Für die Zeitschrift »Die Gemeinde«, das ist die offizielle Zeitschrift der deutschen Baptisten mit einer Auflage von 5.500 Stück, schrieb ich kürzlich diesen Artikel, der in der Ausgabe 02/2014 erschienen ist. Meinen Blogbesuchern darf ich ihn nun auch hier präsentieren, mit freundlicher Genehmigung des Verlages.
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Diagnose Krebs
Vom Umgang mit der Krankheit
»… mir wird nichts mangeln … fürchte ich kein Unglück …« - mit ehrlicher und fester Überzeugung konnte ich den Psalm 23 oder andere vergleichbare Bibeltexte sprechen und beten, solange die Gesundheit stabil und das eigene Sterben irgendwo in weiter Ferne schien. Doch als ich im März 2012 erfuhr, dass ich an Darmkrebs im Stadium 3 litt, war es auf einen Schlag vorbei mit dem »nichts mangeln« und der Furchtlosigkeit vor jeglichem Unglück. Ich fürchtete mich sehr und der Mangel an Gesundheit war unübersehbar.
Dennoch wäre es verkehrt, rückblickend alles schwarz zu malen und von totaler Hoffnungslosigkeit zu reden. An vielen Punkten habe ich seither erlebt, dass ich trotz meines Unglücks nicht ohne einen guten Hirten unterwegs bin. Ich schreibe diese Zeilen im Januar 2014 – bin also 22 Monate nach der Diagnose noch am Leben. Wie viel Zeit mir auf dieser Welt bleibt, ist ungewiss – aber immerhin: Ich lebe noch.
Am 14. März 2012 war ich morgens ganz normal aufgestanden, um mich für den Tag im Büro fertig zu machen. In den Tagen zuvor hatte ich hin und wieder Schmerzen und Übelkeit verspürt, es kam auch zu Schluckauf und Aufstoßen – alles Symptome, die mich Anfang Februar schon einmal zum Arzt, zur Klärung der Ursachen in ein Krankenhaus gebracht und dort zu der Diagnose Divertikulitis (Entzündung in der Darmschleimhaut) geführt hatten. Da die Symptome nun weniger stark waren, war ich kaum beunruhigt. Ich war überrascht, als ich plötzlich mehrmals erbrechen musste, weil keine Übelkeit vorangegangen war – die kam und blieb erst danach.
Mein Hausarzt war nicht in der Praxis, seine Vertretung erklärte mir nach der Untersuchung, mich habe wohl der zu jener Zeit grassierende Magen-Darm-Virus erwischt. Falls es nicht besser würde, sollte ich allerdings umgehend ein Krankenhaus aufsuchen.
Das geschah dann am 15. März, ich hatte solch böse Krämpfe bekommen, dass ich nicht mehr gehen und stehen konnte.
Plötzlich steht alles still, was so lange und so ungehindert in Bewegung war, auf einmal ist alles Wichtige vollkommen nebensächlich und was im Alltag so gut wie keine Beachtung fand, ist mit einem Schlag entscheidend wie nichts anderes. Das Überleben der nächsten Stunden und Tage rückt nach vorne, alles andere verschwindet im Nebel der Bedeutungslosigkeit.
Ich lag auf der chirurgischen Station, die Darmoperation lag drei Tage zurück, als ich diese Zeilen aufschrieb. Zwei aprikosengroße Tumore waren zusammen mit einem Stück Zwerchfell, etwas über der Hälfte des Dickdarms und ein paar schon vom Krebs befallenen Lymphgefäßen aus meinem Körper herausgeschnitten worden.
Ich notierte in der Woche nach der Operation, soweit meine Kräfte (und die ziemlich starken Schmerzmittel) es zuließen, Empfindungen und Gedanken, was ich nicht vergessen, woran ich mich später erinnern wollte, wofür ich dankbar und froh war.
Was mir Mut machte, Kraft zum Durchhalten schenkte, war und ist an erster Stelle meine Frau.
