Freitag, 7. Dezember 2007

Der Paparazzo

Ein aufmerksamer Autor war er schon immer. Sein Auge für Details spiegelt sich in vielen seiner Texte; so hatte er es beispielsweise in seiner Erzählung Ein ganz normaler Tag nicht versäumt zu beobachten und aufzuschreiben, dass zur Stunde der Katastrophe in Berlin nicht nur Menschen vom Diesseits ins Jenseits wechselten:
Die Sonne ist so gut wie verschwunden, die Nacht wird barmherzig verbergen, was Harald jetzt so deutlich sehen muss: Alle sind einfach umgesunken, wo sie liefen, fuhren, saßen. Offensichtlich haben die Hirtenhunde das Rennen in den letzten Sekunden doch noch gewonnen, sie liegen zwischen den verkeilten Fahrrädern der Jugendlichen.
Am Freitag, dem 30. November 2007, meinte er, obwohl er durch ein Gespräch abgelenkt war, dass ihn jemand fotografiert hätte. Der Paparazzo hatte zwar aus der Hüfte im Vorbeigehen die Kamera ausgelöst, aber der Autor deutete den so bemüht beiläufigen Schlendergang richtig: Der hat mich fotografiert!

Nun war es keineswegs so, dass der Autor grundsätzlich Fotos seiner Person nicht duldete, es war gar nicht zu vermeiden, vor allem seit er den Literaturnobelpreis für seinen Roman Es gibt kein Unmöglich! bekommen hatte, dass er in der Öffentlichkeit erkannt und häufig abgelichtet wurde. Aber - und das war eben der feine Unterschied - die meisten Menschen fragten höflich. Der Paparazzo dagegen hatte so getan, als sei nichts. Und jeder Wikipedia-Leser weiß ja:
Selbst sogenannte "Personen der Zeitgeschichte" dürfen nicht jederzeit in jeder Situation fotografiert werden. Für Aufsehen sorgte 2004 das Caroline-Urteil des Europäischen Gerichtshofes. Es betonte die Schutzwürdigkeit der Privatsphäre auch von Prominenten und rügte die deutsche Rechtsprechung als unzureichend.
Da Geld angesichts des Nobelpreises keine Rolle spielte, beauftragte der Autor eine Tochterfirma der Mafia aus Sizilien mit den Nachforschungen. Er hatte nicht vor, gerichtlich gegen den Paparazzo vorzugehen, denn das schien ihm viel zu langwierig. Da gab es schließlich andere Methoden... - aber er wollte zunächst Gewissheit haben.
Die Ergebnisse wurden ihm, wie bei dieser stets zuverlässigen und diskreten Detektei üblich, schon am 6. Dezember 2007 präsentiert:
Es gibt zwei Fotos mit Ihnen, sehr geehrter Auftraggeber.
  • Auf dem einen sind Sie mit einer Dame abgebildet, die nicht als Ihre Ehefrau identifiziert werden konnte. Ersten Untersuchungen zufolge handelt es sich um die Agentin Barbara H. aus Berlin, die im Auftrag einer Tarnorganisation (siehe unten) als Vertriebsmitarbeiterin tätig ist.
  • Auf dem zweiten Bild sind Sie ebenfalls mit der besagten Dame, die nur von hinten zu sehen ist, abgebildet. Neben Ihnen steht deutlich erkennbar der Pate der Cosa Nostra in Berlin. Im Hintergrund sind einige Mitglieder des Berliner Gangstersyndikates, das unter dem Tarnnamen P. u. K. operiert, zu erkennen. Der Herr im blauen Hemd mit der Krawatte wurde als eine der leitenden Figuren in dieser zwielichtigen Vereinigung identifiziert.
Sollen wir nun
  • a) den Paparazzo samt Familie auf die übliche Weise beseitigen und
  • b) alle Festplatten Europas ferngelenkt löschen, damit eventuelle Kopien der Bilder vernichtet werden?
Der Autor, ein durchaus freundlicher und friedliebender Mensch, lehnte beide Ansinnen ab. Er fand die Bilder letztendlich ganz nett - zeigen sie doch deutlich, dass er Orangensaft statt Alkohol zu sich genommen hat und sich trotz drängender Termine Zeit nahm, mit den aus aller Welt, sogar aus Moskau und Stockholm, angereisten Menschen zu plaudern.
Und bei der Löschaktion aller europäischen Festplatten hätte es unnötiges weiteres Aufsehen gegeben.

Daher können an dieser Stelle die beiden skandalträchtigen Aufnahmen des aus Sicherheitsgründen nicht genannten Paparazzo (Name der Redaktion bekannt) dem staunenden Publikum präsentiert werden:

(Bild 1: Der Autor und die zweifelhafte Barbara H. am 30. November 2007 um 14:13 Uhr)

(Bild 2: Der Autor in weiterer zweifelhafter Gesellschaft am 30. November 2007 um 14:14 Uhr)

Der Paparazzo kann einstweilen wieder beruhigt schlafen und seine Familie in vorläufiger Sicherheit wissen. Der Autor wird aber aufmerksam bleiben, denn selbst sogenannte "Personen der Zeitgeschichte" dürfen nicht jederzeit in jeder Situation fotografiert werden.

3 Kommentare:

  1. Prima Geschichte. Every picture tells a story... und wenn nicht, dann ersinnt der Autor eine.

    Wunderbar!

    :-)

    AntwortenLöschen
  2. Ein Meilenstein in der Geschichte der Literatur!

    Wobei "den Paparazzo samt Familie auf die übliche Weise beseitigen" auch für den Autor selbst unangenehm werden könnte... ;) ...aber vermutlich handelt es sich ja weniger um eine Berichterstattung realer Geschehnisse sondern um eine fiktive Kurzgeschichte, welche von der Realität so weit entfernt ist, wie "der Paparazzo" von den wahren Paparazzi.

    Migliori saluti!

    Der Paparazzo

    AntwortenLöschen
  3. Ja, lieber Paparazzo,

    wenn unter einem Beitrag auf dem Blog das Lable "Erzähltes" klebt, dann muss es ja ein Meilenstein der Weltliteratur sein. Und die Literatur neigt dazu, dass Realität und Phantasie ineinanderfließen. Immerhin: Die Bilder sind echt und nicht manipuliert, also warum sollte die Geschichte sich nicht so zugetragen haben?

    Buona giornata, paparazzo con familia!

    Der Autor

    P.S.: Du kannst ja Barbara H. mal dezent auf diesen Blogeintrag hinweisen, die hat ja wie der Paparazzo Humor...

    AntwortenLöschen