Dienstag, 11. Oktober 2011

Italienische Erlebnisse /// Verkehr und Verhältnisse

The streets of Rome are filled with rubble, ancient footprints are everywhere, dichtete einst Bob Dylan, dem die Stadt seinem Lied When I Paint My Masterpiece zufolge ausnehmend gut gefallen haben muss. Was Herr Dylan in den Zeilen des Textes bezüglich der Straßen Roms nicht erwähnt, ist der Verkehr - allerdings mag der seinerzeit auch noch etwas weniger chaotisch gewesen sein als heutzutage.

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Wir fragten uns gelegentlich, inwieweit Fahrschüler Verkehrsregeln kennen lernen, ob zum Beispiel zum Unterricht eine Belehrung darüber gehört, dass eine rot leuchtende Ampel zum Anhalten auffordert oder wozu Fahrbahnmarkierungen gut sind. Es mag natürlich sein, dass der Römer und die Römerin das zur Fahrprüfung beherzigen, im Alltag jedoch hat es dann keine Bedeutung mehr.

Wir schlenderten durch eine Fußgängerzone, eine enge Gasse, links und rechts Tische und Stühle der Cafés und Restaurants, unsere Augen und Aufmerksamkeit waren auf die malerische Szenerie konzentriert, als von hinten, ziemlich dicht hinten sogar,  eine Hupe ertönte. Zwei Motorroller schlängelten sich mit nicht unerheblichem Tempo durch die Fußgängermassen. Kurz darauf kam uns ein PKW entgegen, der Herr am Steuer trug Anzug und Krawatte und bedankte sich für das Platzmachen mit freundlichem Lächeln. Nun wussten wir, dass Fußgängerbereich bedeutet, dass man es mit etwas weniger Fahrzeugen zu tun bekommt als auf anderen Straßen und ließen uns durch die pittoresken Straßenszenen die Aufmerksamkeit nicht mehr zu 100 Prozent rauben.

Weiß irgend ein Mensch oder eine Behörde, wie viele Motorroller und größere Maschinen in Rom unterwegs sind? Angesichts des chronischen und flächendeckenden Staus auf den Straßen ist so ein Zweirad wohl das einzige Fortbewegungsmittel, mit dem die römische Bevölkerung halbwegs zügig ans Ziel gelangen kann. Alle tragen Helm, aber ansonsten ... das Mobiltelefon zwischen Schulter und Kinn eingeklemmt plaudern sie beim Fahren vergnügt, die Damen tragen sommerliche Kleider, T-Shirt zu Jeans oder gepflegte Bürogarderobe, auch bei den Herren ist die Erfindung von Nierengurt oder robuster Schutzbekleidung unbekannt. Die Aktentasche oder der Einkaufskorb stehen zwischen den Füßen der Rollerfahrer, es hängen auch mal Tüten am Lenker. Kinder halten sich an ihren Müttern, Vätern oder den Griffen unter dem Sitz fest, immerhin ebenfalls behelmt. So geht es in Schlangenlinien munter durch den Stau, auch auf der Gegenfahrbahn kommt man bei Platzmangel oft recht zügig voran, und wenn man von ganz links nach ganz rechts muss, verlässt man sich darauf, dass Busse, LKWs und Autos Bremsen haben.

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Ach ja, das Stichwort Bremsen. In der Nähe des Colosseum beobachteten wir eine Ungeheuerlichkeit. Über die theoretisch dreispurige Fahrbahn, auf der vier Spuren Autos und dazwischen noch Motorroller unterwegs waren, führte ein Zebrastreifen, an dem einige Menschen warteten. Ein Autofahrer hielt an - was ein wildes Hupkonzert auslöste. Sein Fahrzeug wurde umrundet, manch böser Blick ging in seine Richtung. Wie konnte er auch einfach mitten auf der Fahrbahn anhalten, zum Verkehrshindernis zu werden! Die Fußgängergruppe blieb natürlich wo sie war, alles andere wäre lebensgefährlich gewesen. Schließlich fuhr auch das stehende Auto wieder an und alles war gut.

