Nun hat das Warten ein vorläufiges Ende, und das Quengeln wird belohnt. Jessika darf weiter ihr (Un)-wesen treiben. Da freut sich der eine oder die andere unter den Blogbesuchern.
Wer nicht mehr so ganz in Erinnerung hat, was bisher geschah oder die ersten Teile noch nicht gelesen hat, tut gut daran, zunächst hier zu klicken: [Teil 1] /// [Teil 2]
So. Nun aber:
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Am nächsten Morgen war sich Jessika noch unschlüssig, ob sie Parma sofort verlassen oder eine eine Gelegenheit suchen sollte, sich des nächtlichen Besuchers zu entledigen. Der verblichene Signore Di Stefano machte ihr keine Sorgen, niemand konnte, soweit Jessika wusste, eine Verbindung zu ihr herstellen, abgesehen natürlich von Johannes. Der hatte aber offensichtlich keine Intentionen, sein Wissen mit den Behörden zu teilen. Er wollte sie kennen lernen, hatte er gesagt. Und war dennoch aufgebrochen und verschwunden.
Jessika stand auf und ging ins Bad, um sich eine heiße Dusche zu gönnen. Die Beretta hatte sie nicht wieder hinter der Lüftungsklappe versteckt, sondern zu der Bibel in die Schublade des Nachttisches gelegt. Es hätte ja sein können, dass Johannes – oder falls er doch die Polizei informierte anderer ungebetener Besuch – in ihr Zimmer eindrang. Noch einmal wollte sie nicht unvorbereitet sein.
Sie betrachtete aufmerksam ihr Spiegelbild, bevor sie unter die Dusche trat. Du siehst gut aus, und du wirst einfach nicht älter. Gut so. Sie ließ ihre Hände über ihren Körper gleiten, war zufrieden, dass ihr Fleisch nicht welk werden wollte, ihre Brüste waren fest, der Bauch flach, die Schenkel schlank und nirgends fand sich auch nur ein Hauch von Cellulite. Wie kräftig ihre Muskeln waren, konnte niemand auf Anhieb ahnen, denn sie sah keineswegs aus wie manche Frauen, die sich im Bodybuilding versuchten. Signore Di Stefano hatte die Kraft zu spüren bekommen, aber vermutlich kaum zur Kenntnis genommen in seinen letzten extatischen Sekunden auf dieser Erde. Bleib, wie du bist, zwinkerte sie ihrem Spiegelbild zu. 18 til I die!
Jessika drehte das Wasser an und genoss die Hitze auf ihrer Haut, das Prasseln, den Dampf, der schnell das Badezimmer in eine Nebelhöhle verwandelte. Sie ließ sich Zeit, dann griff sie zum Rasierer und sorgte dafür, dass ihre Körperhaare keine Chance hatten, überhaupt als Stoppeln sichtbar zu werden. Sie dachte zurück an Bernd, der war genauso glatt rasiert wie sie und hatte oft mit einem verschmitzten Zwinkern gefragt, ob sie Lust auf einen Smoothie hatte. Dass damit kein Getränk gemeint war, wussten beide. Bernd … er fehlte ihr. Mehr und mehr kam sie zu dem Schluss, dass sein Tod ein Fehler gewesen war. Leider konnte sie diesen Fehler nicht rückgängig machen.
Sie drehte den Wasserhahn zu und fand im dichten Nebel ihr Badetuch. Während sie sich abtrocknete, ging ihr Bernd nicht aus dem Sinn. Die Erinnerung an seine liebevollen Augen, seinen offenen Blick, den er so gut wie nie von ihr abwandte, wenn sie sich liebten. Die Erinnerung an das vertraute und doch immer wieder aufregende Gefühl, wenn sie eng umschlungen Haut auf Haut spürten und genossen. Bernd …
Jessika trat in ihr Zimmer, das nach der Hitze im Bad kühl erschien, obwohl die Temperatur in der Nacht angenehm für ihre bloße Haut gewesen war, der Decke hatte sie sich im Schlaf entledigt. Sie zögerte. Sollte sie sich anziehen und zum Frühstück nach unten gehen oder sich mit den Gedanken an Bernd noch eine Zeit des Verwöhnens und der Entspannung gönnen? Keine Termine drängten, niemand wartete auf sie.
