Sonntag, 4. April 2010

Gastbeitrag Margot Käßmann: Ostern – das Unglaublichste am Glauben

Eine Predigt, die mir alltagstauglich und segensbringend war, gibt es heute für meine geschätzten Blogbesucher zum Ostersonntag. Sie stammt von Frau Käßmann, aus dem Jahr 2001.

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Liebe Gemeinde,

kurz nach meinem Dienstantritt wurde ich mit dem Fall eines Pastors konfrontiert, der sich auf der Kanzel rasiert hatte. »Werden Sie ihn disziplinarrechtlich belangen?«, war die Frage. Ich habe gesagt: »Er hat sich auf der Kanzel rasiert? Das glaube ich nicht!«

Und so kam es zum Gespräch mit dem Pastor, der erklärte, genau das sei doch der Sinn gewesen. Er habe am Sonntagmorgen auf der Kanzel Rasierschaum und Pinsel heraus geholt, sich in Seelenruhe rasiert, in den Spiegel geguckt und dann zur Gemeinde gesagt: »Wenn Sie jetzt nach Hause gehen und das erzählen, wird Ihnen jeder sagen: das glaube ich nicht.« Genauso war es an Ostern, als die ersten erzählt haben: »Er ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden!«

Bis heute bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich das nun einen hilfreichen Zugang finde oder nicht. Das Rasieren auf der Kanzel und die Auferstehung sind denn doch noch zwei verschiedene Paar Schuhe. Aber dennoch hat der Pastor hier einen Punkt erwischt: Den Unglauben der ersten Jüngerinnen und Jünger, der bis heute mit Blick auf die Auferstehung uns Menschen prägt:

Datei:Le Caravage - L'incrédulité de Saint Thomas.jpgAls aber Jesus auferstanden war früh am ersten Tag der Woche, erschien er zuerst Maria von Magdala, von der er sieben böse Geister ausgetrieben hatte. Und sie ging hin und verkündete es denen, die mit ihm gewesen waren und Leid trugen und weinten. Und als diese hörten, dass er lebe und sei ihr erschienen, glaubten sie es nicht. Danach offenbarte er sich in anderer Gestalt zweien von ihnen unterwegs, als sie über Land gingen. Und die gingen auch hin und verkündeten es den andern. Aber auch denen glaubten sie nicht. Zuletzt, als die Elf zu Tisch saßen, offenbarte er sich ihnen und schalt ihren Unglauben und ihres Herzens Härte, dass sie nicht geglaubt hatten denen, die ihn gesehen hatten als Auferstandenen. Und er sprach zu ihnen: Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur. (Markus 16, 9ff)

Liebe Gemeinde, diese Textpassage wird von Exegeten »der unechte Markusschluss« genannt. Das ursprüngliche Evangelium, eines der frühesten Zeugnisse der Christenheit, endete mit dem Satz: »Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatten sie ergriffen und sie sagten niemandem etwas, denn sie fürchteten sich.« So enden die Aufzeichnungen des Markus.

Gut hundert Jahre später wird unser Predigttext als neuer Schluss an das Evangelium angefügt. Mehr als hundert Jahre nach dem Tod Jesu ist deutlich: Es endete eben nicht mit Zittern und Entsetzen. Nein, Neues hat begonnen, die Jüngerinnen und Jünger haben allmählich begriffen: Mit dem Tod Jesu am Kreuz war eben nicht alles zu Ende. Nein, das Sterben Jesu, es ist erst der Anfang des Lebens. Das Evangelium muss weiter geschrieben werden, denn die Osterbotschaft hat schließlich die Jüngerinnen und Jünger überzeugt, ermutigt zum Glauben.

Die Auferstehungsbotschaft ist das Zentrum des Evangeliums. Wir wissen aber auch, dass die Osterbotschaft das Unglaublichste an unserem christlichen Glauben ist. Und das war von Anfang an so. Gerade Maria von Magdala! Eine Frau. Sieben böse Geister hat er ihr ausgetrieben und die erzählt nun, er sei auferstanden. So ein Unsinn. Verdrängte Liebesgefühle, Verlustängste - ein Psychotherapeut sollte da mal ran.

