Mittwoch, 11. April 2012

Aufzeichnungen nach dem Krankenhaus /// Ende

Welcher Idiot hat Ihnen denn das gegeben?

Meine letzte Mahlzeit hatte ich am 14. März zu mir genommen und am 15. morgens wieder erbrochen. Als ich dann am dritten postoperativen Tag, also am 24. März zum ersten Mal wieder etwas anderes als künstliche Ernährung per Infusion zu mir nehmen durfte, nämlich einen schlichten Magerjoghurt ohne Fruchtzusatz, war das ein kleiner Sieg, ein weiterer kleiner Schritt zurück in Richtung normales Leben. Dann kam die erste klare Brühe, der erste Haferschleim … dann Joghurt mit Frucht, dann Gemüsesuppe, das erste Mal Brot … vor der Erkrankung war Nahrungsaufnahme eine Selbstverständlichkeit, Gedanken machte man sich höchstens in Richtung »was essen wir morgen« oder »welches Restaurant besuchen wir«, und nun war der Vorgang des Essens auf einmal etwas, worüber ich mich freuen konnte, wofür ich dankbar war.

image Zunächst plagte mich noch ziemliche Übelkeit, nach jeder Mahlzeit, so klein sie auch ausfallen mochte, wurde die Übelkeit schlimmer, es kam der gefürchtete Schluckauf unweigerlich dazu, der oft stundenlang anhielt und mehr als einmal musste ich einen Teil des Gegessenen nach ein oder zwei Stunden wieder erbrechen. Ich bekam Medikamente gegen die Übelkeit, und nach und nach, jeden Tag ein kleines bisschen, ging es mir beim und nach dem Essen ein wenig besser. Ich kann mich lebhaft an den glücklichen Abend erinnern, als ich eine ganze Brotscheibe mit Butter und Käse schaffte und anschließend keinen Schluckauf bekam, es stellte sich keine Übelkeit ein und ich schlief ohne die Angst ein, gleich nach dem Beutel auf dem Nachttisch greifen zu müssen, der zum Auffangen des Mageninhaltes bereit lag.

Auch die »Spaziergänge« auf dem Gang wurden täglich etwas länger, gelangen mit weniger Schweißaufwand, aus 20 Minuten Bewegung wurden 30, dann 40 … lauter kleine Fortschritte, alle in die richtige Richtung, denn ich wollte nur eins: Zügig zu Kräften kommen, bald nach Hause.

Am 29. März wurde endlich der Schlauch entfernt, der links aus dem Bauch kam und der Drainage diente. Es war reichlich Wundsekret, in den ersten Tagen nach der Operation auch Blut, abgeflossen, und das Problem, dass ständig Nachthemd und Bettzeug feucht oder nass waren, weil Flüssigkeit nicht nur durch den Schlauch, sondern auch am Schlauch vorbei durch das Loch in der Haut abfloss, konnte bis zum Schluss trotz allerlei Variationen des Verbandes und zusätzlicher Drainageumhüllungen nicht wirklich behoben werden. Als dann der Schlauch gezogen worden war, konnte wenigstens ein Druckverband auf der Wunde angebracht werden, der bei regelmäßigem Wechsel nicht durchnässte.

Was die Klammern in der Operationsnaht betraf, erlebte ich wieder mal die kuriosesten Widersprüche. Mein Chirurg meinte am 29., als die Drainage entfernt war, bei der Untersuchung der Naht: »Die Klammern können morgen raus, sagen Sie der Schwester bitte Bescheid.« Das tat ich. Die Stationsschwester (Frühdienst) erklärte: »Nein, auf keinen Fall, das geht frühestens am 10 Tag nach der Operation.« Die Stationsärztin kam am Nachmittag vorbei, ich fragte sie wegen der Klammern und bekam die Antwort: »Die hätten ja, zumindest jede zweite, schon gestern entfernt werden können. Ich schreibe das nachher in Ihre Akte, dann kann das morgen früh erledigt werden.« Als die Schwester im Spätdienst gegen 17 Uhr zum Verbandwechsel der Drainagewunde kam, schaute sie sich die Naht an und meinte: »Die Klammern müssen aber raus, das ist ja schon ganz rot geworden.« Am nächsten Morgen meinte eine andere Chirurgin: »Nein nein, die lassen wir alle drin, das kann dann, falls Sie am Wochenende entlassen werden, der Hausarzt machen.«

Was soll man als Patient machen, außer sich das alles anhören und zu dem Schluss kommen, dass niemand von den Fachkräften so recht weiß, wann und ob solche Klammern entfernt werden können, dürften, sollten. Letztendlich ging es so aus, dass am Tag der Entlassung, also am 31. März, morgens jede zweite Klammer entfernt wurde.

