Sonntag, 7. April 2013

Mit Lingammassage die Impotenz überwinden …

Ein Erfahrungsbericht

Ich hatte in meinen regelmäßigen Berichten vom Krankheits- und Genesungsverlauf einmal erwähnt, dass die Chemotherapie auch bei mir zur Impotenz geführt hatte und dann etliche Monate später angemerkt, dass es mir gelungen war, dem Zustand wieder zu entkommen. Dabei wollte ich es eigentlich belassen. Doch dann haben mich Zuschriften von ebenfalls unter Impotenz leidenden Lesern erreicht, die mich bewogen haben, nun doch auf das Thema ausführlich einzugehen. Vielleicht kann ich ja damit dem einen oder anderen Menschen beziehungsweise Paar Mut machen und helfen. Es wird ja diesbezüglich viel zu viel geschwiegen, was oft genug dazu führt, dass die (völlig fehl am Platz befindlichen) Schuld- und Schamgefühle noch verstärkt werden.

Wie schreibt man über Potenz und Impotenz, ohne dass es anstößig wird? Wie viel Offenheit verträgt ein solcher Artikel? Ich habe mich entschieden, auch dieses Thema so persönlich und authentisch zu schildern wie andere Aspekte meiner Krebserkrankung und der Folgen. Um Betroffenen überhaupt eventuell helfen zu können, blieb mir auch nichts anderes übrig, als kein Blatt vor den Mund zu nehmen.

Wer es anstößig findet, etwas über das Berühren des Gliedes, Penismassage, Erektionen und Ejakulationen zu lesen, möge an dieser Stelle die Lektüre des Artikels beenden und sich anderen Aktivitäten widmen. Wer am Thema interessiert ist, möge sich anhand der Lektüre ein eigenes Bild machen, ob es ist mir gelungen ist, den richtigen Ton zu treffen.

 

Impotenz durch Chemotherapie

Es gibt 1000 Krankheiten, aber nur eine Gesundheit. -Arthur Schopenhauer

Es ist so eine ganz spezielle Sache mit dem männlichen Geschlecht und der Potenz. Das geht schon früh los; ein pubertierender Junge ist gleichermaßen irritiert und fasziniert, wenn die schon seit dem Babyalter vorhandene Erektionsfähigkeit seines Gliedes sich durch Ejakulationen und Orgasmusgefühle zu einem Phänomen entwickelt, mit dem umzugehen erst gelernt werden muss. Die Pubertät, in der Regel noch voller Peinlichkeiten und Unwägbarkeiten, hat man irgendwann hinter sich und ist dann daran gewöhnt, dass sich eine Erektion ohne große Mühe einstellt, wenn sie für Masturbation oder Liebesspiel gebraucht wird. Es gibt natürlich Zeiten in jedem Leben, in denen wegen Übermüdung oder Krankheit oder seelischen Nöten Sex so ziemlich das letzte ist, woran man denkt und wozu man fähig wäre. Aber normalerweise kann ein Mann sich bis ins fortgeschrittene Alter auf seine Potenz verlassen.

Ich habe nie zu denjenigen gehört, die (oft vermutlich ziemlich übertrieben) mit ihrer Potenz protzen – solche Geschlechtsgenossen gibt es haufenweise. Wenn allerdings dauerhaft keine Erektion möglich ist, herrscht weithin das große Schweigen. Man kommt sich minderwertig vor, schämt sich … die Impotenz drückt auf das Gemüt, bei Paaren auf das Gemüt beider Partner. Der Verstand weiß vielleicht, dass es keinen Grund gibt, sich zu schämen oder als Versager zu empfinden, aber dieses Wissen ändert nichts am seelischen Unwohlsein. Und das ist gar nicht gut so.

Als mich wenige Wochen nach der Krebsoperation in der Rehabilitationsklinik beim Aufnahmegespräch einer der Ärzte fragte, ob ich eine Beratungsstunde bezüglich der möglicherweise eintretenden erektilen Dysfunktion (ein anderer Name für die Impotenz) wünschte, lehnte ich ab. Innerlich ging ich wohl davon aus, dass das Thema kein Thema für mich werden könnte. Ich war in jenen Tagen noch so von der Operation geschwächt und von Medikamenten (darunter das libidodämpfende Morphin) beeinträchtigt, dass Sex nicht allzu weit oben auf der Prioritätenliste stand; konnte (oder wollte) mir aber auch nicht vorstellen, dass es durch die Chemotherapie zu dauerhaften gravierenden Beeinträchtigungen kommen würde.

