Montag, 22. Februar 2010

Unzumutbare Tätigkeiten

Jeder, der jung und gesund ist und keine Angehörigen zu betreuen hat, muss zumutbare Arbeiten annehmen - sei es in Form von gemeinnütziger Arbeit, sei es im Berufsleben, sei es in Form von Weiterbildung. -Guido Westerwelle
Wer Schlagzeilen will, muss provozieren. Das ist nicht neu. Das gehört zur Grundausstattung des politischen (und journalistischen) Handwerks. Guido Westerwelle weiß mit seinem Handwerkszeug umzugehen.

In der Debatte über seine Äußerungen wurde in den letzten Tagen vor allem deutlich, dass die Mehrheit der Journalisten und zum Teil auch der Politiker sich nicht die Mühe gemacht haben, das Interview überhaupt zu lesen, mit dem Westerwelle den Trubel ausgelöst hat. Genauso wenig haben die meisten, die sich zum anderen »Skandal« unserer Tage äußern, das Interview gelesen, das Bischof Mixa gegeben hat.
Es genügt ja, einen oder zwei Sätze aus ihrem Zusammenhang herauszulösen und dann loszuwettern. Das Volk wird schon glauben, dass Mixa / Westerwelle tatsächlich gesagt und gemeint haben, was man ihnen da unterstellt.
Das Muster ist nicht neu. Eva Hermann benutzt das Wort Autobahn, der Papst will eine Weltautorität installieren... - so löst man Skandale und Schlagzeilen aus, treibt die Auflage der Zeitung in die Höhe und stellt sich selbst als untadeliges Vorbild in den Mittelpunkt.

Klar ist, dass unser Sozialstaat so wie er jetzt aussieht nicht mehr allzu lange funktionieren wird. Man müsse die Schwachen vor den Faulen schützen, meint Westerwelle. Denn nur ein Sozialsystem, das finanzierbar ist, kann den Schwachen beistehen. Ich wüsste nicht, was an dieser Meinung verkehrt sein soll.
Als mir keine »zumutbare« Arbeit zur Verfügung stand, habe ich über mehrere Jahre in Hochhaussiedlungen Heizkostenverteiler montiert und abgelesen, in Biergärten Tische abgeräumt und Bierkrüge geschleppt, als ungelernter Packer Maschinen versandfertig gemacht und als angelernter Spritzlackierer Geräte mit giftigen Lacken eingesprüht. Mir waren solche unzumutbaren Tätigkeiten lieber, als vom Staat Geld zu beziehen. Gleichzeitig habe ich in den Abendstunden fehlende Qualifikationen erworben, um meine Chancen auf zumutbare Jobs zu verbessern.
Als ich einige Jahre später schwer erkrankte und wirklich nicht arbeiten konnte, habe ich mit gutem Gewissen Geld aus der Solidargemeinschaft angenommen, bis ich wieder in der Lage war, den Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Die Starken haben in dieser Zeit mir, dem Schwachen, ein menschenwürdiges Leben ermöglicht.

Was ist zumutbar? Darüber wird nun heftig debattiert. Vielleicht hat so mancher andere Vorstellungen als ich, aber ich gebe Herrn Westerwelle in diesem Punkt recht. Ich würde sogar das »zumutbar« in Frage stellen. Die »unzumutbaren« Arbeiten, die ich über Jahre ausgeübt habe, haben mir keinen Schaden zugefügt.

Aber das darf man vermutlich nicht laut sagen, heutzutage?

10 Kommentare:

Thomas-BDD hat gesagt…

Hallo Günter

Westerwelle jetzt zum "Beschützer der Schwachen vor den Faulen" zu machen hieße den Bock zum Gärtner... usw.
Das ist nur Gerede, denn gerade seine FDP hat nichts im Portfolio, was es Etlichen, die hart arbeiten, ermöglichen würde, von ihrer Hände Arbeit zu leben. Glauben könnte man ihm, wenn er ohne großes Geschrei handeln würde, also Voraussetzungen schaffen, die das ermöglichen. Er ist in der Regierung, nicht in der Opposition. da er und die FDP und viele andere aber nicht wissen, was sie machen sollen bzw. das, was sie könnten nicht tun wollen, bleibt nur großes Geschrei. Infam ist, dass die Zweitschwächsten gegen die Schwächsten aufgehetzt werden, dass Neid, Hass und Zwietracht gesät werden und das um das Heil der Partei der Besserverdienenden Willen. Schamlos.

