Samstag, 31. Oktober 2009

Die Entblößung – Teil 5

»Gut Ding will Weile haben«, behauptet der Volksmund. Ob die Entblößung, die einen Tag länger auf ihre Fortsetzung warten musste als geplant, gut ist, überlasse ich dem Urteil der geschätzten Leser, die ja zum Volk gehören und somit Teil des Volksmundes sind.

Es wird noch einen weiteren Teil geben, womöglich zwei, das hängt in gewisser Weise von der Entscheidung ab, die wie bei diesem Experiment üblich durch eine Mehrheit – wenn denn eine zustande kommt – getroffen wird. Wer noch einmal die vorangegangenen Teile lesen möchte, oder wer sie noch gar nicht kennt, darf hier klicken: Teil 1 /// Teil 2 /// Teil 3 // Teil 4

So. Unser Stephan Haberland ist in einer fremden Wohnung gelandet, Lisa ist auch noch da, und weiter geht es:

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Er setzte sich. Lisa hatte eine Flasche Wein, Gläser und eine Schale mit Pistazienkernen bereitgestellt. Sie schenkte ein und sie ließen die Gläser aneinander klingen. »Auf die Entblößung«, sagte Lisa.

»Auf dich!«, meinte er. »Bezüglich der Entblößung hätte ich noch einige Fragen zu stellen.«

»Ich antworte nicht immer auf Fragen. Eigentlich eher selten. Die meisten Fragen, die gestellt werden, sind so überflüssig wie die Grippeimpfung für einen gesunden Organismus.«

»Dein Buch, es lässt mehr offen, als dass man Antworten finden würde. So etwas mag ich eigentlich, aber nicht in diesem Fall.«

»Ich weiß, dass es dir gefallen hat. Eigentlich habe ich Mein zweites Ich für dich geschrieben. Und für Isis, natürlich.«

»Wann hast du Isis zum letzten Mal gesehen?«

»Erzähl mir von ihr. Das, was nicht in meinem Buch zu finden ist.«

Stephan Haberling trank einen Schluck Wein, während er überlegte, wo er anfangen sollte. In ihrem Buch – eine als Roman verkleidete Autobiografie – hatte Lisa die Kindheit mit ihrer Zwillingsschwester Isis geschildert, das Heranwachsen, dann die Studienjahre. Die Schwestern im Buch trugen andere Namen, und die Handlung spielte sich an anderen Orten ab als im wirklichen Leben. Und dann, nach der Ankündigung, dass Isis heiraten würde, gab es eine Lücke in der Erzählung. Genau genommen brach die Geschichte einfach ab. Das letzte Kapitel schilderte nur, wie Isis gestorben sein musste. Vermutlich. Wahrscheinlich. Allem Anschein zufolge. Es gab niemanden, der Aufschluss hätte geben können. Die potentiellen Zeugen waren so tot wie Isis.

Als er Mein zweites Ich las, vor nunmehr fast acht Jahren, war er fassungslos. Wie konnte eine Autorin, von der er nichts wusste, die er nicht kannte, eine Romanfigur entwerfen, deren Geschichte so viele Parallelen mit dem Leben seiner Frau aufwies? Wie konnten der Charakter, die Eigenarten, sogar einige körperliche Merkmale so ähnlich, wenn nicht gar identisch sein?

Er wusste, dass Isis eine Zwillingsschwester gehabt hatte, keine eineiige, daher war die äußerliche Ähnlichkeit nicht größer als normalerweise bei Geschwistern zu erwarten. Isis redete selten und ungern über ihre Herkunft und Familie, er wusste nur, dass es eine Tragödie gegeben hatte, bei der ihre Eltern und Anina ums Leben gekommen waren. Er hätte nach der Lektüre des Romans natürlich Isis fragen wollen, ob manche der geschilderten Erlebnisse Phantasie oder Biographie waren. Das wenige, was sie preisgegeben hatte, legte die Vermutung nahe, dass Mein zweites Ich ihre wahre Geschichte erzählte. Aber Isis konnte nicht mehr Auskunft geben, er war und blieb mit seinen Fragen allein.

Er hatte versucht, mit der Autorin des Romans in Kontakt zu treten, erfolglos. Lisa del Giocondo war offenbar ein Pseudonym, und niemand schien in der Lage oder bereit zu sein, die Identität der Schriftstellerin aufzudecken. Es wurden keine Lesungen mit ihr veranstaltet, keine Autogrammstunden, selbst bei der Verleihung eines Buchpreises in Frankfurt war der Agent desVerlages erschienen, um die Ehrung an Lisas Stelle entgegen zu nehmen.

»Du bist doch in Wirklichkeit Anina, oder?«, fragte er sie.

Dieses Mal erhielt er sogar eine Antwort: »Ich war Anina. Jetzt bin ich Lisa, italienischer Abstammung statt ägyptischer. Ich fand das am ehesten plausibel, zu meinem Äußeren passend.«

»Und offensichtlich bist du nicht tot.«

Sie schwieg und schenkte Wein nach. Er hatte auch keinen Kommentar erwartet. Wie viele Worte, die man im Lauf des Tages aussprach, waren eigentlich wirklich notwendig oder zumindest angebracht? Zehn Prozent? Noch weniger?

Die beiden schwiegen eine Weile.

Dann sagte Lisa: »Erzähl mir von Isis, bitte.«Isis am 5. Mai 2001

Stephan zündete sich eine Zigarette an und begann: »Es war ein Schicksalsjahr, 2001. Ich habe Isis am 5. Mai geheiratet, aber ich konnte nicht lange bei ihr bleiben. Vermutlich weißt du, dass ich damals für den Spiegel als Korrespondent aus Ägypten schrieb. Ich hatte einige einheimische Kontakte und sehr widersprüchliche Informationen wurden mir von ihnen zugetragen. Ein paar Tage nach unserer Hochzeit bat mich ein Mann an einer Straßenecke um Feuer für seine Zigarette. Ich wusste sofort, dass er kein normaler Passant war, denn er rauchte die eben angezündete Zigarette nicht, sondern hielt sie nur in der Hand. Er fragte mich, ob ich an einer brisanten und wertvollen Information interessiert wäre. Ich erklärte ihm, dass ich kein Geld ausgeben konnte, und er meinte, das sei auch nicht nötig.«

»Das ist aber nicht die Geschichte von Isis«, unterbrach ihn Lisa. »Das ist deine Geschichte, vielleicht. Man weiß es ja nicht, bei einem Autor, wie viel von seinem Erzählten wirklich passiert ist.«

»Warum hast du eigentlich kein weiteres Buch geschrieben?«

Sie antwortete auch auf diese Frage, worüber Stephan gleichermaßen erstaunt und erfreut war. »In mir war nur dieses eine Buch vorhanden. In dir sind noch viele Bücher.«

