Sonntag, 18. Juli 2010

Christus in uns – gut versteckt?

Als ich vor einigen Jahren am Ende des Buches »Der Schwarm« von Frank Schätzing angekommen war, hatte ich 993 Seiten spannende Lektüre genossen. Auf den letzten sechs Seiten folgt der Erzählung ein Epilog, in dem der Autor überwiegend die Unverträglichkeit seiner Erzählung mit dem Christentum reflektiert. Es wird recht deutlich, warum Frank Schätzings Romangestalten keinem Glauben anhängen, der irgendwelche Relevanz für ihr Leben hätte, denn er lässt Samantha Crowe, eine der wenigen Überlebenden des gerade noch verhinderten Untergangs der menschlichen Rasse feststellen, dass sich Christentum, Islam und Judentum gleichermaßen als gescheitertes Menschenwerk entpuppen. Samantha Crowe macht sich symptomatische Gedanken:

Gott hat mit der Menschheit nicht gerade sein Meisterstück abgeliefert. Er hat gepatzt. Er hat nicht verhindern können, dass die Menschen sündig wurden, also sah Er sich gezwungen, Seinen Sohn zu opfern, um die Schuld zu tilgen. Eine Art Kredit in Blut. Welcher Vater tut so etwas leichten Herzens? Gott selber musste zu dem Schluss gelangt sein, dass Ihm die Menschheit misslungen war.

Nun stammt dies aus einem Roman, der als solcher zu verstehen ist. Und doch spiegelt sich im Epilog des Buches das Bild der Gemeinde Jesu Christi, wie es die Welt heute wahrnimmt.

Das Nachrichtenmagazin FOCUS widmete die Titelgeschichte der Weihnachtsausgabe 2006 dem Thema »Was nützt Religion?« Dabei stellen die Journalisten in einem Vergleich »Das Angebot der Weltreligionen« fest, dass nach dem Tod die Protestanten »auf die Auferstehung der Toten hoffen, von Hölle ist kaum noch die Rede.« Über die Katholiken heißt es:

Optionen: selige Gemeinschaft mit Gott im Himmel, ein vorangehender Aufenthalt im Fegefeuer oder die ewigen Qualen der Hölle.

Was weiß der FOCUS-Vergleich sonst noch über die Christen? Zum Beispiel:

In konservativen Gruppen wie etwa den Evangelikalen wird nicht geschlemmt. Sex ist bei den Katholiken prinzipiell erlaubt, aber Ehebruch ist eine Todsünde. Sex außerhalb der Ehe gilt als Unzucht, Selbstbefriedigung, gelebte Homosexualität, Verhütungsmittel sind verboten.

Den Protestanten bescheinigt die Studie, dass »… heute die meisten größeren Kirchen Sex als Gabe Gottes anerkennen.«

Interessant ist, dass der Weltreligionsvergleich den Glauben als eine Art Club betrachtet, dem man hier oder dort beitreten kann:

Wer einer Glaubensgemeinschaft beitreten will, sollte die Angebote auf seine persönliche Situation hin überprüfen. Heikle Punkte sind meist Speisevorschriften, der Umgang mit Sexualität und die Rolle der Frau. Wichtig ist auch, ob man die Religion als Amateur oder als Profi betreiben will. An letztere werden meist deutlich höhere Anforderungen gestellt.

Wir können uns, soweit wir uns als Christen verstehen, natürlich darüber empören, dass »die Welt« ein so schiefes und verzerrtes Gottesbild hat, so wenig beziehungsweise überhaupt nicht begreift, was das Evangelium eigentlich ist. Wir können uns kopfschüttelnd abwenden und im Kreis der Gläubigen unsere Urteile über Journalisten, Autoren, Künstler und Berichterstatter austauschen, die als Blinde die Farbe zu beschreiben sich aufmachen. Und dabei selbstverständlich scheitern.

Wir sollten uns jedoch womöglich eher darüber empören, dass wir »der Welt« solch ein Bild darbieten. Wer ist denn die Gemeinde, wenn nicht jeder von uns Gläubigen? Wen sehen denn die Menschen, wenn nicht uns im Alltag?

Sie sehen uns nicht im Rahmen des Gottesdienstes, den besuchen sie nämlich nicht. Sie sehen uns nicht bei der stillen Andacht im Kämmerlein, da schließen wir ja sorgfältig die Türe. Sie sehen uns nicht beim Austausch von frommen Phrasen und gelehrten Gesprächen über theologische Details, das tun wir ausschließlich unter uns. Sie lesen nicht die putzigen Bibelvers-Meldungen auf Facebook, Twitter und Co. – was vermutlich auch besser so ist.

Sie sehen uns im Alltag. In ihrem Alltag, ihrem Umfeld, genau da, wo wir mit ihnen zu tun haben. Sie sehen uns, aber sehen sie auch Christus in uns und durch uns? Oder haben wir ihn gut versteckt?

Sonst wäre es doch kaum vorstellbar, dass der Glaube so missverstanden – beziehungsweise überhaupt nicht verstanden – wird.