Samstag, 31. März 2012

Aufzeichnungen aus dem Krankenhaus /// Teil 1



Darmkrebs. Intensivstation. Darmverschluss seit mehreren Tagen, die Gefahr, dass der mittlerweile auf 15 Zentimeter  Durchmesser aufgeblähte Darm reißt oder bricht, ist akut. Ein lebensbedrohender Zustand. Notoperation wird vorbereitet, aber ein Chirurg hat noch eine Idee, eine Hoffnung, wie mir vielleicht, nicht wahrscheinlich aber immerhin auch nicht ausgeschlossen, ein künstlicher Darmausgang erspart werden kann...

Dass sich durch solche Erlebnisse, wenn sie überstanden sind und auch schon während die Krise andauert, im Leben innerlich wie äußerlich einiges ändert, liegt auf der Hand. Mein Leben, das mir geschenkte zweite, das Weiterleben, ist anders. Bleibt anders. Das wird sich auch auf diesem Blog, der in der Zukunft wieder mehr zu einem persönlichen Tagebuch wird, bemerkbar machen. Ich schreibe auf, was ich nicht vergessen will, für mich selbst zunächst einmal, und wer es lesen möchte, ist herzlich eingeladen. Wer weiß, vielleicht ist sogar für den einen und den anderen etwas dabei, was ihm hilfreich werden kann.
Die ersten Aufzeichnungen, die hier in den nächsten Tagen zu lesen sein werden, sind bereits im Krankenhaus entstanden, ich werde sie so,wie sie mir in den Sinn kamen, bloggen. Unsortiert, ungefiltert, ungeschminkt.Für mich, für später, gegen das eigene Vergessen. Und für diejenigen, die es interessiert.

Am 15. März wurde ich mit dem Notarztwagen in das Universitätsklinikum Benjamin Franklin in Berlin Steglitz gebracht. Am 31. März zu mittäglicher Stunde ging es wieder nach Hause. GJM, der Blogger, ist wieder da und sagt seinen Lesern nach der langen Pause guten Tag mit dem ersten Teil der Aufzeichnungen aus dem Krankenhaus.

24. März 2012, 17 Uhr

Plötzlich steht alles still, was so lange und so ungehindert in Bewegung war, auf einmal ist alles Wichtige vollkommen nebensächlich und was im Alltag so gut wie keine Beachtung fand, ist mit einem Schlag entscheidend wie nichts anderes. Das Überleben der nächsten Stunden und Tage rückt nach vorne, alles andere verschwindet im Nebel der Bedeutungslosigkeit.

So ging es mir, als feststand, dass ich an einem Darmkrebs erkrankt war und der Darm bereits seit mehreren Tagen, fast einer Woche wohl, vollständig verschlossen war. So ging es mir, als ich literweise Kot erbrechen musste, als schon das Luftholen zwischen dem Würgen zur Willensanstrengung wurde. Der Darmdurchmesser auf 15 Zentimeter aufgebläht, viel konnte da bis zum Platzen nicht mehr fehlen, und um den Druck zu mindern führten die Ärzte auf der Intensivstation immer wieder äußerst aggressive Abführmaßnahmen durch,damit ich noch mehr und noch mehr Kot erbrechen konnte, denn die Magensonde allein schaffte die Mengen nicht, obwohl sie pausenlos Braunes in die Beutel transportierte. Flüssigkeit und ich weiß nicht was für Medikamente wurde durch die Infusionen in meinen Körper zugeführt,der mittlerweile zu schwach war, um noch viel mehr zu tun als auf dem Bett zu liegen.

„Er ist ansprechbar“, wurde meiner Frau, der besten aller Ehefrauen, nach einer dramatischen Nacht am Telefon gesagt, was gar nicht mal so falsch war, denn ansprechen kann man ja jeden. Die Frage ist, ob derjenige zu antworten in der Lage ist. Das Telefon zu mir herüberreichen wäre wohl gegangen, aber ein Gespräch wäre daraus in jenen Stunden kaum geworden.


