Freitag, 16. September 2011

Lieber Gott, zorniger Gott

Kürzlich habe ich mich im Rahmen eines Wochenendausfluges mit anderen Christen gedanklich intensiv mit Gottes Eigenschaften auseinandergesetzt. Ich kam wieder einmal zu dem Schluss: Gott ist schwierig. Das macht aber nichts, denn er findet mich wahrscheinlich auch manchmal schwierig.

P9103594Wenn ich über die Eigenschaften Gottes nachdenke, dann drängt sich mir der Eindruck auf, dass Gottes Wesensart, sein Charakter, sich gewandelt hat. Hört man der Mehrheit der heutigen Christenheit zu, dann wird ausschließlich ein liebender, gnädiger, gütiger, seinen Geschöpfen wohlgesonnener Vater im Himmel verkündet, der selbstverständlich das Motto »Frieden schaffen ohne Waffen« unterschreibt und am liebsten will, dass es allen auf der Erde rundum gut geht. Da dies aber ganz offensichtlich nicht der Fall ist, wird dann argumentiert: Schuld an Krankheit, Not, Hunger, Krieg und Gewalt hat sein finsterer Gegenspieler, der Teufel, manchmal auch als Satan oder Beelzebub tituliert.

Der eifersüchtige, zornige, mit unerbittlicher Härte züchtigende und strafende Gott ist weitgehend aus den Köpfen verschwunden. Er wird – wenn überhaupt erwähnt – in den alten Bund, der mit Jesus ungültig geworden und durch einen neuen ersetzt worden ist, verbannt. Das klingt erst einmal logisch. Die Strafe, die unweigerlich auf die Sünde folgt, hat nun stellvertretend der Erlöser auf sich genommen und es bedarf nur noch des Glaubens an seinen Tod und seine Auferstehung, um die Begnadigung genießen zu können. Vor rund 2000 Jahren, nach Jahrtausenden des unerbittlichen Zorns, hat sich Gott besonnen und den Messias geschickt, ist sozusagen zum »lieben« Gott geworden.

Warum nicht viel früher, fragt mancher. Und wieso gilt die Erlösung, also der »liebe« Gott, nur denen, die unter den Milliarden Menschen überhaupt die Chance bekommen, von Jesus Christus zu hören und anschließend an ihn zu glauben? Alle anderen, die Mehrheit der Bevölkerung auf diesem Planeten, bleiben weiter ohne Hoffnung auf eine paradiesische Ewigkeit. Wie passt das zu einem liebenden Vater, der für seine Geschöpfe nur Gutes will?

Im Alten Testament wird Gottes Gnade und Erbarmen sehr selektiv ausgeteilt. Angefangen von Kain und Abel, die beide ihren Lebensumständen und Möglichkeiten gemäß ein Opfer brachten, wobei das eine Opfer angenehm und das andere verworfen wurde bis hin zur Erwählung eines Volkes unter Ausschluss aller übrigen Völker. Wer als Kind im Volk der Philister zur Welt gekommen war, hatte eben Pech gehabt. Philister wurden nämlich vernichtet. Wer als Sohn ägyptischer Bauern geboren wurde, hatte ebenfalls Pech – beziehungsweise seine Eltern. Die Erstgeborenen der Ägypter wurden nämlich vom Würgeengel des Herrn erschlagen, weil der Regierungschef die Israeliten nicht ausreisen lassen wollte.

Es gibt ab und zu eine Ausnahme in den Berichten, jemanden unter den Heiden, der Gott wohlgefällig war und Gutes erleben durfte. Aber das waren nur ein paar wenige Menschen, die allenfalls die Regel bestätigten.

Jesus Christus hat dann einen anderen Gott verkündet. Einen, der keinen Unterschied macht zwischen Angehörigen des auserwählten Volkes und dem Rest der Menschheit. Dieser andere, neue Gott sah das Herz an, nicht die Abstammung. Auf einmal konnte ein Jude verloren und ein Heide gerettet sein. Jesus vergab den Menschen ihre Sünde, ohne dass sie zuvor Reue gezeigt, Opfer gebracht oder sonstige Bußübungen absolviert hatten. Er heilte. Er liebte. Er gab den Hungernden Nahrung.

