Donnerstag, 29. September 2011

Zweifel

Man hat uns – nein, das wäre verallgemeinernd – man hat mir das Zweifeln schlechtgeredet. Schon als Kind, aber auch später noch. So lange, bis Zweifel automatisch Gewissensbisse auszulösen in der Lage waren. Sich davon wieder zu lösen, das Zweifeln schätzen zu lernen, ist so einfach nicht und auch nicht überall und jederzeit angebracht.

Als kleiner Junge zweifelte ich an der Ernsthaftigkeit mütterlicher Warnungen bezüglich Kerzenflammen, bis ich mir die Finger verbrannt hatte. Ich zweifelte auch daran, dass ein »Christkind«, auf unerforschliche Weise mit Paketen beladen durch Wände oder Decken gleitend, für die weihnachtliche Bescherung zuständig war.

Die Zweifel an der Mär vom Christkind waren berechtigt, die Zweifel bezüglich der brennenden Kerzen nicht.

Mit dem Wissen wächst der Zweifel.–Goethe

Kustaktion in Berlin 2005Es gibt manches im Leben, was nicht bezweifelt werden muss, da handfeste Tatsachen den Sachverhalt belegen. Das braucht nicht selbst ausprobiert werden, da reicht der Verstand. Ich muss nicht daran zweifeln, dass ein Sprung aus mehreren Metern Höhe gesundheitliche Risiken mit sich bringt. Unzweifelhaft ist mir auch, dass die Fähigkeit, ein Fahrzeug sicher zu führen, mit zunehmendem Genuss alkoholischer Getränke abnimmt.

Jedoch: Solange ich Zweifel hege, ob das Urteil eines anderen Menschen über einen bestimmten Sachverhalt oder eine Person wirklich zutreffend ist, behalte ich die Möglichkeit, zu einem eigenen Schluss zu kommen – und dann gegebenenfalls mein eigenes Urteil wieder anzuzweifeln, sobald es Anlass dazu gibt.

Ohne Zweifel gäbe es kaum nennenswerte Entdeckungen. Wenn mich jemand, vorausgesetzt ich hätte vor mehreren Jahrhunderten gelebt, belehrt hätte, die Erde sei eine Scheibe, über deren Rand man zu fallen droht, wenn man zu weit hinaussegelt, dann wäre es nicht verkehrt gewesen, das Schiff mit gebotener Vorsicht dem Horizont entgegen zu steuern und zu überprüfen, ob es sich wirklich so verhält. Ist die Welt erst einmal umrundet, dann können andere von den Erfahrungen profitieren.

Voraussetzung für das Abenteuer ist, dass ich den Abgrund am Ende der Erdenscheibe bezweifle und Zeichen der Vernunft ist es, wenn ich die Reise mit Vorsicht unternehme.

Zweifel ist etwas anderes als Ablehnung, denn Zweifel lässt immer auch die Optionen offen, von denen man – einstweilen zumindest – noch nicht so recht überzeugt sein kann.

In den Fällen, in denen etwas verifizierbar ist, zum Beispiel die Unverträglichkeit einer Kerzenflamme mit menschlicher Haut, wird schließlich der Zweifel beseitigt.

Die Vernunft trägt dazu bei, dass ich nicht alles selbst ausprobieren muss. Einem Kind fehlt diese Vernunft noch, beim Erwachsenen sollte sie eigentlich in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen.

Dem Kind wird erzählt, dass die Babys vom Storch herbeigeflogen werden, sogar in der Mercedes-Werbung im Fernsehen ist das ja zu sehen. Doch irgendwann werden Zweifel entstehen ... da ist ein dicker Bauch gewesen, nun ist er wieder dünn und ein Baby ist da ... merkwürdige Zufälle gibt es ... – das Erlebte führt das Kind, wenn es die elterlichen Worte bezweifelt, zu neuer Erkenntnis.

Der sprichwörtlich gewordene Zweifler Thomas nahm die Berichte seiner Freunde, der hingerichtete und begrabene Meister sei auferstanden, nicht für bare Münze. Er wollte sich schon lieber selbst davon überzeugen. Als Jesus dann in den Raum trat gab es keine Vorwürfe, sondern die Aufforderung: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände … und Thomas war zufrieden. Er konnte fortan mit wirklicher, tiefer Überzeugung von der Auferstehung erzählen. Sein Zweifel hatte ihn zum Glauben geführt. Jesus lobte bei dieser Gelegenheit zwar diejenigen, die nicht sehen und dennoch glauben, aber er kam dem Zweifelnden doch persönlich entgegen, um ihn zu überzeugen.

Wer Recht erkennen will, muss zuvor in richtiger Weise gezweifelt haben.  -Aristoteles

Zweifel kann nicht nur zur Gewissheit und neuen Erkenntnissen führen. Er kann gleichzeitig vor törichten Ansichten bewahren. In unserer Gesellschaft ist der Zweifel längst von seinem mittelalterlichen Makel befreit. »Im Zweifel für den Angeklagten«, gilt in unserem Rechtssystem. Moralische Werturteile werden bezweifelt und gegebenenfalls revidiert, niemand muss heute mehr seine homosexuelle Veranlagung verheimlichen, Frauen dürfen selbstverständlich berufstätig mit gleichen Chancen wie die Männer sein … manche Zeitgenossen bedauern das, andere finden es gut. Grundlage aller Veränderung ist jedoch der Zweifel: Gehört eine Frau wirklich ausschließlich an den heimischen Herd? Ist die Erde wirklich eine Scheibe?

Dennoch ist der Zweifel, vor allem in frommen Kreisen, verpönt. Das Zweifelverbot dient häufig dem Selbstschutz der organisierten Religion, denn wenn deren Strukturen und Hierarchien zum Gegenstand des Zweifels würden, dann wäre – das wissen die Amtsinhaber – ein Ende ihrer Herrschaft über andere Menschen, ihrer hochgehobene Stellung, nicht auszuschließen. Die »normalen« Gläubigen sollen das Gepredigte glauben, ohne es zu hinterfragen. So bleiben sie abhängig von ihren »Hirten«.

Einer der größten Zweifler in der Geschichte des Christentums war Martin Luther, seine Zweifel am Wahrheitsgehalt dessen, was die Kirche verkündete, brachten ihn zu der Überzeugung, dass es gut sei, die Bibel dem Volk zugänglich zu machen, damit sich jeder selbst davon überzeugen kann, ob ihm Unsinn vorgesetzt wird oder nicht.

Dass Luther selbst auch so manchen Unsinn verbreitet hat, sei ihm – wie allen Menschen – nachgesehen, denn wer von uns wäre fehlerfrei?

Manche Zweifel bleiben übrigens bestehen, finden keine Auflösung. Gerade der Glaube gehört zu den Bereichen in unserem Leben, bei denen weder Vernunft noch Erfahrung Zweifel zu beseitigen vermögen, weil sie hierfür untauglich sind. Im deutschen Bundestag hielt der Papst kürzlich eine hochinteressante Rede, in der er auch dieses Thema streifte. Er sagte: »Was nicht verifizierbar oder falsifizierbar ist, gehört … nicht in den Bereich der Vernunft im strengen Sinn. Deshalb müssen Ethos und Religion dem Raum des Subjektiven zugewiesen werden und fallen aus dem Bereich der Vernunft im strengen Sinn des Wortes heraus.«

Nicht verifizierbar und nicht falsifizierbar ist in weiten Teilen unser Verhältnis zu Gott, welche Bezeichnungen wir auch immer für ihn wählen mögen.

Dass der Glaube ins Subjektive gehören könnte, stört naturgemäß gerade diejenigen, die im Auftrag Gottes zu handeln und zu reden meinen und ihr Selbstwertgefühl darauf gründen, wie groß oder klein ihre »Gemeinde«, ihre »Kirche«, ihr »Glaubenswerk« oder ihr »Tempel« ist.

