Bevor ich mich verbal und virtuell verprügeln lasse, gebe ich dem Drängeln nach und präsentiere das Ende der Geschichte. Nicht allen wird er schmecken, der letzte Gang. Neu hinzustoßenden Lesern würde ich allerdings empfehlen, zunächst – auch wenn es eine Weile dauert – die vorangegangenen Teile zu lesen. Sonst ist der Schluss gar kein Schluss.
Die Teile: [Teil 1] [Teil 2] [Teil 3] [Teil 4] [Teil 5] [Teil 6] [Teil 7] [Teil 8] [Teil 9] [Teil 10] [Teil 11]
So. Und nun – auf eigene Gefahr der verehrten Leser – der Schluss.
- -- --- ---- ----- ---- --- -- -
Bitteres Erwachen
»Herr Wegemann! Können Sie mich hören, Herr Wegmann?«
Er grub sich durch den Tunnel der lähmenden Finsternis und versuchte, zu begreifen, was vor sich ging.
»Herr Wegemann! Kommen Sie zu sich. Sind Sie da?«
Wer war dieser Herr Wegmann? Es war Asthanthes Stimme, die da rief. Er konnte nicht gemeint sein, aber irgendwie hatte es doch mit ihm zu tun.
»Hören Sie mich? Können Sie die Augen aufmachen?«
Er versuchte es, und tatsächlich hoben sich die Augenlider und gaben einen kleinen Spalt frei. Das Licht blendete ihn und er erkannte nichts. Er blinzelte, schaute, blinzelte.
»So ist es gut! Wachen Sie auf, Herr Wegemann!«
Er wollte Asthante mitteilen, dass es keinen Herrn Wegemann mehr gab, dass sein Name Anron sei, aber dazu war er noch nicht fähig. Er konnte nur verständnislos die merkwürdige Umgebung mustern, in der er die Augen geöffnet hatte.
»Er wacht tatsächlich auf«, sagte eine Männerstimme. War der Besuch gekommen, während er schlief? Warum hatte Astanthe, ihn nicht rechtzeitig geweckt? Nein. Er schlief und träumte. Doch was sollte das für ein merkwürdiger Traum sein, in dem er geweckt wurde und sofort wusste, dass er schlief? Er musste träumen, denn das was er sah, gab es schon seit Hunderten, nein, seit Tausenden von Jahren nicht mehr.
Eine Infusionsflasche, elektrisches Licht, Männer und Frauen in weißen Kitteln, Monitore. Er hörte, dass Lautsprecher vor sich hin summten und piepsten, aber das alles war doch längst Vergangenheit?
»Können Sie mich verstehen, Herr Wegemann?«
Seine Augen suchten nach der Quelle dieser freundlichen Stimme und fanden sie.
»Asthanthe, wo sind wir hier?«, flüsterte er so kraftlos und leise, dass er nicht sicher war, ob sie ihn verstanden hatte.
»Sie sind im Krankenhaus, Herr Wegemann. Es gab einen Unfall, aber jetzt sind Sie gut aufgehoben. Ich bin Dr. Neumeier.«
»Wo sind Bjora und Bersan?« brachte er mühsam hervor. »Wo ist unser Kind?«
Einer der Männer benetzte ihm die Lippen mit ein paar Tropfen Wasser und schaute fragend zu Asthanthe? Frau Dr. Neumeier? hinüber. »Bisoprolol?«, fragte der Mann.
Asthante? Dr. Neumeier? sagte »später« und sah ihm weiter in die Augen, der Blick auf vertraute Weise beruhigend. Sie erklärte: »Sie hatten einen Unfall, Herr Wegemann. Sie waren lange im Koma, aber jetzt sind Sie wieder bei uns und werden gesund. Versuchen Sie, wach zu bleiben, eine kleine Weile. Haben Sie Schmerzen?«
Ein Unfall? Koma? Er wollte sich dagegen wehren, die andere, neue Welt war so viel schöner gewesen. Mochte dies hier unter Umständen doch kein Traum sein? Halt, nein. Das konnte nicht stimmen, schließlich stand Asthanthe an seinem Bett. Zwar nicht nackt wie gewohnt, sondern in einem weißen Kittel, aber er erkannte sie ohne jeden Zweifel, schließlich hatte er fast ein Jahr mit ihr gelebt.
