Donnerstag, 5. April 2012

Aufzeichnungen nach dem Krankenhaus /// Teil 1

Zunächst, liebe Leser, ein paar aktuelle Fakten: Die schriftlichen Befunde liegen bis heute nicht vor. Ich habe nachher einen Termin beim Hausarzt, an den sie geschickt werden sollen - vielleicht ist ja heute was angekommen. Bisher weiß ich also nicht, wie es weiter geht, denn das hängt alles von der Histologie ab.

Es geht mir zu Hause Tag für Tag besser, in winzigen Schritten zwar, aber doch für mich deutlich sichtbar. Ich kann inzwischen bei mittags reduziertem Morphin völlig auf zusätzliche Schmerzmittel verzichten, zum Beispiel. Ich kann länger sitzen und durch die Wohnung laufen als vor ein paar Tagen, zum Beispiel. Die wunderhübsche Operationsnarbe sondert weniger Flüssigkeit nach außen ab als gestern und vorgestern, zum Beispiel.

Einige Leser haben via Facebook ihre Ungeduld bezüglich dessen zum Ausdruck gebracht, was denn nun in jener ersten Nacht auf der Intensivstation vorgefallen ist. Bitteschön, hier der Bericht:

Die akzidentelle Entfernung

Im Arztbericht liest sich das, was in dieser Nacht geschah, so:

… erfolgte die weitere Behandlung auf der Intensivstation. Dort kam es zu einer akzidentellen Entfernung der Entlastungssonde, die am Folgetag neu angelegt wurde.

Der Pfleger sah die ihm unbekannte Sonde samt Auffangbeutel, der sich eher langsam füllte. Er wusste aber offenbar nicht, was es mit der Vorrichtung auf sich hatte, dass mir diese Sonde nicht ohne Risiken vor wenigen Stunden gelegt worden war, um den Darm oberhalb der Tumore zu entleeren und mir auf diesem Wege wenn irgend möglich einen künstlichen Darmausgang zu ersparen und das Reißen der Darmwand zu verhindern. Natürlich hätte der Pfleger all das in der elektronischen Krankenakte, die auf der Intensivstation direkt neben dem Bett per PC abrufbar ist, nachlesen können. Müssen. Natürlich hätte er einen Arzt fragen müssen, wenn er etwas nicht verstand oder zuordnen konnte. Wäre ich so weit bei Bewusstsein gewesen, dass ich mitbekommen hätte, was der Pfleger tut, hätte ich natürlich Zeter und Mordio geschrien, energisch Einhalt geboten. Es kam aber anders.

image Der Pfleger hatte wohl irgendwann irgendwo gelernt, dass es für den Patienten angenehmere Ableitungen bei Darminkontinenz gibt als Sonden mit Schläuchen. Also entfernte er die Sonde und brachte statt dessen irgend eine andere Vorrichtung am Darmausgang an, die selbstverständlich völlig überflüssig war, da der Darm unterhalb der Krebsgeschwüre ja seit Tagen restlos leer war.

Im weiteren Verlauf der Nacht stieß der Pfleger dann auf den blinkenden Hinweis auf meinem Monitor: „Darmsonde spülen mit 200 ml NACL“. Erst jetzt wurde er stutzig, schaute sich die Krankenakte an und murmelte vernehmlich so etwas wie „ach du Scheiße“. Dann ging er zum Telefon und rief den diensthabenden Arzt an.

Die Aufregung an meinem und um mein Bett war groß. Einen gehörigen Teil bekam ich mit, was draußen vor der Tür geredet wurde, natürlich nicht. Der Arzt rief – es war 4 Uhr – meinen Chirurgen zu Hause an, erklärte den Sachverhalt, hörte zu und rief dann die Spezialisten der Abteilung an, auf der die Sonde Stunden zuvor gelegt worden war, um den frühestmöglichen Termin für einen zweiten Versuch zu vereinbaren. Derweil unterzog die Stationsschwester der Intensivabteilung den Pfleger einem Verhör, das von einer weiteren Schwester dokumentiert wurde. „Zum Wohle des Patienten … für ihn angenehmere Variante … erst zu spät in die Krankenakte geschaut“.

Am Morgen kurz nach acht Uhr wurde ich dann wieder eingeschläfert für den nun noch riskanteren zweiten Versuch, die Darmentlastungssonde einzuführen und zu fixieren. Selbstverständlich hatte ich in alle Risiken erneut eingewilligt, denn wenn mir irgend eine Vorstellung grauenhaft war, dann die des künstlichen Darmausganges für vier bis sechs Monate. Danach, so war mir versichert worden, könne man mit einer zweiten Operation den natürlichen Darmausgang wieder aktivieren, was in fast allen Fällen auch gelänge. Aber das wollte ich auf keinen Fall.

Um es kurz zu machen: Die zweite Sonde konnte am 18. März 2012 vormittags eingeführt, an die richtige Stelle gebracht und fixiert werden. Gott sei Dank ohne irgendwelche Schäden an der Darmwand.

 

Die folgenden Tage bewiesen mir, wie recht die Ärztin gehabt hatte, als es um die Magensonde ging. „Glauben Sie mir, das, was Sie womöglich in den nächsten Tagen über den Magen abführen, möchten Sie nicht im Mund haben. Da ist die Magensonde das kleinere Übel“, hatte sie gesagt. Denn der seit vielen Tagen oberhalb des Darmverschlusses gestaute Kot, den der Körper unbedingt loswerden wollte und musste, floss nicht nur durch die Sonde im Darm ab, sondern zunehmend über den Magen. Zweimal täglich wurden mir zusätzlich sehr aggressive Abführmittel über die Infusion verabreicht. Ich wusste, was mich danach jeweils erwartete. Beide Sonden schafften die Mengen nicht, ich erbrach literweise Kot. Die Details erspare ich mir an dieser Stelle, die vergesse ich garantiert nicht. Das Erbrechen und Würgen dauerte jeweils etwa 30 Minuten an, danach hatte ich Schüttelfrost, war klitschnass geschwitzt und so erledigt, dass ich vom Bett frisch beziehen und Nachthemd wechseln samt Wäsche nicht viel mitbekam.

Zur Besuchszeit war ich manchmal so geschwächt durch diese notwendigen Torturen, dass mir, obwohl ich gerne Eva, der besten aller Ehefrauen, manches erzählt hätte und manches erfragen wollte, die Augen zufielen. Aber das war zum Glück nicht immer der Fall.

Die Ärzte vermuteten aufgrund meiner Laborwerte und anderer Befunde inzwischen zusätzlich eine Bauchfellentzündung, daher wurden mir zu den anderen Medikamenten ab dem 19. März Antibiotika verabreicht. Das nahm ich aber eher am Rande zur Kenntnis, es schien mir nicht weiter besorgniserregend, die – wie ich inzwischen wusste – zwei Tumore belasteten meine Gedanken und Gefühle mehr.

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