Jeder, der jung und gesund ist und keine Angehörigen zu betreuen hat, muss zumutbare Arbeiten annehmen - sei es in Form von gemeinnütziger Arbeit, sei es im Berufsleben, sei es in Form von Weiterbildung. -Guido WesterwelleWer Schlagzeilen will, muss provozieren. Das ist nicht neu. Das gehört zur Grundausstattung des politischen (und journalistischen) Handwerks. Guido Westerwelle weiß mit seinem Handwerkszeug umzugehen.
In der Debatte über seine Äußerungen wurde in den letzten Tagen vor allem deutlich, dass die Mehrheit der Journalisten und zum Teil auch der Politiker sich nicht die Mühe gemacht haben, das Interview überhaupt zu lesen, mit dem Westerwelle den Trubel ausgelöst hat. Genauso wenig haben die meisten, die sich zum anderen »Skandal« unserer Tage äußern, das Interview gelesen, das Bischof Mixa gegeben hat.
Es genügt ja, einen oder zwei Sätze aus ihrem Zusammenhang herauszulösen und dann loszuwettern. Das Volk wird schon glauben, dass Mixa / Westerwelle tatsächlich gesagt und gemeint haben, was man ihnen da unterstellt.
Das Muster ist nicht neu. Eva Hermann benutzt das Wort Autobahn, der Papst will eine Weltautorität installieren... - so löst man Skandale und Schlagzeilen aus, treibt die Auflage der Zeitung in die Höhe und stellt sich selbst als untadeliges Vorbild in den Mittelpunkt.
Klar ist, dass unser Sozialstaat so wie er jetzt aussieht nicht mehr allzu lange funktionieren wird. Man müsse die Schwachen vor den Faulen schützen, meint Westerwelle. Denn nur ein Sozialsystem, das finanzierbar ist, kann den Schwachen beistehen. Ich wüsste nicht, was an dieser Meinung verkehrt sein soll.
Als mir keine »zumutbare« Arbeit zur Verfügung stand, habe ich über mehrere Jahre in Hochhaussiedlungen Heizkostenverteiler montiert und abgelesen, in Biergärten Tische abgeräumt und Bierkrüge geschleppt, als ungelernter Packer Maschinen versandfertig gemacht und als angelernter Spritzlackierer Geräte mit giftigen Lacken eingesprüht. Mir waren solche unzumutbaren Tätigkeiten lieber, als vom Staat Geld zu beziehen. Gleichzeitig habe ich in den Abendstunden fehlende Qualifikationen erworben, um meine Chancen auf zumutbare Jobs zu verbessern.
Als ich einige Jahre später schwer erkrankte und wirklich nicht arbeiten konnte, habe ich mit gutem Gewissen Geld aus der Solidargemeinschaft angenommen, bis ich wieder in der Lage war, den Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Die Starken haben in dieser Zeit mir, dem Schwachen, ein menschenwürdiges Leben ermöglicht.
Was ist zumutbar? Darüber wird nun heftig debattiert. Vielleicht hat so mancher andere Vorstellungen als ich, aber ich gebe Herrn Westerwelle in diesem Punkt recht. Ich würde sogar das »zumutbar« in Frage stellen. Die »unzumutbaren« Arbeiten, die ich über Jahre ausgeübt habe, haben mir keinen Schaden zugefügt.
Aber das darf man vermutlich nicht laut sagen, heutzutage?