Manche Erzählung bleibt jahrelang unveröffentlicht, andere kommen relativ schnell aus der (virtuellen) Schublade, weil meine Bearbeitung mir (zum jeweiligen Zeitpunkt) »fertig« scheint. Und dann wird - manchmal schon Minuten später - doch wieder gefeilt, geschrubbt und poliert...
Nun will ich anlässlich des Erscheinens von »Liebe und Alltag« den geneigten Lesern einen direkten Vergleich zwischen zwei Versionen gestatten, und zwar anhand der kurzen Kneipenszene, die »Linda« heißt, obwohl Linda schon längst weg ist.
Die zweite geschriebene Version stellte ich seinerzeit (auch hier) vor, die vorangegangene erste verdiente es noch nicht, fremden Augen präsentiert zu werden. Nach der Blog- und Forumveröffentlichung gab es mit der dritten Version einen Zwischenstand, und schließlich für das Buch die vierte Version.
Linda - Version 2 vom 15. Dezember 2008
»Jemand sollte Linda aufhalten«, murmelte einer in unser Gruppe am Tresen. »Sie hat eine Pistole in der Handtasche und ist auf dem Weg zu ihrem Verlobten.«
Linda war schon durch den Ausgang der Bar verschwunden. Keiner von uns bewegte sich, obwohl wir wussten, dass wir etwas hätten unternehmen sollen. Oder rechtzeitig den Schnabel halten, aber niemand hatte bemerkt, dass Linda in die Bar gekommen war, und wir plauderten unbekümmert miteinander.
Eigentlich war das Gespräch nur zufällig darauf gekommen, dass Lindas Verlobter mit Jenny geschlafen hatte. Haben sollte. Eventuell. Keiner wußte etwas, alle mutmaßten und ein Wort gab das andere, wie es eben so ist, wenn man an der Bar sitzt und schon ein paar Bierchen intus hat.
Jetzt war Linda wieder weg.
»Er weiß ja noch nicht einmal, dass sie auf dem Weg zu ihm ist«, meinte ich, »sie klopft an die Tür und peng!«
»Was ist nur aus dieser Welt geworden…«, sagte der ältere Herr mit der braunen Mütze, von dem keiner so recht wusste, wer er war. Er saß so gut wie jeden Abend in der Bar, wie wir alle.
Mein Vater hatte mir immer gesagt, dass zwischen Liebe und Hass nur eine hauchdünne Grenze existieren würde. Ist die erst einmal überschritten, gibt es kein zurück mehr. Vielleicht stand ich deshalb nicht auf, um Linda zu folgen, nahm ich deshalb nicht das Telefon in die Hand, um ihren Verlobten zu warnen.
»Früher«, sagte Jack, »gab es noch Treue. Heute gilt das alles nichts mehr. Man kann gar nichts machen.«
»Das geht nicht gut aus«, mutmaßte Paul. Paul meinte immer, er sei eben Realist, wir hielten ihn für einen unverbesserlichen Pessimisten. »Ich habe da ein ganz böses Gefühl, der Typ sollte auf der Hut sein, Linda hat eine Knarre und Linda ist stinksauer.«
Ich entgegnete: »Warum muss er auch mit Jenny rummachen, er hat ja die Kiste der Pandorra selbst geöffnet!«
»Jemand sollte Linda aufhalten«, murmelte wieder einer, ich glaube, es war Jack. Seine Stimme klang aber nicht so wie sonst. So, als kämpfte er mit den Tränen. Ausgerechnet unser harter Jack!
Paul meldete sich wieder zu Wort, nachdem er sein Glas in einem Zug geleert hatte: »Es sind immer die Frauen, die den Männern zum Verhängnis werden.«
»Simson wegen Delilah, Ahab wegen Jezebel, König David wegen Bathseba«, stimte ich zu. Ich gab gerne mit meiner Bildung ein bisschen an. Die anderen kannten das nicht anders.
Paul nickte: »Und steckte nicht auch eine Frau dahinter, als Johannes der Täufer geköpft wurde?«
»Linda hat geweint«, sagte die tränenschwangere Stimme. Es war tatsächlich Jack. »Die ganze Schminke verschmiert, und sie hat sich noch nicht einmal das Gesicht gewaschen, ist einfach losgestürmt. Hat in ihre Handtasche geschaut, die Pistole halb rausgezogen, wieder reingesteckt und weg war sie. Jemand sollte Linda aufhalten!«
Ich ergänzte: »Eine Beretta, sie hat eine Beretta.«
Wir nickten, alle, glaube ich. Der Wirt stellte volle Gläser auf den Tresen.