»Haben Sie Schmerzen, Herr Wegmann?«, wiederholte sie ihre Frage.
Es war seine Asthanthe, obwohl sie eine Brille trug. Sie nahm seine Hände – vorsichtig, damit die Nadel nicht verrutschte - in ihre und hielt sie fest, eine vertraute und liebgewonnene Geste, sah ihm weiter in die Augen und fragte: »Können Sie mich verstehen?«
»Ja, ich verstehe dich«, flüsterte er, dann schlief er wieder ein.
Als er Stunden später aufwachte, stand sie wieder an seinem Bett und nahm sofort seine Hände.
»Wie viel Zeit ist vergangen?«, fragte er.
»Sie waren drei Monate und vier Tage ohne Bewusstsein, Herr Wegemann.«
»Was ist geschehen?«
»Wie fühlen Sie sich? Haben Sie Schmerzen?«
Er prüfte seine Empfindungen. »Nein, ich habe keine Schmerzen, ich bin nur sehr müde. Was ist mit mir passiert?«
»Gleich, Herr Wegemann, ich erzähle es Ihnen. Versuchen Sie jetzt bitte, Ihre Arme und Beine zu bewegen, geht das?«
Er gab sich Mühe, konnte aber nicht feststellen, ob er Erfolg hatte. Die Ärztin nickte jedoch zufrieden und lächelte.
»Sie sind noch sehr geschwächt, aber das bringen wir schon in Ordnung. Sie müssen Geduld haben, dann wird es gehen.«
»Wo bin ich und warum?«
»Sie sind in München, man hat Sie eingeflogen, nachdem man Sie gefunden hatte. Woran können Sie sich als letztes erinnern?«
Er dachte angestrengt nach, aber er wusste nicht, welchen Zeitpunkt er suchte. Es konnte nicht das Tor in jener Nacht des Krieges gewesen sein, dann gäbe es dieses Krankenhaus nicht mehr. Vorher. Irgendwo vorher? Er war aufgewacht und hatte im Morgengrauen die Säulen? gesehen. Noch weiter zurück? Was war vorher gewesen? Geräusche in der Nacht. Krachen und Knarzen, vor dem Grauen des Morgens.
»Ich glaube, ich habe irgendwelche Geräusche gehört, und bin davon aufgewacht. Kann das sein?«
»Das ist möglich. Wissen Sie noch, wo Sie waren?«
»Ich lebe in einer kleinen Hütte im Wald, nahe der polnischen Grenze. Oder nicht?«
»Doch, das ist richtig. Man hat Sie dort aus den Trümmern ausgegraben. Ein Sportflugzeug ist abgestürzt, und hat ausgerechnet sie Lichtung erwischt, auf der die Hütte stand.«
»Mitten in der Nacht?«
»Es flog ohne Erlaubnis, vermutlich eine zwielichtige Geschichte. Zigarettenschmuggel in großem Stil haben die Zeitungen geschrieben. Sie haben heute Mittag, als Sie zum ersten Mal kurz aufwachten, etwas von einem Kind gesagt. Gab es ein Kind bei Ihnen? Andere Personen?«
»Nein, es gab wohl kein Kind. Noch nicht. Er ist ein wunderschöner Junge. Wollen Sie mich heiraten, Frau Dr. Neumeier? Dann wäre es möglich, dass wir einen ganz entzückenden Sohn haben.«
Sie lachte fröhlich. »Das ist der originellste Heiratsantrag, den ich jemals bekommen habe. Aber ich muss Sie leider enttäuschen, einstweilen sind Sie ans Bett gefesselt und können keinen Traualtar aufsuchen.«
»Schade. Verraten Sie mir trotzdem Ihren Vornamen? Ich heiße Fritz und vermute, dass Sie nicht Asthanthe heißen.«
»Ist das polnisch?«
»Nein, das ist ein Name aus einer anderen Welt.«
»Meiner ist sehr irdisch. Ich heiße Eva. Jetzt sollten Sie wieder schlafen, Fritz, damit Sie zu Kräften kommen. Gute Nacht.«
