Christof Lenzen hat einen Erfahrungsbericht geschrieben, der nicht etwa Patentrezepte anzubieten versucht, sondern – was viel besser ist – den Leser einlädt, die eigene Glaubens- und Lebenssituation zu hinterfragen, um so zu ganz persönlichen Ergebnissen zu kommen. Dieses Buch will kein Ratgeber sein, im Gegenteil:
Die Moderne hat uns in geradezu teuflische Sackgassen getrieben. Machbarkeitswahn regiert auch in Gemeinden und schließlich im geistlichen Leben, »Glaube dieses und du bekommst von Gott jenes«, »Entscheide dich für Jesus und du kommst in den Himmel«, »Wende diese Methode an und du erneuerst dein Glaubensleben in sieben einfachen Schritten«. Immer wieder die Frage: Was funktioniert? Was muss ich machen?Solche Lösungen wird man hier vergeblich suchen, mit gutem Grund. Der Autor weiß, worüber er schreibt, das spürt man Zeile für Zeile. Er ist kein trockener Theoretiker, sondern einer, der mit Menschen umgeht, mit ihren Sorgen, Nöten, aber auch mit ihren Erfolgen und ihrer Freude vertraut ist. Ein Praktiker, ein Pastor, der seinen »Schafen« sehr nahe ist und der auch sich selbst als Mensch begreift, nicht als abgehobene geistliche Figur auf einem Sockel, den der »normale Gläubige« nie erklimmen könnte.
Genau das macht »Lass dich fallen und flieg!« glaubhaft, hilfreich, wertvoll. Ganz konkrete, existentielle Fragen werden nicht ausgespart.
»Was habe ich getan, dass Gott mich so bestraft?« … Dahinter steckt ein fatales Gottesbild, das keinen Deut reifer und weiter ist als der Gewittergott eines Animisten, eines Naturreligiösen. Zudem löst dieser Satz ein Zweites aus: Wut auf und Angst vor einem solchen Gott. … Was für ein Gott wäre das, der so mit seinen »geliebten Kindern« umgehen würde? Ein Gott zum Weglaufen, zum Angsthaben oder zum Bekämpfen.Was hört man nicht alles in manchen frommen Zirkeln, wenn jemand von großem Leid oder Unglück getroffen wird: »Du musst nur glauben…«, »Du musst die Verheißungen Gottes nur abholen…«, »Hast du auch allen vergeben…«, »Trägst du noch Schuld aus der Kindheit mit dir herum…« - es ist, mit Verlaub, zum Kotzen. Letztendlich liegt die Schuld dann bei demjenigen, der eine Katastrophe erleidet. Und derjenige wird irgendwann diesem Gott den Rücken kehren. Wahrlich ein Gott zum Weglaufen.
Christof Lenzen versucht nicht, die Diskrepanz zwischen Realität und Verheißungen wegzuerklären, sondern er beschreibt, wie man mit und in diversen Spannungsfeldern leben und trotzdem glauben kann. »Hilfreiche Spannungsfelder« hat er den zweiten Teil des Buches überschrieben. Ein praxisnaher, ein entlastender Abschnitt, der eigentlich Pflichtlektüre für jeden Gläubigen sein sollte – wenn es denn beim Glauben um Pflicht ginge. Worum es statt dessen geht, wird hinreichend deutlich, dem Autor sei es gedankt.
Im dritten Teil geht es dann um eine »fruchtbare innere Haltung«.
Die Gnade scheint sich auf eigenartige Weise aus dem Staub zu machen, wenn es um Heiligung geht – nach dem Motto: Ja, wir sind aus Gnade erwählt, nun müssen wir aber auch in die Hände spucken und was daraus machen. Damit Gott an uns Gefallen hat, damit unsere Erwählung sich bestätigt, damit wir erfolgreiche Christen, eine erfolgreiche Gemeinde sind.Warum das keine fruchtbare Haltung sein kann, hat Lenzen selbst erlebt und nachvollziehbar geschildert. Er rückt so manches zurecht, öffnet den Blick für andere Perspektiven und ermutigt, statt anderen nachzuplappern, selbst zu entdecken, was es mit der inneren Haltung und ihren Auswirkungen auf das persönliche Leben auf sich hat.
Anschließend geht es im vierten Teil um »ganzheitliche geistliche Übungen, die uns bewegen«.
Wenn zum Beispiel die Bibel ein Liebesbrief vom Vater ist – warum finde ich sie so langweilig? Warum kämpfe ich mich mit ihr ab? Diese Fragen haben mich umgetrieben, weil ich selbst auch nicht zu denen gehöre, die Tag für Tag mit innerer Begeisterung die Bibel aufschlagen.»Geistliche Übungen« - für viele ein Schreckenswort, das Assoziationen von Mühsal und Qual weckt. Auch für mich. Dieses Buch hat mir geholfen, eine andere Dimension zu entdecken. Eine lohnende, befreiende, ermutigende: Oasen im Alltag, Orte der Erholung, Momente des Auftankens.
Schließlich geht es auf den letzten Seiten um die Einladung, das Geglaubte auch in konkretes Handeln umzusetzen. Wieder ohne Patentrezepte, und auch weiter ohne Rücksicht auf fromme Tabus. Zum Beispiel: Die Bibel als Regelbuch für das Leben? Nein.
Ich habe einmal in einem Jugendkreis die Frage gestellt: »Darf man als Christ lügen?« Reflexartig antwortete eine Jugendliche: »Nein, das darf man nicht, sagt die Bibel so.« … Ich sagte: »Nein, falsche Antwort. Die Hure Rahab log, um die Gesandten Gottes zu schützen, und sie wurde von Gott gelobt.« … Das Mädchen war perplex – wie, keine einfache Antwort?Mein Fazit: Dieses Buch ist keine leichte Lektüre, die man mal eben so genießt um verzückt zu seufzen: »Halleluja, so ist es.« Wir haben es nicht mit einem oberflächlichen »Fünf Schritte zu geistlicher Tiefe« zu tun. Sondern vielmehr mit einer Herausforderung, sich selbst, die eigenen religiösen Traditionen und – gottlob – auch die gemeindlichen Frömmigkeitsstile in Frage zu stellen. Manches wird diese Probe bestehen, anderes werden wir womöglich in den Orkus verbannen. Auf jeden Fall wird der Leser, wenn er sich auf diese Entdeckungsreise einlässt, nicht unverändert daraus hervorgehen.
Wohltuend ist, das sei noch angemerkt, die »handwerkliche« Qualität des Buches. Sprachlich makellos, frei von Plattitüden und dem leider gerade in christlichen Kreisen weit verbreiteten miserablen schlampigen Stil. Christof Lenzen weiß das Handwerkszeug für ein Buch, die deutsche Sprache, zu handhaben, und zwar meisterhaft. Layout und Druck passen zu dieser Leistung, die Seiten sind liebe- und kunstvoll gestaltet. Ein rundum gelungenes Werk also.
Erhältlich zum Beispiel hier bei Amazon: Lass dich fallen und flieg! Wie der Glaube vom Kopf ins Herz gelangt