Zum Überqueren einer Straße benötigt man neben Mut und Entschlossenheit ein verlässliches Gespür für das eigene Tempo im Vergleich zu den herannahenden Fahrzeugen. Im Gehirn laufen blitzschnelle Berechnungen ab: Reicht die Lücke bei ungebremstem Fahrzeug? Reicht sie wenigstens, falls der Fahrer den Fuß vom Gas nimmt? Ob die Fußgängerampel, so es eine gibt, grün leuchtet oder nicht, hat mit dem Seitenwechsel nichts zu tun. Wir wussten das als deutsche Touristen nicht und betraten - blauäugig - die Fahrbahn, als das grüne Männchen dazu einlud. Ein Pulk wild hupender Mopedfahrer schoss vor und hinter uns vorbei, eine fesche Dame auf ihrem Roller streifte uns beinahe. Immerhin waren wir dann so geistesgegenwärtig, nicht etwa stehen zu bleiben, sondern fürbass zu schreiten, allerdings nun mit gebotener Eile und Augen für den trotz roter Ampel für die Fahrzeuge fließenden Verkehr.

Vom Bus aus konnten wir das bunte Verkehrsgeschehen - soweit ein Busfenster im Sichtfeld war - fasziniert beobachten. Zwar haben die Busse Fenster, große Fenster, aber die Sache mit dem Hinausschauen hängt davon ab, wo man eingequetscht wird. Ich hielt die Fülle in der Berliner S-Bahn in den vergangenen Wintern, als wegen Schnee und Eis so gut wie alle Züge ausfielen, für schlimm, bis wir nun in Rom mehrmals täglich den öffentlichen Nahverkehr als Transportmittel nutzten. Die Fahrkarte kostet nur einen Euro, erwerben kann man sie dort, wo Zigaretten verkauft werden. Das Entwerten des Fahrscheines im Bus ist dann allerdings häufig unmöglich, weil die Fahrgäste sich irgendwie noch in den Einstieg zwängen können, aber ein Durchkommen bis zum Automaten ist ausgeschlossen. Ganz vorbildliche Italiener reichen ihre Fahrkarte über die Köpfe hinweg in Richtung Entwerter und tatsächlich finden sich dann hilfsbereite Quetschgenossen, die das Wertpapier weiterreichen, entwerten und auf den Weg zurück zum zahlungswilligen Menschen bringen.

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In den Zügen dagegen kann man Fahrkarten nicht entwerten, das muss man am Bahnhof vor dem Einsteigen tun. Die Station Tiburtina, an der wir einmal die Eisenbahn bestiegen, war eine große Baustelle - weit und breit kein Automat zum Abstempeln der Billets in Sicht, weder vor, noch im Gebäude, auch auf dem Bahnsteig nicht. Wir stiegen trotzdem zu, denn bezahlte Fahrkarten hatten wir ja bei uns. Kurz vor dem Zielbahnhof erschien dann ein Herr mit amtlicher Uniform am Leib, dem die Aufgabe der Kontrolle schon von weitem anzusehen war. Er musterte stirnrunzelnd unsere ungestempelten Fahrkarten und machte dann mit Gebärdensprache, da er des Englischen nicht mächtig war, deutlich, dass er mit dem Anblick unzufrieden sei. Wir wiederum waren im Italienischen nicht bewandert, abgesehen von Floskeln des Alltags und klärten ihn in mustergültigem Englisch über die Zustände an unserem Einstiegsbahnhof auf. You can punch them now, versicherten wir ihm. Er kramte umständlich einen Zettel aus seiner Tasche, auf dem in fünf Sprachen zu lesen war, dass wir nun pro Person 50 Euro zu bezahlen hätten, weil die Fahrtausweise bei Antritt der Fahrt nicht ordnungsgemäß entwertet worden waren. Ich schüttelte den Kopf. No, Sir, we paid for the tickets, you may do the punching now, or whatever it takes to satisfy you. Er antwortete in seiner Muttersprache und wies mit strengem Zeigefinger auf den Zettel in seiner Hand. Ich widersprach erneut, die beste aller Ehefrauen erklärte ihm noch einmal das Fehlen jeder Entwertungsmöglichkeit am Bahnhof ... so ging es eine Weile hin und her. Schließlich steckte der Uniformierte frustriert seinen Zettel wieder ein und zog seines Weges, um vielleicht anderswo im Zug noch zahlungswillige Schwarzfahrer aufzutreiben, bevor wenige Minuten später der Endbahnhof erreicht war.

