Samstag, 8. Januar 2011

Jessika – ein Verhängnis. /// Teil 6

Die bisherigen Teile:

[Teil 1] /// [Teil 2] /// [Teil 3] /// [Teil 4] /// [Teil 5]

 

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»Gib mir zuerst den Koffer«, sagte Johannes und streckte den Arm aus. Jessika starrte ihn entgeistert an und rührte sich nicht. »Den Koffer, gib ihn mir.«

»Wo kommst du – was machst du – wie konntest du wissen …« stotterte sie.

»Wenn du dich jetzt nicht ein wenig beeilst, Jessika, dann wird das nichts mit dem unauffälligen Verschwinden. Die beiden Schaffner suchen schon nach dir.«

Endlich konnte sie sich wieder bewegen. Sie reichte den Koffer aus dem Zug, Johannes stellte ihn ab und streckte ihr beide Arme entgegen. »Komm! Spring.«

Die Handtasche war hinderlich, aber die wollte sie ihm nicht anvertrauen. Sie ließ sich in seine Arme fallen und er setzte sie sanft ab. Dann griff er nach dem Koffer und ging ohne auf sie zu warten in Richtung Straße. Dort stand ein schwarzer Geländewagen. Sie folgte, etwas unsicheren Fußes wegen der hohen Absätze.

Johannes öffnete die Heckklappe und stellte den Koffer in das Auto, dann machte er ihr die Beifahrertüre auf und ging ohne zu warten um den Wagen herum. Als sie die Straße erreichte, saß er schon auf dem Fahrersitz, der Motor lief. Aus der Richtung der Schienen wurden Rufe laut.

Jessika stieg ein, sie fuhren los.

»Danke«, sagte sie, als der Zug hinter ihnen verschwunden war. »Ich hätte mich aber auch alleine zurecht gefunden.«

»Mit gebrochenem Knöchel? Sicher.«

»Ich wäre vorsichtig ausgestiegen.«

»Vorsichtig oder nicht, du hättest springen müssen. Auf das Schotterbett. Mit oder ohne Schuhe. Dann macht es knacks und der Knöchel ist gebrochen.«

» Es wäre nichts passiert.«

»Ach ja? Ganz sicher?«

» Das kannst du nicht wissen. Niemand weiß, was geschehen wäre, wenn etwas anderes statt dessen eingetreten ist.«

»Du meinst niemand außer dir, Jessika?«

Sie ging nicht darauf ein, sondern wiederholte nur: »Danke.«

Johannes schmunzelte und sagte: »Bitte.«

Einige Minuten später kam eine Ortschaft in Sicht. Montallese stand auf dem Schild.

»Wo sind wir eigentlich hier?«, fragte Jessika.

»Hinter uns liegt La Dogana Rossa, vor uns San Giuseppe. Wenn wir da links abbiegen, kommen wir zu einem recht hübschen See, wenn wir rechts abbiegen, führt uns die Straße zur Autobahn nach Rom. Die verläuft parallel zu dieser Landstraße.«

»Und wohin fahren wir?«

»Du wolltest doch nach Rom. Zum Flughafen. Ich kann dich da absetzen.«

Jessika schwieg. Sie mochte es überhaupt nicht, dass dieser nach wie vor rätselhafte Mann mehr über sie wusste, als er wissen konnte. Es war fast, als könne er in ihren Kopf hineinschauen. Und sie wusste nichts über ihn, das machte die Sache noch unangenehmer. Wer bist du, Johannes? Wo kommst du her? Wie werde ich dich los? Natürlich konnte sie ihn hier im Auto erschießen, sie hatte ihre Beretta in der Handtasche auf dem Schoß. Aber dann würde sie nie erfahren, was er eigentlich von ihr wollte, wie er sie gefunden hatte, nachts in Parma und nun an der Tür eines Zuges, der mitten auf der Strecke stehen geblieben war. Sie hatten Montallese verlassen und fuhren wieder mit achtzig Stundenkilometern. Wenn sie ihn erschießen wollte, dann natürlich nicht bei solcher Geschwindigkeit. An dem See, der zur linken liegen sollte, könnte die Gelegenheit sich bieten, der Flughafen war so wichtig nicht, da das schnelle Verschwinden nun sowieso misslungen war.

Sie erklärte: »Wir fahren zum See.«

Die Stelle am See via GoogleMaps Am Lago di Chiusi parkten sie bei einem kleinen Bootshafen. Es waren kaum Menschen unterwegs, die Temperaturen von rund 20 Grad verlockten niemanden zum Baden. Johannes holte aus dem Kofferraum eine große Decke, rollte sie zusammen und klemmte sie sich unter den Arm. Er verschloss den Dodge Nitro mit der Fernbedienung und sagte: »Wenn wir hier nach links gehen, kommen wir zu einer bezaubernden kleinen Lichtung direkt am Wasser.«

»Und was machen wir dort?«

»Wir unterhalten uns. Lernen uns kennen. Ich meine, dass sich das lohnen könnte.«

»Für dich oder für mich?«

»Für uns beide. Und erschießen kannst du mich ja an einer abgeschiedenen Stelle eher als hier, wo doch ein paar Menschen unterwegs sind.«

»Die Waffe ist geladen.«

»Meinst du?«

»Natürlich.«

Sie schlenderten in den Wald hinein, Jessika ging hinter Johannes her und holte die Beretta aus ihrer Handtasche. Sie entnahm das Magazin. Es war leer.

»Wie hast du das gemacht?«

»Ach Jessika, das zu erklären ist so einfach nicht. Da müsstest du zuerst einige andere Zusammenhänge begreifen. Und ob das gelingt, weiß ich noch nicht.«

Wer bist du, Johannes? Was bist du?

Er breitete die Decke aus und sie setzten sich neben einander, blickten auf den See hinaus und schwiegen eine Weile. Johannes holte eine Packung Pall Mall aus seiner Tasche, zündete zwei Zigaretten an und reichte eine Jessika.

Genau wie Bernd das immer gemacht hat. Wer bist du? Was bist du? Was willst du?

Johannes lächelte, inhalierte den Rauch und fragte dann: »Kannst du dich erinnern, an dein letztes Gespräch mit Bernd?«

»Bist du sein Bruder? Oder kanntest du ihn?«

Er antwortete nicht auf die Frage, sondern sagte: »Er hat dir vorgeworfen, dass du Menschen tötest.«

»Ja. Er sagte: Du bringst Menschen um, Jessika. Ich erklärte: Du auch. Darauf meinte er: In meinen Geschichten, ja, aber doch nicht in Wirklichkeit, nicht im echten Leben

Johannes sah sie aufmerksam an. Wieder erinnerten seine Augen Jessika an jemanden, aber sie konnte sich nicht besinnen, an wen. Sie rauchten schweigend. Schließlich sagte Johannes: »Du hast ihn wirklich geliebt.«

»Ich wollte ihn nicht umbringen. Aber es gab keine andere Möglichkeit. Ich muss tun, was ich tun muss.«

»Woher weißt du, was du tun musst?«

Sie warf den Zigarettenstummel ins Wasser und sagte: »Das verstehst du nicht.«

»Dann erkläre es mir.«

 

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Und nun sind wieder die Leser gefragt:

Anschließend...
...erzählt Jessika, wer sie ist. Oder wer sie meint zu sein.
...brechen sie wieder auf, das Gespräch geht nicht weiter.
Auswertung

Fortsetzung? Na klar. Demnächst. Ich warte wieder 5 Tage auf eine hoffentlich klare Abstimmung.