Dabei hätte ich es wissen können und müssen. Der Onkologe hatte mir umfangreiches Material über alle Nebenwirkungen und Begleiterscheinungen, die im Falle der Behandlung mit Oxaliplatin und Xeloda auftreten können, zur Kenntnisnahme mit eigenhändiger Unterschrift gegeben. Unter anderem war da zu lesen:

… können Nerven und Blutgefäße schädigen, die für die Erweiterung der Schwellkörper und die erhöhte Blutzufuhr in den Penis zuständig sind. Die Erektionsfähigkeit wird dadurch vermindert oder zerstört. Oft bleibt die Berührungsempfindlichkeit der Haut und die Fähigkeit zum Orgasmus erhalten.

Die Behandlungen insbesondere bei Prostata- , Blasen-, Darm- und bei Hodenkrebs können auch den Samenerguss beeinträchtigen. Je nach therapeutischer Maßnahme kann es zu einem verminderten oder fehlenden Samenerguss kommen. Die Zeugungsfähigkeit des Patienten ist in diesen Fällen vermindert oder geht ganz verloren. …

Die meist starke allgemeine Beeinträchtigung durch die Chemotherapie (Übelkeit und Erbrechen, Schleimhautschäden, Erschöpfung) reduziert das sexuelle Lustempfinden. Zytostatika können Samen und Eizellen sowie Nervenbahnen schädigen. …

Da die Therapie zur Zeugungsunfähigkeit führen kann, besteht für jüngere Patienten mit Kinderwunsch die Möglichkeit, dass vor der Behandlung Samen tiefgefroren werden. Kommt es dann tatsächlich zur dauerhaften Unfruchtbarkeit, kann der Samen zur künstlichen Befruchtung genutzt werden. (Quelle: Informationen der Deutschen Krebsgesellschaft)

Libidoverlust und Potenzstörungen waren also aufgeführt, wie so vieles andere von der Appetitlosigkeit über das Erbrechen bis zur Kälteüberempfindlichkeit und deutlichen Veränderungen im Blutbild. Einige der möglichen Nebenwirkungen trafen mich sofort und mit erheblicher Stärke, andere gar nicht oder abgeschwächt. Dass mir die Erektionsfähigkeit abhanden gekommen war, merkten meine Frau und ich im Juni 2012, als trotz andauernder Chemotherapie meine körperlichen Kräfte wieder so weit hergestellt waren, dass Fahrradtouren, Sport und Ausflüge wieder gut gelangen. Es lag nahe, sich endlich auch wieder Sex zu gönnen. Die Liebe war uns nämlich durch den Krebs nicht abhanden gekommen, im Gegenteil, aber mein Penis reagierte auf nichts. Die Impotenz, mit der ich nicht ernsthaft gerechnet hatte, war eine Tatsache und sie wurde zunehmend zum Problem.

 

Rat suchen

Ich wünschte mir nun, ich hätte seinerzeit mit dem Therapeuten in der Rehabilitationsklinik das Thema besprochen. Doch wie so oft im Leben: der Blick zurück auf das Hätte und das Wäre und das Könnte ist nicht hilfreich. Die Impotenz ignorieren, nichts tun und abwarten schien mir am wenigsten Erfolg versprechend. Es galt vielmehr, das Problem zur Kenntnis zu nehmen und Abhilfe zu finden: Wie wird der Penis wieder steif? Gelingt jemals wieder ein Orgasmus?

Also überwand ich das Gefühl der Peinlichkeit und erklärte meinem Onkologen (der natürlich keineswegs überrascht war, denn wie gesagt ist Impotenz keine seltene Nebenwirkung) den Sachverhalt. Ich wollte wissen, ob ich irgendwie schon während oder wenigstens nach der Chemotherapie gegensteuern könnte. Viagra oder vergleichbare chemische Produkte kamen erst einmal nicht für mich in Frage (und wurden vom Arzt auch nicht vorgeschlagen). Ich wollte so wenig wie möglich Tabletten zu mir nehmen. Mein Körper hatte genug damit zu tun, mit den Zytostatika fertig zu werden. Vermutlich hätte ich mir bei anhaltender Impotenz irgendwann nach einem oder zwei Jahren auch Pillen verschreiben lassen, aber das war keine Option, die ich im Juni 2012 bereits ernsthaft in Erwägung gezogen hätte.