Als sie vierzig Minuten später in den Frühstücksraum trat, sah sie Johannes am Fenster sitzen, eine Tasse Latte Macchiato stand vor ihm. Er lächelte ihr entgegen als sei seine Anwesenheit hier das Natürlichste der Welt und deutete einladend auf den zweiten Stuhl am Tisch. Jessika hätte fast den Kopf geschüttelt und sich einen anderen Platz gesucht, aber die Wirtin kam gerade aus der Küche und rief freudestrahlend: »Signora Jessika, finalmente! Alla buonora! Era ora!« Sie deutete auf Johannes: »Il signore personifica la pazienza!«
Nun der Wirtin zu erklären, dass sie jenen Herrn nicht kannte und dass er nicht ausgerechnet auf sie gewartet haben konnte, war sinnlos. Jessika setzte sich und Johannes strahlte sie an: »Guten Morgen! Du siehst blendend aus. Gut erholt und entspannt?«
Seine gute Laune war ansteckend, außerdem fühlte Jessika sich ja tatsächlich rundum wohl und zufrieden. Sie lächelte ihn an und erwiderte: »Auch guten Morgen. Hast du etwa hier auf mich gewartet? Schon länger?«
»Der Kaffee ist gut und die Wirtin plaudert gerne. Die Zeit ist mir nicht lang geworden.«
»Die Wirtin ist eine chiacchierona. Wie lange sitzt du denn schon hier?«
»Etwa eine Stunde. Ich hatte dich ursprünglich früher erwartet, aber der Genuss vor dem Frühstück hat dir sichtlich gut getan. Und gesund ist ein Orgasmus bekanntlich für den ganzen Organismus, da sind sich alle Forscher einig.«
Jessika versuchte, sich ihre Verwirrung nicht anmerken zu lassen. Hatte er an ihrer Türe gelauscht? Sie konnte nicht sagen, ob ihr womöglich lustvolle Laute entschlüpft waren oder nicht. Lärm gemacht hatte sie sicher nicht, aber es mochte doch das eine oder andere Stöhnen über ihre Lippen gekommen sein. Oder hörte er womöglich ihr Zimmer elektronisch ab? Da er ihre Beretta entdeckt und entladen hatte, konnte sie davon ausgehen, dass er sich längere Zeit in ihrem Zimmer aufgehalten hatte. Da konnte er durchaus Mikrophone oder gar Kameras versteckt haben.
Die Wirtin kam mit einem großen Tablett und servierte das Frühstück für zwei Personen. Sie schnatterte fröhlich über das Wetter, »bel tempo«, rief sie begeistert und wies mit dem Finger durch das Fenster auf die sonnenbeschienene Straße, verteidigte ihre kalorienreichen Backwaren, junge Menschen könnten ruhig mit »coscienza pulita« zugreifen und beteuerte, dass es von »buona educazione« zeugen würde, wenn die beiden alles aufäßen.
Johannes schenkte der Frau ein gewinnendes Lächeln und versicherte, dass kein Krümel übrigbleiben würde. Als sie wieder in ihrer Küche verschwunden war, blickte er Jessika erwartungsvoll an.
Sie beschloss, dass Angriff in diesem Fall die beste Verteidigung sein mochte und fragte: »Überwachst du mein Zimmer?«
»Wie kommst du denn darauf? Guten Appetit, lass es dir schmecken!«
»Woher weißt du dann, wie ich den Morgen verbracht habe? Oder stocherst du im Nebel und willst mich aushorchen?«
Sein Blick wirkte völlig offen, sie konnte keinen Funken von Verstellung oder Tücke entdecken, als er antwortete: »Wir sollten – wollten uns doch besser kennen lernen. Du gibst mir Rätsel auf, die ich zu lösen versuche. Ich versuche nur, mir ein möglichst umfassendes Bild von dir zu machen.«
»Mit Kameras und Mikrophonen.«
»Nein. Weder das eine, noch das andere.«
»Sondern?«
Johannes nahm ein weiteres Gebäckstück aus dem Korb und biss herzhaft hinein. »Hmmmm … die Sorte solltest du probieren! Himmlisch!«
Jessika starrte ihn unverwandt an und wiederholte: »Sondern?«
»Ich meine, dass es zu früh ist, dir das zu erklären.« Er runzelte die Stirn und verbesserte sich: »Nein, ich hatte eigentlich vor, dir alles heute zu offenbaren. Aber die Abstimmung verlief eben nun einmal anders, und an die eigenen Spielregeln muss man sich halten.«