»Davon weiß ich nichts. Im Augenblick wüsste ich nichts zu schreiben.«

»Nobody can say where a book comes from. Least of all the person who writes it.«

»Das hat Paul Auster irgendwo geschrieben.«

»Leviathan.«

»Woher weißt du, dass in dir kein weiteres Buch ist, wenn du glaubst, dass in mir noch welche sind?«

»Ich bin keine Autorin. Ich bin Fotografin. In mir sind Bilder. Erzähl mir von Isis, bitte.«

»Ich kehrte am 28. Juni zu ihr zurück. Sie stand am Rand der Wiese hinter unserem Garten, wo einst ein kleiner Bach entsprungen war. Der war längst ausgetrocknet. Sie war müde, schlaftrunken, erschöpft. Ich nahm sie in die Arme und sagte ihr, dass ich sie liebte. Sie fragte, wo ich gewesen war, und ich erklärte ihr, dass es kein besonderer Ort war. Ich würde anders aussehen, meinte sie. Ich bestätigte, dass dem wohl so sei. Ich hatte sieben Wochen fernab der Zivilisation verbracht, wenig gegessen, keinen Rasierapparat benutzt und zum Waschen gab es meist nur eine Schüssel voll brackigen Wassers, wenn überhaupt. Du warst fort, sagte sie müde. Ja, natürlich war ich fort, antwortete ich. Sie fragte: Bleibst du jetzt hier? Ich blickte Isis in ihre unvergleichlichen Augen und sagte: Wenn du es willst, ja.«

»Und du bist geblieben.«

»Ich bin geblieben. Wir hatten etwas mehr als zwei Monate, einander zu lieben, zu genießen, von unserer Zukunft zu träumen. Es war kein Urlaub, aber ich musste nicht reisen. Sie arbeitete an ihrer Dokumentation, und je länger sie sich mit dem Stoff beschäftigte, desto verzweifelter wurde sie.«

Lisa schenkte Wein nach, Stephan Haberling zündete sich eine weitere Zigarette an. Sie schwiegen einige Minuten.

»Sie war kurz davor, die letzten Lücken in ihrer Dokumentation zu schließen«, sagte Lisa schließlich. »Sie schrieb mir einen Brief, am 30. August, der mich aber wegen der Umstände erst am 10. September erreichte. Ich hatte die beiden Puzzlestücke, die ihr fehlten. Nachher zeige ich dir den Brief. Ich habe damals versucht, gegen alle Regeln und Vernunft, Isis telefonisch zu erreichen, aber es war zu spät.«

Stephan Haberling fragte: »Wo warst du eigentlich? Ich nahm an, du seiest schon Jahre zuvor verstorben, bei einer Tragödie, die mir nie genauer erläutert wurde.«

»Es wussten nur sehr wenige Menschen die Wahrheit. Isis natürlich, und zwei Personen in der Zentrale, die mir die neue Identität ermöglicht und verwirklicht haben. Es waren einige Umwege notwendig, es gab Sackgassen und Fehlschläge, aber im Dezember 1989 war ich dann Lisa del Giocondo, das Wirrwarr um den Fall der Mauer und die deutsche Vereinigung hat mit letztendlich echte Papiere und eine glaubhafte Vergangenheit beschert. Ich arbeitete in München als Fotografin, seit zwei Monaten bin ich nun in Berlin. Deinetwegen. Immerhin konnten wir uns Briefe schreiben, Isis und ich. Der Transport dauerte lange, aber Telefon oder gar E-Mail war tabu, schon um Isis zu schützen, aber auch, damit ich am Leben blieb. Ich war zwar offiziell bereits tot, aber wenn die falschen Menschen mich aufgespürt hätten, wäre ich nirgends mehr sicher gewesen.«

»Und was hat sich jetzt geändert?«

»Anina muss tot bleiben, um nicht zu sterben. Lisa darf leben. Und Lisa musste dich treffen.«

»Also hast du die Galerie ins Netz gestellt. Als alter.ego, um mich öffentlich zu entblößen.«

»Ach Stephan! Du hast den Sinn der Galerie noch nicht erfasst? Ich hatte angenommen, dass du den gedanklichen Weg von Mein zweites Ich zu alter.ego finden würdest. Dann hätte eine Google-Suche genügt, um festzustellen, dass Lisa del Giocondo gar kein Pseudonym war, sondern dass die preisgekrönte Autorin – inzwischen als Fotografin tätig – ihre Diogenestonne aufgegeben hat und nach Berlin übergesiedelt ist.«

Er schüttelte den Kopf. Darauf war er nicht gekommen, und er bezweifelte, dass ihm das in absehbarer Zeit durch noch mehr Nachdenken und Grübeln gelungen wäre. Jetzt, mit dem Wissen, dass Isis’ Schwester lebte und die Urheberin der Galerie war, ahnte er auch, wie die Fotos zustande gekommen sein konnten. Allerdings hatte dann der ehemalige Kollege seines Nachbarn doch Unrecht.

»Mich hat ein Experte der Polizei wissen lassen, dass die Aufnahmen nicht manipuliert sind. Wenn du, wie auch immer, an die Fotos von Isis gekommen bist, dann kann das aber nicht stimmen.«

Sie schwieg und lächelte. Es war Isis’ Lächeln, es waren Isis’ Augen. Er wusste bereits, dass sein Leben nach diesem Abend, irgendwann bald, in die Zweisamkeit münden musste. Milan Kundera hatte in einem seiner frühen Romane gemutmaßt, dass ein ideales Paar ursprünglich als Ganzes geschaffen und dann von widrigem Schicksal getrennt worden sei; es käme nur darauf an, dass die beiden sich irgendwann treffen und was sie dann aus ihrer Begegnung machen. Lisa, das andere Ich, war sie eine Art Wiedergutmachung des Himmels für das Entsetzten und das Leid, das ihm widerfahren war? Hatte das widrige Schicksal womöglich ein Einsehen?

»Man könnte das ja noch aufhalten. Irgendwie.«, wiederholte Lisa leise in seine Gedanken hinein ihre zweite E-Mail.

Fassungslos fragte er: »Heißt das etwa, die Entblößung geht weiter?«

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So, liebe Leser. Nun seid ihr wieder dran. Wird es am nächsten Morgen ein weiteres Bild in der Galerie geben oder nicht?

Die Entblößung im Internet...
...ist nicht aufzuhalten. Her mit dem Adamskostüm!
...wird nicht stattfinden. Die restlichen Textilien bleiben!
Auswertung

Weil diese Folge einen Tag später als geplant erscheint, warte ich vor dem Weiterschreiben den Dienstagmorgen ab.