Zweifel an dem, was die »geistliche Obrigkeit« lehrt oder tut, wird auch heute noch, vor allem in einigen charismatisch-evangelikalen und in fundamental-islamischen Kreisen, nicht gestattet, wird mit Auflehnung gegen den Allmächtigen gleichgesetzt und flugs steht der zweifelnde Mensch, wenn er nicht klein beigibt, draußen vor der Tür.

Wohlgemerkt: Das gilt nicht überall. Es gibt gottlob auch Geistliche (aller Religionen), die erstens zugeben, nicht alles zu wissen und zu kennen und zweitens dem fruchtbaren Gespräch, auch wenn es konträre Meinungen gibt, gerne Raum geben.

Glaube denen, die die Wahrheit suchen, und zweifle an denen, die sie gefunden haben. -André Gide

Vorsicht ist immer dann geboten, wenn jemand keinen Zweifel an seinen Worten zulassen will, sei er nun Imam oder Pastor, Politiker oder Wissenschaftler.

Wenn Zweifel mit Unglaube, mit Rebellion gegen Gott gleichgesetzt wird, wird es gefährlich, denn dann ist, falls der versprochene Erfolg nicht eintritt, sofort klar, wer die Schuld trägt: »Wenn du genug/richtig geglaubt hättest, hätte Gott deine Situation geändert. Meine/unsere Lehre ist auf jeden Fall richtig, du bist selbst Schuld an dem Unglück.«

Wie schnell wirft dann ein Mensch, der von ganzem Herzen geglaubt und vertraut hat, der alles so richtig gemacht hat wie er nur konnte, der jeden Zweifel unterdrückt hat, der dann aber trotz alledem keinen »Erfolg« erlebt hat, in seiner Enttäuschung und seinem Schmerz gleich jeden Glauben an einen Gott in den Mülleimer. Das Resultat des verbannten Zweifels ist Verzweiflung, aber das theologische Lehrgebäude bleibt unerschütterlich stehen.

Die Gefahr liegt jedoch nicht darin, wie oder wer Gott ist, sondern darin, was Menschen über Gott – oder im Auftrag Gottes – zu sagen haben.

Selbst der meist auf den Glauben ohne Beweise pochende Apostel Paulus empfahl der Gemeinde in Korinth nachdrücklich, die Worte der Propheten erst einmal zu bezweifeln und sie einer gründlichen Prüfung zu unterziehen. Dabei sollte dann zwischen »echt« und »unsinnig« sortiert werden – was noch lange keine Kritik an den Propheten an und für sich bedeutete. Paulus wusste einfach um die Tatsache, dass auch ein Mensch mit prophetischer Begabung daneben liegen kann.

Natürlich können wir uns auch beim prüfen, beim Behalten oder Verwerfen, irren. Paulus verwarf, wie wir aus dem Bericht des Lukas in der Apostelgeschichte wissen, die Warnung einer Gruppe von Propheten, die ihm im Falle der Reise nach Rom Unheil voraussagten. Das Unheil in Form von Gefangenschaft ließ dann nicht auf sich warten. Womöglich hätte der Apostel noch viele Gemeinden gründen können, wenn er die warnenden Worte angenommen hätte.

Ich habe, nicht zuletzt aufgrund bitterer Erfahrungen, gelernt, den Zweifel auch im Bereich des Glaubens, bei Dingen, die nicht verifizierbar oder falsifizierbar sind, zu schätzen. Das versetzt mich in die Lage, nicht alles wissen und verstehen zu müssen, Postulate hinterfragen zu dürfen, Dingen auf den Grund zu gehen, soweit mir das möglich ist.

Denkverbote lasse ich nicht mehr gelten, was mir vorgedacht wird, denke ich lieber nach.

Zweifel und Glauben – ich meine, dass sie einander keineswegs ausschließen müssen, sondern eine gesunde Ergänzung darstellen können. Niemand muss (oder sollte) seinen Verstand ausschalten, seine Vernunft aufgeben, wenn es um »geistliche« Dinge geht.

Im Gegenteil.

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Dienstag, 27. September 2011

to kill or to keel

Ach übrigens, vor der Lektüre: Dies ist ein Teil, vermutlich ein letzter Teil, einer Serie von Selbstsprächen, die hier anfing, hier weiterging, hier ein vermeintliches Ende fand  und hier wider Erwarten fortgesetzt wurde.  Aber das nur so nebenbei, das Ist überhaupt nicht interessant.

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Eigentlich hatte ich mich ja leergeschrieben, aber um überhaupt irgend etwas zu formulieren, griff ich natürlich nach diesem und jenem Notnagel. Die Blogbesucher hatten auch die Idee mit dem verbeulten Auto, dessen ich angesichtig wurde, für vielversprechend gehalten. Also stellte ich mir ein Fahrzeug mit Beule vor und begann zu schreiben.

Der Volkswagen hatte mehr als dreißig Jahre seinen Dienst getan. Er erfuhr ganz offensichtlich regelmäßige Pflege, sein Lack glänzte so tiefschwarz in der Nachmittagssonne, dass man hätte meinen können, das Fahrzeug sei gerade vom Band gerollt. Von Weitem betrachtet war der Käfer, der die Fahrbahn zur Hälfte blockierte, ein Schmuckstück.
Als ich an jenem 17. Juli, der alles änderte, um 16:48 Uhr die Unfallstelle erreichte, ging mir der Gedanke so schlimm kann es gar nicht sein durch den Kopf. In meiner Aufregung hatte ich das kurze Telefonat wohl missverstanden.

image»Mooooooooooment«, unterbrach ich mich, »so geht es doch nun wirklich nicht. Das hast du bereits geschrieben und veröffentlicht, das ist der Anfang von Sabrinas Geheimnis

»Und wenn schon! Im Fernsehen wird ja auch dauernd irgendwas wiederholt.«

»Nein, nein, nein.«

Missmutig musste ich mir dann doch recht geben. Ich grübelte noch ein paar Minuten, um dann festzustellen: »Ich habe mich leergeschrieben. Daran gibt es nun keinen Zweifel mehr.«

»O doch«, verbesserte ich mich, »Zweifel ist immer angebracht bei derartigen Angelegenheiten. Was ist zum Beispiel mit deinem Artikel über das Zweifeln oder den Zweifel an und für sich? Die ersten Absätze sind doch so schlecht nicht.«

Ich öffnete das Dokument und las, was ich bisher geschrieben hatte.

Man hat uns - nein, das wäre verallgemeinernd - man hat mir das Zweifeln schlechtgeredet. Schon als Kind, aber auch später noch. So lange, bis der Zweifel automatisch ein schlechtes Gewissen auszulösen in der Lage waren.
Es gibt natürlich manches im Leben, was nicht bezweifelt werden muss, da handfeste Tatsachen den Sachverhalt belegen. Ich muss nicht daran zweifeln, dass ein Sprung aus mehreren Metern Höhe gesundheitliche Risiken mit sich bringt. Unzweifelhaft ist mir auch, dass
Jedoch: Wenn ich Zweifel hege, ob ich eine Arbeit in einem zur Verfügung stehenden Zeitraum schaffen kann, dann hat das sein Gutes. Dann werde ich mich nämlich zusammenreißen und Ablenkungen abwehren, Unwichtiges beiseite lassen, Konzentration aufbringen und dann - falls alles gut geht, tatsächlich rechtzeitig fertig sein. Andernfalls habe ich es wenigstens versucht.

