Sonntag, 5. Dezember 2010

Jessika – ein Verhängnis /// Teil 1

Wer gackert wie ein Huhn, muss schließlich auch Eier legen. (Meine amerikanischen Freunde würden so formulieren: Shit or get off the pot!) Da ich hier oft genug über eine neue Erzählung mit der berüchtigten Jessika gegackert habe, folgt nun endlich der erste Teil.

Dankbar habe ich beim Schreiben Googles Streetview in Anspruch genommen, denn ich hatte keine Zeit und kein Geld, nach Parma zu reisen, um die Straßen und Schauplätze zu erkunden. Schön: Nichts ist verpixelt, die Italiener sind offenbar nicht so neurotisch wie manche Deutschen. Wer Muße hat, kann sich ja Jessikas nächtlichen Weg via Streetview im Tageslicht anschauen. Vielleicht sollte ich anmerken: Personen und Ereignisse sind frei erfunden, falls also eine Leiche in einem Hotelzimmer aufgefunden wird, wasche ich meine Hände in Unschuld und zeige mit dem ausgestreckten Finger auf Jessika.

Falls jemand fließend Italienisch kann und feststellt, dass ich mich diesbezüglich vertan habe, bin ich für entsprechende Kommentare dankbar.

So. Genug der Vorrede.

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Jessika – ein Verhängnis

Wanna be young the rest of my life
Never say no, try anything twice
Til the angels come and ask me to fly
gonna be 18 til I die, 18 til I die
-Bryan Adams

------ ------ ------ Damals im April ------ ------ ------

Jessika schlenderte über den Kurfürstendamm. Sie dachte an Bernd. Er war ihr schwerster Fall gewesen, denn sie hatte zum ersten Mal erlebt, was wahre Liebe sein konnte. Sie lächelte wehmütig.

»Vielleicht bist du nicht tot, Bernd. Vielleicht denkt sich jemand uns beide aus und holt uns irgendwann wieder hervor für ein neues Leben.«

Ihr Gesicht wurde drohend und hart. Sie blickte mich finster an. »Und wage es ja nicht, nur Bernd zurückzuholen! Wage es nicht!«

Ich speicherte am Freitag, dem 23. April, das letzte Kapitel der Geschichte und stellte die Publizierung im Blog auf Montag, 26. April, 01:01 Uhr ein. Ich las noch einmal die ersten Teile, dann das blutige Ende. Das bestärkte mich in meinem Beschluss, den Namen Jessika aus meinem Wortschatz zu streichen. Sie hatte mir Angst gemacht, echte Angst. Sie hatte mich gleichzeitig fasziniert. Elvis fiel mir ein: You look like an angel, talk like an angel … but I got wise: You’re the devil in disguise.

Die Geschichte hatte sich selbst geschrieben, fast ohne mein Zutun, gelenkt auch von den Leserabstimmungen, aber auf jeden Fall ohne Mühe. Jetzt hatte ich jedoch die Nase voll von Jessika und ihrem Treiben. Und von Bernd, den die Leser zwar knapp, aber immerhin mehrheitlich tot sehen wollten. Mir war es recht.

Am folgenden Samstag fand ich eine Postkarte im Briefkasten. Eine sonnendurchflutete italienische Landschaft auf der einen Seite, auf der anderen meine Adresse in sauberen, wohlgeformten Buchstaben. Eine schöne Schrift, sehr angenehm für das Auge, weiblich, formvollendet. Der Poststempel war aus Parma – welch seltsamer Zufall, denn wir dachten gerade über einen Sommerurlaub dort nach. Eine Absenderadresse gab es nicht.

Neben meine Anschrift war nur ein rotes Herz gemalt; unter dem Herz standen drei Worte: Liebe Grüße, Jessika

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Giuseppe grinste und lehnte sich zu ihr hinüber, um ihr all das ins Ohr zu flüstern, was er sich für die nächsten beiden gemeinsamen Tage vorstellen konnte. Sie lächelte, sie lachte, sie gab ihm einen Klaps auf die Schulter, sie lachte wieder, sie kicherte und schließlich küsste sie ihn leidenschaftlich. Er war ein netter, ein amüsanter Kerl, von etwas schlichtem Gemüt und Verstand, aber das hatte sie ja gewusst, bevor sie ihn angesprochen hatte.

»Signore Di Stefano«, ermahnte sie ihn nach dem langen Kuss, »ritenzione per favore!«

Er murmelte: »Chi la fa l'aspetti.«

Ach ja, dachte sie, was ihr Männer doch immer so für Ideen im Kopf habt. Keiner ist wie mein Bernd, ich hätte ihn vielleicht doch am Leben lassen sollen.

