Mittwoch, 15. April 2009

Ja, ja. Na ja. Ganz ordentlich.

Am letzten Samstag warteten wir vor der Waschanlage und blätterten in einer wegen der Länge der Warteschlange an der Tankstelle gekauften Ausgabe der Tageszeitung Die Welt.
Zu meiner großen Freude enthielt sie ein zwei Zeitungsseiten langes Interview mit Marcel Reich-Ranicki. Über den Film »Mein Leben«, aber auch andere interessante Themen.

Zum Beispiel Berlin. Die Frage war: »Wie erleben Sie das Berlin von heute?« Die Antwort:
Ja, ja. Na ja. Ganz ordentlich. Das Berlin meiner Jugend kommt natürlich nicht wieder. Nehmen wir die Berliner Philharmonie. Man kann alles tun; das Haus wieder aufbauen, das Orchester wieder zusammenstellen. Aber eines kann man nicht wieder erschaffen: Das Publikum. Das war ja damals im Wesentlichen jüdisch. In der Staatsoper war ja angeblich mehr als die Hälfte der Anwesenden jüdisch.
Nun ist Berlin ja mehr als Philharmonie und Staatsoper, muss er das nicht zur Kenntnis nehmen? Nein. Reich-Ranicki muss gar nichts, wie er auf die Frage nach Erika Steinbach und Polen deutlich machte:

Reich-Ranicki: Ach, dazu kann ich nichts sagen. Das interessiert mich nicht. Politik interessiert mich nicht.
Die Welt: Aber ein intelligenter Mensch muss sich doch in einem gewissen Maße für Politik interessieren.
Reich-Ranicki: Ein Mensch muss gar nichts, in einem freien Land. Verstehen Sie?
Ich mag den Mann, aber das wird er nie erfahren. Er hält nämlich nichts davon, Blogs zu lesen:

Die Welt: Wissen Sie, was ein Blog ist?
Reich-Ranicki: Nein.
Die Welt: So eine Art digitaler Leserbrief...
Reich-Ranicki: ... das will ich nicht lesen.

Der Film, der heute um 20:15 in der ARD ausgestrahlt wird, lohnt das Anschauen. Wir haben ihn bereits auf Arte gesehen. Natürlich sind in den 90 Minuten nur wenige, viel zu wenige Teile des Buches enthalten, aber das war nicht anders zu erwarten. Man kann ein solches Buch nicht 1:1 verfilmen. Im direkten Vergleich ist die Verfilmung, die sowieso nur den ersten Teil des Buches umfasst, daher lückenhaft - aber als Film für sich betrachtet unbedingt ein ganz hervorragendes Werk.

Ausschnitte aus dem Interview gibt es online: Reich-Ranicki über Google und schwule Musik