Es geht schon mit ganz irdischen Dingen los: »...denn du schenkst die Freiheit, die mich wieder tanzen lässt ... vor deinem Thron tanze ich nun...« - Ich tanze überhaupt nicht gerne. Ergo wäre mir eine Freiheit, die mich womöglich gegen meine Neigung tanzen lässt, höchst unwillkommen. Und deshalb will ich auch nicht singend behaupten, dass ich nun »vor seinem Thron«, den man meinetwegen metaphorisch deuten kann, tanzen würde.
Also lasse ich solche Textzeilen – in der Regel gleich das ganze Lied – aus und höre nur zu. Leider findet sich im Repertoire vieler freikirchlicher Gemeinden selten mal ein Lied, bei dem ich tatsächlich lückenlos mitsingen kann, weil ich das, was gesungen wird, auch meine.
Es scheint auch metaphorische Hände zu geben. »Wir heben die Hände, auf zu dir Herr...« - und wenn es hoch kommt, sieht man hier und dort einen zaghaft halberhobenen Arm, die Hand ungefähr auf Schulterhöhe. Aber nur hier und dort, die Mehrzahl der Anwesenden hebt normalerweise nur die Stimme, während sie von erhobenen Händen singt…
Mir scheint, dass die überwiegende Anzahl der gängigen Lieder nur noch ein sehr einseitiges Wohlfühlpotenzial für die seelische Erhebung haben, es ist sehr viel von ich, mir, mich, mein, uns die Rede. Sicher ist es nicht falsch, auch im Gesang Dankbarkeit auszudrücken, Gott zu loben - das ist ja der Sinn der Anbetung. Aber wenn gesungen wird »komm in uns're Mitte o Herr«, ist das nicht ein klares Bekenntnis, dass man den Worten Jesu nicht glaubt? Soweit ich die Sache verstehe, ist er bereits bei uns, in unserer Mitte.
Manches ist mir auch zu sehr sprachverhunzend. »Komm, jetzt ist die Zeit...« - im Englischen mag es angehen, dass die Zeit ist, hierzulande ist das eine (inzwischen weit verbreitete) Vergewaltigung der Grammatik. Eine bestimmte Zeitspanne mag kommen und gehen, und während sie da ist, kann jetzt die Gelegenheit bestehen, oder der richtige Moment sein. Aber die Zeit ist nicht.
Alles Äußerlichkeiten, es käme auf das Herz an, meinen manche. Nur frage ich mich, was in den Herzen vor sich geht, während von den Lippen allerlei Sonderliches tönt. Vielleicht hat Jon Birch mit dem obigen Bild (Quelle: ASBO Jesus) recht? Da steht: »Der Sonntag, an dem die Lobpreisband plötzlich verbrannte... - das war der Tag, an dem ich begriff, dass es einen Gott gibt.«
Amen, Bruder. Ich habe mich in depressiven Phasen jahrelang überhaupt nicht abgeholt gefühlt in Lobpreiszeiten, schlimmer: Lobpreisblocks. Wo bleibt die Vielfalt des Lebens, die Klage, die durchdringt zum Lob, die Möglichkeit zu Trauern und trotzdem zu loben. Selten ist das Kreuz im Mittelpunkt, es gibt kaum Osterlobpreis... tja... ich mag zum Beispiel Lothar Kosse, aber "Gnade fällt wie ein warmer Regen" (mercy is falling) - äh, nö - Jesus ist dafür verblutet. Sie ist teuer erkauft. Ich verstehe Lothar, was er sagen will, ich finde es trotzdem schwierig... wäre mal spannend: Lobpreismusik aus seelsorgerischer und theologischer Sicht...;-D
AntwortenLöschen"Vergewaltigung der Grammatik"
AntwortenLöschenna ja, darin sind wir sowieso gut.
Überall wird apostrophiert, (ich las einst in einer größeren Zeitung, dass man die Chance habe, Promi's und Popstar's zu treffen), der aktuellste Song wird bewundert, Sachen machen Sinn, undsoweiterundsofort, in elend langer Reihe.
Der Kampf dagegen ist einer gegen Windmühlen und wenn man die Leute zu korrigieren versucht, heißt es gleich: du Klugscheißer!
Was übrigens das eigentliche Thema betrifft: stimme voll zu.
Teils sind die Lieder ziemlich nah am Schwachsinn, teils nerven mich die unendlichen Wiederholungen.
Und dann diese Sprache. "Leute abholen wo sie stehen" - Taxiservice?
@wegbegleiter: Gerade wenn man kürzlich Schweres erlebt hat, können solche "Lobpreiszeiten" richtig depressiv machen. Zu viel aufgesetzte Fröhlichkeit und ein völlig weltfremdes "alles ist gut" machen erst richtig deutlich, dass eben nicht alles gut ist...
