Freitag, 12. Juli 2013

Vom Leben und vom Sterben

Das größte aller Übel ist, aus der Zahl der Lebenden zu scheiden, ehe man stirbt. -Seneca, Vom glückseligen Leben

Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand von uns nicht stirbt, ist sehr gering. Ich kenne Fälle, in denen jemand statt zu sterben auf wundersame Weise an einen unerforschlichen Ort entrückt wurde, nur vom Lesen entsprechender Texte oder aus Science-Fiction Filmen. Die Chancen, liebe Blogbesucher, dass wir unser irdisches Dasein nicht mit dem Tod beenden, sind gleich Null.

KerzeSterben werden wir. Wie und wann, das ist uns in der Regel unbekannt. Und wir wollen es, zumindest die meisten Menschen, auch gar nicht wissen. Wir haben womöglich Wünsche, wie unser Abgang aussehen sollte, denken aber lieber nicht allzu viel darüber nach.
Durch die Krebsdiagnose hat sich das bei mir geändert. Die eigene Sterblichkeit ist mehr ins Bewusstsein gerückt als zuvor. Ich habe zwar immer noch meine Lieblingsvorstellung, was meinen Abgang betrifft, ein Flugzeugabsturz, von dem ich schlafend gar nichts mitbekomme zum Beispiel. Gerne auch ohne Flugzeug und Unfall, aber jedenfalls im Schlaf, wäre mir recht. Oder ein gewaltiges Ka-Wumm für uns alle, zum Beispiel ein Weltuntergang meinetwegen um 13:42 an einem Mittwoch - eben noch am Schreibtisch, jetzt schon im Jenseits. Ohne wochen- oder monatelanges Siechtum unter Schmerzen. Ohne ängstliche Überlegungen bezüglich dessen, was »danach« sein oder nicht sein mag. Aber ich weiß, dass solche Wünsche nicht in Erfüllung gehen müssen.

»Wie stirbt man an Krebs? Sind die Schmerzmittel stark genug, um das Lebensende erträglich zu machen? Bleibt das Bewusstsein ungetrübt, so dass man sich von geliebten Menschen verabschieden kann? Wird man zum Pflegefall, kann nicht mehr aufstehen, sich nicht mehr waschen, nicht mehr zur Toilette gehen, so dass der Tod letztendlich zur ersehnten Erlösung wird? Wenn ich nicht am Krebs sterben werde, woran dann? Wie viele Monate oder Jahre bleiben mir noch?«

Solche und ähnliche Überlegungen wandern mir durch den Kopf. Nicht ständig, nicht einmal häufig, aber ab und zu tauchen sie wie aus dem Nichts auf. Ohne erkennbaren Anlass für ausgerechnet den Moment.

Was tun nun mit solchen Gedanken? Verhindern kann ich sie sowieso nicht, also kann ich sie auch gleich bewusst zur Kenntnis nehmen und mir selbst die Antwort geben, die auf alle derartigen Überlegungen stimmt: Ich weiß es nicht. Alles Grübeln würde keine Erkenntnis bringen, also lasse ich solche Gedanken zu und gestehe mir dann schlicht und einfach ein: Ich weiß es nicht. Punktum.

Würde ich überhaupt Details wissen wollen? Ja, unbedingt, wenn ich sicher sein könnte, dass mein Tod ein angenehmer und noch weit entfernter sein wird. Aber genau das kann ich nicht wissen und mit dem Glauben bin ich aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre, die so manche Erkenntnis mit sich brachten, realistischer und zurückhaltender geworden als ich einst war.

Sicher weiß ich nur eins: Ich kann das Leben bewusst genießen, jeden Tag, jede Woche, jeden Monat. Dazu muss nicht rund um die Uhr eitel Sonnenschein herrschen - es kann auch dunkel werden bis zum nächsten Morgen. Es gehört zum Leben dazu, dass hier etwas oder jemand weh tut und dort manches anders läuft als gewollt oder geplant. Dass einiges gar nicht und anderes hervorragend klappt.

Was letztendlich wirklich zählt ist das Leben selbst. Und das nehme ich Tag für Tag gerne und dankbar entgegen. So lange es währt. 

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