Nachtrag 5. November: Wer mag, kann noch abstimmen, aber das Ergebnis ist eindeutig. Herr Haberling wird entblößt. Ein gnadenloses Publikum seid ihr! :-)

Freitag, 30. Oktober 2009

Herr Haberland hat Verspätung

haberland Ich weiß, dass viele Leser ungeduldig auf die Fortsetzung der Entblößung warten. Die gute Nachricht deshalb zuerst: Es wird weiter gehen.

Die schlechte Nachricht für alle, die der Macht der Gewohnheit folgend jeweils am Freitag die Fortsetzung erwarten: Herr Haberland hat Verspätung.

Nun könnte ich fabulieren, dass es der Leserwille, ausgedrückt durch das Ergebnis der letzten Abstimmung, schwer gemacht habe, eine Fortsetzung zu ersinnen. Statt dessen sei die nackte Wahrheit offenbart: In den letzten Tagen waren zu viele andere Projekte vorrangig, so dass ich nicht dazu gekommen bin, den Entwurf der nächsten Folge in eine meinen Maßstäben für eine Erstveröffentlichung genügende Form zu bringen.

Immerhin: Der Entwurf existiert, und meine handschriftliche Überarbeitung muss nur noch im Dokument umgesetzt werden. Daher besteht berechtigte Hoffnung, dass es morgen früh hier heißt: Die Entblößung – Teil 5.

Wer nun erstens nicht warten kann und wer zweitens mal einen Blick darauf werfen will, wie ich an meinen eigenen Texten feile, bis möglichst alle Wortwiederholungen ausgemerzt und Formulierungen zu meiner Zufriedenheit gefunden sind, kann auf das Bild klicken und dann (bei entsprechender Vergrößerung) den Beginn des fünften Teils lesen und dabei versuchen, meine handschriftlichen Änderungen zu entziffern. Aber, diese Warnung scheint mir angebracht, zu sehen ist nur eine von mehreren Seiten Text. Ätsch!

Alle anderen seien auf morgen vertröstet. Da gibt es zwar immer noch kein Ende der Geschichte, aber doch immerhin die Fortsetzung und eine neue Frage an die Leserschaft.

Donnerstag, 29. Oktober 2009

Für (werdende) Väter

Da immer mehr Väter Elternzeit beantragen, möchte ich mit ein paar Tipps für den Alltag behilflich sein. Die versteht man auch, ohne des Englischen mächtig zu sein.

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Gefunden bei Kevin Twombly

Mittwoch, 28. Oktober 2009

U2.com > News > Historic Performance at Berlin's Brandenburg Gate


U2.com > News > Historic Performance at Berlin's Brandenburg Gate

So far no chance to get a ticket. Eventim is responding with a stupid Warteraum-page.

I'll keep trying...

Nachtrag 11:06 Uhr: YESSSSS! Zwei Karten erwischt. Heureka!

Wer Lust hat, mich mal wieder zu treffen: Am 5. November bin ich am Brandenburger Tor. So etwa ab 17:30. Da müsste ich ja dann eigentlich leicht zu finden sein...


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Warum eine herkömmliche Gemeinde manchmal nicht die richtige Gemeinde ist

Im vergangenen Jahr haben deutlich mehr Protestanten die evangelische Kirche verlassen als in den Vorjahren. 2008 habe es rund 160.000 Austritte gegeben, sagte der Finanzchef der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Thomas Begrich, bei der EKD-Synode in Ulm. Die katholische Deutsche Bischofskonferenz hatte im September mitgeteilt, dass 2008 mehr als 120.000 Mitglieder aus der katholischen Kirche ausgetreten seien.

Austritte sind das eine, hinzu kommt der »natürliche« Mitgliederverlust. REMID, der religionswissenschaftliche Medien- und Informationsdienst e.V., hat zuletzt im Februar Ergebnisse der  Mitgliederentwicklung von Kirchen und Religionsgemeinschaften veröffentlicht. Die Tendenz der letzten Jahre setzt sich in Deutschland fort: Die katholische Kirche schrumpfte von 2006 zu 2007 um rund 221.000 Mitglieder, die evangelische Kirche um rund 252.000. Derzeit haben beide großen Kirchen noch je rund 25 Millionen Mitglieder.

Bei den meisten Freikirchen und Gemeinden fehlen Angaben zur Entwicklung, da es - anders als bei den großen Kirchen - keine offiziellen Daten (anhand der Kirchensteuerzahler) gibt und interne Zahlen kaum veröffentlicht werden. Der Bund freier Pfingstgemeinden nennt etwa 44.000 Mitglieder, die Baptisten liegen irgendwo zwischen 75.000 und 100.000; die Freien Evangelischen Gemeinden zählen 36.000.

Insgesamt scheint die Tendenz unaufhaltsam: Die christlichen Kirchen und Gemeinschaften schrumpfen, genau wie die Bevölkerung. Regional gibt es natürlich Unterschiede, die Einwohnerzahl von Berlin beispielsweise geht seit 2004 wieder kontinuierlich nach oben.

Vom Missionsauftrag, von dem Gedanken, dass die Gemeinde Christi sich ausbreitet und größer wird, ist die Realität vielerorts weit entfernt. Nicht nur in Berlin. Vielleicht liegt das ja daran, dass manches in den Kirchen und Gemeinden einer Reformation bedürfte?

Einige Einwürfe meinerseits - als Diskussionsstoff gedacht, nicht etwa als Heilmittel der Misere. Auch deshalb schreibe ich im folgenden Text »wir« – und nicht »die Verantwortlichen«:

  1. gemeindeupsidedownEin großer Teil des Einwohnerzuwachses sind entweder Zuwanderer oder Kinder aus Familien mit asiatischem, afrikanischem, türkischem, arabischem oder anderem ausländischen Hintergrund. Wir haben keine Ahnung, welche Gemeindeformen, -ausprägungen und -strukturen für solche Menschen attraktiv sein könnten, weil wir keine Ahnung von deren Kultur, Gesellschaft und Religion haben. Und selbst von der deutschen Kultur und Gesellschaft haben viele Leitende und Verantwortliche in Kirche und Gemeinde überhaupt keine Vorstellung mehr. Der durchschnittliche Besucher ohne christliche Vorprägung wird wenig finden, was mit seiner Welt etwas zu tun hat.
  2. Wir haben ein Mercedes-Modell der Gemeinde im Kopf: Eine Gemeinde braucht ansprechende Räume, moderne technische Ausstattung, ansehnliche Druckerzeugnisse, bequeme Stühle und bezahlte Mitarbeiter vom Pastor bis zur Sekretärin. Ein Mercedes mag ein vortreffliches Auto sein, aber in Sachen Sparsamkeit und Erschwinglichkeit ist er nicht die erste Wahl und er ist auch nicht jedermanns Geschmack. Unsere Vorstellung von »Erfolg« im geistlichen Bereich ist zu sehr mit Wohlstand und gesellschaftlichem Status verbunden. Gerade die Notleidenden und Hilfsbedürftigen bleiben draußen vor der Tür.
  3. Normalsterbliche Laien kommen gar nicht auf die Idee, dass sie »Gemeinde« sein oder werden könnten. Nur theologisch ausgebildete Fachleute kommen als Gemeindeleiter und -gründer in Frage. Man muss - je nach Konfession - Theologie studiert oder eine Bibelschule besucht haben. Schon von »normalen« Gemeindemitgliedern wird erwartet, dass sie Glaubenskurse und -schulungen mitmachen, bevor man überhaupt in Erwägung zieht, jemanden zu taufen. Die Gläubigen meinen, all das sei Aufgabe der Profis, der Pastoren oder Ältesten und Evangelisten. Daher sind Hauskreise und Gesprächsgruppen für Gäste und Besucher häufig ungeeignet, ein Ort zu werden, an dem man Gott kennenlernen kann.
  4. Weil man gerne vieles den Profis überlässt, gibt es viel zu viele Glaubenskurse, -seminare, -fachbücher und Sonstiges aus Expertenhand. Die Experten ihrerseits wachen darüber, dass sie nicht überflüssig werden, weil etwa jemand auf die Idee kommt, Lieschen Müller und Otto Mustermann könnten anfangen, »Gemeinde« zu sein. Gemeindeleitung und -gründung muss kompliziert und eine Sache von Fachleuten bleiben. Angesichts von »vorgeschriebenen« Kursen, Seminaren und Abläufen, wenn man gläubig und aktiv werden möchte, lassen es viele lieber bleiben, und Kirchenferne können sowieso nirgends ihre Talente investieren. Sie sind ja nicht fromm genug.
  5. Die meiste Energie der Gemeinden, auch bei Neugründungen, richtet sich nach innen. Es geht darum, als Organisation zu überleben, die Menschen werden animiert, sich innerhalb der Gemeinde für die Gemeinde in diversen Diensten und Bereichen zu investieren. Der Mercedes muss gewartet und gepflegt werden. Die Menschen werden schon irgendwie zur Gemeinde strömen, wenn sie nur gut geschmiert ist und poliert wurde, damit sie glänzend genug aussieht. Doch der Besucher, der von außen kommt, lässt sich mitunter nicht so leicht blenden wie der Dauergast.
  6. Viele Gemeinden sprechen den Intellekt nicht an, fördern oder fordern nicht das eigenständige Denken der Besucher. Die Predigten sind häufig eine Aufzählung der Überzeugungen des Predigers und selten eine Einladung, sich selbst mit Glaubensfragen und -zweifeln auseinanderzusetzen, selbst Antworten zu suchen und zu finden. Der Prediger verkündet Rezepte, die Besucher sollen die verordneten Pillen unbesehen schlucken. Die Deutschen neigen heutzutage nicht mehr dazu, Untertan sein zu wollen – also bleiben sie fern.
  7. Die Liturgie ist in freikirchlichen Gemeinden genauso zementiert wie in den großen Kirchen. Selbst wenn kein einigermaßen begabter Musiker zur Verfügung steht, muss unbedingt eine »Zeit der Anbetung« Bestandteil der Zusammenkünfte (ob Hauskreis oder Gottesdienst) sein. Selbst wenn dem Prediger keine vernünftige Predigt eingefallen ist, muss er eine halten. Es ist viel von der »Freiheit in Christus« die Rede und wenig zu spüren. Das Gemeindeleben besteht überwiegend aus Frontalprogramm und passiven Zuschauern, mehr Form als Inhalt. Für kirchenferne Menschen ist ein Theater- oder Kinobesuch wesentlich unterhaltsamer.
  8. Es werden »biblische Grundlagen« verwendet, die in der Bibel nicht zu finden sind. Das reicht vom »notwendigen Übergabegebet« und der Vorstellung, dass »Pastor« ein Beruf wäre über moralische Maximen und Finanzierungsmodelle bis zur Vorstellung, die Bibel sei ein unfehlbares Lexikon für das Leben - man müsse nur den passenden Vers zur jeweiligen Situation finden. Die unpassenden Verse werden ignoriert. Für manchen Besucher, der nicht schon fromm ist, wirkt das absolut unglaubwürdig. Auch manche Gläubige werden in den letzten Jahren stutzig, weil das verkündigte Wort wenig mit der Realität zu tun hat.
  9. Menschen, die inzwischen mit neuen Glaubensausprägungen experimentieren, neue Formen der Gemeinschaft ausprobieren, unantastbare moralische Postulate über Bord werfen, werden flugs, im günstigsten Fall, als »Spinner« bezeichnet. Oder gleich als Irrlehrer gebrandmarkt. Wer Homosexuelle oder Moslems in seiner Runde willkommen heißt, bei dem ist sowieso der »Geist von unten« am Werk. Eindringlich wird vor solchen Menschen und Bewegungen gewarnt, da sie offensichtlich als Konkurrenz verstanden werden. Was nicht nach Schema F aussieht, ist erst einmal grundsätzlich falsch. Ergo fühlen sich in herkömmlichen Kirchen und Gemeinden viele Menschen, Homosexuelle zum Beispiel, von vorne herein ausgegrenzt, unerwünscht.

P.S.: Zum Teil wurden diese Gedankenanstöße inspiriert von Brad Boydston, der sich in einem Beitrag auf seinem Blog mit der Situation der Gemeinde in Nordamerika auseinandersetzt: Top 10 reasons the church planting movement in North America is in trouble

Dienstag, 27. Oktober 2009

Das schöne Schlafzimmer oder Warum man sich immer präzise ausdrücken sollte.

schlafzimmer Paul Müller, ein relativ neuer Mitarbeiter, ruft beim Chef an und sagt: »Ich komme heute nicht zur Arbeit. Ich bin wirklich sehr krank, der Kopf tut weh, mir ist schlecht, und die Beine sind wackelig. Ich gehe zum Arzt. Hoffentlich ist es nicht H1N1.«
Der Chef meint: »Wissen Sie, Herr Müller, ich brauche Sie heute wirklich am Arbeitsplatz. Der Großauftrag muss abgewickelt werden! Die Schweinegrippe wird es schon nicht sein, Sie waren ja nicht auf einem Bauernhof in letzter Zeit.
Wenn es mir mal so schlecht geht, dann gehe ich zu meiner Frau und wir haben Sex. Anschließend fühle ich mich viel besser. Versuchen Sie das bitte.«
Zwei Stunden später erscheint Paul Müller am Arbeitsplatz und erzählt dem Chef freudestrahlend: »Ich habe gemacht, was Sie gesagt haben! Jetzt geht es mir wieder gut. Übrigens, Sie haben ein sehr hübsches Schlafzimmer, Chef.«

Montag, 26. Oktober 2009

Unentschieden – und keine Verlängerung!