AntwortenLöschen@juppi: Ich werde weiter gegen Windmühlen kämpfen, unsere Sprache hat es verdient.
Taxiservice klingt passend, bloß meistens sind da, wo die Taxis hinsteuern, gar keine Fahrgäste zu finden...
@optimizer: Ein bisschen a-Moll für die Seele, ein wenig C-Dur zum Anheizen und dann, nachdem das vermeintlich letzte Lied eigentlich vorbei ist, endlos zwei Zeilen wiederholen. Ach was isses heute wieder gesalbt...
AntwortenLöschen@Optimizer: Würg. Mal theologisch gesprochen: Begegnung mit Gott geschieht im Geist (siehe Jesus bei der Frau im Jakobsbrunnen) - und nicht primär seelisch, also über Intellekt und Gefühle. Diese werden dann vom Geist durchtränkt und ergriffen, sicherlich, aber sie dürfen nicht der Ausgangspunkt sein, sonst beginnt man menschlich zu triggern und zu berechnen und zu kalkulieren und.... wie oft haben mich Lobpreiszeiten noch bitterer gemacht, weil der erste Teil vieler Psalmen einfach fehlte - das Abladen von Trauer, Elend, Fragen, Zweifel....
AntwortenLöschenLobpreisblock - auf so einen Begriff kann nur ein Volk kommen, das auch den Gauleiter erfunden hat. Ok, das war jetzt böse. Aber auch Lobpreis will organisiert werden...
Gott verändert uns durch uns hindurch und nicht an uns vorbei. Erst dann wird Lobpreis wirken und Ausdruck der Gnade sein. Ich fange an zu predigen - schlussi!
Preach it, brother!
AntwortenLöschen;-)
@Wegbegleiter: Dann war ich ja jahrelang Blockwart ohne es zu wissen! ;-)
AntwortenLöschenDie brennende Lobpreisband und Eure verschiedenen Beiträge haben mich schmunzeln lassen. ;-)
AntwortenLöschenIch glaube zu wissen, was Ihr meint...
das Bild ist einfach genial,man riecht den brenzligen Geruch...
AntwortenLöschenGenau. Das brutzelt noch ein wenig vor sich hin auf der Bühne...
AntwortenLöschenLieber Günter,
AntwortenLöschensehr guter Beitrag, die Texte sind manchmal wirklich zum Gotterbarmen (offenbar im wahrsten Sinne des Wortes).
Andererseits kann man Lyrik kaum mit Logik beikommen, sollte man, glaube ich, auch nicht. Gott schaut in unsere Herzen, sonst hätten wir tatsächlich einen schlechten Stand, da kann schon mal das eine odere andere etwas schief (auch textlich) gesungen werden. Konsequenterweise führt Deine Betrachtung zu Bonhoeffers Psalmen-Buch, in dem er ja ausführt, dass freie Gebete gar keine sind, dass es, wenn unser Herz ausfließt, sich noch lange nicht um ein Gebet handelt, und dass Gott Gebete als solche annimmt, die gewissen Formen entsprechen, eben z.B. den Psalmen. Damit beißt er gerade in der charismatischen Bewegung wohl auf Granit.
Aus den Psalmen lernt man auch, dass Umstände, die einem Gläubigen eigentlich klar sein sollten, herbeigebetet bzw. ausgerufen werden, vor allem bei David. Also kann man Jesus schon mal einladen, auch wenn man weiß, dass er schon da ist.
Richtig schlimm finde ich Texte wie den folgenden auf einer populären Lobpreis-CD zu hörenden "Wenn Du mal kein Glück hast, na dann beten wir ..." (sinngemäß), da ist wirklich einiges durcheinander geraten.
Viele Grüße
Thomas
Hallo Thomas,
AntwortenLöschenes stimmt, dass Dinge, die einem Gläubigen eigentlich klar sein sollten, herbeigebetet bzw. ausgerufen werden - nicht nur bei David. Das finde ich auch völlig in Ordnung, und wenn die Worte dabei poetischen Ansprüchen nicht genügen, ist auch das kein Problem. »Gott sei mir Sünder gnädig« ist nicht sonderlich poetisch, aber die Antwort kommt prompt: »Noch heute wirst du mir mir im Paradies sein«.
Ich habe nichts gegen unsinnige Lieder an und für sich. »De do do do, de da da da, that's all I want to say to you« finde ich genauso amüsant wie »Do wah diddy diddy dum diddy do«. Aber Anbetung und Lobpreis - das sollte doch zumindest ein wenig widerspiegeln, was im Herzen vor sich geht. Einschließlich der weniger angenehmen Dinge.
Mit dem Widerspiegeln im Herzen, da hat Du recht, auch mit den weniger angenehmen Dingen, die in den Text gehören.
AntwortenLöschenThomas