Jessika dachte oft und meist mit Wehmut an Bernd zurück. Schon das fand sie verwunderlich. Wie konnte sie Wehmut empfinden, überhaupt Gefühle haben? Wenn es für ihresgleichen so etwas wie Liebe geben konnte, was sie an und für sich bezweifelte, dann war Bernd derjenige gewesen, der das Wunder bewirken konnte. Sie war sich sicher, dass Bernd sie aus tiefstem Herzen und aufrichtig geliebt hatte. Sie war genauso sicher gewesen, dass für sie Sentimentalitäten wie Sehnsucht, Liebe, Wehmut nicht in Frage kamen. Bis sie ihm die Kehle durchgeschnitten hatte. Der Schmerz in ihrem Herzen hatte sie überrascht und verunsichert. Sie war nach Italien geflohen, vor sich selbst.

Hier waren die Männer leidenschaftlich, sie gefielen sich in der Rolle des feurigen Liebhabers, aber sie liebten nicht, waren nicht so hingegeben wie Bernd. Giuseppe Di Stefano fand Gefallen am Sex mit ihr, gab sich zuvorkommend und großzügig, aber er achtete, verehrte und liebte Jessika nicht. Dass er seine Frau, seine vier Kinder liebte, wie er gerne behauptete, bezweifelte Jessika. Hätte er sich denn auf diese Affäre eingelassen, wenn das zuträfe?

Jessika empfand nichts für Giuseppe, aber das spürte er natürlich nicht. Sie hatte einen Auftrag, und den erfüllte sie, wie unzählige Male zuvor. Seine Zeit auf dieser Erde war abgelaufen, eine schlichte Tatsache. Er wusste davon nichts, und das war auch gut so. Jessika hielt nichts davon, den Menschen in ihren letzten Augenblicken Angst zu machen, und wenn es den Menschen das Verlassen ihres Körpers erleichterte, in einem Moment des Glücks zu gehen, dann war sie gerne bereit, auch Liebe vorzuspielen.

Sie schlang ihre Beine fest um seinen Leib, als er schon so außer Atem war, dass sie vermuten musste, sein Herz würde aussetzen, bevor er zum Höhepunkt kam. Hatte sie zu viele von den kreislaufanregenden Tropfen in sein Weinglas geträufelt? »Mamma mia«, stöhnte er und als sein Orgasmus kam, hielt ihm Jessika Mund und Nase zu. Fest. Unerbittlich. Seine Zuckungen, waren sie noch Lust oder schon Todeskampf? Sie hielt seinen Leib fest mit ihren Beinen umklammert und flüsterte in sein Ohr: »buonanotte ai suonatori«.

Jessika ließ den bei nunmehr offenem Fenster langsam erkaltenden Leichnam im Hotelbett des Palace Hotel Maria Luigia liegen, die italienischen Behörden würden wohl am nächsten Tag die Familie des Verstorbenen informieren, nachdem die Putzfrauen den Toten gefunden hatten. Sie hatte Giuseppes Frau nur auf einem Foto gesehen, das er in seiner Brieftasche bei sich trug. Angelas Zeit war noch nicht gekommen, sie würde noch eine ganze Weile leben und sich um ihre Kinder kümmern können.

Frisch geduscht und unternehmungslustig verließ Jessika gegen 2 Uhr das Hotel, der Portier schlummerte hinter seinem Tresen. Niemand hatte sie kommen sehen, niemand sah sie gehen. In ihrer Pension lagen drei Reisepässe bereit, sie würde auf jeden Fall nicht als die gleiche Person ausreisen, die vor zwei Wochen nach Parma gekommen war.

Foto Copyright G.J.Matthia Sie nahm kein Taxi, obwohl man sie mehrfach davor gewarnt hatte, zu nächtlicher Stunde durch die Straßen von Parma zu wandern. Es gäbe Jugendliche, denen Ungutes zuzutrauen sei, wenn sie als Gruppe eine einsame Frau anträfen. Und da wären auch die Banden, die Touristen entführten, um Lösegelder zu erpressen. Erst vor acht Wochen sei eine amerikanische junge Dame spurlos verschwunden, hatte die Pensionswirtin Jessika erzählt, und aufgetaucht sei sie oder ihre Leiche bis heute nicht.

Ein offensichtlich angetrunkener Mann kam Jessika in der Via Giambattista Borghesi entgegen, kurz bevor sie die Kreuzung Via Giuseppe Verdi erreicht hatte. Seine schwankenden Schritte wurden langsamer, als er Jessika sah. Abgesehen davon, dass Jessika keinen Grund hatte, sich vor Menschen zu fürchten, wollte sie doch möglichst Aufsehen vermeiden, das durch eine Konfrontation mit dem nächtlichen Passanten entstehen mochte. Niemand hatte sie das Hotel betreten und verlassen sehen, nun galt es, auch noch ungesehen oder zumindest unauffällig zu ihrer Pension zu kommen. Die Straße war gesäumt von mehrstöckigen Häusern, hinter den dunklen Scheiben schlummerten womöglich Menschen mit guten Ohren und leichtem Schlaf. Jessika wechselte die Straßenseite.