Stattdessen begann ich, auf vorsichtig zurückhaltenden (weil es keine schulmedizinische Behandlung war) Rat des Onkologen, ein für vergleichbare Fälle von manchen Therapeuten empfohlenes Programm, die Lingammassage. Die Übungen entstammen dem indischen Sanskrit, einer traditionellen Gesundheitslehre, die seit Jahrhunderten angewendet, aber hierzulande nicht als »medizinische Therapie« anerkannt wird.

 

Lingammassage versus Impotenz?

An dieser Stelle, bevor Sie weiterlesen, will ich deutlich auf drei Punkte hinweisen.

Erstens: Ich habe eingangs darum gebeten, nicht weiter zu lesen, wenn das Berühren der Geschlechtsorgane, die Massage des Penis in diesem Fall, von Ihnen als anstößig empfunden wird. Daran sei hier noch einmal erinnert.

Zweitens: Die Methode war zwar bei mir erfolgreich, aber bei anderen Betroffenen nicht, jedenfalls meinte mein Arzt, dass der Versuch mit der Lingammassage bei vielen Patienten vergeblich war. Ihr Onkologe oder Urologe wird Ihnen, falls Sie Krebspatient sind, sicher reinen Wein eingeschenkt haben: Es kann durchaus sein, dass die Impotenz nach einer Chemotherapie von Dauer ist. Es kann genauso gut sein, dass bei Ihnen ganz andere Therapieansätze erfolgreich sind.

Drittens: Ich bin weder Psychologe, noch Arzt oder Therapeut. Ich kenne Sie und Ihre Situation überhaupt nicht. Ich berichte nur, was ich und wie ich es erlebt habe, weil das vielleicht dem einen oder anderen Leser Mut machen und helfen kann. Ob die Lingammassage für Sie geeignet ist, lieber Leser, kann ich nicht wissen.

Sie lesen also weiter? Dann hoffe ich sehr, dass Ihnen meine Erfahrungen helfen können, wir gehen auch gleich in medias res. Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, aber dies sei doch der Vollständigkeit halber vorweg noch erwähnt: Schalten Sie alle »normalen« Ihre Potenz dämpfenden Ursachen aus, indem Sie

  • das Rauchen aufgeben (falls Sie dem Laster trotz Krebs noch frönen sollten);
  • Alkohol meiden;
  • für reichlich Aminosäuren in der Nahrung sorgen (also viel Obst und Gemüse essen);
  • grundsätzlich Lebensmittel kaufen, die weitgehend frei von chemischen Stoffen (zur Konservierung, Rückstände chemischer Düngemittel und Insektenvertilgungsmittel) sowie bei Fleisch, Wurst, Milchprodukten und Eiern frei von Hormonen und Antibiotika sind. Geeignete Produkte tragen im Laden die Aufschrift BIO oder kommen direkt vom ökologischen Bauernhof;
  • einen weiten Bogen um »Softdrinks« wie Fanta, Cola, Sprite und ähnliches machen (lesen Sie die Etiketten: wenn E 150 a bis d aufgezählt ist, begünstigt das Getränk den Krebs und dämpft gleichzeitig die Libido);
  • sich viel bewegen (Dauerlauf, zügige Spaziergänge, Treppe statt Fahrstuhl, Schwimmen, wenn finanziell möglich am besten in einem Sport- und Fitnessstudio regelmäßig trainieren).

So, nun aber zum Lingam (das indische Wort für Penis), der auch dann schlaff herunterhängt, wenn er steif in die Höhe zeigen sollte und zu den Übungen, die vielleicht auch Ihnen hilfreich sein könnten. Mein Arzt hatte mich auf eine Webseite hingewiesen, die Anleitungen und Videos zur Lingammassage enthält und mir gesagt, welche Teile der kompletten Massage zur Therapie von Impotenz in Frage kommen. Ich werde auf jene Seite nicht verlinken, da die Darstellungen vor allem im Video zwar verständlich und nachvollziehbar sind, aber die Grenzen des Jugendfreien aufgrund der erotischen Orientierung der Seite überschreiten. Statt dessen beschränke ich mich auf die Beschreibung der mir empfohlenen und erfolgreich angewandten Übungen und unkritische Abbildungen.

