»Ich bestehe darauf«, zeterte Mandy Müller, »und damit basta!«
Die Standesbeamtin war ratlos. Seit zehn Minuten versuchte sie, der jungen Mutter Vernunft einzureden. Mit Engelszungen, mit energischer Stimme, mit Bitten und mit Drohen. Alles vergebens. Eine Lösung musste jedoch gefunden werden, denn heute, am 17. März 2011, lief die Frist ab. In Deutschland gibt es für alles eine Frist, natürlich auch für die Namensgebung eines Kindes. Vier Wochen nach der Geburt spätestens muss ein Name her, und wenn die Eltern sich nicht einigen, dann entscheidet das Standesamt, ob Vater oder Mutter mit ihrem Wunsch zum Zuge kommen.
Das Problem war allerdings, dass sowohl Mandy Müller als auch Klaus-Peter Müller den gleichen Vornamen für ihre Tochter wollten.
»Nun überlegen Sie doch mal. Wenn Ihr Kind in die Schule kommt...«
»Es ist in Deutschland erlaubt, seine Tochter Paris zu nennen. Oder Agatha. Die Tochter von der Erna, das ist meine Nichte, die heißt April. Womöglich ist sogar Xanthippe erlaubt, das weiß ich jetzt nicht«, meckerte Mandy, »aber wir dürfen uns keinen Namen für unsere Tochter aussuchen?«
»Jawohlja!« ergänzte Klaus-Peter.
»Ich muss sonst von Amts wegen einen Namen eintragen, den ich für angemessen halte«, drohte die Standesbeamtin. Ob das überhaupt zulässig war, wusste sie nicht, aber einen Versuch war es ja wert.
Mandy wurde zornesbleich. »Das wäre ja noch schöner! Klaus-Peter, sag du doch auch mal was!«
»Jawohlja!«
»Denken Sie doch noch mal in Ruhe nach. Denken Sie vor allem an die Hänseleien oder all die Probleme, die Ihre Tochter später im Leben hätte.«
»Wir haben vier Wochen lang nachgedacht.«
»Jawohlja!«
»Und wir bleiben dabei. Unser Mädchen ist immerhin unter Umständen gezeugt worden, die es verdienen, nicht vergessen zu werden. Daher wird sie so heißen.«
»Jawohlja!«
Ermüdet blätterte die Standesbeamtin in ihren Rechtsvorschriften. Vielleicht fand sich ja eine Möglichkeit, die Namensgebung aufzuschieben? Nächste Woche hatte ein Kollege Dienst, sie selbst würde weit weg im Urlaub sein...
»Das war nämlich so«, erklärte Mandy und bekam rote Bäckchen, »wir haben da in der Flughafenhalle übernachtet. Ich wollte schon schlafen, da kam mein Klaus-Peter zu mir unter die Decke gekrabbelt. Also wir lagen ja auf so Isomatten, nicht wahr, und mit braunen Wolldecken vom Roten Kreuz oder so zum Zudecken. Ich sage zu ihm lass das, hier sind doch hundert Menschen, sage ich. Aber mein Klaus-Peter, na ja, der... – also schon ganz in Fahrt oder so, na ja, es war ja auch nur gedämpftes Licht. Jedenfalls haben wir dann wie noch nie zuvor, vielleicht weil es so aufregend war mit den vielen Leuten ringsrum, als täten wir was Verbotenes, dabei sind wir ja schon vier Jahre verheiratet.«
»Jawohlja!«
Die Standesbeamtin fand keinen Paragraphen, der Aufschub gestattet hätte. Verzweifelt betrachtete sie Mandy und Klaus-Peter. Vermutlich brachte ihr diese Sprechstunde eine Rüge ein, aber sie konnte die Geschichte nicht noch einmal zu Ende anhören. Drei Mal hatte sie in den letzten zwanzig Minuten gehört, wie das namenlose Mädchen gezeugt worden war. Nicht noch einmal! Kapitulierend holte sie tief Luft und sagte: »Also gut, wenn Sie...«
Doch Mandy unterbrach ihren Redefluss nicht. »Man konnte sich ja nicht so doll bewegen, die Menschen ringsum schliefen vielleicht, oder auch nicht. Darum hat es länger gedauert als sonst. Ich dachte schon, das wird nichts, der arme Klaus-Peter wird am Ende so schlafen gehen müssen, also mit - ohne - äh - na Sie wissen schon. Das ist doch bestimmt unbequem, als Frau weiß man das ja nicht so genau. Dann kam ein lauter Gong durch die Lautsprecher wegen einer Durchsage oder so, und gleichzeitig war mein Klaus-Peter soweit. Mit dem Gong! Wahnsinn! Unter uns gesagt, wie ein Vulkan, mein Klaus-Peter, beim Gong...«
Die Standesbeamtin griff zu Formular und Stift. Wenn sie auch nur eine einzige weitere Minute zuhören musste, würde sie sich schreiend auf den Boden werfen und in die Auslegeware beißen. Dann schon lieber eine Rüge in den nächsten Tagen und eine Ungültigkeitserklärung der Urkunde von vorgesetzter Stelle. Damit konnte sich dann der Kollege nächste Woche herumärgern.
Sie atmete noch einmal tief durch und schrieb hinter Vorname des Kindes: Eyjafjallajökull.