Dienstag, 14. Juni 2016

Hörenswertes von Paul Simon und Bob Dylan

Bei Musik und Literatur gibt jede Rezension natürlich in erster Linie das subjektive Empfinden wieder. Was dem einen sein Mozart ist, ist dem anderen sein Brian Wilson. Und das ist auch gut so, dass die Geschmäcker sehr verschieden sind.
Zwei der drei großen jüdischen Musiker, die mich schon fast ein ganzes Leben erfreut haben, (Bob Dylan, Leonard Cohen und Paul Simon) lassen in diesen Wochen wieder mal neue Alben hören ... die beide auf ihre Art überraschen.
Meinen Senf dazu dürfen auch meine geschätzten Blogbesucher gerne lesen. Bitteschön:

1. Paul Simon - Stranger to Stranger
Beim ersten Anhören von »Stranger to Stranger« war ich leicht irritiert und sogar ein wenig enttäuscht. Bei den ersten sechs Titeln, vom Werwolf bis zur Parade, ist kaum eine Melodie auszumachen, die Instrumentierung beschränkt sich weitgehend auf Perkussionsinstrumente ... ein sehr ungewohntes Hörerlebnis. Bei Proof of Love schimmert dann erstmals der Paul Simon durch, den man seit Jahrzehnten kennt, aber das ist dann auch schon der melodischste Titel. Okay, zugegeben: Auch der Titelsong »Stranger to Stranger« hat ein Melodie, eine sehr schöne sogar, aber die schwebt melancholisch über elektronischen Klängen ... wie gesagt, leicht irritierend bei der ersten Begegnung mit der Platte. (Jawohl die gibt es auch auf Vinyl.)
Aber schon beim zweiten und dann bei jedem weiteren Hören gewinnt das Album und wird mehr und mehr zu einem in sich geschlossenen Kunstwerk, bei dem alles zusammen passt - wenn man sich auf Ungewohntes einlassen möchte. Das Ausbrechen aus Gewohnheiten war bei Paul Simon ja immer wieder der Fall, von afrikanischer Musik bei »Graceland« bis zu lateinamerikanischen Rhythmen und Instrumenten bei »Rhythm of the Saints«. Und nun überrascht er eben mit Klangteppichen und -gemälden, die überwiegend mit Perkussionsinstrumenten und Samples kreiert werden. Die sparsam geformten Melodien passen letztendlich genau hinein in dieses Gemälde. Und die Texte von Paul Simon sind wieder einmal voller feinem Humor (wie er sich beiläufig über Bob Dylan amüsiert ist köstlich) und perfekten Wortspielen (Saint Peter at the golden ... Wristband!).
Die Extras der Deluxe Edition ... nun ja. Eine aktuelle Version vom alten Duncan (klingt aber nicht wesentlich anders als die alte), eine Live-Aufführung vor fröhlichem Publikum von Wristband und ein paar Klangexpperimente, am Schluss dann Paul Simon (überwiegend) als Background-Sänger von Dion DiMucci bei »New York Is My Home«. Das wirkt wie ein Anhängsel an das in sich geschlossene eigentliche Album. Ganz nett, aber nicht unbedingt notwendig.
Alles in allem ist »Stranger to Stranger« für mich ein ganz und gar überraschendes und bei jedem Anhören kostbareres Album, das ich mit Sicherheit noch oft genießen werde. Daumen hoch! Und die Vorfreude auf das Konzert in Berlin im Oktober wird noch angestachelt.


2. Bob Dylan - Fallen Angels
Die Aufnahmen auf »Shadows in the Night« und auf diesem Album stammen aus der gleichen Zeit - offenbar hatte Bob Dylan mit seinen Musikern genug Material für ein Doppelalbum eingespielt, aber dann 2015 doch nur die erste Hälfte auf den Markt gebracht. »Fallen Angels« wird all denen bestens gefallen, die auch am vorigen Album Freude hatten.
Natürlich darf man eine klassische Interpretation der Jazz-Standards nicht erwarten. Bob Dylan interpretiert die Lieder auf seine Weise und der Musikstil ist eine Mischung aus Country und Folk, genau wie bei »Shadows in the Night«. Sparsam instrumentiert sind die Arrangements, aber das passt sehr gut zur Stimmung von »Fallen Angels«, die ich als heiter-melancholisch bezeichnen würde.
Bob Dylan hat schon immer gemacht, was er für richtig hielt, auch und gerade musikalisch. Das hat den Kritikern und Fans gelegentlich nicht gefallen - was aber an Dylans musikalischen Pfaden nie etwas geändert hat. Wer etwas wie »Like a Rolling Stone« erwartet oder »John Wesley Harding«, der wird von diesem Album enttäuscht sein.
Die Aufnahmen sind, wie zu erwarten, technisch hervorragend, vor allem die Stimme (und man höre und staune: Bob Dylan kann sogar Melodien singen, wenn er will!) ist sozusagen »hautnah« präsent. Gelegentlich ist seine Intonation ein wenig wackelig - aber für den (seinerzeit bei den Aufnahmen 74jährigen) Sänger war das ja schon immer beinahe ein Markenzeichen.
Alles in allem: Es macht (mir) Freude, dieses Album zu hören, auf dem kein einziger von Bob Dylan geschriebener Song zu finden ist. Wer sich auf diese eigenwillige Symbiose von Jazz, Country und Folkmusik einlassen möchte, wird den Kauf nicht bereuen. Für Fans des Bob Dylan aus der Rockmusik oder aus dem Bluesbereich ist dieses Album dagegen völlig ungeeignet - es sei denn, sie sind offen für ungewohnte Hörerlebnisse.