat's exactly where I don't want to see you, y'unnerstan? Piss off and be glad wha's coming ain't come yet. Maybe you still suckin' in your muddah's tit, but I ain't. Got it?
I ain't stupid, I know how t'ings go. The Blade does summik for me, I owe him. I got that, Cal. But what 'f I'm caught? Ain't my fault 'f some guard comes by and hauls me out, innit.
Yo fuckin' crazy or summik?
...
Jedoch: Die erzählte Geschichte hat (nicht nur) Charles Dickens in mehreren Varianten schon längst zu Papier gebracht, auf weitaus gelungenere Weise. Dickens bewies Humor, Gewitztheit und auch Sprengkraft in seinen Erzählungen, die den Leser mitzureißen in der Lage waren. Elisabeth George bietet in diesem Buch nichts dergleichen. Die Schauplätze in »What Came Before He Shot Her« sind die heutigen, haben sich entsprechend gewandelt, aber die Autorin hat es leider nicht geschafft, das Thema auf andere Weise, durch einen neuen Blickwinkel, lebendig werden zu lassen.
Die Erzählung ist weder spannend (was an sich kein Schade wäre, da dies kein Krimi ist), noch interessant (was schon ein erheblicher Schade ist), noch unterhaltsam (was so ziemlich der größte Schade bei einem Buch ist, das als Roman daherkommt). Selbst die Gossensprache wird auf die Dauer und in der hier gebotenen Häufigkeit langweilig, gelgentlich auch unfreiwillig komisch, wenn etwa die Protagonisten so reden, aber ihre das Gespräch begleitenden Gedanken im mitunter doch etwas geschraubten Elisabeth-George-Englisch wiedergegeben werden.
Hätte die Autorin ein Sachbuch mit soziologischem Anliegen verfasst, wüsste man als Leser von vorne herein, dass man nicht unterhalten werden soll. Von einem Roman sollte man das allerdings erwarten dürfen.

Die Handlung: Drei Kinder werden von der Großmutter bei ihrer Tante Kendra abgeladen, die versucht mit Freund Dix zusammen ihr Möglichstes, aber es triumphieren letztendlich die bösen Umstände, mannigfaches Unheil lässt sich nicht aufhalten. Das mag realistisch sein, aber es war mir beim Lesen allzu durchsichtig, worauf alles hinauslaufen würde. Aus dem Schluss des Buches, einem Mord, macht ja schon der Titel des Romans kein Hehl: »He«, der zwölfjährige Joel vermutet man, wird am Ende »her«, ein zufälliges Opfer, wie der Klappentext verrät, erschießen. Dass es sich dabei um die Frau des Serienhelden Inspektor Lynley aus den Krimis von Elisabeth George handelt, ist natürlich geschickt. So bekommt Elisabeth George auch ihre Serien-Fans an die Angel.
Dass »he« am Ende doch ein anderer ist, na ja, das ist immerhin ein geschickter Schachzug der Autorin und die Brücke zu einem weiteren Buch, das genau hier anschließen könnte.

Ein Buch, dessen Ausgang man kennt, kann ja trotzdem unterhaltend, spannend, aufregend, mitreißend sein. Es geht beim Lesen von Romanen und Erzählungen nicht um die letzten Seiten, die eine Überraschung bergen müssen, sondern darum, wie der Weg zu diesen letzten Sätzen gestaltet ist. Dass das funktionieren kann, hat unlängst wieder Nick Hornby gezeigt; in »Slam« ist von vorne herein klar, dass das Baby nicht abgetrieben wird. Dennoch, obwohl keine Überraschung (was den Ablauf der Handlungen betrifft) auf den Leser wartet, ist es ein ganz und gar famoses Werk.

Doch zurück zum Buch, von dem hier die Rede ist. Auf dem Weg durch die mehr als 500 Seiten erzählt Elisabeth George parallel die Erlebnisse von Joel und seiner 15jährigen Schwester Vanessa. Beim Lesen habe ich manches mal den Eindruck gewonnen, dass der Stoff, auf zwei etwas weniger dickleibige Bücher verteilt, mich womöglich eher hätte fesseln können. Unter Verzicht auf ausufernde Rezitationen über diese und jene Randbegebenheit allerdings.
Natürlich spielen eine Menge anderer Personen mit, der traumatisierte kleine Bruder Toby, die im Pflegeheim aufbewahrte geistesgestörte Mutter der drei Geschwister, der zunächst zwielichtige und dann heldenhadfte Literaturliebhaber und Poet, die motivierte aber überlastete Sozialarbeiterin... - im Großen und Ganzen geht es aber um Vanessa und Joel. Ein Vanessa-Buch, ein Joel-Buch - vielleicht wäre das besser gelungen?

Die große Fangemeinde wird sich genau daran nicht daran stören, dass Elisabeth George sich wieder einmal treu geblieben ist: Je mehr Worte, desto besser. Mir dagegen ging es wie einem Kritiker aus Boston, der anmerkte: »In the books 548 pages, Ms. George does save some interesting surprises. But I didn't find those surprises worth wading through the first 250 pages to find.«

Ich will jedoch nicht versäumen, Elisabeth George auch Respekt zu zollen: Ihr Umgang mit der Sprache hebt sich meist wohltuend vom Durchschnitt ab. Wenn sie nicht gerade (siehe oben) den Slang abbildet, sind ihre Formulierungen durchaus gelungen und durchdacht, ihr Wortschatz ist ein beachtlicher und sie weiß, ihn anzuwenden.

Mein Fazit: Für Leser, die gut unterhalten werden wollen oder spannende Lektüre suchen, ungeeignet. Wer Bücher mag, die vom Leser einiges an Durchhaltevermögen und Konzentration fordern, ist womöglich gut beraten, zu diesem zu greifen.

Wie die deutsche Ausgabe mit dem Slang und anderen Eigentümlichkeiten umgeht, entzieht sich meiner Kenntnis. Die von mir gelesene Version des Buches gibt es (inzwischen auch als Taschenbuch) zum Beispiel bei Amazon: What Came Before He Shot Her