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Die Bank
Anron erzählte Bersan nichts von dem Traum. Er hatte keine Ahnung, ob er ihn und wie er ihn deuten sollte, ob möglicherweise eine Wüste vor ihnen lag, oder etwas, was durch die Wüste symbolisiert wurde. Er beschloss, wachsam zu sein und aufmerksamer als bisher die Gegend zu beobachten, durch die sie wanderten. Mehr mit dem Traum anzufangen fiel ihm nicht ein.
Sie wuschen sich im Bach und brachen früh auf, weiter auf die Berge zu. Der Abstand war größer, als sie beim Beginn ihrer Wanderung angenommen hatten. Die nur gelegentlich durch Hügel unterbrochene Ebene zog sich schier endlos hin. Da sie keine Eile hatten, genossen sie ihre Reise durch eine unberührte Natur, die mit nichts auf ihrer vergangenen Welt vergleichbar war.
Sie unterhielten sich gelegentlich darüber, wer wohl der versprochene nächste Führer sein würde, von dem bisher keine Spur zu sehen war. Bersan vermutete einen weiteren Wächter, Anron tippte auf etwas Neues, Unbekanntes.
Sie hatten bisher in dieser Welt kein schlechtes Wetter erlebt, nur strahlend blauen Himmel und angenehm warme Nächte, aber am vierten Tag nach Yondils Abschied sahen sie dunkle Wolken am Horizont aufziehen. Sie waren seit dem Morgen ungefähr zwei Stunden gewandert, nun blieben sie in der Nähe eines größeren Hügels stehen, um den Himmel zu mustern.
»Meinst du, es wird regnen?« fragte Bersan.
»Muss es wohl gelegentlich, sonst könnten die Pflanzen hier nicht so gedeihen. Es sei denn, die Biologie geht hier andere Wege.«
Die Wolkenwand wuchs in geradezu atemberaubendem Tempo. Sie sahen sich vergeblich nach einem Schlupfwinkel um. Nicht einmal Bäume gab es hier, nur Buschwerk, unter das man nicht kriechen konnte.
»Wächter dieses Ortes, wo bist du?« fragte Anron versuchsweise.
»Hier, Anron, Freund des Waldes.«
Ein graugekleideter Wächter, der Yondil sehr ähnelte, kam den Hügel hinab auf sie zu. »Willkommen auch du, Bersan, Freund der Höhen.«
»Ach, das bedeutet also mein Name«, sagte Bersan überrascht.
»Ja, wusstest du das nicht?«
»Nein, es ist mir neu. Sei gegrüßt, Wächter dieses Ortes. Wie dürfen wir dich nennen?«
»Yimanel ist mein Name.«
»Yimanel, wird es Regen geben?«
Das Wesen nickte. »Regen und Gewitter. Fürchtet euch nicht.«
»Nein, direkt Angst haben wir nicht, aber es wäre angenehmer, wenn wir an einem geschützten Ort abwarten könnten. In der Welt, aus der wir kommen, waren Blitze auf freiem Feld nicht unbedingt gut für die Gesundheit.«
»Folgt mir.«
Er führte sie ein Stück den Hügel hinauf. Vor ihnen tat sich eine Lücke im Buschwerk auf, die Augenblicke zuvor nicht dagewesen war, das waren sich die Männer ganz sicher. Sie traten hindurch und sahen sich fassungslos um.
Sie standen in einem Gebäude, wie sie es aus ihrer Welt gekannt hatten. Yimanel hatte ihnen zwei Fackeln gereicht, die er mit einem kurzen Kopfnicken entzündet hatte wie Yondil damals das Lagerfeuer. Sie erkannten eine große Halle mit Schreibtischen, Sitzgruppen, verglasten Schaltern.
»Was ist das hier?«, fragte Bersan ungläubig.
»In eurer Welt nannte man es eine Bank. Man tätigte dort Geschäfte.«
»Moment mal, sind unter diesen Hügeln überall Gebäude begraben?« fragte Anron überrascht.
»Ja, unter den meisten. Nicht viele sind erhalten, es ist viel Zeit vergangen, aber wir haben den Auftrag, einige zu bewahren.«
»Das ist unglaublich«, sagte Bersan erschüttert, »das müsste längst alles verrottet sein, wenn die Zeitrechnung von Yondil stimmt. Kein Gebäude hält tausend Jahre, ganz zu schweigen von der Einrichtung.«
Yimanel lächelte das den Wächtern eigene geheimnisvolle Lächeln und erklärte nur: »Wir haben einige bewahrt, wie sie waren. Bevor du fragst, Freund der Höhen, kann ich dir gleich sagen, dass ich den Grund dafür nicht kenne.«
Anron und Bersan begannen, Schreibtische zu untersuchen, Türen zu öffnen, Schriftstücke zu betrachten. Es war alles polnisch geschrieben und in einem Zustand, als sei die Bank gestern erst verlassen worden.
»Gibt es in der Nähe auch ein gut erhaltenes Kaufhaus?«, fragte Bersan.