Nee, nicht das letzte Hertha-Spiel ist gemeint, über unserem Hauptstadt-Weltklasse-Fußballtrümmerhaufen liegt nach wie vor der barmherzig-höfliche Mantel des Schweigens.

Gemeint ist die Abstimmung der geschätzten Leserschaft über den Fortgang der Entblößung vom letzten Freitag. Vielen Dank an die 20 Menschen, die sich die Mühe gemacht haben, einen Mausklick auszuführen.

fiftyfifty

Diese klare Entscheidung bot sich meinem Auge heute früh dar. Und damit wird nun eben weiter geschrieben, schließlich leben wir (ich zumindest) in einem demokratischen Land. Mancher Leser stößt auch aus weniger freiheitlichen Gegenden auf diesen Blog, wie mir die Zugriffsstatistiken zeigen, aber das ist eine andere Geschichte und die soll ein andermal erzählt werden.

Sonntag, 25. Oktober 2009

Der eine und der andere

robbieDer eine trat am letzten Freitag kostenlos runde 40 Minuten im Nieselregen (er selbst samt Band natürlich unter einem schönen Bühnendach) auf, zahlreiche Fans waren dabei. Von diesem relativ jungen Mann habe ich keine Platten. Er musiziert ganz nett, paulchenfinde ich, aber da muss ich nicht hin, selbst wenn’s umsonst ist.

Muss er eigentlich deshalb kaputte Hosen tragen, weil er für solche Minikonzerte keinen Eintritt verlangt?

Der andere, relativ ältere Herr, kommt demnächst, am 3. Dezember, in unsere Stadt, der Konzertbesuch kostet einen ziemlich schmerzhaften Eintritt. Von ihm habe ich etliche Platten. Seine Musik, ob Soloprojekt oder mit seiner ehemaligen Combo, kann mich begeistern, auch nach 40 Jahren noch. Und ich hatte nie die Gelegenheit, ihn (mit oder ohne die damalige Combo) live zu erleben.

Er kann sich intakte Kleidung und eine Krawatte leisten. Unsere Eintrittskarten sind bestellt, damit er auch in Zukunft eine neue Hose kaufen kann, falls eine zerreißen sollte.

Samstag, 24. Oktober 2009

Der Mantel des Schweigens

Über manches sollte man barmherzig oder höflich den Mantel des Schweigens ausbreiten. Zum Beispiel mache ich keine Bemerkungen zu:






Freitag, 23. Oktober 2009

Die Entblößung – Teil 4

abstimmung3 Ich habe keinen Grund, mich über die Entscheidung der geschätzten Leserschaft nach dem 3. Teil zu beschweren. Schließlich habe ich das Schlamassel selbst herbei beschworen. Niemand hat mich gezwungen, eine Frage, ganz zu schweigen von jener Frage, zu stellen.

Die Abstimmung hat ergeben, dass die Fotos echt sind. Nun gut. Ich hatte anderes im Sinn, aber die von mir ersonnenen Spielregeln sollen deshalb nicht außer Kraft gesetzt werden. Also muss mein Freund Haberling erfahren, dass keine Manipulationen vorliegen.

Zunächst jedoch, bevor es weiter geht mit der Entblößung, erneut die faire Warnung: Auch mit dieser vierten Fortsetzung ist die Geschichte nicht zu Ende. Wer weiterliest, bleibt wiederum ohne einen Ausgang der Handlung, womöglich drehen sich hinterher sogar noch mehr Fragen im Kopf als zuvor. Also beschwere sich niemand. Lesen auf eigene Gefahr.

Ach ja, und natürlich noch der Hinweis auf die bisherigen Teile: Teil 1 /// Teil 2 /// Teil 3

Genug der Vorrede.

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»Das kann aber nicht sein«, widersprach Stephan Haberling, »wenn diese Fotos echt sind, wie Ihr Kollege behauptet, warum weiß ich dann nichts davon? Es wurde wirklich nichts daran manipuliert?«

Detlef Fischer zog die Schulten empor. »Ich bin kein Experte, aber für mich klingt die Analyse eindeutig. Lichttemparatur, Konturübergänge, Schattenwurf, digitale Informationen… ich gehe einfach davon aus, dass ein Fachmann wie mein Kollege, ehemaliger Kollege besser gesagt, weiß, wovon er redet, wenn er zu einem so eindeutigen Urteil gelangt. Er hat immerhin auch festgestellt, dass die bisher vorhandenen Bilder nacheinander aufgenommen wurden, und dass die abgebildete Person zwar jeweils die gleiche Haltung eingenommen hat, aber – wie dies bei einem echten Menschen nicht anders zu erwarten wäre – ist das natürlich nicht zu 100 Prozent gelungen. Schon die Stellung der Füße ist auf keinem der vier Fotos wirklich identisch. Wenn man es weiß, sieht man es auch.«

Stephan Haberling betrachtete die Vergrößerungen der Füße auf dem Bildschirm. Es stimmte, was sein Nachbar sagte. Also blieb eigentlich nur eine einzige logische Erklärung: Trotz der Narbe am Knie war diese Person nicht er selbst. Das wiederum war unlogisch, denn eine dermaßen verblüffende Ähnlichkeit mochte es höchstens bei Zwillingen geben, und er hatte keinen Bruder, geschweige denn einen Zwillingsbruder.

»Und der Raum«, fragte Detlef Fischer, »der ist Ihnen wirklich völlig fremd?«

Die mehr und mehr entblößte Figur nahm den größten Teil der Fotos ein, man erkannte im Hintergrund eine Vitrine aus weißem Holz mit Glaseinsätzen, links daneben ein kleines Stück Wand im Terrakottaton offenbar mit einer interessanten Rohputztechnik gestaltet. Rechts waren Zweige und Blätter eines Ficus benjaminii zu erkennen. Was vom Fußboden zu sehen war, schien ein geknüpfter Teppich zu sein. Der Halogenstrahler, nach dem die Gestalt sich ausstreckte, gehörte zu einem Seilsystem. In der Vitrine stand weißes Geschirr, womöglich konnte ein Fachmann anhand der Bilder erkennen, welche Marke das war. Doch ob nun Seltmann oder Rosenthal oder sonst ein Hersteller, das änderte nichts daran, dass Stephan Haberling den Raum nicht kannte oder zumindest nicht erkannte. Er schüttelte den Kopf und meinte: »Keine Ahnung. Nie gesehen. Noch ein Bier, Herr Fischer?«

Vier leere Flaschen Krušovice standen auf dem Schreibtisch. 16 volle Flaschen waren noch vorrätig, aber der Nachbar lehnte dankend ab.

