Eine faire Warnung vorab: Diese Geschichte endet mitten drin. Einstweilen. Wie es weiter geht, darüber dürfen am Ende dieses ersten Teiles die geschätzten Blogbesucher abstimmen.
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Der E-Mail-Posteingang war so unübersichtlich wie meist nach einem Wochenende ohne Aufruf der iGoogle-Seite. Beim Löschen der unerwünschten Nachrichten hätte Stephan Haberling beinahe die E-Mail ungelesen gelöscht, die in den nächsten Tagen für eine ganz und gar unerwartete Wendung in seinem Leben sorgen sollte. Natürlich konnte er das nicht wissen, der Betreff ließ auch nicht auf persönlichen oder wichtigen Inhalt schließen, deutete eher auf Spam hin. »Ist das dein Bild auf dieser Seite?« stand da. Eigentlich ein typischer Lockvogel-Betreff. Der Absender namens alter.ego@... ließ ebenfalls kein persönliches Schreiben, sondern irgendwelchen Müll erwarten.
Was wäre geschehen, wenn er diese E-Mail nicht geöffnet hätte? Diese Frage stellte sich Stephan Haberling in den nächsten Tagen wohl häufiger als irgendeine andere. Wäre nichts geschehen? Hätte die Entblößung nicht stattgefunden? Oder hätte er nur nichts davon gewusst?
Solche Fragen sind bekanntlich müßig, denn sie ändern nichts daran, dass etwas getan wurde, dass ein Umstand eingetreten ist. So auch in diesem Fall – er hatte die E-Mail geöffnet und gelesen. Eine Möglichkeit des Entlesens existiert nun einmal nicht. Und das Vergessen, das ahnte er bald, würde so leicht nicht fallen.
»Lieber Stephan, mir scheint, dass dieses Foto dich zeigt«, las er, »aber ich bin mir nicht ganz sicher. Und wie kommt es ins Internet? Wer hat es aufgenommen, wo und wann? Wirf doch mal einen Blick darauf, vielleicht ist es für dich ja interessant? Es grüßt herzlich: Alter Ego.«
Es folgte ein Link, und den einfach zu klicken, hütete sich Stephan Haberling. Auf solche simplen Tricks der Virenschleudern fiel er nicht herein. Zunächst schaute er sich den Seitenquelltext an, ob hinter der angezeigten Adresse womöglich eine Umleitung versteckt sei. Dies war jedoch nicht der Fall. Die Verknüpfung führte direkt zu einem öffentlichen Fotoalbum auf Picasaweb, in dem es nur ein einziges Bild zu sehen gab.
Es zeigte, ein Zweifel schien kaum angebracht, tatsächlich ihn selbst. Allerdings war er ratlos, von wem, wann und wo es aufgenommen sein mochte. Auch der Titel der Galerie machte ihn stutzig: »Die Entblößung« stand da. Die Galerie gehörte einem gewissen alter.ego – also mit großer Wahrscheinlichkeit dem Absender der E-Mail.
Die abgebildete Person – Stephan Haberling selbst, soweit er es zu beurteilen vermochte – stand in einem ihm unbekannten Raum und reckte sich in die Höhe, um einen Halogenstrahler zu erreichen. Bekleidet war er mit Sandalen, Jeans und Freizeithemd, die durchaus zu seiner Garderobe gehören mochten. Bei den Jeans war er unsicher, denn die sahen ja alle ähnlich aus, aber das Hemd erkannte er mit ziemlicher Sicherheit. Natürlich war es keine Sonderanfertigung vom persönlichen Schneider nur für ihn, sondern Kaufhausware, aber immerhin hatte er ein solches Kleidungsstück im Schrank und trug es auch recht gerne.
Sein Gesicht war auf dem Bild nach oben gerichtet, das Foto war im Halbprofil aufgenommen, aber es schien keine Verwechslung möglich: Da war er selbst zu sehen, wo und wann und warum auch immer.
Stephan Haberling grübelte, während er das Bild betrachtete. Er suchte in seinen Erinnerungen, aber er wurde nicht fündig. Weder erkannte er den Raum, noch hätte er sagen können, wann er sich jemals nach einem Halogenstrahler ausgestreckt hätte und dabei fotografiert worden wäre. Vielleicht war es doch nur ein Fall von verblüffender Ähnlichkeit?
Und wer war eigentlich dieser Mailabsender? Das musste sich ja wohl klären lassen. Ein Klick zurück zum E-Mail-Posteingang und dann ein Klick auf »antworten« öffnete das Formular. »Wer sind Sie oder wer bist du?«, tippte er. »Kennen wir uns?« Dann klickte er auf »senden« und widmete sich anderen Nachrichten.
Am nächsten Tag war eine Antwort eingetroffen, die jedoch keine Antwort auf seine Frage beinhaltete. Statt dessen las er: »Das zweite Foto ist da.«
Die Galerie zeigte tatsächlich ein weiteres Bild. Eigentlich war es das gleiche Foto, auf den ersten Blick jedenfalls. Jedoch fehlten die Sandalen, er – oder der ihm verblüffend ähnliche Unbekannte – stand nun barfuss an der gleichen Stelle, in der gleichen Haltung. Bis auf die nun bloßen Füße war auch bei genauer Betrachtung kein Unterschied erkennbar. Erneut durchforstete Stephan Haberling seine Erinnerung, aber weder der Raum noch eine auch nur annähernd ähnliche Situation kam ihm in den Sinn.
Er antwortete nicht auf die Mail.
