Dienstag, 21. April 2009

Was tun gegen schrumpfende Gemeinden?

Craig Groeschel Craig Groeschel, Seniorpastor der LifeChurch.tv, hat sich kürzlich Gedanken bezüglich der jungen Generation gemacht. Damit meint er die 20-30-jährigen. Er schreibt:

Hier sind einige meiner Beobachtungen beim Betrachten der jungen Generation:

  • Ihre Welt ist kleiner, während ihre Perspektive weiter ist. Durch die Technologie sind die meisten dieser Menschen mit einer globalen Mentalität aufgewachsen. Mein bester Freund wohnte in der Nachbarschaft. Ihr bester Freund kann genausogut jenseits des Ozeans wohnen.
  • Sie haben eine weiter gefasste Definition von »Freundschaft«. Für mich war ein Freund jemand, mit dem ich Zeit verbrachte, dem ich mich anvertraute. Heute kann ein Freund jemand sein, den du noch nie getroffen hast, bevor er auf deinen Facebook-Eintrag geklickt und dich als Freund eingeladen hat.
  • Sie sind experimentierfreudiger. Die meisten Menschen meiner Generation waren darauf aus, Besitz anzuhäufen. Viele junge Menschen sind eher darauf aus, Erfahrungen zu sammeln. Ich lernte fremde Länder durch Schullektüre kennen. Die Mehrzahl der jungen Generation hat die Länder besucht, von denen ich nur gelesen habe.
  • Die meisten jungen Menschen sind unterfordert. Ihnen wurde viel gegeben, ohne dass viel von ihnen verlangt worden wäre. Sie haben wesentlich mehr Potential, als man ihnen meist zutraut.
  • Ihre Welt ist grau. Ich wurde so erzogen, dass es absolute Wahrheit gibt. Viele junge Menschen glauben, dass die Wahrheit relativ sei. »Was für mich Wahrheit ist, muss für dich nicht zutreffen.«
  • Sie suchen nach einem Grund. Sie suchen nach etwas, wofür es sich zu leben lohnt. Wenn sie eine entsprechende Angelegenheit gefunden haben, gehen sie durch dick und dünn, um etwas in dieser Welt zu verändern.

Wenn ich diese Unterschiede zwischen meiner Generation und den jungen Menschen betrachte, sehe ich eine Generation, die bereit ist, Christus und die Kraft seiner Auferstehung kennen zu lernen.

(Quelle: Lifechurch.tv, Übersetzung von mir)

So weit, so gut, könnte man meinen. Wir müssen nur noch das Evangelium predigen. Doch machen gerade viele freikirchliche Gemeinden (allerdings nicht nur diese) die Erfahrung, dass ihre Versammlungen schrumpfen. In den Jugendgruppen und Teeniegottesdiensten tummelt sich fast ausschließlich der »gemeindeinterne« Nachwuchs: Kinder und Teenager aus frommem Elternhaus. Gelegentliche missionarische Ausflüge in Fußgängerzonen oder an Badestrände bringen keine neuen Menschen in die Gemeinden. Womöglich kommt mal jemand aus Neugier, aber er geht auch schnell wieder.
Neulich erzählte jemand aus einer Berliner Gemeinde, wie stark die Jugendgruppe beziehungsweise deren monatliche Abendveranstaltung gewachsen sei. Auf Nachfrage bei einem Mitarbeiter stellte sich heraus, dass das Wachstum beim Event, der den Begriff »Export« im Namen trägt, jedoch durch Zustrom aus frommen Kreisen, nämlich Gemeinden und Kirchen ohne entsprechende Angebote für Jugendliche, zustande kommt. Also eher Import als Export?

Je nach Gemeindementalität versuchen nun manche Pastoren, durch Rezepte von früher oder neue Ideen ihre Gemeinden attraktiver zu machen, damit sich die Reihen zumindest nicht weiter lichten.
Aber wenige scheinen zu verstehen, dass das Problem ganz woanders liegt. Gemeinde in ihrer traditionellen Ausprägung ist für unsere Gesellschaft, jedenfalls für die jüngere Generation, weitgehend uninteressant. Unsere Mitmenschen sehen keinerlei Veranlassung, sich zwei Stunden oder gar noch länger in einem Gottesdienst berieseln zu lassen, bei dem auf der Bühne / Kanzel ein Frontalprogramm abläuft und der eigene Beitrag höchstens im Mitsingen oder Einwerfen von Geld in den Opferbeutel besteht.
Einer Predigt von 60 Minuten Länge zuzuhören ist für junge Erwachsene schlicht und ergreifend nicht mehr möglich. Im Gespräch mit einem Freund, der Lehrer am Gymnasium ist, erfuhr ich kürzlich, dass eine Schulstunde von 45 Minuten etwa so aussieht: Die ersten fünf bis zehn Minuten mindestens dauert es, bis die Mobiltelefone in den Taschen verstaut sind. Dann stellt er das jeweilige Thema vor und beantwortet rund zehn Minuten lang die Frage, warum man sich denn ausgerechnet damit beschäftigen müsse. Anschließend kann er, wenn er etwas referieren muss, mit Aufmerksamkeit rechnen - maximal zehn Minuten. Nach dieser Zeitspanne muss er unterbrechen, abwechseln, irgend etwas Interaktives mit den Schülern tun. Sie etwas tun lassen. Dann kann er vielleicht noch einmal mit zehn Minuten Aufmerksamkeit rechnen, bevor die Schulstunde endet. Nicht, dass die Gymnasiasten nicht interessiert wären, nichts lernen wollten. Sie wollen und möchten, aber 15 Minuten konzentriertes Zuhören überfordert bereits viele.