»Gar nicht so übel als Einstieg«, dachte ich. »Aber ...«

»Was aber? Nix aber!«

»Aber ...«

»Silence! I KEEL YOU!«

Ich zeigte mir einen Vogel. »Wer nicht bei Loriot klaut, der klaut auch nicht bei Jeff Dunham.«

»Na gut, wir streichen das Zitat von Achmed. Also was ist denn nun mit der Hymne auf den Zweifel?«

»Ja ja«, zweifelte ich vor mich hin, »was ist denn nun mit ihr, der Hymne?«

»Nix ist mit der Hymne, wenn du sie nicht schreibst.«

Kurz entschlossen öffnete ich das Dokument erneut und fuhr fort zu schreiben. Der geschätzte Blogbesucher mag nun daran zweifeln, dass aus dem Artikel tatsächlich etwas wird, aber warten wir es doch einfach ab. Einstweilen kann man sich zweifellos mit der Frage beschäftigen, ob es I kill you oder I keel you heißen muss. Die Antwort liegt in den Tiefen des Internet verborgen, zum Beispiel hier: [Achmed the dead terrorist]

Samstag, 24. September 2011

Freitag, 23. September 2011

Nix los hier.

if you are bored, count the candles.Heute feiert der Blogger, dessen virtueller Spiel-, Sport- und Arbeitsplatz gerade auf dem Bildschirm des geschätzten Blogbesuchers angezeigt wird, die Wiederkehr jenes Tages, an dem er das Licht dieser Welt, dem Vernehmen nach in Gestalt der künstlichen Beleuchtung eines Kreißsaales, erblickt hat. Bar jeglicher eigener Erinnerung an jenen Tag - oder geschah die Geburt zu eher nächtlicher Stunde? - kann ich an dieser Stelle leider keine Details über die Art der ersten Beleuchtung, derer ich gewahr wurde, berichten.

Also berichte ich gar nichts, sondern gestatte mir, heute und morgen im Familienkreis zu feiern und mich, falls es welche geben sollte, über diese und jene Geschenke zu freuen.

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Dienstag, 20. September 2011

Da kommt kein Lastwagen ins Schleudern!

Mir fiel doch noch etwas zum Thema Baum ein. Ich begann zu schreiben.

Baum trifft seinen alten Gefährten Genscher und sagt: »Wir sollten unsere Partei umbenennen in FZP. Fast zwei Prozent.« Genscher runzelt die sowieso schon gramgefurchte Stirn und nickt. »Fast drei Prozent, also FDP, geht ja nun nach der Wahl in Berlin nicht mehr. Aber vielleicht sollten wir vorsorgen und UEP, ungefähr ein Prozent, nehmen?«

Flugs unterbrach ich mich: »Nein nein nein. Keine Satire.«

image»Deine Leser würden gerne etwas - einfach nur nett übrigens - über eine lachende Familie erfahren. Nicht schaurig, nicht blutig, nicht satirisch, nicht theologisch, nicht erotisch«, rief ich mir das Abstimmungsergebnis in Erinnerung.

»Das geht ja nun schon gar nicht. Eine lachende Familie - die lachen sicher, weil Todd Bentley ihrem unsympathischen Onkel dermaßen in den Bauch geboxt hat, dass er umgefallen ist. Der Onkel, nicht der Todd Bentley. Also das ist schaurig.«

»Die wissen gar nicht, wer oder was Todd Bentley ist. Und bevor du nach anderen Gespenstern Ausschau hältst, Benny Hinn kennen sie auch nicht.«

»Dann würde es aber eine blutige Geschichte, denn noch lachen sie, aber wenn sie gleich um die Straßenecke biegen, kommt ein Lastwagen ins Schleudern und ...«

»Da kommt kein Lastwagen ins Schleudern!«

Ich grübelte, denn eigentlich wollte ich ja meinen Lesern gerne eine Freude machen und von der lachenden Familie erzählen. Schließlich hatte ich eine Idee. »Die lachende Familie besteht aus einem Jungen, einem Mädchen und zwei Männern. Der eine Mann ist als Frau verkleidet. Sie lachen alle vier, weil die blonde Vermieterin nicht bemerkt hat, dass ...«

»Damit geraten wir aber an den Rand der Satire, oder etwa nicht?«

»Es geht eben nicht. Eine einfach nur nette Geschichte über eine lachende Familie fällt mir nicht ein. Höchstens ... hmmm ... es wäre ja denkbar, dass ... also irgendwie sind sie so glücklich, weil sie Eintrittskarten für die Papstmesse im Olympiastadion bekommen haben und dann ...«

»Das droht theologisch zu werden!«

»Dann taugt das Thema wirklich nicht für mich. Mir fiele nur noch ein, dass sie sich auf weiteren Nachwuchs freuen, in dem Fall sind die Erwachsenen ein Mann und eine Frau, aber um den Bauchbewohner erzeugt zu haben, muss ein erotisches Erlebnis vorangegangen sein, das weiß der aufgeklärte Blogbesucher, selbst wenn ich den züchtigen Mantel des Schweigens darüber breite. Also tut es mir leid für die Leser, aber mit der lachenden Familie gelingt mir keine einfach nur nette Geschichte, die weder schaurig, noch blutig, noch satirisch, noch theologisch noch erotisch ist.«

Ich klickte noch mal auf das Abstimmungsergebnis, um den zweitplazierten Vorschlag zu sehen. Ein verbeultes Auto käme meinen geschätzten Blogbesuchern entgegen, erkannte ich. Entgegenkommen – Auto – verbeult … gar nicht so übel, die Idee. Mal sehen, ob was daraus wird.

 

Fortsetzung folgt vielleicht …

Montag, 19. September 2011

Eine einfach nur nette Geschichte

»Warum«, fragte ich mich, »erzählst du nicht mal eine einfach nur nette Geschichte?«
»Nett?«
»Ja, nett. Einfach nur nett. Nicht schaurig, nicht blutig, nicht satirisch, nicht theologisch, nicht erotisch ...«
»Erotisch ist nicht nett?«
»Manchmal schon, ja, aber nicht für jeden und jede.«
»Also nett im Sinne von für die Frau, für den Mann und für das Kind?«
»Geeeeenau.«
»Nö.«
»Nö? Einfach nö?«
»Im ganzen Satz, von mir aus: Nein, ich beabsichtige nicht, eine Geschichte zu erzählen, die einfach nur nett ist.«
»Schade. Und warum nicht?«
»Weil mir keine einfällt. Und wenn mir eine einfallen würde, läge es nahe, dass sie beim Schreiben schaurig, blutig, satirisch, theologisch oder gar erotisch würde. Vielleicht auch alles gleichzeitig.«
»Ach.«
»Das Ei muss nämlich vier Minuten kochen.«
Ich runzelte wieder einmal die Stirn und wies mich zurecht: »Moooooooment ... es wird nicht bei Loriot geklaut! Und auch sonst nirgends. Basta.«
»Dann streichen wir das eben Gedachte.«
»Besser ist das.«
»Ja. Besser ist das.«
»Also«, fragte ich mich, hartnäckig wie ich manchmal mit mir bin, »warum erzählst du nicht mal eine einfach nur nette Geschichte?«
»Zu welchem Thema denn?«
»Such dir was aus.«
»Ich soll mir was aussuchen? Ich bin ja bekanntlich leergeschrieben, wie soll ich mir denn da ein Thema aussuchen.«
»Na gut. Dann eben anders. Schau mal aus dem Fenster.«
Ich blickte durch die Scheibe und betrachtete den Ausschnitt der Welt, der dort sichtbar war. »Und?«, fragte ich.
»Was siehst du?«
»Einen Baum.«
»Dann erzähl doch eine nette Geschichte von einem Baum.«
Ich nickte versonnen und begann zu tippen.

Selbst wenn jemand geahnt hätte, was es mit der alten Linde auf sich hatte, hätte vermutlich nichts vermieden werden können. Hinterher zu spekulieren, was gewesen wäre wenn dieses oder jenes nicht so sondern so verlaufen wäre, ist von vorne herein müßig. Allenfalls können solche Gedankengänge dazu beitragen, fürderhin ähnliche Situationen mit geschärften Sinnen wahrzunehmen, aber am bereits geschehenen Unglück ändert sich nichts mehr.

