...Ich fühle mich in meiner Gemeinde überhaupt nicht wohl. Es ist mir alles zu steif und zu unpersönlich, die Leute wirken fast schon unnatürlich auf mich. Darf man denn im Gottesdienst nicht lachen?In einer anderen Zuschrift war es so formuliert:
Es gibt hier am Ort auch andere Gemeinden, zum Beispiel die XXXXX*, da war ich mal zu Besuch und fand das eigentlich ganz toll. Na ja, nach einem Besuch kann man nicht viel sagen, aber die Leute schienen mir natürlicher, nicht so komisch steif und ernst. Aber jetzt hat mir jemand aus meiner Gemeinde abgeraten, weil in der XXXXX* ein Schwarmgeist verbreitet sei...
(* hier stand der Name der Gemeinde)
...Ich fühle mich als mündiger Christ und brauche keine Vermittler oder Bischöfe, denn ich habe eine persönliche Beziehung zu Gott und kann mit IHM direkt reden!Man kann die Kernfrage natürlich auf vielfältige Weise formulieren, diese zwei Ausschnitte aus Zuschriften sind nur exemplarisch. Welche Kirche oder Gemeinde ist die richtige?
Andererseits gefällt mir das emotionale Element in der Katholischen Kirche, zum Beispiel dass Weihrauch auch die Sinne anspricht...
Meine Antwort lautet in etwa so:
Ich bin überzeugt, dass es die perfekte Konfession beziehungsweise Gemeinde nicht gibt. Und wenn es sie gäbe, dann wäre sie in dem Moment, wo ich mich ihr anschließe, nicht mehr perfekt.Falls jemand meiner Leser die perfekte Kirche kennt, bitte ich um einen Tipp. Die muss ich mir unbedingt anschauen!
Wir haben es immer mit Menschen zu tun, und Menschen sind nun einmal nicht frei von Fehlern. Auch »geistliche Leiter« nicht. Dazu kommt, dass über 2000 Jahre alles mögliche und unmögliche an Traditionen, Auslegungen, Erfahrungen und - leider - Machtstrukturen entstanden ist.
Ich kann einen katholischen Gottesdienst mit genausoviel Gewinn besuchen wie eine freikirchliche Versammlung, kann andererseits aus einer charismatischen Gemeinde genauso unberührt und unverändert nach Hause gehen wie aus einer evangelischen Kirche. Wenn ich Gott suche, mich nach seiner Nähe sehne, dann kann er mir (und wird er mir) begegnen. Dazu braucht er kein bestimmtes frommes Umfeld.
Das heißt nun nicht im Umkehrschluss, dass das fromme Umfeld eine Begegnung mit Gott ausschließen würde. Beides ist möglich: Jesus hat sowohl in den Synagogen den Menschen gedient, als auch in der Wildnis. Paulus hat auf Marktplätzen gepredigt und in den Häusern der Gläubigen. Schon im Alten Testament konnten Menschen Gott im Tempel genauso begegnen wie in einem brennenden Busch.
Bei der Gemeindewahl spielt eine Menge persönlicher Geschmack eine Rolle. Mancher mag den Weihrauch und andere Bestandteile der katholischen Messe, andere Menschen bevorzugen alles, was schmucklos und schlicht ist. Evangelische Christen betonen gerne das Wort, charismatische sind hinter Gefühlen her. Ich finde es wichtig, dass man sich in der jeweiligen Form der Gemeinschaft mit anderen Christen wohl fühlt. Man wird vermutlich immer etwas finden, was nicht deckungsgleich mit den eigenen Vorstellungen ist, in welcher Kirche oder Gemeinde man auch sein mag. Ich muss manchmal den Kopf schütteln, wenn ich in »meiner« Gemeinde bin, einiges geht mir geradezu gegen den Strich, aber im großen und ganzen fühle ich mich am richtigen Platz.
In Großstädten gibt es meist für jeden Frömmigkeitsstiel eine passende Gemeinde oder Kirche, von der feierlichen Messe bis zur Hausgemeinde, vom Gottesdienst in der Kneipe bis zum Dom. Man kann Kirche ausgelassen afrikanisch erleben, oder feierlich russisch-orthodox. Die einen verharren in stiller Kontemplation, die anderen hüpfen wild zu lauter Rockmusik herum, wenn sie Jesus anbeten.
In ländlichen Gegenden, in denen ich ja auch schon gelebt habe, ist das Angebot wesentlich beschränkter, aber Gott lässt sich überall finden. Und er fragt nicht danach, an welche Organisation wir Kirchensteuern oder Spenden entrichten, welche Konfession auf unserer Taufkarte steht...
Es schadet nichts, sich in verschiedenen Kirchen und Gemeinden umzuschauen. Wichtig finde ich, dass man überhaupt irgendwo Gemeinschaft und Austausch mit anderen Christen pflegt. Welches Etikett da jeweils draufklebt, ist eher zweitrangig und vor allem eine Geschmacksfrage. Aber wir brauchen alle Korrektur durch andere, sollten die Bibel kennen lernen, indem wir uns darüber austauschen und nicht ohne Grund heißt es: »Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.« Gemeinschaft ist wichtig.