Das kann man bedauern, darüber lamentieren so viel man will. Es ändert nichts an der Tatsache. Die jungen Erwachsenen sind geprägt von Videocliplänge und Short Message Service, von Film- und Showschnipseln zwischen Werbeblöcken. Ihnen wurde als Kind nicht vorgelesen, sie haben kaum selbst Bücher gelesen, und Spielfilme im Kino sind nur dann interessant, wenn dauernd etwas passiert. Dies ist natürlich verkürzt und sehr pauschaliert ausgedrückt, aber ich meine, dass die Tendenz genau so aussieht.

Heißt das nun, dass wir unsere gemeindlichen Veranstaltungen entsprechend umgestalten müssen? Ich würde empfehlen: Nein. Denn damit würden die eher traditionell geprägten Gläubigen heimatlos. Es wäre vielmehr sinnvoll, zusätzlich zum Althergebrachten neue und ungewohnte Arten von Gemeinde oder Kirche oder Zusammenkünften von Gläubigen zu akzeptieren. Und nicht mehr so sehr auf die eigene kleine Herde zu schielen, die es zu vermehren gilt, sondern zu akzeptieren, dass sie nur ein kleiner Teil des gesamten Spektrums an Glaube und Frömmigkeitsstilen ist. Und dass sie nach und nach womöglich überflüssig wird, weil die Menschen, die sich in solchen Strukturen wohl fühlen, aussterben.

Unsere Gesellschaft hat sich verändert, daher wird und muss es veränderte Formen von Gemeinde und Glaubensleben geben.

Mehr von Craig Groeschel und meine Gedanken dazu in den nächsten Tagen.

6 Kommentare:

  1. Dein Artikel hat mich sehr erfreut. Wenn auch manchen Stellen etwas übertrieben pauschal, aber man kann in so einem Artikel auch nicht auf jeden individuellen jungen Menschen und seine Geschmäcker eingehen. Ich finde es gut, dass du dazu aufrufst die bisherigen Gottesdienste so zu belassen und etwas zusätzliches zu schaffen.
    Auch finde ich persönlich das Streben nach Wachstum der "lokalen Herde" etwas seltsam, sind wir doch ein Leib mit vielen Körperteilen / Facetten. Klar hängt bei vielen Gemeinden die Finanzierung des Pastors an der Gemeindegröße. Aber da sieht man eben mal wieder, dass dieses "alle schauen auf einen Leiter und der soll mal machen"-Konzept weder Gott gewollt noch zeitgemäß ist und auch niemals war. Ich persönlich bin ein großer Fan von "Horizontaler Leitung" auf einer Ebene anstatt von "Vertikaler Leitung" von oben nach unten. Ich denke Jesus hat horizontal geleitet und war sich trotzdem seiner Authorität bewußt und hat auch entsprechend gehandelt und gedient.

    Nun ja, ich beginne zu schwafeln, also hör ich hier erstmal auf. Grin.

    Gruß aus Wales

    Tom

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  2. Hallo Tom,

    klar ist das Bild der 20-30jährigen pauschalierend und überzeichnet - es gibt in jeder Generation solche und solche.
    Aber es gibt unter meinen jüngeren Arbeitskollegen und Freunden, die keine Christen sind, kaum jemanden, den ich guten Gewissens in die Gottesdienste mitnehmen würde, die ich zu besuchen pflege. Das gibt mir zu denken...

    Herzliche Grüße nach Wales! Da war ich immerhin einmal im Leben, vor gefühlten 100 Jahren.

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  3. "Im Gespräch mit einem Freund, der Lehrer am Gymnasium ist, erfuhr ich kürzlich, dass eine Schulstunde von 45 Minuten etwa so aussieht: Die ersten fünf bis zehn Minuten mindestens dauert es, bis die Mobiltelefone in den Taschen verstaut sind. Dann stellt er das jeweilige Thema vor und beantwortet rund zehn Minuten lang die Frage, warum man sich denn ausgerechnet damit beschäftigen müsse. Anschließend kann er, wenn er etwas referieren muss, mit Aufmerksamkeit rechnen - maximal zehn Minuten. Nach dieser Zeitspanne muss er unterbrechen, abwechseln, irgend etwas Interaktives mit den Schülern tun. Sie etwas tun lassen. Dann kann er vielleicht noch einmal mit zehn Minuten Aufmerksamkeit rechnen, bevor die Schulstunde endet."