Das dritte Foto, das sich am Morgen des nächsten Tages zu den anderen beiden gesellt hatte, ließ ihn bereits ahnen, dass der Titel der Galerie von jenem mysteriösen »alter ego« mit Bedacht gewählt worden war. Nun war auch das Hemd verschwunden. Jeans und T-Shirt trug er – oder der Unbekannte mit der verblüffenden Ähnlichkeit – noch, keine Sandalen, kein Hemd. Das T-Shirt war, genau wie Jeans und verschwundenes Hemd, kein Einzelstück, er vermochte nicht zu sagen, ob es ihm gehörte oder nicht. Weiße T-Shirts gab es so häufig wie triefende Nasen im November, und selbstverständlich besaß Stephan Haberling mehrere. Er trug sie auch gerne unter Oberhemden oder Pullovern, wie so viele andere Männer verabscheute er die Feinripp-Unterhemden, die zu seiner großen Verwunderung nach wie vor verkauft wurden. An wen auch immer, jedenfalls nicht an ihn.
Keine E-Mail diesmal, vermutlich ging »alter ego« mittlerweile davon aus, dass er schon aus Neugier Picasaweb einen täglichen Besuch abstatten würde. Zu recht.
Wie würde die Entblößung weitergehen, was als nächstes offenbaren? Stephan Haberling vermutete, dass am nächsten Tag das T-Shirt verschwinden würde, aber natürlich konnte er nicht sicher sein. Erst die Sandalen, dann das Oberhemd. Wenn er selbst sich auszöge, und nicht ein Unbekannter ihn – falls man das überhaupt so sagen konnte in diesem Fall – hätte er zunächst das Oberhemd, dann das T-Shirt abgelegt, anschließend dann die Sandalen, falls er auch aus der Hose zu schlüpfen gedachte.
Ihm fiel Natalie ein, seit der Kindheit hatte er nicht mehr an sie gedacht. Sie war in seinem Alter, Tochter der Nachbarn und häufige Spielkameradin, seit die beiden eingeschult worden waren. Im Sommer kam sie oft mit zum Baden, da ihre alleinerziehende Mutter kaum die Zeit fand, mit Natalie an einen See oder ins Freibad zu gehen. Schon beim ersten Ausflug an den nahegelegenen See war Stephan aufgefallen, dass Natalie sich »verkehrt herum« auszog. Sie entledigte sich zuerst der Schuhe, dann der Hose und des Schlüpfers, bevor sie sich daran machte, den Oberkörper von den Textilien zu befreien. Badebekleidung war damals aus finanziellen Gründen weder in Stephans Familie noch bei Natalie vorhanden, also ging man, wenn der Ausflug zum Schwimmen diente, an eine der FKK-Badestellen. Stephan zog sich von oben nach unten aus, wie alle anderen, die er kannte. Wenn es einige Stunden später wieder nach Hause gehen sollte, schlüpfte er zuerst in die Unterhose und Jeans, während Natalie die umgekehrte Reihenfolge ihres Entkleidens wählte. Zuerst griff sie zu Hemd und Bluse, dann erst wurde ihre untere Körperhälfte mit Textilien bedeckt.
Warum ihm nun diese Erinnerung an Kindheitstage einfiel, konnte Stephan nicht sagen, abgesehen von dem Umstand, dass die ersten drei Bilder in der Galerie nicht seiner gewohnten Reihenfolge entsprachen, Kleidungsstücke abzulegen.
Am Morgen des vierten Tages, noch im Bett, überlegte Stephan Haberling, was »alter ego« eigentlich bezwecken wollte. Es gab keinen Hinweis darauf, ob die Galerie irgend einen Sinn hatte außer dem, eine Entblößung – seine Entblößung womöglich – vorzuführen. Sicher war er sich immer noch nicht, ob die Bilder wirklich ihn zeigten. Er war nie in dem Raum gewesen, der auf den Bildern zu sehen war, und schon gar nicht mit jemandem, der ihn unter einem Halogenstrahler fotografiert hätte. Noch dazu mehrmals, nach dem Ablegen eines Kleidungsstückes nach dem anderen...
Da die Bilder keine wesentlich jüngere Person zeigten, hätte eine Erinnerung da sein müssen, wenn die Aufnahmen tatsächlich stattgefunden hätten.
Wenn nicht – was dann? Spielte ihm hier jemand einen Streich? Wozu? Einfach nur so? Oder doch mit einem Hintergedanken, einem Ziel? Mit Photoshop, oder wie konnte das technisch vonstatten gehen? Diesbezüglich war er wenig bewandert.
Stephan Haberling stand ohne Ergebnis seiner Grübeleien auf und schaltete den Computer ein. Eine neue E-Mail von alter.ego lag im Posteingang bereit.
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So, liebe Leser, wie soll es weiter gehen mit der Entblößung? Die Fortsetzung ist noch nicht geschrieben...
Welches Kleidungsstück fehlt am vierten Tag? |
Die Jeans. |
Das T-Shirt. |
Auswertung |
P.S.: Ich werde bis Sonntag Abend warten, wer oder was hier die Wahl gewinnt.
Update 5. Oktober: Wer mag, kann weiter abstimmen, aber die Geschichte wird nun so fortgesetzt, wie es die Mehrheit bis zum Montag. dem 5. Oktober, gewünscht hat: Die Hose muss weg.
Update 12. Oktober: Hier geht es zur Fortsetzung: Die Entblößung - Teil 2
Update 12. Oktober: Hier geht es zur Fortsetzung: Die Entblößung - Teil 2
das T-Shirt!!
AntwortenLöschendie Hose würd ich mir dann für den 5. Tag aufheben.
SPANNUNG...
Hallo Juppi,
AntwortenLöschenin diesem Fall entscheidet - wie bei der kürzlichen Wahl zum Bundestag - die demokratische Mehrheit...
;-)