Noel Richards wurde von der Redaktion der Zeitschrift »Come« vor der Veranstaltung »Calling all Nations« im Berliner Olympiastadion gefragt, welche Impulse er sich für die deutsche christliche Musikszene erhoffe. Seine Antwort überraschte manchen Leser, denn eigentlich war sie ein Widerspruch zum Gedanken, der christlichen Musikszene Impulse geben zu wollen.
Manchmal setzen wir das Wort »christlich« vor bestimmte Wörter und schaffen so eine Art Subkultur. Viel lieber wäre es mir, wenn Christen zum Mainstream in der Kunst- und Musikkultur durchbrechen würden. Es gibt in Deutschland viele christliche Verlage und Produzenten … die machen ihre Sache wirklich gut. … Sie werden gebraucht, um die Bedürfnisse der Menschen innerhalb der Kirchen wahrzunehmen. Aber wir sollten darüber nicht vergessen, den Blick nach draußen zu richten … Christen ermutigen, das fromme Ghetto zu verlassen.
Noel Richards sprach von »Subkultur«. Ich meine, dass in vielen Kirchen und Gemeinden sogar eine christliche Parallelgesellschaft existiert, die wenig oder keine Berührungspunkte mit unserer Umgebung kennt. Wir haben christliche Romane, christliche Musik aller Geschmacksrichtungen und christliches Spielzeug, sogar christliche Kleidung und vieles mehr. Es gibt biblische Kochbücher genauso wie Kerzen mit Bibelsprüchen und christliche Kugelschreiber oder Notizbücher. Christliche Internetseiten, Foren und Chaträume sind Legion, auch christliche Frauen- und Männerzeitschriften oder Nachrichtenmagazine muss man nicht lange suchen. Manches ist missionarisch gemeint. Aber wer nimmt außerhalb unserer Parallelgesellschaft Notiz davon?
Anders gefragt: Würde den Menschen in unserer Nachbarschaft irgend etwas fehlen, würden sie es überhaupt bemerken, wenn unsere Gemeinde / Kirche plötzlich nicht mehr da wäre? Wäre da eine Lücke im gesellschaftlichen, kulturellen, politischen Leben? Oder würde alles ohne uns Christen genau so weiterlaufen wie bisher?
Die Parallelgesellschaft hat sich etabliert, um die Gläubigen vor der bösen Welt zu schützen, um ihnen saubere und sündlose Alternativen zu bieten. Die Gemeinschaft der Gläubigen wurde zu einer Burgfeste, die es zu verteidigen gilt. Und je länger der Kriegszustand gegen die Welt dauert, desto mehr entfernt sich das Salz aus der Welt. Um so mehr ist das Licht ausschließlich in der Burg sichtbar.
Die Kleinstadtgemeinde, in der ich als junger Christ zu Hause war, veranstaltete einmal im Jahr eine Evangelisationswoche. Ein Prediger wurde eingeladen, Handzettel gedruckt und verteilt, ein Rahmenprogramm gestaltet und dann sollten die Menschen in Scharen in den Gemeindesaal strömen und sich bekehren. Sie strömten nicht, sie tröpfelten höchstens. Die meisten Besucher bekehrten sich nicht, sondern wunderten sich und gingen wieder. Von ein paar wenigen Ausnahmen abgesehen.
Viele Christen verstehen heute noch immer ihren Auftrag genau so und nicht anders. Die Gemeinde ist für sie eine Burg, in die man einlädt, weil da das Licht und das Salz zu finden sind. Samt christlicher Musik, christlichen Finanzkursen, christlichen Fahrradausflügen, christlichen Büchern und christlichen Jugendgruppen. Evangelistische Abende oder Wochen werden durchgeführt, die Gemeindeglieder gedrängt, doch Nachbarn und Kollegen einzuladen, mitzubringen in die sichere Burg. Das Problem wird heute immer deutlicher: Die Nachbarn und Kollegen kommen nicht. Oder sie kommen nicht wieder, weil sie nur Befremdliches erlebt haben.
Jesus hatte keinen Gemeindesaal. Die Jünger bauten keine Kirche. Paulus druckte keine Handzettel. Petrus predigte nicht im Rahmen einer Evangelisationswoche.
