Freitag, 23. Mai 2014

Von einem armen Wanderer und einem magischen Baum

Ein armer Mann wanderte durch einen Wald und dachte über all seine Mühsal und Beschwernisse nach. Davon wurde er müde und schließlich lehnte sich an einen Baum, um auszuruhen. Es war nun dieser eine ausgerechnet ein magischer Baum, der jedem, der ihn berührte, augenblicklich alle Wünsche erfüllte. Der ermüdete Wanderer hatte Durst und wünschte sich, er hätte etwas zu Trinken bei sich. Augenblicklich hielt er ein Glas Wasser in der Hand. Erschrocken betrachtete er das Getränk, schnupperte misstrauisch daran und stillte dann, nachdem er zu der Ansicht gelangt war, dass das Getränk genießbar sein müsste, seinen Durst. Und siehe da: Nichts Böses widerfuhr ihm durch das Wasser. Zufrieden seufzte der arme Mann und lehnte sich wieder an den Stamm.

Bei Wehlen an der ElbeNach einer Weile stellte sich Hunger ein und der Mann wünschte, er hätte etwas zu Essen. Auch diesen Wunsch erfüllte der magische Baum schneller, als ein menschliches Auge folgen kann: Eine gesunde und reichlich bemessene Mahlzeit erschien in schönen Porzellangefäßen säuberlich angerichtet auf dem Waldboden. Misstrauisch überlegte der trotz des Wasserglases erneut überraschte Mann: Erfüllen sich hier alle Wünsche?

Er ließ sich die Mahlzeit schmecken, während er über diese merkwürdigen Materialisierungen nachdachte. Einen Versuch ist es ja wert, dachte er schließlich, nachdem sein Hunger gestillt war. Daher rief er in den Wald hinein: »Ich hätte gerne ein hübsches Haus für mich allein!« Sofort erschien auf einer Lichtung einen Steinwurf von dem Baum entfernt ein Haus, ganz nach seinen Vorstellungen von Schönheit und seinem Geschmack bezüglich der Architektur.

Der Mann fing an zu lächeln und wünschte sich Bedienstete, die sich um alle notwendigen Arbeiten am und im Haus kümmern sollten. Auch diese erschienen unverzüglich und gingen ihrer jeweiligen Arbeit nach, als seien sie nicht soeben erst aus dem Nichts angekommen.

Nun war der Wandersmann von seiner unglaublichen Machtfülle so gut wie überzeugt. Einen allerletzten Test wollte er noch durchführen. Er wünschte sich eine hübsche, liebenswerte, intelligente und treue Frau, die das unverhoffte Glück fortan mit ihm teilen sollte.

Sie stand augenblicklich vor ihm. Da murmelte der Mann: »Moment mal ... das ist doch lächerlich! So viel Glück kann ich gar nicht haben.« Er schüttelte den Kopf und sagte entschlossen: »Das passiert alles gar nicht.«

Als er diese Worte sprach, verschwanden Haus, Bedienstete und auch die wunderschöne junge Frau. Der Mann stand auf, zuckte mit den Schultern und sagte: »Ich wusste es ja!«

Dann ging er davon und dachte weiter über all seine Mühsal und Beschwernisse nach.

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Gedanken sind Dinge, die Realitäten erschaffen.
Oder vernichten.

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~frei nach Richard Sutphen, The Oracle Within // Foto: eigene Aufnahme

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