Dies ist der letzte Teil der Notizen, die ich mir im Krankenhaus gemacht habe. Gegen 12:30 Uhr am Samstag, dem 31. März, wurde ich entlassen, die beste aller Ehefrauen holte mich ab und kutschierte mich im extra für diesen Anlass frisch gewaschenen Dodge Nitro nach Hause. Ich war glücklich, das Krankenhaus zu verlassen, so gut und umfassend und oft genug liebevoll ich dort auch betreut worden war.
Die Fortsetzungen zu diesem Text sind dann bereits in heimischer Behaglichkeit entstanden, aber hier zunächst der letzte Abschnitt, den ich vor Ort geschrieben habe.
Samstag, 31. März 2012 10:50 Uhr
Die „normale“ Vorgehensweise, erklärte mir Dr. Kruschewski, wäre eine sofortige Notoperation, um den Darmverschluss zu beseitigen, bevor die aufgeblähte Wand reißt. Er wolle jedoch angesichts meines unübersehbaren Lebenswillens und meiner körperlichen Konstitution, die belastbarer sei als bei den meisten Patienten, mit Hilfe der Fachärzte versuchen, vom Darmausgang einen Schlauch am Tumor vorbei in den aufgeblähten Bereich zu schieben, durch den Schlauch könne dann einiges abfließen. Je mehr, desto besser, denn je geringer der Unterschied im Durchmesser zwischen den beiden Schnittstellen bei der Operation sei, desto größere Chancen habe er, mir den künstlichen Darmausgang zu ersparen. „Ich kann nicht einen auf 15 Zentimeter geweiteten Darm mit einem mit 3 oder 4 Zentimeter Durchmesser normal großen Darm zusammennähen. Das geht einfach nicht.“
Ob ich mit dem Versuch, der nicht ohne Risiken sei, einverstanden wäre, wollte er wissen. Ich war einverstanden. Jemand fragte mich: „So, Herr Matthia, wollen Sie ein bisschen schlafen?“ Ich hätte gerne mit „ja“ geantwortet, war aber schon meines Bewusstseins ledig, bevor ich den Mund öffnen konnte.
Die Zeiträume und –abstände dieser Nacht und der nächsten Tage sind mir etwas unklar geblieben. Ich kam auf der Intensivstation zu mir, wo sich gerade ein Arzt und ein Pfleger damit beschäftigten, mich mit den diversen Geräten zu verbinden. „Wir legen jetzt einen ZVK“, sagte der Arzt zu mir. „Und was ist ein ZVK“? „Ein zentraler Venen-Katheder. Dadurch kommen wir mit verschiedenen Sonden, die unterschiedlich weit reichen, bis an die Herzkammer.“ „Na das ist doch sicher eine feine Sache“, meinte ich. „Legen Sie los.“ „Das Dumme ist, dass das nur ohne Betäubung geht – und damit wird es schon recht unangenehm für Sie.“
Es war unangenehm, aber als das Werk vollbracht war, hatte ich nun einen ganz patenten „Multi-Media-Anschluss“, wie ich meinen ZVK taufte, im Hals. Der taugte zum Blut entnehmen, zum Zuführen von Medikamenten und Flüssigkeit sowie künstlicher Ernährung und war hübsch bunt. Der hellgrüne Anschluss war der beste, wenn jemand Blut zu zapfen trachtete. Zeitweise brachte mein Multi-Media-Anschluss es mit zusätzlichen Adaptern auf neun Schläuche gleichzeitig, die mit ihm verbunden waren.
Das Drehen im Bett war auf der Intensivstation eine noch aufwändigere Angelegenheit als zuvor. Ich hatte nun
· durch die Nase eine Magensonde
· unter der Nase zwei Düsen, die mir Sauerstoff zuführten, die aber auch gerne mal verrutschten
· im Hals den ZVK, der gut fest saß
· am Finger einen hübsch rot leuchtenden Sensor, dessen Kabel zu den Geräten hinter mir führte
· im Darm den erfolgreich gelegten Schlauch, an dessen Ende ein Auffangbeutel sich langsam mit flüssigem Kot füllte
· im Penis einen Blasenkatheder
Nach der Operation kam später ein Schlauch aus dem Bauchraum dazu, durch den die Wundsekrete und Blut abließen konnten und eine Leitung zum Rückenmark, durch die Morphin direkt zu den geeigneten Nervenenden fließen konnte. Dafür war dann der Darm-Entlastungsschlauch weg.
Wie gesagt, die Zeiten verrutschten mir ein wenig, wie spät es war, als ich schließlich fertig verkabelt und verschlaucht war und die Müdigkeit mich immer wieder für ein paar Minuten dem ständigen Brummen, Piepsen und Summen um mich herum entriss, weiß ich nicht. Es lagen außer mir drei Patienten in dem Abteil der Intensivstation. Bei irgend einem von uns musste fast immer etwas getan, justiert, überprüft werden. Dazu sind Intensivstationen ja da und ich bin sehr dankbar, dass ich in den Genuss der technischen Möglichkeiten kommen durfte, die doch vieles erleichterten und schmerzärmer gestalten halfen.
Dann kam es wenig später zu einem ernsthaften Anschlag auf den Erfolg meiner Behandlung. Nicht böswillig, sondern aus gut gemeintem, aber ziemlich einfältigem Handeln eines Pflegers. Man könnte natürlich auch von ziemlich grenzenloser Dummheit reden. Er war, wie ich am nächsten Tag mitbekam, als Leasingkraft für die Nacht eingeteilt und wird wohl nach dem Vorfall mit mir dieses Krankenhaus nie wieder von innen sehen. Ob er überhaupt jemals wieder auf einer Intensivstation arbeiten darf, war, soweit ich die Gespräche der Ärzte verstand, sowieso fraglich.
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Leiharbeiter auf Intensivstation?!?
AntwortenLöschenDie Krankenhäuser scheinen große Personalschwierigkeiten zu haben.
(hab den neueren Bericht vor diesem gelesen)
Sowas hör ich zum ersten Mal und mir graut es...
Ein weiteres Wunder! Du hast auch den Pfleger überlebt!
Leasingkräfte sind auch im Pflegedienst nichts Ungewöhnliches mehr. Es muss gespart werden, also hat man lieber wenig Stammpersonal und füllt dann bei Bedarf (Krankheit, Urlaub) mit Leihkräften auf.
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