Natürlich stimmt es: Jesus lehrte am Sabbat in der Synagoge, die erste Generation der Gemeinde war im Tempel anzutreffen. Natürlich stimmt es, dass die Gläubigen auch heute noch einen Ort, einen Rahmen brauchen, wo sie zusammen Gott loben, aus der Bibel lernen, ihre Fragen stellen und gemeinsame Lasten tragen sowie sich miteinander freuen können. Jesus nahm sich immer wieder Zeit, um mit seinen Jüngern auszutauschen, sie zu lehren, ohne dass diejenigen dabei waren, die noch nicht zum Kreis der Gläubigen zählten. Die Gemeinde der Apostelgeschichte versammelte sich zum gemeinsamen Gebet, Austausch, Lob Gottes und zur Lehre.
Selbstverständlich ist der Gottesdienst, ob nun im Gemeindesaal, der Kirche oder sonst irgendwo, notwendig und richtig. Aber wenn sich das Gemeindeleben darin erschöpft, sich in der sicheren Burg zu versammeln, höchstens noch zu bestimmten evangelistischen Gelegenheiten dazu einzuladen, in die heiligen Hallen zu kommen und sich zu bekehren, dann kann von Salz und Licht nicht die Rede sein. Dann spielt es für die Nachbarschaft, ob nun Dorf oder Stadtviertel, keine Rolle, ob es die Gemeinde vor Ort gibt oder nicht. Dann ist der lokale Kegelverein wichtiger für die Nachbarn als die lokale Kirche.
Wo sind die Kirchen- und Gemeindevorstände, die es wagen, ihre Burgfeste einzureißen? Die nicht einen größeren sakralen Versammlungssaal planen, sondern einen Ort, an dem die Nachbarn sich zur Freizeitgestaltung treffen, die Kinder nach der Schule Hilfe bei den Hausaufgaben finden, die Armen Speise oder Kleidung bekommen, die kulturell interessierten Mitbürger Kammermusik, Blues- oder Jazz-Sessions oder literarische Lesungen veranstalten, und das alles ohne frommen Unterbau und christliche Stempel?
Ich träume von einer Gemeinde Jesu Christi, die keine Fußangeln auslegt, in denen sich Ungläubige verfangen sollen, damit man sie in die Burgfeste ziehen kann. Ich träume von einer Gemeinde Jesu Christi, die sich mit Menschen und Ressourcen verschenkt. Es ist nichts Frommes an einem Skatverein oder einer Hausaufgabenhilfe für moslemische Kinder zu finden. Beim Seniorensport wird sich kein Teilnehmer bekehren. Die Organisation eines Stadtteilfestes zusammen mit anderen Bürgern ist keine missionarische Aktion.
Meine Vision ist keine versteckte Evangelisation durch die Hintertür, sondern eine Gemeinde, die fragt: »Was können wir für die Menschen tun? Wo können wir helfen? Wie können wir dienen? Wem können wir uns und unsere Möglichkeiten, Begabungen, Fähigkeiten verschenken?« Ohne Angelhaken und Gegenleistung. Einfach nur, weil wir die Welt so lieben, wie Gott sie geliebt hat. Er hat seinen Sohn gegeben. Für alle Menschen, für die Frommen wie die Ungläubigen.
Ihr habt nicht mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und euch dazu bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibe, damit, was ihr den Vater bitten werdet in meinem Namen, er euch gebe. (Johannes 15, 16)
Hingehen. Frucht bringen. Und daraus folgt: Der Vater gibt, was wir im Auftrag Jesu bitten. Nicht umgekehrt.
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AntwortenLöschenIch glaube, dass die "Außenstehenden" durchaus zu unseren mehr oder wenigen attraktiven Angeboten kommen ... wenn wir denn gute Beziehungen zu ihnen haben.
Damit meine ich keine rein zweckgebundenen Beziehungen ("Freundschaftsevangelisation"), sondern Beziehungen, die auch bestehen bleiben, wenn der andere nicht zu unserem Angebot kommt.
Amen und danke! Da schreibt mir jemand aus der Seele. Sicherlich keine allzu hippe Meinung, gerade in Freikirchen, die sehr darauf bedacht waren/(leider teilweise noch sind) sich nur ja nicht mit der "bösen" Welt da draußen zu vermischen.
AntwortenLöschenUnd endlich weg von diesem "kommt alle zur Kirche, damit Ihr unsere Weisheit findet" hin zu "wir kommen zu Euch, weil wir Euch in Jesu Namen dienen wollen".
Danke für die Blumen, ihr beide.
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