 

Alleine oder zusammen?

Das Programm wäre auch als Paar durchführbar, aber die Therapeuten raten ab. Die Übungen können nämlich ziemlich frustrierend sein oder werden, wenn sie über viele Wochen keinerlei sichtbare Wirkung haben. Es war auch für mich kein sonderlich beglückendes Erlebnis, meinen schlaffen Penis zu streicheln und zu massieren, während dabei noch nicht einmal ein Hauch von Erektion zustande kam. Die Impotenz belastet eine Beziehung unweigerlich, sie muss dem Partner nicht auch noch anhand des täglichen Programms über Monate vorgeführt werden. Außerdem, so die Therapeuten, geriete ein Mann, wenn er nicht alleine wäre, psychisch unweigerlich unter Leistungsdruck (ich muss jetzt sofort eine Erektion bekommen!), selbst wenn der Verstand darüber erhaben sein sollte. Und gerade der Abbau des Leistungsdrucks ist ein nicht unwesentlicher Zweck der Übungen.

Etwa eine halbe Stunde sollte man täglich einplanen. Ich fand die Zeit nach dem Aufstehen und vor dem Duschen am ehesten geeignet, da ich mich nicht extra wieder aus- und anziehen musste; aber die Tageszeit spielt keine Rolle. Hauptsache man kann es einrichten, rund 30 Minuten ungestört und ohne Eile die Übungen durchzuführen.

 

Übung 1 - Fingerspitzen

t1Im Sitzen oder im Liegen streicht man mit den Fingerspitzen sanft, kaum spürbar, vom Ansatz des Penis bis zur Eichel und zurück. Ohne Druck, sehr zart, auf und ab, die Seiten entlang, oben und unten ... Man beobachtet, was die Finger tun und erspürt, ob überhaupt und gegebenenfalls wo die Berührungen von der Penishaut wahrgenommen und an das Gehirn gemeldet werden.

Wozu das gut sein soll? Ganz einfach: Die Sensibilität der durch Zytostatika geschädigten Nerven kehrt nicht so ohne weiteres und manchmal leider überhaupt nicht zurück. Wer wie ich eine Chemotherapie mit Xeloda und Oxaliplatin hinter sich hat, weiß vermutlich, dass taube Finger und Zehen auch über das Ende der Behandlung hinaus »normal« sind. Bei mir sind seit dem Ende der Chemotherapie inzwischen Monate vergangen, aber das Gefühl in Fingerspitzen und Zehen ist noch nicht wieder in vollem Maße zurückgekehrt. Vermutlich bleibt es dauerhaft bei der Taubheit.

Chemischen Stoffen ist es egal, ob sie Nerven in den Fingern, den Zehen, im männlichen Geschlechtsorgan oder sonst irgendwo im Körper lahmlegen oder zerstören. Im Penis enden bekanntlich erheblich mehr Nerven als in Fingern oder Zehen – es ist nur logisch, dass die angerichteten Schäden sich nicht schamhaft auf Hände und Füße beschränken, sondern dass auch das männliche Glied Empfindsamkeit einbüßt. Aber, und darum geht es bei diesen Übungen, der Körper oder die Psyche – oder beide im Zusammenspiel, da sind sich die Experten nicht einig – lernt »Umwege«. Es dauerte in meinem Fall viele Wochen, bis ich sehr sanfte Berührungen überhaupt spüren konnte und Monate, bis sich eine Erektion einstellte.

Bei dieser ersten Übung kommen nur die Fingerspitzen zum Einsatz, nicht die Handflächen, und nur der Penis wird gestreichelt, nichts ringsherum. Selbst wenn man weder mit den Fingerspitzen noch mit dem Geschlechtsorgan etwas spürt, fährt man vier bis fünf Minuten fort und beobachtet die Finger und den Penis aufmerksam. Dass dies ziemlich frustrierend sein kann, hatte ich ja bereits gesagt.

