»Ich klaue bei IKEA diese kleinen Bleistifte, die finde ich so herrlich. Wenn ich zu IKEA gehe, nehme ich nicht nur einen, sondern immer fünf, und damit schreibe ich. Die hab ich neben dem Bett, neben dem Schreibtisch und in allen Taschen.« -Elke Heidenreich
Der Bleistift ist ja seit dem 18. Jahrhundert kein solcher mehr, da die Mine nicht aus Bleierz, sondern aus einem Graphit-Ton-Gemisch hergestellt wird. Eigentlich handelt es sich um Etikettenschwindel, doch darüber sei hier gnädig hinweg gesehen, denn es soll ja nicht um das Schreibwerkzeug an und für sich gehen, sondern darum, welche Zeilen entstanden, als ich neulich einen alten, vergilbten Block unbekannter Herkunft und einen Bleistift der Marke Staedtler 123 60 2 HB, übrigens keineswegs bei IKEA geklaut, zur Hand nahm:
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Ein Bleistift und ein vergilbtes Blatt, kariert, von einem Block abgetrennt. Die Handschrift, die in Zeiten der omnipräsenten Tastaturen fast in Vergessenheit gerät. Kann denn aus solchen Zutaten etwas entstehen, wachsen, sich entwickeln?
Gedanken, die zurück eilen in der Zeit: Die ersten Schreibversuche abseits des schulischen Pflichtprogramms, seinerzeit natürlich ohne maschinelle Mittel. Unbeholfene Versuche, Empfundenes in Schrift zu fassen. Peinliche Entgleisungen ins Kitschige und Banale. Ab und zu jedoch Zufriedenheit mit zu Papier gebrachten Zeilen. Jedoch: verstanden nur von mir; das familiäre Publikum lediglich freundlich Beifall zollend, man darf und soll ja Kindern nicht die Freude an kreativem Tun rauben.
Dann pubertäre Wortergüsse, sie gingen einher mit heimlichen Ergüssen körperlicher Art. Uneingestandenes Verliebtsein, denn Eingeständnis birgt Zurückweisung und Enttäuschung. Schreiben statt dessen, die Phantasie beflügelt von Hormonen. Die Ergebnisse des Schreibens blieben streng geheim, gehütet unter Büchern im Regal, getarnt, verborgen von Hemmingway und Böll, durchaus auch May.
Ein neues Blatt, der Stift frisch angespitzt. Wie damals, als es noch Buntstifte gab, mit denen in der Schule zu zeichnen und zu Hause zu malen ein Vergnügen war. Die Ergebnisse noch weniger präsentabel als das meiste Geschriebene. Zum Maler oder Zeichenkünstler, das war mir bald klar, taugte ich nicht.
Und heute nun, so viele Jahre später, höre ich wieder das Geräusch der Mine, wenn sie auf dem Block ihre Spuren hinterlässt. Ein ganz und gar mit dem Klackern der Tastatur unvergleichbares Geräusch. Es hat etwas Heimliches, Verschworenes, Sinnliches. Ob öfter mal der Bleistift zur Hand genommen werden sollte? Wie damals, als die Notizen und Entwürfe so entstanden – um später mit der Schreibmaschine abgeschrieben zu werden. Und dann der erste Erfolg, als der »Tropfenfänger«, die Schülerzeitung des Gymnasiums, die erste Kurzgeschichte abdruckte.
Meine Erzählung, in einer Auflage von 500 gedruckt! Anerkennung von Schulfreunden, aber auch von Fremden. Nachdruck dann in einem lokalen Anzeigenblatt, das wohl um Inhalte neben der Reklame arg verlegen war. Das erste Honorar: 20 Mark.
Am Anfang war der Bleistift, am Anfang war der Block. Der Bleistift sprach zum Block: Es werde eine Geschichte! Der Block antwortete: Nur zu! Ich musste nur die Mine führen, der Rest ging wie von selbst.
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Sollte ich wohl öfter zum Bleistift greifen? Was meinen denn die hoch geschätzten Blogbesucher?