»Moooooooment«, unterbrach ich mich, »Unglück? Das sollte doch eine nette Geschichte werden.«
»Ach ja, stimmt ja.«

Der Baum sah majestätisch aus, seine Früchte luden förmlich dazu ein, gepflückt und verspeist zu werden. Es gedieh eine Vielzahl von unterschiedlichen Obstsorten in dem friedlichen Garten, von einem Mangel an Köstlichkeiten zu sprechen wäre dem jungen Paar nie in den Sinn gekommen. Es gab keine Veranlassung, von diesem einen Baum zu kosten, jedenfalls keine durch Hunger auf Frisches zu rechtfertigende Veranlassung. Dass die Frau nun die Hand ausstreckte, eine Frucht abpflückte und hineinbiss, sollten spätere Generationen dem Einfluss eines Geschöpfes zuschreiben, das es eigentlich in diesem Paradies, in dem alles gut war, gar nicht hätte geben dürfen.

»Moooooooment«, unterbrach ich mich, »das wird doch nicht etwa ein Ausflug nach Eden? Der wäre ja wohl unweigerlich theologisch.«
»Och menno! Jetzt wäre ich gerade in Fahrt gekommen«, schmollte ich.
»Fällt dir denn gar nichts mit einem Baum ein, was einfach nur nett ist?«
Trotzig grollte ich: »Doch! Na warte, du blöder Baum!«

Seine Krone spendet Schatten, wenn die Sonne die Haut zu verbrennen droht. Die Bank bleibt auch bei Regen trocken, so dicht ist das Laubwerk. Esmeralda liebt den Baum in ihrem Garten, schon als Kind war sie gerne bei ihm, denn an einem kräftigen Ast hing ihre Schaukel an zwei armdick geflochtenen Hanfseilen. Wie hoch sie damals fliegen konnte, mit jedem Schwung ein paar Zentimeter höher.
Später, als Teenager, war sie gerne hinaufgeklettert, hatte sich bäuchlings auf einen der schräg nach oben weisenden Äste gelegt, den sie fest umklammerte. Die Rinde war so weich und sanft, so angenehm mit der bloßen Haut der Arme und den Innenseiten ihrer Schenkel zu erspüren. Ganz behutsam bewegte sie ihr Becken einen Zentimeter auf und ab

»Ähem!«
»Was ist denn nun schon wieder?«
»Das weißt du ganz genau. Bloße Haut, sanfte weiche Rinde, ein Mädchenbecken in Bewegung - so geht es doch nun wirklich nicht!«
Resigniert schob ich die Tastatur von mir weg. »Sag ich doch! Es geht nicht.«
»Vielleicht ist der Baum ja wirklich ungeeignet als Gegenstand der Erzählung.«
»Nein, der Baum kann nichts dafür. Ich habe mich leergeschrieben und damit basta.«
»Von wegen!«
»Und wenn nicht, dann kann ich zumindest keine einfach nur nette Geschichte erzählen.«
»Doch. Nur eben nicht mit einem Baum.«
Ich blickte aus dem Fenster …

 

... und sah ...
... ein verbeultes Auto.
... eine lachende Familie.
... eine Wolke am blauen Himmel.
Auswertung

Fortsetzung folgt.

Freitag, 16. September 2011

Lieber Gott, zorniger Gott

Kürzlich habe ich mich im Rahmen eines Wochenendausfluges mit anderen Christen gedanklich intensiv mit Gottes Eigenschaften auseinandergesetzt. Ich kam wieder einmal zu dem Schluss: Gott ist schwierig. Das macht aber nichts, denn er findet mich wahrscheinlich auch manchmal schwierig.

P9103594Wenn ich über die Eigenschaften Gottes nachdenke, dann drängt sich mir der Eindruck auf, dass Gottes Wesensart, sein Charakter, sich gewandelt hat. Hört man der Mehrheit der heutigen Christenheit zu, dann wird ausschließlich ein liebender, gnädiger, gütiger, seinen Geschöpfen wohlgesonnener Vater im Himmel verkündet, der selbstverständlich das Motto »Frieden schaffen ohne Waffen« unterschreibt und am liebsten will, dass es allen auf der Erde rundum gut geht. Da dies aber ganz offensichtlich nicht der Fall ist, wird dann argumentiert: Schuld an Krankheit, Not, Hunger, Krieg und Gewalt hat sein finsterer Gegenspieler, der Teufel, manchmal auch als Satan oder Beelzebub tituliert.

Der eifersüchtige, zornige, mit unerbittlicher Härte züchtigende und strafende Gott ist weitgehend aus den Köpfen verschwunden. Er wird – wenn überhaupt erwähnt – in den alten Bund, der mit Jesus ungültig geworden und durch einen neuen ersetzt worden ist, verbannt. Das klingt erst einmal logisch. Die Strafe, die unweigerlich auf die Sünde folgt, hat nun stellvertretend der Erlöser auf sich genommen und es bedarf nur noch des Glaubens an seinen Tod und seine Auferstehung, um die Begnadigung genießen zu können. Vor rund 2000 Jahren, nach Jahrtausenden des unerbittlichen Zorns, hat sich Gott besonnen und den Messias geschickt, ist sozusagen zum »lieben« Gott geworden.

Warum nicht viel früher, fragt mancher. Und wieso gilt die Erlösung, also der »liebe« Gott, nur denen, die unter den Milliarden Menschen überhaupt die Chance bekommen, von Jesus Christus zu hören und anschließend an ihn zu glauben? Alle anderen, die Mehrheit der Bevölkerung auf diesem Planeten, bleiben weiter ohne Hoffnung auf eine paradiesische Ewigkeit. Wie passt das zu einem liebenden Vater, der für seine Geschöpfe nur Gutes will?

Im Alten Testament wird Gottes Gnade und Erbarmen sehr selektiv ausgeteilt. Angefangen von Kain und Abel, die beide ihren Lebensumständen und Möglichkeiten gemäß ein Opfer brachten, wobei das eine Opfer angenehm und das andere verworfen wurde bis hin zur Erwählung eines Volkes unter Ausschluss aller übrigen Völker. Wer als Kind im Volk der Philister zur Welt gekommen war, hatte eben Pech gehabt. Philister wurden nämlich vernichtet. Wer als Sohn ägyptischer Bauern geboren wurde, hatte ebenfalls Pech – beziehungsweise seine Eltern. Die Erstgeborenen der Ägypter wurden nämlich vom Würgeengel des Herrn erschlagen, weil der Regierungschef die Israeliten nicht ausreisen lassen wollte.

Es gibt ab und zu eine Ausnahme in den Berichten, jemanden unter den Heiden, der Gott wohlgefällig war und Gutes erleben durfte. Aber das waren nur ein paar wenige Menschen, die allenfalls die Regel bestätigten.

Jesus Christus hat dann einen anderen Gott verkündet. Einen, der keinen Unterschied macht zwischen Angehörigen des auserwählten Volkes und dem Rest der Menschheit. Dieser andere, neue Gott sah das Herz an, nicht die Abstammung. Auf einmal konnte ein Jude verloren und ein Heide gerettet sein. Jesus vergab den Menschen ihre Sünde, ohne dass sie zuvor Reue gezeigt, Opfer gebracht oder sonstige Bußübungen absolviert hatten. Er heilte. Er liebte. Er gab den Hungernden Nahrung.

Gelegentlich, den biblischen Überlieferungen zufolge, allerdings auch selektiv. Da wird einer am Teich Bethesda geheilt - und alle anderen bleiben krank zurück. Da wird eine kanaanäische Frau von Jesus abgewiesen, weil er zu den verlorenen Schafen Israels gesandt sei. Sie bleibt hartnäckig und hat dann schließlich - zur Verwunderung der Jünger - doch noch Erfolg.

Die ersten christlichen Gemeinden hatten nach der Auferstehung noch immer erhebliche Probleme mit der Zugehörigkeitsfrage. Es wollte nicht in ihre Köpfe, dass nichtjüdische Gläubige »einfach so« dazugehören konnten, ohne Beschneidung, ohne die religiösen Vorschriften und Gesetze einzuhalten.