Wenn es zur vollen Erektion kommt, kann man die Übung auch vor Ablauf der Zeitspanne beenden, das muss aber nicht sein. Nun wartet man, bis der Penis wieder weich ist, bevor man fortfährt.

 

Übung 2 - Ringförmiger Druck

t2Dies lässt sich am besten im Sitzen durchführen, es geht aber auch im Liegen. Daumen und Mittel- oder Zeigefinger umfassen den Penis an der Wurzel und üben ringförmig zwei bis drei Sekunden spürbaren Druck aus. Ein Finger und der Daumen der anderen Hand werden direkt darüber platziert und drücken ihrerseits, während die erste Hand weiter in Richtung Penisspitze zugreift ... der ringförmige Druck wandert langsam vom Penisansatz zur Eichel hin. Dann greift man wieder am Penisansatz zu, direkt darüber … das geht natürlich auch mit nur einer Hand, die nach jedem Druck ein wenig weiter rückt. Nach zweieinhalb Minuten wechselt man die Richtung – der Druck wandert nun immer wieder von der Eichel zum Bauch.

Wie die erste Übung führt man auch diese ohne Hektik durch. Das Ziel ist kein schneller Effekt, sondern der Bau von Brücken oder Umleitungen, die an den geschädigten Nerven vorbei die Durchblutung der Schwellkörper wieder möglich machen. Der Brücken- oder Umleitungsbau erfordert nun einmal Zeit und Ausdauer. Mein Arzt - wie immer bei irgendwelchen Prognosen sehr vage - meinte, dass mancher Mann innerhalb von sechs bis acht Wochen erste Erfolge sieht, mancher nach ein paar Monaten, mancher auch nie. Aber wenn überhaupt, dann sind aller Erfahrung nach Ruhe, Entspannung und sehr viel Beharrlichkeit Voraussetzungen für die Besserung. Der immer wieder am Penis entlang wandernde Druck durch den Finger-Daumen-Ring soll die Schwellkörper stimulieren.

Auch diese Übung wird vier bis fünf Minuten durchgeführt (egal ob der Penis hart wird oder nicht) oder auf Wunsch dann beendet, wenn eine volle Erektion auftritt. Natürlich kann man auch mit steifem Penis fortfahren – es wird im Gegensatz zur ersten Übung auch nicht abgewartet, bis das Glied wieder erschlafft, sondern man fährt auch im Falle der Versteifung gleich fort.

 

Übung 3 - Handflächen

t3Dies ist wieder eine Phase des leichten und sanften Streichelns. Mit den Fingerspitzen und jetzt auch Handflächen. Von oben und unten, die Seiten entlang … jeder Zentimeter des Penis wird berührt, auch Hoden und Perineum und der Unterbauch rings um das Glied.

Bei Übung 3 geht es darum zu erspüren und zu trainieren, dass Berührungen der Haut anders und leichter an das Gehirn gemeldet werden, wenn die Schwellkörper (mit der Übung 2) aktiviert wurden und sich – mehr oder weniger deutlich – gefüllt haben.

Auch wenn nichts zu spüren ist, auch wenn sich bei der vorherigen Übung gar kein Blut in den Schwellkörper gesammelt hat (also keinerlei auch nur angedeutete Versteifung passiert ist), sollte das Streicheln wiederum vier bis fünf Minuten durchgeführt werden, ganz entspannt im Sitzen oder Liegen. Wichtig ist, dass es bei zarten Berührungen bleibt und kein Druck auf den Penis ausgeübt wird. Man muss sich immer wieder daran erinnern: Es geht nicht darum, eine Leistung zu vollbringen (eine Erektion herbeizuzaubern), sondern es geht darum, Umleitungen und Brücken, mental und physisch, zu bauen.

Im Falle der vollen Erektion sollte diese Übung nicht vor Ablauf der fünf Minuten beendet werden – allerdings auch nicht zur Masturbation werden. Es geht ja auch nicht darum, eine Ejakulation herbeizuführen, sondern um das Empfinden, das dann letztendlich, wenn die Impotenz überwunden wird, die Schwellkörper über längere Zeit gefüllt lässt.

Anschließend wird gewartet, bis die Versteifung, wenn das Glied sich aufgerichtet hat, wieder abgeklungen ist.