Der tägliche Besuch von Eva, so traurig und entkräftet sie auch aussieht, gibt mir Kraft und Mut und Entschlossenheit: Ich will durchhalten. Diese Stunden mit ihr an meinem Bett sind so unschätzbar wertvoll, um nicht zu verzweifeln. Ich würde ihr gerne mehr erzählen, fragen, reden – doch alle paar Minuten fallen meine Augen zu … sie ist trotzdem da, hält meine Hand und Liebe strömt in mich hinein,
schrieb ich auf.
Oder auch diesen Absatz:
Wertvoll sind die Besuche meines Pastors Martin, der zuhört, keine theologischen Patentrezepte aus der Tasche zieht, der zugibt, dass er Gottes Handeln oder Nichthandeln nicht immer verstehen kann. Der für mich am Bett betet. Selbst kann ich nicht glauben oder beten, sondern mich nur gegen die Mutlosigkeit sträuben. Es tut trotzdem (oder deshalb?) ungeheuer gut, dass Martin für mich an höchster Stelle vorspricht, samt der ganzen Gemeinde.
Es dauerte einige Monate, bis ich selbst wieder zaghaften Glauben verspüren und Gebete ehrlich formulieren konnte.
Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus folgten eine dreiwöchige Rehabilitationsmaßnahme und dann eine Chemotherapie. An einigen Schäden, die durch die hoch dosierten Zytostatika verursacht wurden, leide ich bis heute. Der gesundheitliche Vorteil dagegen lässt sich kaum schätzen – je nach statistischem Modell verbessern sich die Chancen auf Heilung vom Krebs um 10 bis 15, nach anderen Berechnungsarten 3 bis 5 Prozent. Da jedoch niemand feststellen kann, ob einzelne Krebszellen im Körper unterwegs waren oder nicht, sind all die Zahlenspiele hypothetisch.
Aber weil ich nichts unversucht lassen wollte, willigte ich in der Hoffnung, dass der Krebs mich nicht wieder heimsuchen würde ein, und mein Körper wurde bis zum November 2012 mit Oxaliplatin und Xelox malträtiert.
Bis zum September 2013 sah es so aus, als hätte ich den Kampf gewonnen. Ausgerechnet an meinem 58sten Geburtstag mussten meine Frau und ich dann aber eine bittere Diagnose zur Kenntnis nehmen: Zwei Lebermetastasen.
In einer solchen Situation reagiert vermutlich jeder Mensch anders. Bei mir setzte zuerst eine Art gedankliche Schockstarre ein – als beträfe die Diagnose nicht mich: Das muss ein Irrtum sein. Das ist eine Verwechslung. Bis zum Begreifen dauerte es eine Weile.
Ein paar Tage nach der Diagnose zog ich Bilanz:
- Ich weiß, dass mein Vater im Himmel Krankheit heilen kann, mit oder ohne Zutun von Ärzten.
- Ich weiß aber auch, dass Gebet und Flehen und Fasten manchmal nichts gegen tödliche Krankheiten bewirken.
- Ich kann mir anhaltende Gesundheit nicht erarbeiten und nicht erkaufen, aber hoffen und beten, dass mir noch viele Jahre Leben geschenkt werden.
- Ich kann bis zum Ende, ob bald oder später, jeden Tag bewusst und dankbar leben und genießen.
Inzwischen habe ich auch die Leberoperation hinter mir und bin wieder einigermaßen bei Kräften. Welche Ergebnisse ich bei den nächsten Untersuchungen hören werde, ist offen – neue Metastasen oder keine Spur davon.
Es geht meinem Glauben heute ungefähr so, wie der Vater empfunden haben mag, der sein todkrankes Kind zu Jesus brachte und dann schrie: »Ich glaube; hilf meinem Unglauben!« (Mark. 9,24) Es ermutigt mich zu lesen, dass Jesus damit zufrieden war.
Wer mehr über mein Empfinden, mein Glauben und Zweifeln, meine wunderbaren und schlimmen Erlebnisse seit der Krebsdiagnose wissen möchte, kann ausführlich nachlesen unter http://tinyurl.com/q7socqp - dort berichte ich in unregelmäßigen Abständen.
Lesern dieser Zeitschrift, die Eva und mich in ihre Fürbitte einschließen, danke ich sehr!
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Mehr zur Zeitschrift hier: [Oncken Verlag – Die Gemeinde]
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