Zwei sind unterwegs und meinen, ihn getroffen zu haben. Wie soll man denen denn glauben? Halluzinationen. Einen Trauerprozess haben die nötig. Gibt es nicht einen qualifizierten Arzt, der da etwas verschreiben kann?

Von Anfang an gehört zum Glauben der Unglaube, das Bestreiten: Das kann doch nicht sein. Das ist doch naiv. Völlig unwissenschaftlich. Gegen jede Erfahrung, gegen jedes Wissen! Das ist von Herrn Lüdemann gar nicht neu formuliert worden, sondern 2000 Jahre alt. Wie kann er auferstanden sein? Wie soll das möglich sein? Vor drei Tagen habe ich bei einer Diskussionsveranstaltung erklärt: ohne die Auferstehung gibt es keine Verkündigung des christlichen Glaubens. Hinterher kommentierte jemand: »Na ja, das müssen Sie als Bischöfin natürlich sagen.« Ich habe gekontert: »Sie werden lachen, ich glaube das tatsächlich!«

Wir haben es mit Weihnachten da wesentlich leichter. Die großen Gefühle, die Familie, Vater, Mutter und Kind, das sind einfache Assoziationen. Aber Ostern? Ich habe das in der EZ erzählt, kurz vor Ostern bekam ich den Anruf einer Journalistin, die mir sagte: »Wir brauchen noch etwas zu Ostern von Ihnen - aber bitte nichts mit Jesus.« Aber Ostern geht nicht ohne Jesus und nicht ohne Auferstehung. Ostern sind eben nicht nur Eier, Häschen, Küken, Osterfeuer und Osterwasser, sondern Ostern ist der Glaube daran, dass Gott unser Leben über den Tod hinaus hält. Wie das aussehen wird, das wissen wir nicht. Und darüber müssen wir auch nicht spekulieren. Aber wir dürfen darauf vertrauen, dass Gott uns bei unserem Namen gerufen hat und dieser Name bei Gott geborgen sein wird, auch wenn wir längst gestorben sind. Gerade das führt Christinnen und Christen nicht zur Weltflucht, sondern gibt uns die Freiheit, uns der Welt und ihren Herausforderungen zuzuwenden. …

Unglauben wird es immer wieder geben. Auch wir werden immer wieder mit Zweifeln zu ringen haben. Da brauchen wir uns gar nichts vorzumachen. Zweifeln, so Paul Tillich, gehört zum Wesen des Menschen, weil er endlich ist und nie das Ganze erfassen kann. Wir können uns den Glauben auch nicht erarbeiten nach dem Motto: »So, ab morgen glaube ich das und damit ist die Sache geklärt.« Nein, das hat uns Martin Luther beigebracht, Glaube ist auch ein Geschenk. Ein Geschenk, um das ich Gott bitten kann, im Dialog. Im Gebet. In der Stille, die ich aufsuche, um die letzten Fragen zu stellen.

Was ermutigend ist: Jesus schickt nun gerade diese Zweifler, diese Ungläubigen in die ganze Welt, um vom Glauben zu sprechen. Das finde ich nun geradezu unglaublich! Diese Fischer und Huren und Zöllner sind nun gerade keine so ganz überzeugenden Leitfiguren. Bei jedem Casting würden sie durchfallen. Keine Sonnyboys, keine Glamourgirls, keine Erfolgsfiguren. Aber sie werden geschickt in alle Welt, das Evangelium zu predigen, zum Glauben zu rufen und zu taufen. Ich finde, das kann jeden und jede von uns nur ermutigen. Auch wir mit unseren Ecken und Kanten, wir mit unseren Zweifeln und unserem Unglauben werden geschickt, Spuren des Reiches Gottes zu legen. Wir können in diese Welt gehen und weitersagen: Er ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden.

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P.S.: Der Text wurde von mir (um das ebenfalls behandelte Thema Sterbehilfe) gekürzt, da es hier um einen Gedankenanstoß für den Ostersonntag gehen soll. Die komplette Predigt findet man bei der Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers: [Quelle]

Bild: Le Caravage - L'incrédulité de Saint Thomas [WikiCommons]