 

Übung 4 - Ziehen

t4Der vierte und letzte Teil des Brückenbauprogramms funktioniert nicht mit einem völlig steifen Glied (ein halb steifer Penis ist okay) und auch nicht mit trockener Haut. Man geht entweder unter die Dusche oder es ist eine Lotion, Öl oder Creme notwendig (Babypflegemilch ist bestens geeignet und kostet kaum Geld).

Daumen und ein Finger bilden einen Ring am Penisansatz und ziehen nun mit leichtem Druck am Penis entlang gleitend das Glied in die Länge. Wenn die eine Hand an der Eichel ankommt, greift die andere bereits am Ansatz zu. Am ehesten ist das mit einer Melkbewegung vergleichbar.

Empfohlen wird, den Penis auf diese Weise 150- bis 200-mal ruhig, nicht hektisch, in die Länge zu ziehen, was etwa vier bis fünf Minuten dauert. Natürlich nicht so fest, dass es weh tut, aber doch spürbar. Wie gesagt, das geht am besten unter der Dusche mit nasser Haut und etwas Schaum vom Duschgel oder mit einer Lotion oder Creme oder Öl und auch nur dann, wenn die Schwellkörper nicht völlig gefüllt sind. Eine leichte bis mittlere Versteifung des Gliedes hindert nicht an der Fortführung der Übung, aber bei einem wirklich hart gewordenen Penis funktioniert das in die Länge Ziehen nicht mehr. Dann sollte man unterbrechen oder das Programm beenden.

Diese Übung kombiniert die Durchblutung der Schwellkörper mit dem Erspüren von Berührung und soll gleichzeitig ein Training für das »Aufrechterhalten des sexuellen Energieflusses« sein, wie es die indische Sanskritlehre ausdrückt. Dies war übrigens der einzige Teil des täglichen Programms, den ich bereits als angenehm empfand, als mein Penis noch keine Anstalten mache, sich zu versteifen.

 

Und nun? Langer Atem ist gefragt!

Soweit die vier Bestandteile der »manuellen Lingamtherapie gegen erektile Dysfunktion«, wie indische Mediziner das Verfahren nennen.

Eine Anmerkung will ich hier nicht versäumen beziehungsweise den Hinweis noch einmal deutlich wiederholen: Sobald es bei einer der vier Phasen (oder mehreren) zur Versteifung des Gliedes kommt, liegt es natürlich nahe, zur Masturbation überzugehen. Das richtet zwar keinen Schaden an, aber es ist nicht der Sinn des Unterfangens. Zwei oder drei Mal, als die Erektionsfähigkeit langsam wiederkehrte, habe ich während den Übungen den Höhepunkt angesteuert und erreicht ... aber man sollte als Betroffener von erektiler Dysfunktion nicht vergessen, dass ein Samenerguss nicht Ziel und Sinn dieser Übungen ist, sondern das dauerhafte Überwinden der mentalen und körperlichen Schäden – was dann später Erektion und Orgasmus wieder einigermaßen steuerbar machen soll. Wer masturbieren oder sich wieder an das Liebesspiel zu zweit wagen möchte, sollte das daher zusätzlich zum Übungsprogramm tun.

Ein entscheidender Punkt bei dieser Therapie ist, dass man sich überhaupt und zärtlich und vor allem ohne Ärger über die Impotenz mit dem Penis beschäftigt. Das ist nicht leicht, denn wie gesagt: Wenn und solange sich keinerlei Reaktion des Gliedes zeigt, liegt es nahe, frustriert aufzugeben, sich anzuziehen und etwas anderes zu tun, was wenigstens gelingt.

Der Brückenbau funktioniert, so die indische Gesundheitslehre, aber gerade durch das beharrliche »Trotzdem!«. Beim Sport, wo man auch nicht nach der ersten Übungswoche als Muskelprotz aus dem Studio stolziert, ist das ja genauso. Es spielt sich sowieso eine ganze Menge, mehr als man wohl vermutet, im Kopf, im Unterbewusstsein ab, anstatt direkt vor Ort da unten am Bauch. Daher: »Trotzdem! Mein Penis wird nicht mehr steif? Ich werde ihn trotzdem 30 Minuten streicheln und massieren. Ich habe keinerlei Lust auf Sex? Ich werde mir trotzdem Zeit für mein Glied nehmen.«

Wie lange, mag nun mancher fragen, muss oder soll man das Programm durchhalten? Mir wurde zu Beginn empfohlen, mindestens sechs bis acht Monate nicht aufzugeben, auch wenn sich nichts zu bessern scheint. Nur falls auch dann noch keine zumindest leichte Erektion möglich sei, könne ich den Versuch als gescheitert betrachten und alternative Behandlungswege in Betracht ziehen. Und auch wenn sich die erhofften Erfolge der Lingammassage einstellen, sollte der Patient langfristig, also über mehrere Jahre, alle zwei bis drei Tage zumindest Teile des Trainingsprogramms beibehalten.

