Donnerstag, 4. Juni 2015

Hape Kerkeling–Der Junge muss an die frische Luft

Dieses Buch sollte man sich nicht entgehen lassen

Wir alle befinden uns in unserem Leben unbestritten auf einer Suche. Auf meiner Lebenssuche habe ich, zu meinem eigenen Erstaunen, nicht den Weg eines Frömmelnden, eines Realitätsflüchtlings oder eines besonders Gescheiten eingeschlagen.
-Hape Kerkeling

Zahlreiche Prominente schreiben mehr oder weniger gekonnt und interessant über ihre Kindheit. Mancher lässt auch einen Ghostwriter schreiben, weil er keine Zeit hat oder sprachlich unsicher ist. Solche Autobiografien sind manchmal am ehesten etwas für Bewunderer des jeweiligen Prominenten.

»Der Junge muss an die frische Luft« ist anders. Um Hape Kerkelings Buch mit sehr viel Gewinn und anhaltender Spannung zu lesen, braucht man kein Fan des Humoristen zu sein. Im Gegenteil - ich kann mir vorstellen, dass jemand, der Seite für Seite Witzigkeit ohne Grenzen erwartet, enttäuscht sein könnte.

Kerkeling schreibt sehr ehrlich und kann auf bewundernswerte Weise Humor mit Ernsthaftigkeit verbinden. Dass ich (Jahrgang 1955, also ein paar Jahre älter als er) so manche Erlebnisse (der erste Farbfernseher, Bonanza, Erzählungen der Eltern und Großeltern aus der Kriegszeit ...) recht gut nachvollziehen kann, trägt natürlich zum persönlichen Lesegenuss mit gelegentlichem Schmunzeln und Kopfnicken bei. Doch auch jüngere Semester werden mit diesem Werk hochwertige Lesestunden genießen.

Abbildung von AmazonEindringlich erzählt Kerkeling von den zum Teil traumatischen Erfahrungen und wie beziehungsweise warum sie ihn prägten. Er lässt auch Dinge nicht aus, die zu erzählen manch anderem Menschen peinlich oder unangenehm wäre. Stets wahrt er als Erzähler so viel Abstand von seiner historischen Person, dass es nie peinlich wird, sondern immer wieder erfrischende Selbstironie durchblitzt. Dies ist bei aller Ernsthaftigkeit kein schweres, kein bedrückendes oder melancholisches Buch, im Gegenteil. Hape Kerkeling plaudert auch über Vergnügliches, Kurioses sowie Schräges und erlaubt dem Leser manchen Blick hinter die Kulissen der Medien. Nie enthüllend, nie grob, nie bloßstellend, sondern immer auf eine ausgesprochen angenehme und faire Weise.

Der Autor beschreibt auch, und das hat mich sehr berührt, dass er und warum er trotz aller (aus meiner Sicht sehr berechtigten) Kritik an der institutionellen Religion, in seinem Fall der katholischen Kirche, den Glauben an Gott auch oder gerade bei Schicksalsschlägen nicht verloren hat. Kerkeling weiß zu trennen zwischen menschengemachten Regeln, Gesetzen und Geboten der Kirche einerseits und andererseits dem Gott, der in fünfzig Lebensjahren mehr als einmal eine schützende Hand über ihn gehalten hat. Nicht, indem grausame Geschehnisse verhindert wurden, sondern indem dieser Gott trotz dieser Ereignisse und in ihnen da gewesen ist. Auch das hat meine persönliche Geschichte mit der von Hape Kerkeling gemeinsam.

Es ist dies ein unaufdringliches und gerade dadurch besonders anrührendes Buch, das man nicht aus der Hand legen möchte, bevor die letzte Seite gelesen ist. Ein Buch, das in Erinnerung bleibt und das man nach ein paar Jahre wieder aus dem Regal nehmen und erneut lesen wird.

Dass der kleine dicke, schüchterne Junge aus dem Kohlenpott das alles mit naivem Gottvertrauen schaffen würde, hätte ich ihm nie zugetraut. Das hat er gut gemacht.
-Hape Kerkeling

Alles in allem eine Lektüre, die deutlich herausragt - ich lese im Schnitt 45 Bücher pro Jahr - aus der Menge von Lesestoff. Ob man nun Hape Kerkeling als Schauspieler und Unterhaltungskünstler mag oder eher nicht, dieses Buch aus seiner Feder sollte man sich nicht entgehen lassen. Beide Daumen hoch!

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2 Kommentare:

die Vorgärtnerin hat gesagt…

dann empfehl ich dir auch "ich bin dann mal weg".
Ich hab es geschenkt bekommen, als ich auch vom Jakobspilgern fasziniert war und das war das bekannteste Buch zum Thema.
Die Gewichtungen sind natürlich anders, es ist nicht die Lebensgeschichte, aber Kerkeling lässt den Leser viel tiefer in sich blicken als man es vom Komiker erwarten würde. Und dann noch die Begegnungen, die er auf dem Weg hat -- teils Fans, denen er entwischt, teils Menschen anderer Nationen, die noch nie von ihm gehört haben. Das bereichert die Wanderung wie die Erzählung.

Günter J. Matthia hat gesagt…

Das steht bereits auf der Liste der demnächst zu lesenden Bücher - neugierig bin ich schon länger, jetzt erst recht.