Ähnliches erlebte ich mit den Ernährungsratschlägen. Ein Diätassistent kam auf Anforderung zu mir, um mir die Ernährung für die nächsten Wochen und lebenslange Einschränkungen zu erläutern. Ich bekam von ihm auch eine schriftliche Liste in die Hand gedrückt, auf der es unter anderem heißt:

Trinkmenge maximal 1500 ml pro Tag, zwischen den Mahlzeiten, kleine Mengen, ggf. schluckweise. … Ernährung eiweißreich, fettreich, lactosearm … ungeeignete Lebensmittel u. a.: Handelsübliche Milcherzeugnisse (Fruchtjoghurt, Fruchtquark) …

Nun bekam ich drei oder vier Fruchtjoghurt pro Tag hingestellt und die Krankenschwestern lagen mir dauernd in den Ohren, ich müsse mehr trinken, 2 Liter sei das mindeste, besser wäre 3 Liter pro Tag. Als ich der Stationsschwester dann, als sie mich ermahnte, mehr als die 2 Liter, die ich bereits notiert hatte, zu trinken, das Dokument zeigte, war sie ziemlich entsetzt. »Welcher Idiot hat Ihnen denn das gegeben? Das wäre etwas für jemanden, dem der Magen entfernt worden ist, aber doch nicht für Sie! Ihnen fehlt ein großes Stück Dickdarm, da kann man doch nicht mit einer Dumping-Prophylaxe arbeiten!«

Sie beriet sich dann sofort mit dem Ärzteteam und ich bekam anschließend eine Ernährungsliste, die so gut wie gar nichts mehr mit dem zu tun hatte, was der Fachmann von der Abteilung Ernährungsberatung mir gegeben hatte.

Schließlich konnte ich am 31. März, nach vielen kleinen Fortschritten in den Tagen nach der Operation und auch etlichen Rückschlägen und schwierigen Tagen (ich hatte hier bereits über den Wechsel von der Schmerzmittelpumpe zu oralen Medikamenten berichtet) nach Hause entlassen werden. Dankbar für die insgesamt überraschend zügige Erholung und für das neue Leben, das für mich mit dem Tag der gelungenen Operation begonnen hat.

Vieles ist heute noch offen und unklar. Die Histologie liegt noch immer nicht vor, daher kann über Anschlussbehandlungen (Chemotherapie zum Beispiel) noch nicht gesprochen und entschieden werden. Eine Rehabilitationsmaßnahme ist beantragt, aber ich weiß bisher nicht, wann sie gegebenenfalls beginnen kann und wie lange sie dauert. Die Operationswunde nässt nur noch wenig, ist aber immer noch nicht völlig geschlossen. Ich bin dabei, schrittweise und ärztlich begleitet den Morphinkonsum abzubauen, was bisher sehr gut gelingt und in drei Wochen geschafft sein sollte. Dann kann ich auch auf die Abführmittel verzichten, die jetzt notwendig sind, weil Morphin nun einmal Verstopfung verursacht.

Also manches ist offen – aber ich bin glücklich und dankbar für das, was erreicht und geschafft ist. So soll es jetzt auch weiter gehen. Mein Wunsch ist, dass der Krebs nicht wieder auftritt, weder im Darm noch an anderen Organen. Ich möchte noch viele Jahre leben, mit der besten aller Ehefrauen glücklich sein und dabei dankbar bleiben, nichts mehr für selbstverständlich halten, was dem Menschen – wie ich erlebt habe – von einem Moment zum anderen entrissen werden kann. Möge Gott mir und uns helfen, dass diese Pläne für die Zukunft Wirklichkeit werden.

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