Montag, 28. Januar 2008

Robert Löhr: Das Erlkönig-Manöver

»Schlag mir ein paar Eier in die Pfanne und Speck dazu. Ich bin hungriger als Schwager Kronos. - Wo ist mein Sohn?«
»August ist im Garten und baut einen Mann aus Schnee.«
»Schick ihn zu Schillern. Er soll augenblicklich kommen, und wenn ihn darob die Inspiration verlässt!«
»Die Inspiration für einen Schneemann?«
»Nicht doch August, du Schaf! Ich rede von Schillern.«
»Das Erlkönig-Manöver« mit dem Untertitel »Historischer Roman« ist ein verschmitztes Stück erstklassiger Literatur. Die Handlung ist so hanebüchen, dass schon die Idee an und für sich Vergnügen verheißt: Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Achim von Arnim, Bettine Brentano, Heinrich von Kleist und Alexander von Humboldt brechen im Februar 1805 auf, um einen prominenten Gefangenen aus dem Kerker im französisch besetzten Mainz zu befreien. Nun kann man eine solche famose Idee natürlich so oder so umsetzen...
Robert Löhr, der Autor dieser haarsträubenden Geschichte, erweist sich glücklicherweise als Meister der Sprache, dem es souverän gelingt, sprachliche Wendungen und Eigenheiten aus der Zeit um 1800 mit Zitaten aus den Werken der Helden seiner Erzählung zu einem so vergnüglichen, fesselnden und immer wieder mit unerwarteten Wendungen in der Handlung überraschenden Buch zu verweben, wie ich selten eins gelesen habe. Es wäre fatal für potentielle Leser, hier nun die Handlung zu umreißen - ich möchte niemanden um die Spannung bringen, die ihn erwartet, wenn er sich der Reisegruppe anschließt und mit ihr durch dick und dünn, Gefechte und Gelage, Erotisches und Idiotisches geht. Nur so viel: Meist geschieht keineswegs das, was der Leser erwarten (oder befürchten) würde...
Vor allem die Dialoge (mit Stückzitaten versetzt und von aberwitzigem Pathos durchzogen) sind es, die mir ob meines Kicherns während der Lektüre einige amüsiert-irritierte Blicke von der besten aller Ehefrauen (die in Ruhe ein wohl weniger mit Humor gewürztes Buch lesen wollte) eingebracht haben.
Die beiden liefen hinunter bis zum Fluss, aber Schiller setzte keinen Fuß aufs Eis.
»Tod und Verdammnis!«, schimpfte er. »Die Ilm.«
»Wohlan, überqueren wir sie.«
»Von Herzen Dank, aber ich übergebe mich lieber dem Lumpenpack als den Fischen.«
»Es ist Februar. Gehen Sie nur, das Eis wird uns tragen.«
»Ihr Wort darauf?«
»Gehen Sie nur, ich gebe Ihnen mein Wort«, erwiderte Goethe.
»Der Himmel bewahre mich vor Ihrer Narrheit. - Alter vor Schönheit.«
Ohne zu zögern, setzte Goethe seinen Stiefel aufs Eis, und wiewohl es hohl unter seiner Sohle knackte, hielt die verschneite Eisfläche seinem Gewicht stand. Schiller säumte bis zuletzt, aber als die Jäger auf keine zehn Schritte herangekommen waren, folgte er Goethe.
...
Er zeterte wie ein Besenbinder, bis ihn Goethe vom Eise befreit hatte.
»Sie gaben mir Ihr Ehrenwort, dass ich nicht einbreche!«
»Ich habe mich offensichtlich geirrt. Aber wir sind in Sicherheit.«
Nach 360 Seiten herrlichen Lesevergnügens habe ich das Buch zufrieden schmunzelnd aus der Hand gelegt. Robert Löhr hat mich auf keiner einzigen Seite gelangweilt, und ich freue mich auf hoffentlich viele weitere Bücher von diesem Autor.
Nebenbei habe ich gelernt, wie ich als Autor angemessen mit Kritikern umzugehen habe. Goethe erklärt Kleist, dass er dessen Lustspiel »Der zerbrochene Krug« nicht zu inszenieren gedenkt. Und daraufhin:
»Sie wollen ihn am Weimarer Theater nicht geben?«
»Eher nicht. Es tut mir leid, aber der erste Undank ist besser als der letzte, nicht wahr?«
»Nur wird dieser erste auch ihr letzter sein«, sagte Kleist und spannte den Hahn.
»Du willst ihn doch nicht ermorden?«, fragte Schiller.
»In der Tat, das bin ich sehr gesonnen.«
Goethe schüttelte verständnislos den Kopf. »Heinrich, mir graut's vor dir.«
»Die Welt hat nicht Raum genug für mich und Sie«, sagte Kleist, und warf die zweite Waffe Goethe in den Schoß. Der Griff war rot vom Blut des Kaninchens. »Da, nehmen Sie diese Pistole.«
»Weshalb?«
»Wir klären im Duell, wer von uns beiden nicht länger verdient, auf dieser Erde Rund zu wandeln.«
»Sie sind gefühlsverwirrt.«
»Nehmen Sie diese Pistole, sag ich!«
»Herrje, nun seien Sie doch nicht so tassohaft-sensibel, wenn man Ihre Argumente nicht gelten lässt.«
»Soll ich's Ihnen zehnmal und wieder zehnmal wiederkauen? Nehmen Sie die Pistole, Sie Brandstifter!«
»Wenn ich ein Leid habe, mache ich ein Gedicht daraus. Sackerlot, wenn ich auf jeden schösse, der mich kritisiert, Weimar hätte bald keine Bürger mehr.«
Ein weiteres Mal hob Kleist die Pistole an, so dass Goethe direkt in den Lauf sehen konnte.
Nun stellt sich mir die Frage: Woher bekomme ich eine Pistole? Nein, zwei Pistolen, denn wie Kleist möchte ich ja potentiellen Kritikern meiner Werke durchaus Gelegenheit geben, sich im fairen Duell zu verteidigen...

Mein Fazit: Unbedingt lesen! Ein intelligentes, spannendes und dabei noch so amüsantes Buch darf sich kein Freund der Literatur entgehen lassen.