Ich habe heute bereits ein bisschen meine Erinnerung an das eigene Werk aufgefrischt und dabei den Anhang angeschaut, den ich vor etwa acht Jahren zu dem Roman geschrieben habe. Das Nachwort, in dem ich erste Leseerlebnisse als Kind schildere, wird wohl die Bearbeitung nicht überleben. Diese Passage will ich jedoch nicht so sang- und klanglos ins Datennirvana schicken, sondern die Sache mit der Unmöglichkeit, eine Toilette zu besuchen, mir (und den Blogbesuchern, die trotz der Überschrift diesen Eintrag lesen) hiermit aufbewahren:
Manches in den Werken, die mir gut gefielen, störte mich dennoch. Bei der Lektüre der Abenteuerromane von Karl May hatte ich mich schon als Kind häufig gefragt, wie jemand tagelang gefesselt irgendwo verbringen konnte, ohne ein einziges Mal auf die Toilette zu müssen. Wenn er doch gemusst, aber laut der Erzählung nicht gedurft hatte - warum war dann nicht die Rede davon, dass er nach der Befreiung aus der Hand der Bösewichte die Kleidung wechselte? Stattdessen war der Held sofort bereit, sich feiern zu lassen oder neue Abenteuer zu bestehen. Ich hätte mich jedenfalls mit am Hintern festgetrocknetem Kot und dem beißenden Geruch von Urin im Schritt ungern von einem ganzen Indianerstamm hochleben lassen.
Man kommt, je nachdem wie aufmerksam und wie viel man liest, früher oder später dahinter, dass es in Büchern genau wie im Leben zugeht: Erstens wird nicht unbedingt die Wahrheit erzählt und zweitens wird manches weggelassen. Das Weglassen mag darin begründet sein, dass der Autor über den Sachverhalt nicht nachgedacht hat. Es mag auch daran liegen, dass er es dem Leser überlassen möchte, sich etwas auszumalen oder nicht.
Auch der Geschmack ändert sich, heute ist es nicht ungewöhnlich, in einem Buch, das man zweifellos zur gehobenen Literatur zählen kann, anschauliche Schilderungen der geschlechtlichen Vereinigung in zahlreichen Variationen zu finden. Noch vor sagen wir 30 Jahren war - in »anständigen Büchern« - höchstens die Rede davon, dass ein Paar sich in seine privaten Gemächer zurückzog...
Natürlich ist nicht jeder Besuch des Abortes erzählenswert – aber wenn der Held einer Erzählung mehrere Tage und Nächte an einen Marterpfahl gefesselt bleibt, dann interessierte es mich als Kind bereits durchaus, ob er eine Gelegenheit bekommt, sich zu säubern und die Kleidung zu wechseln, auch wenn der Vorgang nicht in Einzelheiten geschildert werden brauchte. Zumindest eine zeitliche Lücke in der Erzählung sollte vorhanden sein, damit ich mir sagen konnte: Ach ja, diese halbe Stunde hat Old Shatterhand (oder wer eben gerade der Held war) genutzt, um wieder präsentabel zu werden.
P.S.: Dieser kleine Text wird auch hier ganz ulkig kommentiert: Kurzgeschichten-Forum