»Ihr sucht Kleidung.« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.
»Ja,« sagte Bersan, »es wäre mir nach wie vor unangenehm, nackt den Frauen zu begegnen, die wir treffen sollen.«
Die Wächter stellten niemals wirkliche Fragen, sie schienen keine Auskunft nötig zu haben, das hatten sie bereits festgestellt. Auch Yimanel hinterfragte nicht weiter sondern erklärte: »Die Frauen haben keine Kleidung, aber wenn ihr später welche haben wollt, wird sich das machen lassen. Allerdings dürft ihr nichts aus den bewahrten Häusern mitnehmen, falls sich eines, wie jetzt, vor euch öffnet. Ihr müsst euch selbst anfertigen, was ihr haben wollt. Aber ihr schämt euch doch auch jetzt nicht.«
Das stimmte allerdings. Die beiden Männer hatten ihre Blöße zu keinem Moment vor einander zu verbergen gesucht, seit sie in jener Nacht des Gerichtes nackt in den See gerannt waren. Auch eine morgendliche Erektion des Kameraden wurde nicht kommentiert, das gehörte zum Mannsein nun einmal dazu. Für das große Geschäft gingen sie nach wie vor ein paar Schritte hinter ein Gebüsch, aus dem Blickfeld des Gefährten, aber das hatte weniger mit Scham zu tun als mit Rücksichtnahme.
Nun war allerdings die Begegnung mit Frauen womöglich doch etwas anderes. Womöglich. In jener anderen, vergangenen Welt gingen ein Saunabesuch oder der Aufenthalt an einem textilfreien Badestrand unverkrampft vonstatten, warum sollte es hier eigentlich anders sein? Weil das meine Frau sein – werden – soll, überlegte Anron. Aber warum sollte ich mich dann ausgerechnet vor ihr schämen? Oder habe ich Scheu vor Bersans Frau? Wie werde ich überhaupt erkennen, welche mir und welche ihm zugedacht ist? Wenn wir nun beide die gleiche…
Anron verwarf die nichtigen Überlegungen und nickte. »Gut, dann werden wir abwarten. Ein Kaufhaus würde auch nichts nützen, wenn wir uns nicht aus den Vorräten bedienen dürfen. Wann treffen wir die Frauen?«
»Wenn die Zeit gekommen ist. Nun folgt mir, ihr habt sicher Hunger. Nach dem Essen könnt ihr weiterwandern, das Gewitter wird dann vorüber sein.«
Yimanel führte sie in einen Nebenraum, in dem ein reich gedeckter Tisch stand. Wer die Kartoffeln, das Gemüse und den dampfenden Braten zubereitet hatte, woher das alles stammte, hinterfragten die beiden Männer nicht. Die Antworten würden sie sowieso genauso gut verstehen wie die Tatsache, dass ein Bankgebäude, das tausend Jahre unter einem Hügel begraben war, aussah wie neu. Sie genossen die Speisen, es gab sogar Wein dazu.
Als sie gesättigt waren, führte Yimanel sie wieder hinaus. Der Eingang verschwand vor ihren Augen, nur noch Gras und Buschwerk waren zu sehen. Die Erde war nass, es roch angenehm frisch, Wasser tropfte von den Zweigen. Die letzten Wolken eilten davon und die Sonne wärmte die beiden Männer, die erst jetzt bemerkten, dass es in der Bank deutlich kühler gewesen war.
Sie bedankten sich bei Yimanel für die Gastfreundschaft und wanderten durch das feuchte Gras weiter auf die Berge zu. Ein neuer Führer war nicht in Sicht.
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Fortsetzung? Folgt.
Wenn wir nun beide die gleiche…
AntwortenLöschenDas habe ich auch gedacht.
Es birgt ja eine Menge Konfliktpotenzial.
Zwei Männer, zwei Frauen - da ist keineswegs von Anfang an klar, wer mit wem.
Leider wird nirgends erwähnt, wie alt Anron ist.
Man weiß zwar, dass er sein ganzes Leben geirrt hatte, was darauf schließen lässt, dass er nicht 20 ist (mit zwanzig guckt man nicht so auf sein Leben zurück), aber genauer wird der Schreiber leider nicht.
Bloß was die Beschäftigung der letzten sieben Jahre betrifft; da war er im Wald.
Schreiber, wirst Du da vielleicht noch genauer?
wieso ist das eigentlich mit meiner 2. prophetischen Galerie verlinkt?
AntwortenLöschendas versteh ich nicht.
Wie alt die beiden Herren sind, steht in der Geschichte. Allerdings in einem Kapitel, das noch nicht hier zu finden ist, ich meine, dass es sich um das nächste handelt.
AntwortenLöschenDie Verlinkungen sind mir gelegentlich rätselhaft, vielleicht treiben da irgendwelche silbrigen Säulen ihren Schabernack...
Silbrige Säulen...
AntwortenLöschenhm, vielleicht lassen sie mich am Leben.
Ich bin Freund des Gartens und der Wesen darin.