Wieder allein in seinem Arbeitszimmer überlegte Stephan Haberling, ob er nun etwas unternehmen oder einfach abwarten sollte. Polizeiliche Ermittlungen, das hatte er verstanden, waren einstweilen nicht angebracht, da keine eindeutige Straftat vorlag. Es blieb also die Möglichkeit, Picasaweb zu kontaktieren und darum zu ersuchen, die Galerie zu sperren. Allerdings war zu erwarten, dass alter.ego flugs mit anderen Anmeldedaten eine neue Galerie ins Leben rufen würde, ein endloses Katz- und Mausspiel. Auch nicht gerade sinnvoll.

Falls der Urheber des ganzen Schlamassels etwas von ihm wollte, hatte Stephan Haberling bisher nicht begriffen, was. Er öffnete noch einmal die letzte E-Mail. »Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andren zu« - mehr nicht. Unverständlich. Absurd. So wie die ganze Angelegenheit.

Er klickte auf »Antworten« und schrieb: »Tut mir leid, ich verstehe nicht, was gemeint ist. Ich weiß nicht, was Sie wollen. Ich weiß nicht, wer Sie sind. Entweder Sie machen verständliche Aussagen, oder es ist hoffnungslos.«

Nach dem Absenden nahm er die vier leeren Bierflaschen und brachte sie zurück in die Küche. Die Gläser räumte er in die Spülmaschine. Irgend etwas essen könnte jetzt nichts schaden. Ein Ölsardinenbrot? Vielleicht eine Pizza?

Das Telefon unterbrach seine Kostauswahl.

»Haberling.«

»Hier ist Lisa.«

Er hatte keine Ahnung, wer Lisa sein mochte. Das hatte nicht viel zu bedeuten, da er sich Namen schwer merken konnte. »Hallo Lisa.«

»Ich will nur kurz fragen, ob du heute Abend beim Autorenstammtisch dabei bist.«

Also war Lisa wohl eine Autorin? Wenn sie einen Nachnamen genannt hätte, wäre es Stephan Haberling unter Umständen leichter gefallen, sich ein Gesicht vorzustellen. So ganz sicher war allerdings auch dies nicht. »Ich habe vor, zu kommen. Warum?«

»Dann bringe ich dir etwas mit, was vielleicht interessant für deine Arbeit ist. Sonst hätte ich es mit der Post geschickt.«

Nun gut, dann würde er spätestens in dem Moment wissen, wer Lisa ist, in dem ihm eine Dame etwas überreichte. Er nickte, was am Telefon zwar unerheblich, aber dennoch seine Angewohnheit war. »Okay, dann bis später, Lisa.«

Ihre Stimme klang nach einem Lächeln. »Ja, bis nachher, Stephan.«

bergmann
Der Autorenstammtisch fand alle drei Monate statt, zu Stephan Haberlings Leidwesen in Kreuzberg. Am Lokal gab es nichts auszusetzen, Speisen und Getränke waren erschwinglich und gut, der Stammtisch im Kellergeschoss bot genügend akustische Entfernung zum lauten Betrieb oben, um sich ohne erhobene Stimme unterhalten zu können. Das einzige Problem am »Bergmann 103« war die Tatsache, dass es in der Bergmannstraße im Haus Nummer 103 lag, und ringsherum gab es so gut wie keine Parkplätze. So musste er zusätzlich zur normalen Fahrtdauer von 40 Minuten stets eine Parkplatzsuche und dann einen Fußweg von rund 15 Minuten zum Lokal einplanen.

Mitglied konnte jeder in Berlin lebende Autor sein, der mindestens ein Buch in einem »richtigen« Verlag veröffentlicht hatte. Da der Stammtisch nirgends publik gemacht wurde, kamen neue Mitglieder oder Gäste nur durch persönliche Einladung in die Runde. Bei den vierteljährlichen Treffen tauschte man sich zwanglos über Gott und die Welt, das Schreiben und das Lesen aus, ohne dass ein Thema vorgegeben war. Meist ergab sich ein Schwerpunkt von selbst.

Als Stephan Haberling eintraf, saßen bereits vier Stammgäste am Tisch, und darüber hinaus eine junge Dame, die er noch nie gesehen hatte. Da neben ihr ein Stuhl frei war, setzte er sich zu ihr und stellte sich vor: »Guten Abend, ich heiße Stephan Haberling. Sie sind zum ersten Mal dabei?«

»Ja, ich bin gespannt auf den Austausch. Herr Bendix Kleefeld war so freundlich, mich einzuladen.«

Stephan Haberling stutzte. Etwas am Tonfall kam ihm bekannt vor. Aber was?

Bendix Kleefeld lächelte über den Tisch und ergänzte: »Sie ist eine ganz famose Erzählerin und charmante Gesellschafterin, dafür lege ich die Hand ins Feuer.«

»Und haben Sie«, fragte Stephan Haberling, »auch einen Namen?«

»Natürlich. Lisa del Giocondo.«

Die Anruferin. Die Autorin des von ihm hochgeschätzten Buches »Mein zweites Ich«. Seine heimliche Muse. Die Unerreichbare – plötzlich erreichbar, direkt neben ihm am Stammtisch? Er war zu perplex, um sofort zu antworten.


Nach dem Stammtisch begleitete er Lisa in deren Wohnung, die in der gleichen Straße ein paar Hauseingänge entfernt lag. Es war überhaupt nicht seine Gewohnheit, fremde Frauen in deren Privatbereich aufzusuchen, aber hier und jetzt war sowieso alles dermaßen jenseits der Normalität, dass er keinen Augenblick gezögert hatte, als sie beim Aufbruch leise zu ihm sagte: »Wir gehen jetzt zu mir. Dort bekommst du das, was ich am Telefon versprochen habe.«

Sie stiegen die Treppen empor, im dritten Stock schloss Lisa eine Türe auf. Der Flur ließ bereits ahnen, dass diese Wohnung so ungewöhnlich eingerichtet und ausgestattet sein musste, wie ihre Bewohnerin ungewöhnlich war. Die Wände waren mit einem hellbraunen Baumwollstoff bezogen, so sah es auf den ersten Blick aus, aber die Wände leuchteten. Nicht grell, sondern in einer augenschmeichelnden Helligkeit.

Stephan Haberling berührte den Stoff, fasziniert von dem Effekt. Seine Begleiterin erklärte lächelnd: »Das ist mit Stoff bespanntes Glas, vom Boden bis zur Decke. Dahinter ist die LED-Beleuchtung installiert, und dahinter wiederum liegen die ursprünglichen Wände. Wenn ich die Wohnungstüre aufschließe, empfängt mich automatisch das Licht.«

Er nickte und sagte: »Wer bist du eigentlich, Lisa?«

»Geradeaus ist das Wohnzimmer. Setz dich hin, ich bringe ein paar Getränke aus dem Kühlschrank.«

Er war nicht mehr sonderlich überrascht, als er im Wohnzimmer eine Rohputzwand im Terrakottaton sah, an der eine Vitrine mit Geschirr und neben dieser ein Ficus benjaminii stand. Der Teppich war so weich, wie er auf den Fotos aussah. Unter der Zimmerdecke war ein Halogen-Seilsystem angebracht. Was fehlte, war ein zunehmend nackter Mann, der sich zu einem der Strahler empor streckte. Stephan Haberling hob die Arme und stellte fest, dass er, falls er sich auf die Zehenspitzen stellte, den Strahler erreichen konnte.

