Nun neigt sich meine Chemotherapie dem Ende zu, noch zwei Wochen bis zum »offiziellen Ende«. Ein langer Weg war es seit dem 8. Mai … beschwerlich oft, mit Unfällen und Ausfällen … aber andererseits hätte alles schlimmer und sicher noch unangenehmer sein können, wenn der Katalog der möglichen Nebenwirkungen und Begleiterscheinungen einigermaßen realistisch ist.
Gelernt habe ich, dass es – zumindest für mich – immer die bessere Wahl ist, sich mit einer unguten Situation (einstweilen oder dauerhaft) abzufinden und zu sagen: »So ist es jetzt. Da kann ich nichts ändern. Aber das Leben kann trotzdem weiter gehen, der Alltag kann trotzdem bewältigt werden.« Anstatt mich auf das Sofa zu kauern und zu schmollen (warum ausgerechnet ich) und zu hadern (muss das jetzt auch noch sein) und mich zurückzuziehen (dann mache ich eben gar nichts mehr und bleibe hier sitzen).
Zum Beispiel: Meine Finger sind überwiegend taub, gefühllos. Das beeinträchtigt die Arbeit am Computer … aber ich habe mich an das »taube Tippen« gewöhnt. Mir fällt auch so manches aus den Händen, was ich festzuhalten glaube. Vom Autoschlüssel bis zum Marmeladeglas. Bei ersterem Gegenstand geschieht nichts weiter, als dass ich ihn wieder aufhebe, bei letzterem entsteht ein Scherben-Marmelade-Gemisch, das zu entsorgen ist. Trotzdem decke ich am nächsten Tag wieder den Frühstückstisch. Halte eben die Gegenstände noch etwas fester (soweit das ohne Gefühl graduiert werden kann) und trage kostspieligeres Geschirr mit zwei Händen durch die Gegend anstatt mit einer.
Dabei sind dann Scherben nicht auszuschließen, die schöne grüne Vase hat am Rand nun zwei abgeplatzte Stellen, wir besitzen ein Marmeladegefäß weniger, auch ein Trinkglas ging unlängst den Weg alles Irdischen … aber die Alternative, nichts mehr in die Hand zu nehmen, passt eben nicht zu mir.
Die Zehen sind gleichermaßen taub, als wären sie nicht mehr Teil der Füße. Dadurch stolpere ich leicht … und setzt nun bewusster und womöglich langsamer Fuß vor Fuß, anstatt nicht mehr rauszugehen. Na und? Bin ich etwa in Hektik und Eile? Nein. Wenn die Hunderunde zehn oder zwanzig Minuten länger dauert als sie schnellen Schrittes dauern würde, was macht das schon? Nichts. Max, der Vierbeiner, freut sich und mir schadet es schon gar nichts.
Kleine Wunden heilen sehr sehr langsam zu, eine Abschürfung am Ellenbogen ist nun 2 Wochen alt und noch nicht ganz zu, ein Minischnitt am Finger vom Samstag blutet noch immer gerne frisch vor sich hin, wenn das Pflaster mal ein paar Minuten ab ist. Verständlicherweise bin ich nun mit Messern und anderen auch nur annähernd scharfkantigen Gegenständen (einschließlich der Folienverpackung meiner Chemo-Tabletten, der ich den Schnitt am Finger zu verdanken habe) besonders vorsichtig. Ich gewöhne mich so an die Tatsache, dass mein Blut zur Zeit nicht in einem auch nur halbwegs normalen Zustand ist und deshalb seine Funktionen nicht erfüllen kann. Das wird sich nach Ende der Chemotherapie ja wieder normalisieren, heißt es aus Ärztemund.
Man gewöhnt sich an Ungewöhnliches, auch was die körperliche Tüchtigkeit betrifft, wenn man es nur will. Und mal ehrlich: Verglichen mit jemandem, der auf Rollstuhl und fremde Hilfe angewiesen ist, geht es mir ganz und gar hervorragend.
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