Ich selbst habe bisher trotz schwieriger zeiten als Akademiker im Osten immer von meiner Arbeit gelebt, meine Kinder und Schwiegerkinder stehen in Lohn und Brot und wir alle zahlen jede Menge Steuern und Abgaben. Als es geht nicht um mich.

Natürlich stimmt einiges dessen, was er sagt. Gerade bei Jugendlichen ist das Lebensziel "Hartzen" fatal ausgeprägt, ich selbst habe schon ab und zu dagegen diskutiert. Trotzdem kann ich diese infame Hetze nicht ausstehen. "So fühlt man Absicht und man ist verstimmt" (Tasso).

Viele Grüße
Thomas

Günter J. Matthia hat gesagt…

Hallo Thomas,

insofern hast Du recht: Die FDP tut bisher nichts, um den Normal- und Geringverdienern, die einer Arbeit nachgehen, zu mehr Netto vom Brutto zu verhelfen. Die vielbesungene »Mitte der Gesellschaft« sagt mit Goethe: Der Worte sind genug gewechselt, lasst uns auch endlich Taten sehen!
Liegt es daran, dass die CDU-CSU bremst? Mangelt es an praktikablen Ideen?
Dass Westerwelle Zwietracht säen will - da sehe ich allerdings die Dinge etwas anders. Er hat sich in dem angesprochenen Interview in keiner Weise gegen die Leistungsempfänger gewandt, auch nicht gefordert, weniger zu zahlen, sondern darauf hingewiesen, dass Geringverdiener und mittlere Einkommen entlastet werden müssen.

Thomas-BDD hat gesagt…

Hallo Günter,
ich bewerte Westerwelle auch nicht nur nach dem letzten Interview, sondern nach dem Bild, das er, resp. die FDP abgegeben hat und abgibt. Und das sagt mir, dass die plötzliche Erwärmung für die Geringverdiener wohl im Wesentlichen einem wahltaktischen Kalkül entspringt. Eine Partei, die zunächst gesellschaftlich völlig unmotivierte Mehrwertsteuersenkungen durchsetzt (es hätten ja auch die Medikamente bzw. medizinischen Leistungen sein können), die dem, der häufiger Dienstreisen macht und im Hotel wohnt, wie ich, nichts als Schwierigkeiten einbringt, statt auch ihn als Kunden zu entlasten, hat ganz andere Gruppen im Blick. Nur die Hotelbesitzer stellen eben zu wenige Wähler, also müssen die Geringverdiener aktiviert werden. Ich bin mir ganz sicher, dass aus der Richtung FDP kein verwertbarer Beitrag zur Verbesserung deren Lage kommen wird, sie bremst nämlich selbst.
Viele Grüße
Thomas

Günter J. Matthia hat gesagt…

Na ja - die FDP als Hoffnungsträger sehe ich auch nicht unbedingt. SPD und Grüne haben den Hartz-IV-Schlamassel angerichtet, CDU-SPD fortgeführt. Was bleibt da noch?
Vielleicht Loriot: Im liberalen Sinne heißt liberal nicht nur liberal.

Thomas-BDD hat gesagt…

:-) Sehr gut. Der hat schon immer vieles gewußt.

Jo hat gesagt…

Was noch bleibt?
Die Linke. ;o)

Günter J. Matthia hat gesagt…

Och nö, Jo, ich habe keine Lust, zukünftig zehn Jahre auf ein Pappauto zu warten und Bananen nur an drei oder vier Tagen im Jahr im Laden vorzufinden...

Thomas-BDD hat gesagt…

Bananen gabs öfter, auf die Rennpappe mußte man dafür länger warten, wenn es eine neue sein sollte.
Ältere gab's, aber man zahlte mehr als den Neupreis. Wer also einmal so ein Ding hatte, machte nur noch Gewinn! Wenn das nichts ist :-)

Günter J. Matthia hat gesagt…

Gab es auch fuzzy dice für die Rennpappe? Dann könnte man noch mal darüber reden, ob vielleicht doch noch eine Alternative zu CDU / SPD / FDP / Grüne / CSU besteht.

Thomas-BDD hat gesagt…

Ja gabs, aber vermutlich nur aus'm Westen, und da herrschten die fünf genannten Parteien in wechselnder Besetzung.
Dafür hatten wir (also ich nicht) gehäkelte Klopapierhüllen für die Hutablage. Wie ich nach der Wende allerdings merkte, waren die im Westen auch gut verbreitet. Ob die alle aus den "Ostpaketen" waren? Sozusagen als Tausch für die fuzzy dice?