Gelegentlich, den biblischen Überlieferungen zufolge, allerdings auch selektiv. Da wird einer am Teich Bethesda geheilt - und alle anderen bleiben krank zurück. Da wird eine kanaanäische Frau von Jesus abgewiesen, weil er zu den verlorenen Schafen Israels gesandt sei. Sie bleibt hartnäckig und hat dann schließlich - zur Verwunderung der Jünger - doch noch Erfolg.

Die ersten christlichen Gemeinden hatten nach der Auferstehung noch immer erhebliche Probleme mit der Zugehörigkeitsfrage. Es wollte nicht in ihre Köpfe, dass nichtjüdische Gläubige »einfach so« dazugehören konnten, ohne Beschneidung, ohne die religiösen Vorschriften und Gesetze einzuhalten.

Der Gott, den Jesus und dann (zum Teil noch zögerlich und mit Einschränkungen) seine Apostel verkündet haben, ist jedenfalls ein anderer als der des Volkes Israel, wie er an zahlreichen Stellen in den biblischen Büchern beschrieben wird.

Bei einer Unterhaltung zum Thema auf Facebook schrieb vor einigen Wochen jemand: »As far as the Old Testament goes, perhaps the stories are written by the winners trying to justify the horrors they visited on others. Just a thought.« (Was das Alte Testament betrifft, so sind die Geschichten vielleicht von den Siegern aufgeschrieben worden, die versucht haben, das Grauen, das sie anderen zugefügt haben, zu rechtfertigen. Nur ein Gedanke.)

Das ist ein denkbarer Gedanke, zweifellos, und er würde die Diskrepanz zwischen verschiedenen Darstellungen Gottes in der Bibel, die so offensichtlich ist, einigermaßen erklären.

Natürlich passt ein solcher Ansatz denjenigen Christen nicht, die davon ausgehen, die Heilige Schrift sei wörtlich zu verstehen und anzuwenden (ganz abgesehen davon, dass selbst solche Christen sich nicht an das eigene Credo halten, sondern sehr gezielt auswählen, was »heute noch gilt« und was man »geistlich verstehen« muss, weil die wörtliche Anwendung denn doch in unserer Gesellschaft nicht funktionieren würde).

Andere lehnen angesichts der Metzeleien, die laut der Bibel im Auftrag Gottes (oder gar direkt durch ihn und seine Engel) stattgefunden haben, jeglichen Glauben an diesen jüdisch-christlichen Gott ab und suchen eine friedlichere Religion, landen womöglich letztendlich glücklich im Buddhismus, der ohne einen persönlichen Gott auskommt und eher einer Philosophie als einem Glauben ähnelt. Oder sie sind und bleiben Atheisten.

Auch das sind denkbare Wege, um dem Dilemma mit dem widersprüchlichen Gottesbild und der Diskrepanz zwischen dem Zustand der Welt und der Existenz eines Schöpfers zu entfliehen. Kein Gott oder ein anderer Gott, wie auch immer der aussehen mag.

Und dann gibt es diejenigen (mich eingeschlossen), die solche Widersprüche einfach stehen lassen, ohne etwas erklären zu wollen oder zu müssen, was ihnen unerklärlich ist. Solche Menschen folgen Jesus nach, indem sie versuchen, das zu tun, was er den Berichten zufolge getan und gelehrt hat. Sie glauben ihm, dass er von Gott gesandt wurde, um einen neuen, anderen Weg zu weisen. Dabei hat er an vielen Stellen das falsche Bild korrigiert, das die Autoren des Alten Testamentes von Gott gemalt haben.

Auch was wir über Jesus wissen, wurde von Menschen aufgeschrieben, die sicherlich nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben. Aber sie waren eben Menschen, die – wie wir alle, wenn wir etwas berichten – bewusst oder unbewusst ihre Sicht mit einfließen ließen. (Von der Qualität der zunächst mündlichen Überlieferungen und der zahlreichen Übersetzungen und Überarbeitungen über Jahrhunderte sei hier gar nicht erst die Rede.) Daher ist auch das Bild von Jesus, das ich aus den Schriften erkenne, kein vollständiges und wird beim Lesen wiederum durch meinen Verstand, meine Vorstellungen, mein Denken gefärbt.

Nicht alles, was mit Gott zu tun hat, kann und muss ich verstehen, mein Verstand ist unzureichend. Ich kann keine Beschreibung abliefern: So ist Gott, so ist Jesus, so ist der Geist. Und das ist auch gut so, denn ich bin Mensch und er ist Gott.

Ich finde Gott schwierig. Ihm geht es wahrscheinlich mit mir genauso.

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