Der Gott, den Jesus und dann (zum Teil noch zögerlich und mit Einschränkungen) seine Apostel verkündet haben, ist jedenfalls ein anderer als der des Volkes Israel, wie er an zahlreichen Stellen in den biblischen Büchern beschrieben wird.

Bei einer Unterhaltung zum Thema auf Facebook schrieb vor einigen Wochen jemand: »As far as the Old Testament goes, perhaps the stories are written by the winners trying to justify the horrors they visited on others. Just a thought.« (Was das Alte Testament betrifft, so sind die Geschichten vielleicht von den Siegern aufgeschrieben worden, die versucht haben, das Grauen, das sie anderen zugefügt haben, zu rechtfertigen. Nur ein Gedanke.)

Das ist ein denkbarer Gedanke, zweifellos, und er würde die Diskrepanz zwischen verschiedenen Darstellungen Gottes in der Bibel, die so offensichtlich ist, einigermaßen erklären.

Natürlich passt ein solcher Ansatz denjenigen Christen nicht, die davon ausgehen, die Heilige Schrift sei wörtlich zu verstehen und anzuwenden (ganz abgesehen davon, dass selbst solche Christen sich nicht an das eigene Credo halten, sondern sehr gezielt auswählen, was »heute noch gilt« und was man »geistlich verstehen« muss, weil die wörtliche Anwendung denn doch in unserer Gesellschaft nicht funktionieren würde).

Andere lehnen angesichts der Metzeleien, die laut der Bibel im Auftrag Gottes (oder gar direkt durch ihn und seine Engel) stattgefunden haben, jeglichen Glauben an diesen jüdisch-christlichen Gott ab und suchen eine friedlichere Religion, landen womöglich letztendlich glücklich im Buddhismus, der ohne einen persönlichen Gott auskommt und eher einer Philosophie als einem Glauben ähnelt. Oder sie sind und bleiben Atheisten.

Auch das sind denkbare Wege, um dem Dilemma mit dem widersprüchlichen Gottesbild und der Diskrepanz zwischen dem Zustand der Welt und der Existenz eines Schöpfers zu entfliehen. Kein Gott oder ein anderer Gott, wie auch immer der aussehen mag.

Und dann gibt es diejenigen (mich eingeschlossen), die solche Widersprüche einfach stehen lassen, ohne etwas erklären zu wollen oder zu müssen, was ihnen unerklärlich ist. Solche Menschen folgen Jesus nach, indem sie versuchen, das zu tun, was er den Berichten zufolge getan und gelehrt hat. Sie glauben ihm, dass er von Gott gesandt wurde, um einen neuen, anderen Weg zu weisen. Dabei hat er an vielen Stellen das falsche Bild korrigiert, das die Autoren des Alten Testamentes von Gott gemalt haben.

Auch was wir über Jesus wissen, wurde von Menschen aufgeschrieben, die sicherlich nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben. Aber sie waren eben Menschen, die – wie wir alle, wenn wir etwas berichten – bewusst oder unbewusst ihre Sicht mit einfließen ließen. (Von der Qualität der zunächst mündlichen Überlieferungen und der zahlreichen Übersetzungen und Überarbeitungen über Jahrhunderte sei hier gar nicht erst die Rede.) Daher ist auch das Bild von Jesus, das ich aus den Schriften erkenne, kein vollständiges und wird beim Lesen wiederum durch meinen Verstand, meine Vorstellungen, mein Denken gefärbt.

Nicht alles, was mit Gott zu tun hat, kann und muss ich verstehen, mein Verstand ist unzureichend. Ich kann keine Beschreibung abliefern: So ist Gott, so ist Jesus, so ist der Geist. Und das ist auch gut so, denn ich bin Mensch und er ist Gott.

Ich finde Gott schwierig. Ihm geht es wahrscheinlich mit mir genauso.

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Dienstag, 13. September 2011

Herr K. besucht einen Hauskreis

Diese Episode schließt inhaltlich an die Erlebnisse des Herrn K. beim Besuch eines Gottesdienstes an, kann aber ohne weiteres auch ohne Kenntnis jener älteren Glosse gelesen und verstanden werden. Wer sich allerdings zunächst mit Herrn K. über Salbe wundern möchte, klickt hier: [Segen, Salbe, Sammeleimer – Herr K. besucht einen Gottesdienst]

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19:00 Uhr: Etwas unentschlossen steht Herr K. vor dem Haus, in das er zu einem Hauskreis eingeladen wurde. Das Gebäude ist nicht rund. Es ist in einer gerade Straße gelegen, nicht etwa in einem Kreis von Häusern um einen Platz herum. Was ein Hauskreis sein mag, weiß er nicht, die Dame, die ihn so freundlich eingeladen hatte, ging wohl davon aus, dass der Begriff Allgemeingut sei. Nun zögert Herr K.: Ob es wirklich angebracht ist, bei wildfremden Menschen an einem Mittwoch um 19 Uhr aufzukreuzen und zu erklären, dass man eingeladen sei? Auf dem Zettel hatte er »Steffi Müller« und die Adresse notiert, neben der Klingel steht Fam. Müller, also wird es wohl das richtige Haus sein, Kreis hin oder her.

Frisch gewagt ist halb gewonnen, das hat seine Mutter immer gesagt. Herr K. drückt auf den Klingelknopf. Zu seiner Erleichterung öffnet die Dame, die ihn eingeladen hat. Er muss also nicht umständlich erklären, warum er hier ist. Sie strahlt ihn an: »Herzlich willkommen! Hereinspaziert!«

»Guten Abend«, antwortet er höflich, »wenn ich nicht ungelegen komme ...«

»Nein nein, heute ist doch Hauskreis. Immer rein in die gute Stube!«

Herr K. folgt ins Wohnzimmer und merkt sich, dass ein Hauskreis offenbar nicht ein Gegenstand, sondern ein Zeitpunkt ist.

19:03 Uhr: »Bin ich zu früh dran?«, fragt Herr K., als er sieht, dass außer ihm und Frau Müller niemand zugegen ist.

»Nein, keineswegs. Wir fangen immer um Sieben an.«

Herr K. sitzt in einem Sessel und sieht sich um. Er befindet sich in einem gutbürgerlichen Heim, aufgeräumt und sauber, nicht teuer eingerichtet, aber auch nicht schäbig möbliert. Auf dem Couchtisch stehen Mineralwasser von Aldi, Obstsaft in Kartons von Lidl und zehn Gläser mit unterschiedlichem Dekor bereit. In einer Schale liegen Kekse.

Frau Müller fragt: »Darf ich etwas anbieten?«

»Ein Mineralwasser, vielen Dank«.

Sie schenkt ihm ein.

19:07 Uhr: Es klingelt, Frau Müller eilt zur Tür. »Hallo Monika!«, hört Herr K. ihre Stimme aus dem Flur.

Frau Müller kommt mit eine älteren Dame zurück. Diese eilt gleich auf Herrn K. zu und streckt ihm die Hand entgegen.

»Ich bin Monika. Wer bist du?«

Herr K. ist etwas irritiert. Gehört es zu den Kreisgepflogenheiten, dass man unbekannte Erwachsene duzt?

»Daniel«, murmelte er.

»Der Herr ist wunderbar!« ruft Monika. Herr K. zweifelt daran, dass er selbst damit gemeint ist. Es muss wohl um einen anderen Herrn gehen, vielleicht den noch abwesenden Hausherrn?

19:15 Uhr: Ein junges Paar stößt dazu, Michael und Esther, auch sie reden Herrn K. sofort mit dem vertraulichen Du an. Herr K. vermeidet in seinen gemurmelten Sätzen die persönliche Anrede, hält sich überhaupt aus dem Gespräch zurück, das sich um alltägliche Dinge wie Einkauf und Wetter dreht. Ihm ist noch nicht so ganz klar, was hier eigentlich veranstaltet wird. Ein Plauderabend?