Während ich jetzt diese Zeilen schreibe, es ist Samstag, der 24. März 2012, liege ich auf der Chirurgischen Station, die dreieinhalbstündige Operation wurde am vergangenen Mittwoch, dem 21. März 2012, durchgeführt. Nun fehlt mir ein Stück Dickdarm mitsamt zwei aprikosengroßen Tumoren, und die will ich auch nicht wieder haben. Vom Operationstag bis zum Donnerstagnachmittag behielten mich die Ärzte auf der Intensivstation, dann waren sie wohl so weit mit meinem Zustand zufrieden, dass sie einer Verlegung in den „normalen“ Krankenhausbetrieb zustimmten. Es war in den Stunden vor, während und nach der Operation so vieles so unwahrscheinlich positiv verlaufen, dass es an Ignoranz grenzen würde, hier noch von Zufall oder „Glück gehabt“ sprechen zu wollen. Das Wort Wunder ist, ob jemand nun gläubig ist oder nicht, eher am Platz.

Habe ich gebetet in jenen schlimmsten Stunden zwischen Leben und Sterben, die so um den Samstag und Sonntag vor der Operation lagen? Nein. Dazu war ich nicht in der Lage. Ich habe in den mehr oder weniger wachen Augenblicken meine Frau vor Augen gehabt, die ich nach der tragischen Familiengeschichte der vergangenen Jahre nicht allein zurücklassen wollte. Ich habe gelegentlich schwarz gesehen, Trauerflor, erschütterte Gesichter meiner Familie und mich gezwungen, die Bilder immer wieder wegzuschieben. Ich wollte leben. Die Schmerzen waren grauenhaft trotz hochdosierten großzügigen Gaben dessen, was die pharmazeutische Forschung zustande gebracht hat, manchmal dachte ich, es wäre besser, alles ginge jetzt zu Ende, aber nein: ich wollte leben.

Ich lebe. Und ich schreibe erst einmal ziemlich ungeordnet auf, was so an Bildern, Erinnerungen, Eindrücken auftaucht, um es nicht zu vergessen. Ich habe noch ungefähr zehn Tage im Krankenhaus und dann eine Rehabilitation vor mir, kenne noch keine Resultate, was die Tumorproben betrifft, die ins Labor geschickt wurden (die können den weiteren Behandlungsverlauf ab heute auf ca. 10 Wochen verkürzen oder auf viele Monate verlängern). Ich fange heute an, aufzuschreiben, werde morgen vielleicht die Entwicklung bis zu Operation zu notieren versuchen, oder darüber nachsinnen, wie viel es mir bedeutet, dass so viele Menschen Anteil nehmend meine Frau gestützt und mir Segen und Gutes gewünscht haben. Wenn ich in hoffentlich spätestens zehn Tagen, gerne früher, wieder zu Hause bin, soll dieses erste Kapitel auf meinem Blog erscheinen. Nach und nach dann, was ich die nächsten Tage so notieren werde, falls die Kraft reicht. Jetzt ist sie erst einmal ziemlich aufgebraucht, das Schreiben im Bett ist doch anstrengender, als gedacht.

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Den gesamten Bericht über mein Leben seit der und mit der Krebserkrankung (regelmäßig aktualisiert und chronologisch) finden Sie hier: [Mein Leben seit dem Darmkrebs].
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Dienstag, 13. März 2012

Dieser Blog macht ...

Button

... Pause.

Denkpause? Neuerfindungspause? Krankheitsbedingtepause? Überarbeitetpause? Einfachnurpause?

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Donnerstag, 8. März 2012

Leonard Cohen: Old Ideas

imageEilig hat er es nie gehabt, der Leonard Cohen. Acht Jahre Abstand zwischen »Dear Heather« und »Old Ideas« ... so lange dauerte es eben. Was nun vorliegt, ist genau die Sorte Album, die ich mir erhofft hatte. Ein in sich ruhender Cohen, der nicht ruhen wird, bis seine irdische Bahn vollendet ist. Lieder mit Melancholie, Humor und Weisheiten ausgestattet, die den Blick auf Gott und die Welt lenken, ohne penetrant zu werden - eben Leonard Cohen, wie wir ihn seit Jahrzehnten kennen und schätzen. Und dennoch bergen die alten Ideen so manche Überraschungen.

Gleich im ersten Lied erfahren wir, was Gott bezüglich dieses Sängers denkt und weiß:

But he does say what I tell him, even though it isn't welcome, he just doesn't have the freedom to refuse.
...
He wants to write a love song, an anthem of forgiving, a manual for living with defeat.
A cry above the suffering, a sacrifice recovering, but that isn't what I need him to complete.

Die Musik passt - leicht beschwingt, Cohens Stimme deutlich im Vordergrund, sparsam instumentiert.