Der Angetrunkene brabbelte etwas vor sich hin und betrat ebenfalls die Fahrbahn, offensichtlich hatte er andere Pläne als Jessika, was die nächtliche Begegnung betraf. Sie blieb mitten auf der Fahrbahn stehen und sah ihm entgegen. Er trat dicht an sie heran und sagte leise: »Meglio tardi che mai.«

Jessika sah ihm in die Augen, die gar nicht so alkoholisiert wirkten, wie der Mann ihr von weitem erschienen war. Was meinte er mit besser spät als nie? Kannte er sie? Sie ihn? Wohl kaum, sie hatte eigentlich ein gutes Gedächtnis.

»Wer sind Sie?«, fragte sie auf Deutsch.

»Per favore, darf ich Sie in die Pension begleiten? Wir müssen uns spassarsi, unterhalten.«

Vielleicht war er Gast in der gleichen Pension, schloss sie aus seinen Worten, oder er hatte sie dort gesehen. Jessika schüttelte energisch den Kopf und erklärte: »No, Sir. You go your way and I go mine.«

Aller Anschein von Trunkenheit wich von ihm, als er mit einer geschickten Drehung neben Jessika zu stehen kam und sich gleichzeitig bei ihr unterhakte als seien sie ein Paar beim Bummel über einen Boulevard. »Wir wollen doch kein Aufsehen erregen«, flüsterte er in perfektem Deutsch in ihr Ohr, »sonst könnte ja jemand auf unangenehme Gedanken kommen, sobald das Zimmer 103 im Maria Luigia geöffnet wird.«

Mit sanftem Druck deutete er an, dass es Zeit war, loszugehen. Jessika zögerte kaum zwei Sekunden, dann nickte sie und setzte sich in Bewegung. Sie konnte sich des merkwürdigen Begleiters später entledigen, hier mitten auf der Fahrbahn war nicht unbedingt der richtige Ort, zumal sie unvorbereitet war. Sie hatte keine Waffe bei sich, denn für Signore Di Stefano hatten die Herztropfen und ihre Körperkräfte ausgereicht. Sie war darüber hinaus neugierig, wer dieser Mann sein mochte, was er von ihr wollte, und vor allem, woher er ihre Geheimnisse wissen konnte. Sie war so vorsichtig wie immer gewesen, hatte Spuren vermieden oder verwischt, nicht bemerkt, dass sie beobachtet worden war – und dennoch wusste der Scheinbetrunkene um die Leiche im Hotel. Dass er vollkommen nüchtern war, daran gab es keinen Zweifel. Seite an Seite gingen sie schweigend die Via Giuseppe Verdi entlang dem Bahnhof entgegen. Durch eine kleine Grünanlage kamen sie direkt zu Jessikas Quartier, dem Albergo Century. Niemand war weit und breit zu sehen. Jessika schloss die Türe zu ihrem Zimmer auf und ließ dem Fremden den Vortritt. Er ging schnurstracks zur Sitzecke und legte seinen Mantel samt Hut auf das Bett daneben.

Jessika hängte ihren Mantel an die Garderobe. »Nehmen Sie Platz, Herr – wie auch immer Sie heißen mögen – ich komme gleich«, sagte sie und verschwand im Badezimmer. Sie stieg auf den Toilettensitz und öffnete die Abdeckung der Entlüftung mithilfe einer Nagelfeile. Im Schacht lag eine Beretta 950 Jetfire bereit, ein Meisterwerk der renommierten italienischen Waffenschmiede, klein, präzise und wie geschaffen für Frauenhände. Das Magazin war voll, Jessika hatte die Pistole gleich nach ihrer Ankunft in Italien erworben, aber bisher nicht eingesetzt.

Sie nahm die Waffe in die Hand und ließ die Toilettenspülung laufen, bevor sie in ihr Zimmer trat. Der Mann saß entspannt in einem der beiden Sessel und lächelte, als er die Mündung auf sich gerichtet sah. »Die hättest du auch hinter der Lüftungsklappe lassen können«, sagte er, »ich habe ausschließlich friedliche Absichten.«

Wäre Jessika nicht neugierig gewesen, wie der Fremde ihr auf die Schliche gekommen sein mochte, dann hätte sie sofort abgedrückt. Sie behielt die Beretta in der Hand und setzte sich in den zweiten Sessel.

Die Pistole auf ihn gerichtet, den Blick auf seine Augen fixiert, fragte sie mir ruhiger Stimme: »Wer sind Sie, was wollen Sie von mir?«

 

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Nun, denn dies wird wieder eine Mitmach-Geschichte und die Fortsetzung ist noch nicht geschrieben, meine Frage an die Leser: Brauchen wir den Kerl noch? Ist er ein Freund? Ist er ein Feind?

Der Mann wird...
...erschossen. Weg mit ihm!
...noch gebraucht, er ist ein Freund für Jessika.
...noch gebraucht, er ist ein Feind für Jessika.
Auswertung

Fortsetzung? Folgt, sobald sie geschrieben ist.