Der Rat passt recht gut zur erlebten Wirklichkeit. Nach einigen Wochen bemerkte ich erste Besserungen. Noch keine Erektionen, aber immerhin füllten sich die Schwellkörper bei der zweiten Übung ein wenig mit Blut, der Penis fühlte sich etwas weniger weich an. Rund drei Monate nach dem Beginn des Programms wurde der Penis wenigstens so steif dass er sich halb aufrichtete, allerdings war er sofort nach den Übungen wieder blutleer.

Die ersten Ejakulationen, als es endlich wieder zu richtigen und anhaltenden Versteifungen kam, waren mit enttäuschend wenig Gefühlen verbunden, aber immerhin konnte ich etwa ein halbes Jahr nach dem Start des Programms überhaupt wieder so etwas wie einen Höhepunkt herbeiführen, wenn er sich auch seltsam gedämpft und anders anfühlte als vor der Chemotherapie. Nach sieben Monaten bemerkte ich die ersten morgendlichen Erektionen beim Aufwachen, also die Wiederkehr der natürlichen Funktion unabhängig vom Übungsprogramm, und schließlich, etwa neun Monate nach dem Eintritt der Impotenz, war ich wieder zum Geschlechtsverkehr in der Lage.

Der Orgasmus fühlt sich nach wie vor anders an als vor der Krebserkrankung, gedämpft irgendwie; er ist auch nicht garantiert – trotz meist stabiler Erektion. Ob sich alles irgendwann wieder völlig normalisiert, weiß ich nicht zu sagen. Ob es auch ohne die manuelle Lingamtherapie zur Besserung gekommen wäre, genauso wenig. Wenn ich allerdings das Trainingsprogramm ein paar Tage auslasse, schwindet die Erektionsfähigkeit und –stärke deutlich. Also bleibe ich beim inzwischen zeitlich reduzierten Training alle drei oder vier Tage, denn Sex ist nun einmal gut für Körper, Seele und Geist – und nicht zuletzt für eine glückliche Ehe.

 

Probieren geht über Studieren

Es ist schon so eine Sache mit dem männlichen Geschlecht und der Potenz. Die erektile Dysfunktion ist mehr als ein körperliches Phänomen, sie drückt auf das Gemüt und das Selbstbewusstsein. Obwohl mir die beste aller Ehefrauen keinen Anlass dazu gab, empfand ich meine Unfähigkeit zum Sex als Schmach und mich als minderwertig. Ich konnte ja nichts dafür, aber dennoch schämte ich mich der Tatsache, dass mein Glied nur noch zum Wasserlassen taugte. Dass mir die Besserung des Zustandes gut tat, dürfte nachvollziehbar sein.

Vergleichbaren Erfolg mit dem hier beschriebenen Übungsprogramm oder einer anderen Behandlung wünsche ich von Herzen jedem Mann, der bei der Chemotherapie die gleiche Nebenwirkung unter der Gürtellinie wie ich erleidet oder erlitten hat. Reden Sie unbedingt mit Ihrem Arzt oder einem Therapeuten, suchen Sie Rat von Fachleuten. Es fühlt sich peinlich an, das Thema anzuschneiden, aber durch Schweigen und Verdrängen kommen Sie mit größter Wahrscheinlichkeit überhaupt nicht weiter. Mit ärztlichem Rat oder therapeutischer Hilfe, ob nun indisch oder auf andere Weise, immerhin vielleicht.

Probieren Sie ein paar Monate das, was mir geholfen hat – was kann schon passieren? Vielleicht hilft die tägliche halbe Stunde auch Ihnen. Wenn nicht, dann wissen Sie wenigstens, dass Sie diese Chance nicht ausgelassen haben.

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