Das zweite Lied, »Amen«, kann ich nur als Antwort auf die göttliche Ansprache im vorigen Text verstehen. Wenn der Sänger keine Wahl hat, sondern das sagen muss, was von ihm verlangt wird, dann möchte er wenigstens gelegentlich von höherer Instanz auch eine Versicherung bekommen, dass das alles so sein muss und seine Richtigkeit hat.

Tell me again that you know what I'm thinking
But vengence belongs to the Lord.
...
Tell me again when the filth of the butcher
Is washed in the blood of the lamb.

Herausragend für mich: Das Amen der weiblichen Stimmen als zaghaftes Echo, als zarter Hintergund stellenweise. Dazu eine gefühlvolle Violine ... Besser geht es wohl nicht bei einem solchen Lied.

In »Show Me The Place« ist die Rede - nein, ist der Gesang - vom Zweifeln des Sängers und von der Hoffnung auf Erinnerung oder Offenbarung, warum und wozu all das gut sein soll. Womöglich auch Sehnsucht nach der endgültigen Ruhe und dem Frieden nach diesem Erdenleben.

Help me roll away the stone ... I can't move this thing alone ...
Show me the place where the word became a man, show me the place where the suffering began.

Ohne Rhythmusinstrumente bekommt das Lied eine besonders intime Note, Jennifer Warnes sorgt bei diesem Lied für die weibliche Ergänzung zu Cohens Gesang, bei den anderen sind die Webb Sisters und Sharon Robinson dabei.

Wenn von der Liebe die Rede war, dann war es bei Leonard Cohen kaum jemals die übersprudelnde, frische, heiße Liebe, die mit Schmetterlingen im Bauch einherzugehen pfegt. So auch auf diesem Album. In »Darkness« erinnert sich der Sänger mit sarkastischem Humor ein eine lang zurückliegende Episode. Da muss ja wohl so einiges schief gegangen sein.

I should have seen it coming, it was right behind your eyes.
You were young and it was summer, I just had to take a dive.
Winning you was easy, but darkness was the price.

Nach einem eingängigen Gitarrenintro geht es hier (für Leonard Cohen zumindest) recht flott zur Sache - ein Klavier tinkelt munter vor sich hin, eine Orgel jubiliert beinahe - so entsteht ein reizvoller Kontrast zwischen Text und Musik.

Manchmal ist das mit der Liebe eine einseitige Geschichte. »Anyhow« beschreibt eine solche Situation.

»Have mercy on me baby, after all I did confess.
Even though you have to hate me: Could you hate me less?

Zunächst gibt es nur die Stimme und ein paar Akkorde vom Keyboard, dann setzen die übrigen Musiker ein. Doch die bleiben so im Hintergrund, dass dieses Lied wieder einen sehr intimen Charakter bekommt - Cohen erlaubt einen Blick ins Innerste. Zumindest wirkt es so, denn wer weiß schon, was wirklich in einem Menschen steckt.

Ach ja, die Liebe. Die beschäftigt den Sänger und uns seit Jahrzehnten, und manchmal muss der Mensch zugeben, dass es dabei nicht immer mit Vernunft zugeht. »Crazy To Love You« erzählt davon.

Had to be crazy to love you, had to let everything fall.
Had to be people I hated, had to be no one at all.

Der Musik ist anzuhören, dass es mit dem crazy sein so schlimm nicht gewesen ist, die Melodie kommt wieder leicht beschwingt daher und Cohen wagt sich an höhere Töne als sonst. Sieh da - das kann er also auch noch.

So manche wunderbar vertonte Gebete hat uns Leonard Cohne in den vergangenen Jahrzehnten schon geschenkt. Wer würde »If it be Your Will« je vergessen können, oder das monumentale »Hallelujah«. Auf dieser CD folgt mit »Come Healing« ein Gebet um Heilung für Seele, Herz, Körper, Geist.

Behold the gates of mercy in arbitary space,
And none of us deserving the cruelty of the grace.
...
O let the heavens falter, and let the earth proclaim:
Come healing of the Altar, come healing of the Name.

Die Webb Sisters eröffnen mit ihrem unvergleichlichen Harmoniegesang, den ich bei der letzten Cohen Tournee so genossen habe, dass ich versucht war, nach CDs der Damen zu suchen. Cohen stimmt mit ein, es entsteht ein faszinierendes Klanggemälde. Ohne Hast, aber eindringlich.

