Samstag, 25. April 2009

Berliner Farbenspiele

Dass Berlin ziemlich bunt ist, hat sich ja herumgesprochen. In den letzten Wochen erblühte vielerorts eine ungewohnte politische Farbenpracht. Rot neben oder gegen Tiefrot, Grün mischt sich mit Schwarz, Gelb-blau hat rosa Tupfen, Berlinrot streitet versus Bundesrot. Und was noch alles.

Die Rede ist von der Aufregung um einen Volksentscheid. Die Wahlberechtigten dürfen am Sonntag darüber abstimmen, ob die Schüler künftig zwischen Ethik- und Religionsunterricht wählen oder ob es beim Pflichtfach Ethik und Religion als freiwilligem Untertrichtsangebot bleibt. Berlin ist neben Bremen und Brandenburg das einzige Bundesland, in dem Religion bisher ein freiwilliges Fach ist. 2006 setzte der Senat durch, dass das neue Fach Ethik als Pflichtfach eingeführt wurde. Damit begann der Streit.

Aufgefallen ist mir im Straßenbild, dass die meisten Plakate der Pro Reli-Aktion beschmiert, zerstört, beschädigt wurden. Die Plakate derjenigen, die sich gegen die Gleichberechtigung der Fächer aussprechen, blieben unbeschädigt. Kann man daraus eigentlich Schlüsse auf Fairness und Toleranz der jeweiligen Seiten in der Auseinandersetzung ziehen?

Diejenigen, um die es eigentlich geht, sind ganz verschiedener Meinung. Ein Schüler der 12. Klasse meinte laut Berliner Morgenpost:
»Wenn Schüler jedes Jahr die Gelegenheit bekommen, neu zwischen Ethik und Religion zu wählen und so unverbindlich verschiedene Religionen und humanistische Wertevorstellungen kennenzulernen, hilft das auf der Suche nach dem eigenen Weg. Außerdem ist es in unserer bunten, multikulturellen Stadt wichtig, den anderen zu verstehen und auch seine Wertegrundlagen kennenzulernen. Mit einem Zwangsfach Ethik ist das kaum möglich.« (Quelle)
Der Schüler mag recht haben, wenngleich ich mir kaum vorstellen kann, dass jemand wegen des Religionsunterrichtes Moslem, Christ oder Humanist wird - den »eigenen Weg« wird wohl jeder anderweitig finden oder gefunden haben.

Gegen Religion als Pflichtfacht äußert sich eine 15jährige laut Bericht im Tagesspiegel:
Schülerin Dilek Sahan findet, dass Religion Privatsache sei. Die Muslimin besucht die 9. Klasse: Die meisten Schüler sind muslimisch. „Hätten wir Religion, gäbe es so viele Diskussionen. Einer ist sunnitisch, einer schiitisch.“ Deshalb sollten die, die wollen, in der Freizeit Religion lernen, wünscht sich Dilek. (Quelle)
Dem könnte man entgegnen: Immerhin schadet es ja nichts, ergänzend zum Elternhaus zu lernen, was »die anderen« glauben oder nicht glauben. Ob nun Sunniten und Schiiten oder Juden und Christen oder Katholiken und Protestanten.

So sehen das wohl auch die meisten Unterstützer von Pro Reli, darunter die Jüdische Gemeinde und der Zentralrat der Muslime, die großen und viele kleine christliche Kirchen, andere Religionsgemeinschaften sowie CDU und FDP; aber auch SPD-Spitzenpolitiker auf Bundesebene wie Kanzlerkandidat und Außenminister Frank-Walter Steinmeier oder Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse. Auch etliche Prominente haben sich auf den Plakaten ablichten lassen, darunter Ehefrauen von Hertha-Fußballprofis und Herr Jauch. Genau. Der aus dem Fernsehen. Er sagt laut Plakat: »In Berlin geht es um die Freiheit - Sagen Sie nicht, Sie hätten nicht die Wahl gehabt.«

Andere äußern Angst vor Fundamentalismus durch Religionsunterricht, befürchten Freiheitsverluste durch eine freie Wahl der Schüler oder rufen einfach zum »Nein« auf, weil sie zum Senat gehören oder mit ihm sympathisieren. Auch einige atheistische, türkische und kleinere religiöse Gruppen haben sich mit unterschiedlichen Argumentationen den Gegnern von Pro Reli angeschlossen, darunter die Deutsche Buddhistische Union und das Kulturzentrum Anatolischer Aleviten. Das Motto von Pro Ethik ist so absurd und jenseits jedes Demokratiegedankens, dass es sicher Sprachgeschichte machen wird: »Nein zum Wahlzwang!« Es wäre ja schlimm, wenn freie Bügerin einem freien Land gezwungen würden, eine Wahl zu treffen...

Ich bin gespannt, ob am Sonntag das Volk die Abstimmung ignorieren, der amtierenden Berliner Regierung einen Freipass ausstellen oder eine rote Karte zeigen wird. Immerhin, und das ist unabhängig vom Ausgang eine gute Sache, ist eine Diskussion über den Zusammenhang von Wertevermittlung und gesellschaftlicher Entwicklung in Gang gekommen. Und das kann ja nie schaden, solange es ein Gespräch bleibt und nicht zur gegenseitigen Verunglimpfung ausartet, was allerdings zur Zeit in Berlin ebenfalls zu beobachten ist.

Hier einige interessante Beiträge zur Diskussion:
P.S.: Falls es für meine Leser von Interesse sein sollte: Ich werde, nicht ohne Bedenken allerdings, mit »Ja« abstimmen.