»Gute Nacht, Eva. Vielleicht möchten Sie ja in ein paar Wochen einen alten Waldschrat heiraten?«
Sie ließ wieder ihr ansteckendes, fröhliches Lachen hören. »Ach Herr Wegemann, ich meine Fritz, schlafen Sie gut. Vielleicht träumen Sie ja von unserer Hochzeit und können mir dann morgen erzählen, wie mein Brautkleid aussieht.«
»Das werde ich. Oder ich träume von jener Welt, die Sie leider nicht kennen und in der Sie bereits meine Frau sind. Es ist übrigens schade, dass ich jetzt aufgewacht bin, denn eigentlich wollte Gott zu Besuch kommen.«
»Wenn es der Genesung dient, habe ich nichts dagegen, dass er Sie heute Nacht besucht«, versicherte sie. »Falls Sie noch nicht gleich einschlafen können, kann ich Ihnen den Fernseher anmachen. Das Programm ist normalerweise das beste Schlafmittel. Den Ton lasse ich ganz leise, damit er Sie nicht wachhält.«
Fritz nickte. Sie richtete die Fernbedienung, die auf seinem Nachttisch lag, auf einen flachen Bildschirm an der gegenüberliegenden Wand.
Fritz hatte seit mehr als sieben Jahren kein Fernsehgerät gesehen und das flache Ding nicht als solches identifiziert. Erstaunt beobachtete er die Uhr vor dem Beginn der Tagesschau. Das Piepsen war kaum zu hören, so leise hatte die Ärztin das Gerät eingestellt.
Er war sehr müde und schloss die Augen. Er hörte die Fanfare und dann die Stimme des Sprechers. Guten Abend, meine Damen und Herren. Bei den Wahlen in Russland bahnt sich eine Sensation an. Nach den ersten Hochrechnungen hat der ultrakonservative…
Fritz Wegemann schlief ein.
- -- --- ---- ----- ---- --- -- -
Ende.
nein, ich zeige meinen Freunden nicht, dass mir das gefällt.
AntwortenLöschenEher gesagt: ich zeige meinen Freunden, dass mir das ganz und gar nicht gefällt.
wie schade.
"Nicht allen wird er schmecken, der letzte Gang."
AntwortenLöschenMir hat er geschmeckt. Ein ganz hervorragender Schluss, der die Brücke zum Anfang schlägt. Daumen hoch!
vielleicht, fiel mir eben ein, wäre das Ende anders verlaufen, hätte Anron/Fritz sich im vorangegangenen Teil nicht so deutlich gegen Gott ausgesprochen.
AntwortenLöschenAber das ist Spekulatius.
Also. Na ja. In der Ur-Version fand vor diesem Schluss noch eine Begegnung statt. Mit Gott. Die war literarisch so misslungen, dass ich sie nun entfernt habe. Fürchterlich...
AntwortenLöschenUnd meinen Schluss muss ich nicht verteidigen, denn der ist der einzig mögliche. :-)
Ich würde die Geschichte echt gerne lesen - aber auf dem Computer ist mir das zu anstrengend. Kannst du sie nicht als *.pdf-Datei zum Herunterladen anbieten? Das wäre echt toll :-)
AntwortenLöschenLiebe Grüße von einem stillen Leser aus Sachsen,
Lothar.
Lieber Lothar,
AntwortenLöscheneine nochmals bearbeitete Version ist in Vorbereitung, die wird es dann zum Herunterladen geben, auch als PDF und für die gängigen Lesegeräte wie den Kindle.
Es mag noch etwas dauern, bis ich fertig bin, aber dann wird auf diesem Blog natürlich auf die Neuerscheinung hingewiesen.
Beste Grüße!