19:25 Uhr: Nun sind wohl alle Teilnehmer da, acht Personen zählt Herr K., zuletzt kam eine Helga mit Gitarre. Die anderen Namen hat Herr K. nicht behalten. Helga stimmt ihr Instrument auf eine Weise, die zur wesentlichen Verbesserung des Klanges nicht beiträgt, während ringsum noch die Gespräche dahinplätschern.

19:30 Uhr: Michael räuspert sich und erklärt: »Dann wollen wir vielleicht mal anfangen.«

Es wird still. Herr K. ist gespannt.

»Wir machen vielleicht erst Lobpreis, dann das Thema«, fährt Michael fort. »Und am Schluss vielleicht dann die Gebetsgemeinschaft.«

Herr K. fragt sich, ob das mehrfache »vielleicht« Flexibilität im Ablauf signalisiert oder eine dem Sprecher unbewusste Angewohnheit darstellt. Da niemand abweichende Vorschläge unterbreitet, vermutlich letzteres.

19:35 Uhr: Es wird gesungen, mehr oder weniger. Herr K. kennt die Lieder nicht und rätselt an manchen Textstellen bezüglich der Aussage. Helga beherrscht offenbar nur einen einzigen Rhythmus, ein schrammelndes Auf und Ab des Plektrons über die Seiten, aber Herr K. will sich daran nicht stören. Es ist dies ja kein Konzert, bei dem man einer musikalischen Darbietung lauscht.

Die anderen haben alle die Augen geschlossen und einen leicht verklärten Gesichtsausdruck. Ob man beim Singen nicht umherschauen darf? Herr K. ist unsicher, aber es sieht ja keiner, dass er etwas sieht.

19:45 Uhr: Es wird immer noch gesungen. Zur Abwechslung auf Englisch, mehr oder weniger. »Siss is se däi, siss is se däi, sätt se lord häs mäid ...« - Herr K. würde gerne des englische th mit den Anwesenden einstudieren, aber er ist ja schließlich nur zu Gast und nicht als Englischlehrer engagiert worden. Allerdings tut es ihm in den Ohren weh, und leider muss offensichtlich das kurze Liedchen sechs - nein! sieben Mal! - wiederholt werden. Er überlegt, ob dies ein Feiertag für die Gläubigen ist, von dem er nichts weiß, oder warum ausgerechnet diesen Tag Gott auf eine Weise »gemacht« hat, die zu solch anhaltendem Gesang der spärlichen zwei Sätze, aus denen der Text besteht, Anlass gibt. Eigentlich ist es ein ganz normaler Mittwoch, etwas verregnet noch dazu.

image19:55 Uhr: Die Gitarre liegt endlich neben dem Stuhl von Helga. Michael hat eine dicke Bibel auf dem Schoß, in der er suchend vorwärts und rückwärts blättert, bis er die gewünschte Seite gefunden hat. »Vielleicht lese ich mal vor«, sagt er und räuspert sich bedeutungsvoll. Er runzelt die Stirn, macht eine kleine Pause und liest dann tatsächlich vor.

»Denn es ist hier kein Unterschied: sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, so durch Jesum Christum geschehen ist.«

20:00 Uhr: Nach der Lesung herrscht Schweigen. Herr K. würde gerne fragen, warum das Zitat mitten in einem Satz mit »denn« anfängt und worauf sich dieses »denn« beziehen könnte, aber er ist ja nur zu Gast und vermutlich wäre das unangebracht. Möglicherweise wird vorausgesetzt, dass in einem Hauskreis der Wortlaut des kompletten Abschnittes bekannt ist, und alle anderen haben ja ihre Bibeln auf dem Schoß, so dass sie gegebenenfalls nachlesen können.

Dass man bei Gott berühmt sein kann, ist Herrn K. neu, aber warum auch nicht. Die Sache mit dem trotz mangelnden Ruhmes gerecht werden findet er ganz angenehm. Dadurch scheint man aber trotzdem bei Gott noch nicht berühmt zu sein. Und wer mit dem »sie« überhaupt gemeint ist, alle Menschen oder nur eine bestimmte Gruppe, ist Herrn K. auch nicht so recht klar. Nun ja.

Herr K. wartet ab, was nach dem andächtigen oder verlegenen Schweigen kommt. Helga seufzt schließlich: »Ach ja, der Herr ist so gut.«

»Amen«, ruft Monika.

Herr K. meint sich zu erinnern, dass das Amen den Schluss einer Predigt oder eines Gebetes markiert - aber vielleicht täuscht ihn ja die Erinnerung.

Michael erklärt nach einem tiefen Seufzer: »Wir sind also gerecht, ohne es verdient zu haben.«

»Die Gnade!«, freut sich einer von denen, deren Namen Herr K. sich nicht gemerkt hat.

Steffi nickt verzückt und fügt hinzu. »Mit ihm hat er uns ja auch alles geschenkt.«

Herr K. ist nun völlig verwirrt, wer hat wem was geschenkt? Ging es nicht um Ruhm und Erlösung, irgendwie? Na ja, denkt er, vielleicht wird das ja im weiteren Gespräch noch erklärt?

20:15 Uhr: Das Gespräch dreht sich inzwischen um die Frage, wann die neue Arbeitsstelle kommt, die Gott dem eben über die Gnade so erfreuten Teilnehmer, dessen Namen sich Herr K. nicht merken konnte, versprochen hat. Soweit Herr K. der Unterhaltung folgen kann, muss das Versprechen irgendwie während eines Gebetes, womöglich sogar in diesem Hauskreis, gegeben worden sein, und daher sucht Thomas? Johannes? Tobias? (jedenfalls irgendwas mit O im Namen) nun nicht nach einem Job und schreibt auch keine Bewerbungen. Gott hat ihm wohl gesagt, dass die Arbeitsstelle »kommt«, wie auch immer das vonstatten gehen mag. Wenn der Mann mit dem O nun aktiv würde, erfährt Herr K., dann wäre das Unglaube, da der Job ja aus Gnade schon gegeben sei – nur eben noch nicht sichtbar geworden ist. Und im Falle des Unglaubens »käme« dann die Arbeitsstelle eben nicht.

Herr K. staunt. Noch mehr würde er staunen, wenn der Arbeitsplatz schon »gekommen« wäre, das Verfahren könnte ja im Erfolgsfall ein probates Mittel gegen Arbeitslosigkeit werden.

20:25 Uhr: Monika und Helga erzählen, wie Jesus ihnen beim Einkaufen aus Gnade geholfen hat, ein Sonderangebot zu finden, von dem sie nichts gewusst hatten. Herr K. fragt sich, ob auch bei allen anderen Kunden, die an jenem Tag im Laden waren und zugegriffen haben, eine göttliche Hand im Spiel war.

Dabei fällt ihm ein, dass er noch ein Geburtstagsgeschenk für seine Frau benötigt, der Geburtstag ist zwar erst in vier Wochen, aber Herr K. hat gerne rechtzeitig alles parat. Dabei fällt ihm ein, weil parat so ähnlich klingt wie Paral, dass er den Mückenschutz an der Balkontüre reparieren sollte. Dabei fällt ihm ein, dass er vergessen hat, die Pflanzen auf dem Balkon zu gießen, aber es hat ja heute ein paar mal geregnet. Dabei fällt ihm ein …

20:35 Uhr: Als es plötzlich eine Weile still ist, kehrt Herr K. aus seinen Gedankengängen wieder zurück in den Hauskreis. Michael blickt auf die Uhr und sagt: »Dann wollen wir vielleicht mal noch beten. Hat jemand vielleicht ein Anliegen?«

Herr K. hat keins, denn er muss zwar demnächst einkaufen gehen, sucht aber kein Sonderangebot und er hat auch einen Job, mit dem er ganz zufrieden ist.

Helga hat Kopfweh gehabt, am Morgen, jetzt nicht mehr, aber man könne ja mal für sie beten, damit es nicht wiederkommt.