    Hmm... Ich befinde mich grade im Abitur und kann mich ehrlich gesagt wenig an solche Zeiten erinnern. Mir ist bewusst, die jetzigen Schüler der neunten Klasse und jünger, werden eine Generation sein und sind es schon, die uns vor große Herausforderungen stellt, weil sie sehr viel krasser drauf sind, als wir es noch vor fünf bis sechs Jahren gewesen sind. Aber ich würde sagen, dass die 16- bis 30-jährigen schlicht auf Dialog statt auf Monolog getrimmt sind. Im Unterricht wird sehr viel Wert darauf gelegt, dass wir kritisch und reflektierend denken lernen. Das geht in Diskussionen natürlich sehr viel einfacher. Aber dein Bericht vom Gymnasium klingt so, als wären wir nur 15 Minuten aufnahmefähig. Dem muss ich widersprechen. Wir sind durchaus länger aufnahmefähig, allerdings möchten wir dabei auch gefordert werden.

    Mit dem Gedanken von Jugendgemeinden, die übrigens zunehmend gegründet werden, kann ich mich allerdings wenig anfreunden. Wenn wir Jugendlichen in der Gemeinde die ganze Zeit unter uns sind, wer soll uns dann geistliches Vorbild sein? Wir brauchen geistliche Väter und Mütter, die uns beibringen, wie wir in Gottes Kraft kommen und darin leben können. Wie soll das langfristig funktionieren, wenn wir fast nur mit Menschen zu tun haben, die nur wenige Jahre im Glauben dabei sind. Wir brauchen keine neue Gemeinde, sondern reife Christen, die in Liebe und mit Kraft das Evangelium in uns freisetzen helfen. Wie du schon gesagt hast, nicht frontal, sondern, wie wir es genauso in der Bibel finden, im Dialog und im Alltag. Wir brauchen keine weitere Gemeindealternative, sondern eine Alternative innerhalb der Gemeinde.
    Gottes Segen, jovan

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  4. Hallo Jovan,

    zum Gymnasium: Ich nehme an, dass mit der Nähe des Abiturs auch die Ernsthaftigkeit wächst.
    Es geht bei dem, was mein Lehrer-Freund erzählt hat, auch um Unterrichtssituationen, in denen er »frontal dozieren« muss oder soll. Das deckt sich ja dann wieder mit Deiner Einschätzung, dass Dialog statt Monolog die Lösung ist. Nun bin ich kein Lehrer, weiß also nicht, ob man alle Unterrichtsinhalte auf Dialog trimmen kann.

    Zur Gemeinde: Ich finde es auch wesentlich besser, wenn jung und alt gemeinsam zu Formen finden können, die in die heutige Zeit passen. In manchen Kirchen mag das möglich sein, in anderen wohl weniger. Eine einstündige Predigt ist eben ein einstündiger Monolog. Manchem (älteren) Gläubigen gefällt so etwas. Ich habe (obwohl auch über 50) Mühe, dabei nicht abzuschalten.
    Deine These »Wir brauchen keine weitere Gemeindealternative, sondern eine Alternative innerhalb der Gemeinde.« unterstütze ich sehr - bin aber ein wenig skeptisch, ob das in der Praxis mancher Gemeinden und Kirchen wohl möglich sein wird.

    Gruß und Segen!
    Günter

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  5. Ich finde, man muss auch gar nicht so viel über die Predigt ändern. Ich gehe selten wegen der Predigten, die bei uns 20-40 Minuten (nicht zu lang) dauern, in unsere Gottesdienste. Es sind bei mir oft die Gespräche hinterher das, was es so interessant macht. Für andere ist es der Lobpreis, für die dritten die Predigt.
    Als Alternative innerhalb der Gemeinde fangen wir langsam an eine gewisse Mentoringstruktur aufzubauen. Das hat mehrere Vorteile: Einmal entstehen dadurch neue Freundschaften, die auch sehr stark werden können, aber man fängt auch an, voneinander zu lernen.
    Ich denke, eine Gemeinde braucht gegen das Schrumpfen eine integrierende (nicht intrigierende) und offene/ehrliche Gemeinschaft, der es nicht an der Kraft Gottes fehlt (Sünde unter die Füße bekommen, Übernatürliches als Standard erleben, so die Richtung ;o)). Wenn Leute mitbekommen, dass es sowas gibt, einen Ort an dem jeder willkommen ist, wie er ist und Gottes Zuwendung direkt und durch Menschen erfährt, dann werden die Menschen angezogen werden.

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  6. Wenn Leute mitbekommen, dass es sowas gibt, einen Ort an dem jeder willkommen ist, wie er ist und Gottes Zuwendung direkt und durch Menschen erfährt, dann werden die Menschen angezogen werden.Sehr richtig! Einverstanden.

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