»Kannst du mir den so verstellen, dass das Licht auf das obere Fach in der Vitrine fällt?«, fragte Lisa del Giocondo, die in der Wohnzimmertür stand und lächelte. »Er ist etwas zu niedrig ausgerichtet.«

»Darf ich meine Kleidung dazu anbehalten?« fragte er zurück.

»Selbstverständlich.« Wieder dieses Lächeln, das ihn erinnerte. Zurückerinnerte. Zurück in jene Zeit, in der sich alles änderte. Endgültig. Unumkehrbar.

Er richtete den Strahler behutsam nach oben, bis er die gewünschte Stelle beleuchtete. Zwischen dem Geschirr im oberen Fach stand ein kleiner Bilderrahmen. Stephan Haberling trat an die Vitrine und betrachtete das Portrait.

»Komm, setzt dich zu mir und erzähl mir von Isis«, bat ihn die Frau, die er wenige Stunden vorher noch nicht gekannt hatte, und die ihm nun plötzlich so vertraut war wie kein anderer Mensch auf dieser Welt.

»Erzähl mir von Isis, bitte.«

--- --- ---

So. Mehr gibt es heute nicht zu lesen. Aber natürlich darf die obligatorische Abstimmung nicht fehlen. Bittesehr:

Wer ist Isis?
Lisas Schwester.
Stephans frühere Frau.
Auswertung

Ich werde am kommenden Montag Ausschau halten, was meine lieben Leser bevorzugen. Und dann weiterschreiben, was unser Stephan über Isis zu berichten hat.

Nachtrag 26.10.: Wer mag, kann noch klicken, aber ich schreibe mit der Entscheidung von heute früh im Kopf und im Herzen weiter: Gleichstand.

Donnerstag, 22. Oktober 2009

Behälter für den Eierbau?

Diese beiden E-Mails muss man von unten nach oben lesen, weil meine Antwort auf die Anfrage über der Anfrage nach meiner Antwort steht.


P.S.: Wie baut man eigentlich ein Ei? Ich dachte immer, die werden von Vögeln gelegt oder kommen schon fertig mit Kinder-Schokolade umhüllt auf die Welt.

Heute ist Siebentag

joyce Ach waren das noch Zeiten, als ich meinen Schneider-Joyce-Computer zunächst mit einer Diskette füttern musste, von der er das Schreibprogramm in den Speicher lud, um dann von einer zweiten Diskette den gewünschten Text zu laden, an dem ich arbeiten wollte.

Der Bildschirm zeigte, soweit ich mich erinnere, grüne Schrift auf dunklem Hintergrund. Grafik? Nö. Mehrere Anwendungen gleichzeitig öffnen? Nö. Rechtschreibprüfung? Nö. Schriftarten und –größen aussuchen? Kann sein, ich glaube das ging irgendwie…

Immerhin war es eine wunderbare Schreibmaschine, das Ding, und am Ende der Mühe konnte man auf einem ohrenbetäubenden Nadeldrucker das fertige Werk zu Papier bringen. Doch genug von der Nostalgie!

Heute ist nun für viele Menschen Siebentag, die Vorbestellungen von Windows 7 haben in England Harry Potter vom ersten Platz der meiste-Vorbestellungen-aller-Zeiten-Liste verdrängt, und auch hierzulande dürfte vielerorts eine Installationsorgie ausbrechen.

Ich habe Windows 7 in der Beta-Version ausgiebig getestet und werde, obwohl der Postbote das Amazon-Päckchen heute abliefern wird, erst am Wochenende dazu kommen, das neue Betriebssystem zu installieren. Macht ja nix. Geduld ist die Mutter aller Tugend.

Allen, die heute schon loslegen: Vorher Daten sichern und dann viel Spaß dabei!

Mittwoch, 21. Oktober 2009

Dienstag, 20. Oktober 2009

Schwule verbrennen! Hornviecher steinigen!

Am Sonntag hörte ich eine Predigt, die mich etwas irritierte, soweit ich überhaupt zuzuhören vermochte. Bei rund 75 Minuten Vortragslänge gelingt es mir eher nicht, bei der Sache zu bleiben. Ausgangspunkt waren einige Sätze aus dem 2. Petrusbrief:

Umso fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut daran, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen. Und das sollt ihr vor allem wissen, dass keine Weissagung in der Schrift eine Sache eigener Auslegung ist. Denn es ist noch nie eine Weissagung aus menschlichem Willen hervorgebracht worden, sondern getrieben von dem Heiligen Geist haben Menschen im Namen Gottes geredet.

Viele bunte Bibeln Von diesen Versen aus spannte der Pastor seinen Bogen. Er setzte voraus, dass Petrus, als er diesen Brief schrieb, die ganze Bibel gemeint habe, einschließlich Neues Testament natürlich. Denn »die Schrift« beinhalte ja selbstverständlich auch das, was Paulus geschrieben hat. Oder die anderen Autoren des Neuen Testamentes. Verzückt und kopfnickend folgten die Versammelten, soweit ich sie im Blickfeld hatte, den Ausführungen vom Podium, die zunächst nichts anderes waren als die klassische Kurzschlussargumentation: Die Bibel hat recht, weil in der Bibel steht, dass die Bibel recht hat. Als hätte irgend einer der (zweifellos inspirierten) Autoren beim Schreiben ein ledergebundenes Buch, erhältlich auch als Paperback in allerlei bunten Ausführungen, im Sinn gehabt…
Doch zurück zur Predigt, soweit ich zu folgen in der Lage war. Selbstverständlich sei in dem, was Petrus da schrieb, meinte der Pastor, auch das eingeschlossen, was heutzutage als »Prophetien« zu Gehör gebracht wird. Denn eine Weissagung werde ja schließlich, wie Petrus schreibt, nicht aus menschlichem Willen hervorgebracht, sondern getrieben von dem Heiligen Geist würden Menschen im Namen Gottes reden.
Ich überlegte, was Paulus, der ja nicht immer mit Petrus übereinzustimmen bereit oder in der Lage war, dazu sagen würde; hatte er doch den Korinthern empfohlen, dass sie zunächst, wenn es denn sein muss, alle prophetisch reden, und dann das Geredete prüfen und gegebenenfalls verwerfen sollten.
Als der Pastor anschließend damit fortfuhr, die inzwischen weit überfällige Erweckung in seiner schrumpfenden Gemeinde nun für Oktober oder November 2009 anzukündigen, schweifte ich gedanklich ab.

