Ein Buch, nein, eher ein Büchlein, wurde mir anlässlich meines Geburtstages vor einigen Wochen von meinem Freund Haso im Kreise der geladenen Geburtstagsgäste als Geschenk überreicht. Ein Büchlein, das mich – endlich, würde mein Freund seufzen – auf den Geschmack bringen sollte.
Nun sind mir Bücher stets willkommen, die meisten wenigstens, von Frau Elfriede Jelinek ist ja hier nicht die Rede. Ich las also mit nicht unbeträchtlichem Vergnügen, was Menschen, die zum Stamm der Twitterjünger gehören, so von sich gegeben hatten. Nein, nicht Zwitter, lieber Leser, Twitter mit T.
Ich hatte mich bereits seit Februar 2010 mit Mikroliteratur gedanklich beschäftigt, treuen Blogbesuchern ist das nicht verborgen geblieben, Facebook-Freunden noch viel weniger. Mit fremder und eigener, wobei es sich immer leichter lesen als schreiben lässt. Mit gefiel so manches was ich las recht gut, ganz unabhängig von der Twitterei, zum Beispiel dieses Stück Literatur:
For sale: Babyshoes. Never worn.
Diese fünf Worte erzählen mehrere Geschichten, mir zumindest. Da ist die tragische, die Geschichte des Verlustes, des Schmerzes, der Verzweiflung: Das Kind kam tot zur Welt, die Schuhe sind nun obsolet. Oder die andere, nicht minder ans Herz gehende: Mutter und Kind sind Opfer der Unbarmherzigkeit des Schicksals geworden. Da ist aber auch die andere Geschichte: Vier Paar Babyschuhe wurden zur Geburt geschenkt, und mehr als zwei nun wahrlich nicht gebraucht, das Kind wächst ja schnell aus ihnen heraus. Oder sind die Babyschuhe in lieblichen Rosatönen gestaltet, was sich am Fuß eines Buben etwas sonderbar ausnimmt?
Ich merke: Ich schweife ab. Es soll doch hier um das Twitterbuch gehen, um den liebevollen Versuch meines Freundes, mich endlich zu Twitter zu bekehren.
Twitter ist eine Kommunikationsplattform, die sich dem normalen Internet, aber auch Mobiltelefonen zugänglich zeigt. Dabei gibt es eine Eigentümlichkeit: Es stehen 140 Zeichen zur Verfügung für eine Nachricht, die man mangels deutscher Sprachkompetenz oder aus reiner Faulheit und Gewöhnung als »tweet« zu bezeichnen pflegt. 140 Zeichen, unerbittlich, und die Leerzeichen zählen mit. Was kann man – nein, falsch formuliert – was kann ich mit einem solchen Medium anfangen?
Das, so sagte ich mir, kann ich nur herausfinden, wenn ich versuche, mich den Fesseln zu unterwerfen, die mir bei Twitter angelegt würden, wenn ich mich je in das enge Gefängnis der nur 140 Zeichen großen Wortzelle sperrte.
Um es mir noch schwerer zu machen, nahm ich eine freiwillige weitere Bürde auf mich: Es müssen genau die 140 Zeichen sein, nicht etwa nur 139 oder gar noch weniger.
Wer mit seiner Computermaus oder über den Umweg eines berührempfindlichen Feldes mit dem Finger auf das diese Worte begleitende Bild klickt, kann einige handschriftliche Experimente in Augenschein nehmen. Wer die Resultate lieber als fertigen Text betrachtet, möge das Auge auf den folgenden Zeilen ruhen lassen.
Es kehrt endlich bei uns Friede ein. Die letzte Schlacht geschlagen, das letzte Blut vergossen. Keiner greift mehr zur Waffe. Es ruhen alle.
Maria legt die Hand auf seinen Bauch. Er atmet tief. Wird sie erspüren, wie sehnlich er die wenigen Zentimeter überwunden wünscht? Ausatmen.
Der Fluch der 140 Zeichen. Kein Entrinnen, keine Gnade. Oder Segen der 140 Zeichen. Kein Verzug, kein Zaudern. Sind 140 Zeichen Ja und Amen?
Das Bett, zwei ebene Flächen, belegt von bauschigen Kissen und Decken in strahlendem Weiß. Sie werden keine Decke brauchen, die Liebe wärmt.
Na bitte. Vier mal 140 Zeichen, vier Geschichten voller Spannung, Tragik, Dramatik, Erotik, Liebe, Hass, Leben und Tod. Und das noch mit religiöser Deutungsmöglichkeit, wenn jemandem danach ist und auch für die Friedensbewegung tauglich.
Es geht also, sagte ich mir. Es ist erst mühsam, aber es geht. Und es macht sogar Spaß.
Und wird er nun zum Twitter greifen? Das Zaudern dauert an. Es will der Sinn sich nicht erschließen. Doch braucht der Mensch für alles Sinn?