Wir sind es als Berliner gewöhnt, dass ein Bus das Ziel hat, das an seiner Stirnseite abzulesen ist. Es erwies sich als trügerisch, in Italien darauf zu vertrauen. Gewisse Zweifel waren uns bereits gekommen, als wir in Rom mit den Bussen unterwegs waren, aber unsere Stammlinie 60 fuhr - je nach Straßenseite der Haltestelle - in die gewünschte Richtung zum Hotel beziehungsweise ins Stadtzentrum, egal was vorne am Bus zu lesen war (falls die Anzeige nicht leer war). Mit einem Bus waren wir am letzten Reisetag vom Flughafen Leonardo da Vinci, wo wir unser Gepäck deponierten, in den am Meer gelegenen Ort Fiumicino gefahren. Von diesem Ort soll in einem späteren Bericht noch die Rede sein. Nach einem Nachmittag am Strand einschließlich Badevergnügen im angenehm temperierten Meer und dem vergeblichen Bemühen, in Fiumicino eine Mahlzeit in einem der zahlreichen Restaurants zu erwerben, wollten und mussten wir zurück zum Flughafen. Die Haltestelle auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Haltestelle, an der wir ausgestiegen waren, schien uns der geeignete Platz zu sein, auf einen Bus zu warten. Fahrpläne oder Übersichten über die hier verkehrenden Linien gab es nicht. Schließlich rollte ein Bus heran, auf dessen Stirnseite uns erfreulicherweise Aeroporte entgegen leuchtete. Die Fahrscheine, die man uns im Tabakladen verkauft hatte, gehörten allerdings zu einem anderen Busunternehmen oder waren sowieso keine Busfahrkarten - ein Entwerten am Automaten war unmöglich, da das Format falsch war. Egal, dachten wir, wir haben bezahlt und es sind ja nur zwei oder drei Stationen. Im Verneinen der Erklärungen eines Kontrolleurs waren wir ja mittlerweile geschult, falls es dazu kommen sollte. Der Bus fuhr los und weiter und weiter ... nach Rom. Ein freundlicher Fahrgast erklärte auf Nachfrage, dass der Flughafen keineswegs auf der Strecke dieser Linie lag. Die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Italiener bewies sich erneut und auf der Stelle. Der Mann erkundigte sich bei anderen Fahrgästen und konnte uns dann sagen, an welcher Station wir in einen Zug zum Flughafen einsteigen konnten. Ein Tabakgeschäft war nicht in Sicht. Natürlich gab es auf dem Bahnhofsgelände keinen Schalter oder Automaten für Fahrscheine. Ich streckte den Kopf durch eine dienstlich anmutende Tür und fragte den Bahnbediensteten, der dort an einem Computerpult saß: Where can we buy train tickets, please? Er erklärte: To the right, leave the station, then turn left, there is a bar. Eine Bar statt einer Tabaccheria? Meinetwegen, dachte ich, fragte aber noch mal nach. Der Bahnhofsaufseher lächelte, stand auf und meinte follow me, worauf er uns bis zur Bar geleitete. Zwielichtige Gestalten tranken daselbst dieses oder jenes, beäugten uns, die wir als Touristen wohl leicht zu erkennen waren, interessiert. Es gab tatsächlich neben Schnaps, Wein und Bier auch Fahrkarten. Die Zeit reichte sogar noch, diese auf dem Bahnsteig ordnungsgemäß abzustempeln, bevor der Zug, der dann tatsächlich wie auf der Anzeigetafel versprochen zum Flughafen unterwegs war, mit uns an Bord abfuhr.

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