Ich trank einen großen Schluck.
Sandra quetschte sich zwischen mich und Paul. »Hast du schon was vor?«, fragte sie mich.
»Wie, vorhaben?«
»Na ja, ich würde jetzt nach Hause gehen und bin so alleine.«
»Lass mich noch austrinken, dann gehen wir«, meinte ich und legte ihr den Arm um die Schultern.Linda - Version 4 vom 21. Dezember 2008
»Jemand sollte Linda aufhalten«, murmelt einer in unser Gruppe am Tresen. »Sie hat eine Pistole in der Tasche und ist auf dem Weg zu ihrem Verlobten.«
Linda ist schon durch den Ausgang der Bar verschwunden. Keiner von uns bewegt sich, obwohl wir wissen, dass wir etwas unternehmen sollten. Wir hätten rechtzeitig den Schnabel halten müssen, aber niemand hatte bemerkt, dass Linda in die Bar gekommen war, und wir plauderten unbekümmert miteinander.
Eigentlich war das Gespräch nur zufällig darauf gekommen, dass Lindas Verlobter mit Jenny geschlafen hatte. Haben sollte. Eventuell. Keiner wusste etwas, alle mutmaßten und ein Wort gab das andere, wie es eben so ist, wenn man an der Bar sitzt und schon ein paar Bierchen intus hat.
Jetzt ist Linda wieder weg.
»Er weiß ja noch nicht einmal, dass sie auf dem Weg zu ihm ist«, meine ich, »sie klopft an die Tür und peng!«
»Was ist nur aus dieser Welt geworden…«, sagt der ältere Herr mit der braunen Mütze, von dem keiner so recht weiß, wer er ist. Er sitzt so gut wie jeden Abend in der Bar, wie wir alle.
Mein Vater hatte mir immer gesagt, dass zwischen Liebe und Hass nur eine hauchdünne Grenze existieren würde. Ist die erst einmal überschritten, gibt es kein zurück mehr. Vielleicht stehe ich deshalb nicht auf, um Linda zu folgen, nehme ich deshalb nicht das Telefon in die Hand, um ihren Verlobten zu warnen.
»Früher«, sagt Jack, »gab es noch Treue. Heute gilt das alles nichts mehr. Man kann gar nichts machen.«
»Das geht nicht gut aus«, mutmaßt Paul. Paul meint immer, er sei eben Realist, wir halten ihn für einen unverbesserlichen Pessimisten. »Ich habe da ein ganz böses Gefühl, der Typ sollte auf der Hut sein, Linda hat eine Knarre und Linda ist stinksauer.«
Ich entgegne: »Warum muss er auch mit Jenny rummachen, er hat ja die Kiste der Pandora selbst geöffnet!«
»Jemand sollte Linda aufhalten«, murmelt wieder einer, ich glaube, es ist Jack. Seine Stimme klingt aber nicht so wie sonst. So, als kämpfte er mit den Tränen. Ausgerechnet unser harter Jack!
Paul meldet sich wieder zu Wort, nachdem er sein Glas in einem Zug geleert hat: »Es sind immer die Frauen, die den Männern zum Verhängnis werden.«
»Simson wegen Delilah, Ahab wegen Jezebel, König David wegen Bathseba«, stimme ich zu. Ich gebe gerne mit meiner Bildung ein bisschen an. Die anderen kennen das nicht anders.
Paul nickt: »Und steckte nicht auch eine Frau dahinter, als Johannes der Täufer geköpft wurde?«
»Linda hat geweint«, sagt die tränenschwangere Stimme. Es ist tatsächlich Jack. »Die ganze Schminke verschmiert, und sie hat sich noch nicht einmal das Gesicht gewaschen, ist einfach losgestürmt. Hat in ihre Handtasche geschaut, die Pistole halb rausgezogen, wieder reingesteckt und weg war sie. Jemand sollte Linda aufhalten!«
Ich ergänze: »Eine Beretta, sie hat eine Beretta.«
Wir nicken. Jack ist jetzt still, aber er atmet heftig. Der Wirt stellt volle Gläser auf den Tresen.
Ich trinke einen großen Schluck.
Sandra quetscht sich zwischen mich und Paul. »Hast du schon was vor?«, fragt sie mich.
»Wie, vorhaben?«
»Na ja, ich würde jetzt nach Hause gehen und bin so alleine.«
»Lass mich noch austrinken, dann gehen wir«, antworte ich und lege ihr sanft den Arm um die Schultern.
Aufmerksame Leser dürften die kleinen Korrekturen bemerken, die der Text erfahren hat. Inzwischen gibt es eine fünfte Version...