Der Mann mit dem O im Namen wünscht Gebet, damit seine neue Arbeitsstelle bald »kommt«.

20:40 Uhr: Helga greift nach der Gitarre und stimmt ein Lied an, während alle wieder die Augen fest geschlossen halten. Herr K. wundert sich, dass sie singen »… wir heben die Hände auf zu dir Herr …«, obwohl niemand seine Hand auch nur ein paar Zentimeter nach oben bewegt. Aber er ist ja der einzige, der das sieht, und vielleicht heben die Leute metaphorische Hände? Herr K. kann sich jedenfalls nicht vorstellen, dass sie ausgerechnet in einem gesungenen Gebet Gott etwas vorschwindeln würden. Der kann, vermutet Herr K., nichterhobene Hände sogar mit geschlossenen Augen sehen.

Dann ist es still, die Augen bleiben aber zu. Offenbar kann man mit Gott nur sprechen, wenn man nichts sieht. Oder sehen diese Leute den Unsichtbaren gerade dadurch, dass sie die Augen zukneifen? Dann könnten sie ja beim Singen auch Hände gehoben haben, die man eben nicht sehen kann, wenn man etwas sieht.

Michael, der neben Helga sitzt, legt schließlich eine Hand auf deren Arm und sagt: »Jesus kommt und berührt dich mit seinen gesalbten Händen und du wirst frei sein von deiner Migräne. Amen.«

Dann geht es um den Mann mit dem kommenden Job: »Wir sagen komm, Arbeitsstelle, im Namen Jesu …«

20:50 Uhr: »Und wie hat es dir gefallen?«, fragt Steffi Herrn K., als der offizielle Teil vorüber ist. Alle Augen ruhen erwartungsvoll auf ihm. Herr K. findet das peinlich und ringt um Worte. »Es war … vielen Dank für die Nachfrage … interessant … viel Neues für mich, aber anregend, zum Nachdenken anregend.«

»Der Herr ist wunderbar!«, ruft Monika und Herr K. nickt vorsichtshalber.

Ob er noch zur »Gemeinschaft« bleiben wolle, wird er gefragt, es gäbe nämlich noch Knabbereien und Tee, dabei könne er doch ein wenig von sich erzählen. Herr K. schüttelt den Kopf und erklärt, dass seine Frau zu Hause auf ihn warten würde, er müsse nun zügig aufbrechen.

»Bring deine Frau doch nächste Woche mit«, schlägt Helga vor, als Herr K. sich verabschiedet.

21:00 Uhr: Herr K. tritt auf die Straße und fragt sich, wie er seiner Frau von dem Abend berichten kann, ohne den Eindruck mentaler Verwirrung zu erwecken. Mitbringen wird er sie sicher nicht, da er keinen zweiten Besuch plant.

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P.S.: Die fast fertige Version dieser Glosse habe ich auf der Gemeindefreizeit einer Freikirche vorgelesen und wertvolle Tipps bekommen, die nun hier eingeflossen sind. Dank an die fleißigen Kommentatoren bei der improvisierten Lesung!

Samstag, 10. September 2011

»oora« verdient Aufmerksamkeit

Es kommt eher selten vor, dass ich eine Zeitschrift von der ersten bis zur letzten Seite lese. Das liegt daran, dass ich kaum einmal eine in die Hand nehme, abgesehen von der »Federwelt«, einem Periodikum für Autoren, habe ich keine Abonnements mehr. Mir würde die Zeit zum regelmäßigen gründlichen Lesen weiterer Zeitschriften fehlen - da greife ich doch lieber zu einem Buch, wenn Lesen auf dem persönlichen Stundenplan steht.

Das aktuelle Heft der »oora« fand als Belegexemplar für meinen Artikel »Liebe machen« den Weg in meinen Briefkasten und wurde zur Ausnahme: Ich habe alles gelesen. Vom Editorial, das auf den Inhalt einstimmt, bis zum Leserbrief auf der letzten Seite, der meine Zustimmung nicht zu gewinnen vermochte.

Das Hauptthema dieser Ausgabe, »Macht«, wird auf sehr unterschiedliche Weise beleuchtet, vom Interview mit einem mächtigen Menschen (Firmeninhaber) über Machtstrukturen im (frei)kirchlichen Bereich und die Ohnmacht einer Lehrerin bis zum geistlichen Machtmissbrauch und seinen bitteren Folgen. Sieben Beiträge umfasst dieser Schwerpunkt, und sechs davon konnten mich fesseln, bereichern. Die »Zahlen der Macht« hätten nicht sein müssen, aber immerhin ist die Doppelseite optisch ansprechend - tolle Idee, Infografiken als Flaschen und Dosen zu verkleiden.

Unter dem Motto »quergedacht« sind die übrigen Artikel im Inhaltsverzeichnis zu finden, darunter Unterhaltsames, Informatives, Nachdenkliches und Kritisches. Darunter ist auch mein Beitrag über Sex in der Ehe zu finden, aber zu dem enthalte ich mich jeden Kommentares.

»Möpse zum Frühstück« gibt Denk- und Handlungsanstöße in einer Sprache, die mir nicht zueigen ist, die ich aber durchaus mit Genuss lesen konnte. Ein Pop-Pilger kommt zu Wort, es werden einige misslungene deutsche Buchtitel von gelungenen englischsprachigen Büchern aufs Korn genommen, eine Niere im Leib Christi erklärt auf verblüffende Weise ihre Funktion und auch die weiteren Beiträge habe ich gerne gelesen.

»oora« will die »christliche Zeitschrift zum Weiterdenken« sein, - für mich ist das vorliegende Heft der Beweis, dass der Anspruch erfüllbar ist. Die Autoren der Artikel haben Antworten, aber die werden dem Leser nicht aufgedrängt oder gar aufgezwungen, und gerade das macht für mich den besonderen Reiz aus. Ich soll, darf und kann Weiterdenken. Einiges Weniges, was ich gelesen habe, will ich mir nicht zueigen machen, aber das ändert nichts daran, dass mich die Lektüre der entsprechenden Passagen zumindest um die Ansichten oder Einsichten anderer Menschen bereichert hat.

Mein Fazit: Dass ich (erstmalig) eine Rezension über eine Zeitschrift verfasst habe, darf der geschätzte Leser dieser Zeilen durchaus so verstehen, wie ich es meine: »oora« verdient Aufmerksamkeit, und wer wie ich mit dem »christlichen« Zeitschriftenmarkt zu hadern pflegt, kann sich hier davon überzeugen, dass es zumindest eine lesenswerte Alternative zum Üblichen gibt. Bei Interesse hier klicken: [oora - Die christliche Zeitschrift zum Weiterdenken]

Freitag, 9. September 2011

Unterwegs ...

... mit der Kirche auf ein Wochenende am Köriser See. Und zur abendlichen Lektüre dient Schopenhauer. Fein.


Donnerstag, 8. September 2011

Aber was ist denn nun erlaubt? Was ist verboten?

Neuer Artikel von meiner Wenigkeit in oora:

Adam besaß Penis und Hoden, Eva Vagina, Klitoris und Brüste. Da sie Kinder in die Welt setzten, wussten sie offenbar auch damit umzugehen.

Wer will, kann anhand der Bibel auch nachweisen, dass Sex außerhalb der Ehe erlaubt ist.

Oralsex, gegenseitige oder gemeinsame Masturbation, verschiedene Stellungen, Experimente mit Vibrator oder anderem Spielzeug, intime Massagen, Sex an ungewöhnlichen Orten ...

Huch? Wie bitte? Aber hallo! Ich muss doch sehr bitten! Wo kämen wir denn da hin!

Den ganzen Text lesen kann man bei oora.