Manchmal blitzt bei Leonard Cohen ja so etwas wie kindliches Vergnügen an Dingen, die Erwachsenen eher gleichgültig sein dürften, auf. Ab und zu. Selten. Aber immerhin. Auf dem neuen Album zum Beispiel in »Banjo«.

There's something that I'm watching, means a lot to me.
It's a broken banjo bobbing on the dark infested sea.

Natürlich darf ein Banjo nicht fehlen, es trägt uns munter durch diese Humoreske. Das ganze kommt so locker luftig leicht daher, dass man das kaputte Banjo auf den Wellen schaukeln sieht.

Schlaflieder dürfen (und sollten) durchaus ebenfalls heiter sein. »Lullaby« war bei den Konzerten der letzten Tournee schon zu hören, allerdings mit zum Teil abweichenden Textpassagen als nun auf der CD. Auch das ist ja für Leonard Cohen nicht ungewöhnlich, seine Lieder leben nach (und offenbar vor) der Aufnahme, manche Verse tauchen auf, andere verschwinden, manchmal auch nur eine Zeile oder zwei. Dieses kleine Schlaflied jedenfalls macht mir viel Vergnügen, weil so viel in Zungen geredet wird; das garantiert gute Träume.

Well the mouse ate the crumb and the cat ate the crust.
Now they've fallen in love. They're talking in toungues.
...
Sleep baby, sleep. There's a morning to come.
The wind in the trees is talking in toungues.

Die Musik ist genial arrangiert, ein kleines bisschen Country, ein wenig Folk, eine Prise Pop, ein Rhythmus, der einlullt und die Damen singen sanft die glossolieträchtigen Träume herbei. Eine wahre Freude, nicht nur zur guten Nacht.

Zum Schluss der CD gibt es eines der Lieder, deren Refrain man spätestens beim zweiten Anhören mitsingt, weil Melodie, Instrumentierung, Text und Stimmung einfach dazu verführen. »Different Sides« handelt vom Konflikt, der nicht aufzulösen ist. So etwas gibt es. Im Lied und im wirklichen Leben.

I to my side call the meek and the mild, you to your side call the Word.
By virtue of suffering I claim to have won. You claim to have never been heard.
Both of us say there are laws to obey, but frankly, I don't like your tone.
You want to change the way I make love, I want to leave it alone.

Hier bekommen wir noch mal einen kräftigeren Rhythmus und volle Instrumentierung zum Schluss. Und ich könnte wetten, dass man an Cohens Stimme ein Lächeln hört. Ein überlegenes, befreites, in sich ruhendes Lächeln.

Das Begleitheft zur CD ist mit den komplett abgedruckten Texten sowie zahlreichen Zeichnungen, Skizzen, und Bildern liebevoll gestaltet, besonders gefällt mir die unbekleidete Dame, die auch auf dem CD-Lable verträumt nach unten schaut.

Rundum ein ganz und gar gelungenes Album von Leonard Cohen, das nur einen Fehler hat: Es ist wie immer bei solchen rundum guten CDs nach rund 42 Minuten zu schnell vorbei. Aber dann kann man ja von vorne anfangen. Und immer wieder ...

Kaufen kann man die CD zum Beispiel bei Amazon:

Montag, 5. März 2012

Der Käfer

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Als Lea eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand sie sich nicht in ein ungeheures Ungeziefer verwandelt, obwohl sie in den ersten Augenblicken nach dem Weckerklingeln davon überzeugt war, zu einem Käfer geworden zu sein. Warum ausgerechnet Franz Kafkas sonderbare Phantasie ihren lebhaften Traum bestimmt hatte, vermochte sie nicht zu sagen, die Lektüre seiner Erzählungen lag Jahre zurück. Jedenfalls war der Traum so eindrücklich gewesen, dass sie beim Aufwachen fest damit rechnete, es würden Insektenbeine, und zwar sechs Stück, unter der Bettdecke hervorkommen, als sie diese beiseite schob.

So beginnt eine neue Erzählung aus meiner Feder:

http://issuu.com/oora/docs/oora-43_fantasie/7

Ab Seite 6 geht es los.

Ich empfehle allerdings den Kauf der Zeitschrift anstelle der Onlineversion, denn wie immer ist der Inhalt des ganzen Heftes lesenswert. Das Papier fühlt sich außerdem viel besser an als ein Computer, Lesegerät oder schlaues Telefon.

Samstag, 3. März 2012