Sie schüttelte den Kopf. Das mochte verstehen, wer es konnte, sie jedenfalls blickte nicht durch. Abstimmung? Spielregeln? Wovon redest du eigentlich? Wer bist du, Johannes? Jessika nahm ein Stück Panettone und bestrich es mit Butter. Sie probierte und stimmte zu: »Wirklich lecker. Die Wirtin backt das alles selbst, hat sie mir erzählt.«
Er nickte und schenkte ihr Orangensaft nach. Eine Weile aßen sie schweigend, dann schlug Jessika vor: »Wir könnten nachher einen Bummel zum Bapisterium und zum Dom machen, falls du nichts anderes vor hast.«
»Ich habe Zeit.«
»Sagen wir gegen 13 Uhr? Holst du mich hier ab?«
Er blickte ihr prüfend in die Augen und antwortete dann: »Wenn du um 13 Uhr vor der Pension wartest, werde ich da sein.«
Sie schafften nicht alles, was die Wirtin ihnen aufgetischt hatte, was diese beim Abräumen mit einem Wortschwall kommentierte, in dem »insensatezza« und »sfamarsi« häufig vorkamen. Dabei lachte sie so vergnügt wie immer und strich Jessika liebevoll über den Rücken. »Buon giorno, ma bella!« wünschte sie und strahlte dann Johannes an: »Arrivederci, cavaliere!«
Jessika begleitete ihn vor die Türe und sah ihm nach, als er wie in der Nacht zuvor in der Grünanlage verschwand. Dann ging sie in ihr Zimmer, packte ihre Sachen in den Koffer und die Pistole in die Handtasche. Es war jetzt 11 Uhr, sie hatte genügend Zeit. Sie bezahlte das Zimmer und verabschiedete sich von der Wirtin. Dann ging sie zu Fuß zum Bahnhof, es war ja nicht weit. Sie wusste nicht, welche Züge in den nächsten zwei Stunden abfuhren, aber die Hauptsache war, dass sie aus der Stadt verschwand, bevor Johannes sie um 13 Uhr zu suchen begann.
Um 12:15 Uhr saß sie im Express nach Rom, um 16 Uhr würde sie dort ankommen und dann entscheiden, wohin sie wollte. Sie musste, falls sie ein Flugzeug nehmen würde, die Beretta zurücklassen, aber weit von Johannes entfernt brauchte sie einstweilen keine schussbereite Waffe. Sie war sich nicht sicher, ob sie ihn töten wollte, im Gegenteil ihre Gefühle sprachen deutlich dagegen. Sie wollte ihn kennen lernen, das Mysterium durchdringen, verstehen, wer er oder was er war. Aber im Augenblick war die Flucht die bessere Wahl, denn er hatte offensichtlich alle Trümpfe in der Hand und sie selbst noch nicht einmal einen Joker.
Aus ihrer Handtasche holte sie das Buch, in dem sie zwei Tage zuvor zu lesen begonnen hatte. Dabei fiel ihr Blick auf die Postkarte, die im Nachttisch gelegen hatte. Sie hatte sie eingesteckt, um nichts an persönlichen Gegenständen zurück zu lassen. Liebe Grüße, Jessika – in ihrer eigenen Handschrift. Adressiert an jemanden in Berlin, der nicht Johannes hieß. Vielleicht sollte sie herausfinden, wer dieser Mensch war und was er mit Johannes zu tun haben mochte? Vielleicht fand sie in Berlin den Anfang des Fadens, den sie zu einem ordentlichen Knäuel aufrollen konnte, bevor sie über Tod oder Leben des unheimlichen Johannes entschied?
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So, nun sind wieder die lieben und die bösen Leser gefragt:
Jessika... |
...fliegt nach Berlin. |
...fliegt woanders hin. (Bitte als Kommentar ein Ziel) |
...würde fliegen, wird aber aufgehalten. |
Auswertung |
Ich werde mal so etwa in vier oder fünf Tagen nachschauen, was die Leser sich wünschen.
Ach ja: Falls es jemandem zu mühsam ist, die italienischen Brocken im Text via Leo.org nachzuschlagen, dann möge er/sie einfach so unverstanden stehen lassen. Es war immerhin auch mühsam für mich, sie nachzuschlagen und aufzuschreiben. Bei dieser Gelegenheit einen herzlichen Dank an eine Mitarbeiterin italienischer Abstammung aus meiner Lieblingsabteilung, die ich bei zwei mir sehr zweifelhaften Zitaten gefragt habe und die aus meinem Entwurf des Satzes »Il signore personifica la pazienza!« ein überzähliges »t« entfernt hat. :-)
Fortsetzung? Folgt.