Mittwoch, 7. September 2011

… insgeheim schon wieder Ideen …

»Da sind ja noch diese Fragmente, Ideen, Notizen ...«, sagte ich zu mir. »Vielleicht, falls ich mich doch nicht endgültig leergeschrieben habe, kann ja daraus etwas entstehen.«

»Und was sind das so für Notizen, Fragmente oder Ideen?«, fragte ich mich.

Ich schaute mir ein paar Dokumente aus dem Verzeichnis unfinished an und zählte auf: »Ein angefangener Text über den Zweifel oder das Zweifeln. Eine angefangene erotische Geschichte. Ein Dokument, in dem nichts weiter steht als Nur weil du durch die Wüste wanderst, heißt das noch lange nicht, dass es ein verheißenes Land gibt. Ein angefangener Text mit dem Titel Herr K. besucht einen Hauskreis. Der mörderische Anfang einer Kurzgeschichte dann ein paar Fragezeichen. Ein Sachtext zur Frage, ob, und wenn ja, warum und wann Gott seine Meinung, seinen Charakter geändert hat. Und ein Dokument mit halben Sätzen, ganzen Sätzen, einzelnen Wörtern, aus denen vielleicht mal etwas hätte werden sollen. Aber jetzt habe ich mich ja leergeschrieben.«

»Erotische Geschichte - das klingt doch gut. Warum nicht an der arbeiten?«

»Da müsste ich«, versicherte ich mir, »zuerst ein Pseudonym ersinnen. Ein weibliches.«

»Ach.«

»Erotische Geschichten sind nur erfolgreich, wenn sie von einer Autorin stammen. Zumindest angeblich. Es muss ein weiblicher Name drüberstehen. Oder drunter. Hauptsache, eine Frau hat es geschrieben.«

»Ach was.«

»Das weiß doch jeder.«

»So.«

»Klauen wir schon wieder bei Loriot?«. fragte ich mich leicht zynisch.

»Nein nein nein! Worte wie ach oder so oder was sind allgemeiner Wortschatz.«

»Egal. Jedenfalls wird das nichts mit der erotischen Geschichte. Der Schauplatz funktioniert nicht, das weiß ich schon nach den ersten beiden Szenen. Mehr habe ich daher auch nicht geschrieben.«

»Dann ändere den Schauplatz.«

»Mir fällt kein anderer ein. Ich habe mich leergeschrieben.«

»Dann fang was ganz Neues an. Fabeln erzählen, oder Märchen. So mit allem drum und dran, Prinzessinnen, Drachen, vielen Bösewichtern und einem strahlenden Helden.«

Ich schüttelte den Kopf. »Och nö, macht keinen Spaß.«

»Seeräubergeschichten.«

»Nö.«

»Science Fiction. Raumschiffe, Außerirdische und so weiter.«

»Nie und nimmer! Ich habe mich gerade durch 1312 Seiten Frank Schätzing gearbeitet, und das war überwiegend mühsam. Von Raumschiffen und Helium 3, fliegenden Autos und Chinesen auf dem Mond habe ich erst mal die Nase voll.«

»Dann mach doch etwas ganz anderes. Bilder malen, Fotokunst herstellen, einer politischen Partei beitreten ...«

»Ja ja. Ich werde Bundeskanzler.«

Ich grinste meinen Bildschirm an, auf dem immer noch das Verzeichnis unfinished mit den diversen Dokumenten zu sehen war. Politisch durchaus interessiert mochte ich mich doch nicht in die Sachzwänge und Programmvorgaben einer bestimmten Partei einfügen müssen. Selbst der parteilose Finanzsenator in Berlin muss schließlich den Vorgaben des Herrn Regierenden Partymeister Wowereit folgen. »Och nö«, sagte ich mir, »den Job dürfen gerne andere Menschen übernehmen.«

»Du weißt aber auch nicht, was du willst.«

»Doch. Schreiben will ich. Aber ich habe mich nun mal leergeschrieben.«

»Dafür, dass du dich leergeschrieben hast, tippst zu eine Menge Buchstaben und Satzzeichen.«

Ich musste mir irgendwie recht geben, so schwer es mir auch fiel. »Ja ja, schon ...«

»Und wenn du diese Dateien so betrachtest, hast du doch insgeheim schon wieder Ideen, wie dieses oder jenes weitergehen könnte.«

»Ja ja, schon ...«

»Also hör auf zu jammern und fang an zu schreiben.«

»Aber welches Dokument soll ich denn als erstes aufgreifen?«

»Was hätten deine Blogbesucher denn gerne?«

»Woher soll ich das wissen?«

»Also das ist ja nun wirklich eine blöde Frage.«

»Stimmt.«

Die geschätzten Blogbesucher hätten gerne ...
... eine erotische Geschichte gelesen.
... Herrn K. im Hauskreis beobachtet.
... ein Loblied auf das Zweifeln gehört.
... eine mörderische Kurzgeschichte genossen.
... über Gottes Charakterveränderung nachgesonnen.
... alles auf einmal!
Auswertung

Freitag, 2. September 2011

Leergeschrieben

Pencil... 1»Ich habe mich leergeschrieben«, sagte ich zu mir. »Ganz und gar leergeschrieben.«

»Leergeschrieben? Wie soll das denn gehen?«

»So wie man ein Notizbuch oder einen Block vollschreibt. Nur umgekehrt. In das Notizbuch passt nichts mehr hinein, bei mir ist nichts mehr drin.«

»So ein Unfug. Man kann sich nicht leerschreiben.«

»Doch«, widersprach ich mir, »das kann man. Oder ich zumindest. Mir fällt nichts mehr ein.«

»Und die Gedankensplitter, Textfragmente, angefangenen Artikel?«

»Die schaue ich an, lese sie, aber ich habe nichts hinzuzufügen.«

Ich schien mich langsam zu verstehen. »Also leergeschrieben. So etwas wie eine Schreibblockade.«

»So ähnlich, nur dass man eine Blockade durchbrechen kann, und dann ist da etwas, was durch die Beseitigung des Hindernisses frei wird. Da ich mich aber leergeschrieben habe, ist da nichts mehr.«

Ich dachte darüber nach, was ich mir da eben erklärt hatte. Wenn der Sachverhalt tatsächlich zutraf, dann war einstweilen - oder gar dauerhaft - Schluss mit dem Schreiben von Geschichten, Büchern, Artikeln.

»Wäre es möglich«, schlug ich mir zögernd vor, »eine Quelle anzuzapfen, damit - also zum Nachfüllen? Wenn der Kühlschrank leer ist, gehst du zum Supermarkt und schwupp ist er wieder gefüllt.«

»Gibt es denn einen Supermarkt für Ideen? Eine Tankstelle für Einfälle?«

Ich runzelte nachdenklich die Stirn und fragte dann: »Wo kamen denn bisher die Ideen her?«

»Überall.«

»Und das Überall ist jetzt weg?«

»Unsinn.«

»Aber es gibt keine Einfälle mehr preis?«

»Du treibst mich in die Enge mit deinen Fragen«, schimpfte ich mit mir. »Ich habe mich leergeschrieben und damit basta.«

»Ach so. Der Herr wünscht, sich in schriftstellerischem Elend zu suhlen.«

Ich zischte: »Und was geht dich das an?«

»Ich wohne hier.«

»Aber doch nicht jetzt, um diese Zeit!«, antwortete ich entrüstet.

»Fängst du jetzt an, bei Loriot zu klauen? Pfui!«

»Stimmt. Das ist pfui. Also streiche ich den letzten Satz. Und stelle fest: Ich habe mich leergeschrieben.«

»Und was machst du nun?«

»Weiß ich nicht.«

»Darf ich was vorschlagen?«

»Bitteschön.«

»Schreib das auf.«

Ich verstand mich nicht. »Was schreibe ich auf?«

»Na das mit dem leergeschrieben sein. Oder haben.«

»Ach so. Ja, das kann ich immerhin machen.«

Also zog ich die Tastatur zu mir heran und schrieb: »Ich habe mich leergeschrieben«, sagte ich zu mir. »Ganz und gar leergeschrieben.«