Als ich wieder zu mir - beziehungsweise zum Zuhören - kam, war gerade die Rede davon, dass Gottes Wort nun einmal wörtlich zu nehmen und nicht etwa auszulegen sei.

Ich schweifte schon wieder von hinnen, denn mir fiel ein Brief ein, der bereits etliche Jahre (in Variationen) im Internet kursiert. Er ist an einen der unzähligen »christlichen« Radio- und TV-Stars gerichtet, die wohl auch hierzulande inzwischen via Bibel-TV oder God-Channel oder wie diese Sender heißen, zu besichtigen sein sollen. Es geht um das wörtlich nehmen. Der Brief gefällt mir besser als die Predigt, die ich am Sonntag, soweit ich nicht schweifte, gehört habe, denn er ist erheblich kürzer:

Liebe Dr. Laura!

Vielen Dank, dass Sie sich so aufopfernd bemühen, den Menschen die Gesetze Gottes näher zu bringen. Ich habe einiges durch Ihre Sendung gelernt und versuche das Wissen mit so vielen anderen wie nur möglich zu teilen. Wenn etwa jemand versucht seinen homosexuellen Lebenswandel zu verteidigen, erinnere ich ihn einfach an das Buch Mose 3, Leviticus 18:22, wo klargestellt wird, dass es sich dabei um ein Gräuel handelt. Ende der Debatte.

Ich benötige allerdings ein paar Ratschläge von Ihnen im Hinblick auf einige der speziellen Gesetze und wie sie zu befolgen sind.

  • Wenn ich am Altar einen Stier als Brandopfer darbiete, weiß ich, dass dies für den Herrn einen lieblichen Geruch erzeugt (Lev. 1:9). Das Problem sind meine Nachbarn. Sie behaupten, der Geruch sei nicht lieblich für sie. Soll ich sie niederstrecken?
  • Ich würde gerne meine Tochter in die Sklaverei verkaufen, wie es in Exodus 21:7 erlaubt wird. Was wäre Ihrer Meinung nach heutzutage ein angemessener Preis für sie?
  • Ich weiß, dass ich mit keiner Frau in Kontakt treten darf, wenn sie sich im Zustand ihrer menstrualen Unreinheit befindet (Lev. 15:19-24). Das Problem ist, wie kann ich das wissen? Ich hab versucht zu fragen, aber die meisten Frauen reagieren darauf pikiert.
  • Lev. 25:44 stellt fest, dass ich Sklaven besitzen darf, sowohl männliche als auch weibliche, wenn ich sie von benachbarten Nationen erwerbe. Einer meiner Freunde meint, dass würde auf Polen zutreffen, aber nicht auf Österreicher. Können Sie das klären? Warum darf ich keine Österreicher besitzen?
  • Ich habe einen Nachbarn, der stets am Samstag arbeitet. Exodus 35:2 stellt deutlich fest, dass er getötet werden muss. Allerdings: Bin ich moralisch verpflichtet ihn eigenhändig zu töten?
  • Ein Freund von mir meint, obwohl das Essen von Schalentieren, wie Muscheln oder Hummer, ein Gräuel darstellt (Lev. 11:10), sei es ein geringeres Gräuel als Homosexualität. Ich stimme dem nicht zu. Könnten Sie das klarstellen?
  • Mit Brille zum Altar?In Lev. 21:20 wird dargelegt, dass ich mich dem Altar Gottes nicht nähern darf, wenn meine Augen von einer Krankheit befallen sind. Ich muss zugeben, dass ich Lesebrillen trage. Muss meine Sehkraft perfekt sein oder gibt's hier ein wenig Spielraum?
  • Die meisten meiner männlichen Freunde lassen sich ihre Haupt- und Barthaare schneiden, inklusive der Haare ihrer Schläfen, obwohl das eindeutig durch Lev. 19:27 verboten wird. Wie sollen sie sterben?
  • Ich weiß aus Lev. 11:7-8, dass das Berühren der Haut eines toten Schweines mich unrein macht. Darf ich aber dennoch Fußball spielen, wenn ich dabei Handschuhe anziehe?
  • Mein Onkel hat einen Bauernhof. Er verstößt gegen Lev. 19:19, weil er zwei verschiedene Saaten auf ein und demselben Feld anpflanzt. Darüberhinaus trägt seine Frau Kleider, die aus zwei verschiedenen Stoffen gemacht sind (Baumwolle/Polyester). Er flucht und lästert außerdem recht oft. Ist es wirklich notwendig, dass wir den ganzen Aufwand betreiben, das komplette Dorf zusammen zu holen, um sie zu steinigen (Lev. 24:10-16)? Genügt es nicht, wenn wir sie in einer kleinen, familiären Zeremonie verbrennen, wie man es ja auch mit Leuten macht, die mit ihren Schwiegermüttern schlafen? (Lev. 20:14)

Ich weiß, dass Sie sich mit diesen Dingen ausführlich beschäftigt haben, daher bin ich auch zuversichtlich, das Sie uns behilflich sein können. Und vielen Dank nochmals dafür, dass Sie uns daran erinnern, dass Gottes Wort ewig und unabänderlich ist.

Ihr ergebener Jünger und bewundernder Fan
XYZ

Na denn! Lasst uns die Homosexuellen verbrennen und ein paar Stiere steinigen. Oder war das umgekehrt? Oder sollte ich mir für Dreisiebzich die CD von der Predigt kaufen, die ich gedanklich dermaßen schweifend wohl nicht verstanden habe?

P.S.: Wie schön, dass Berlin so viele sehr verschiedene Kirchen und Gemeinden hat. Bis Weihnachten wollen wir so gut wie jeden Sonntag eine andere kennen lernen oder statt Gottesdienst einen Waldspaziergang machen. Oder ausschlafen. Oder sonst was.

Montag, 19. Oktober 2009

Alles um-, ein- und aufgeräumt

Nachdem Betty wieder abgeflogen ist (regelmäßige Blogbesucher wissen, wer Betty ist), hatte ich am Wochenende einen Computerwechsel zu bewältigen. Das ist nicht so leicht, wie es klingt, denn manche Programme sind ziemlich störrisch, selbst wenn sie auf dem »alten« Rechner bereits deaktiviert und deinstalliert sind, behaupten sie bei der Installation, dass man versuchen würde, sie illegal doppelt zu verwenden. Da war in Sachen Microsoft Office ein Anruf bei der Hotline nötig – die indisch / ägyptisch / irgendwieisch klingende Dame war sehr freundlich, kompetent, sachkundig. Mit ihrer Hilfe konnte die Aktivierung dann sofort durchgeführt werden.

windows

Nun ist alles am Platz auf dem neuen Rechner, schön aufgeräumt wie ich es mag (warum manche Zeitgenossen ihr Hintergrundbild mit lauter Icons verkleistern, ist mir schleierhaft) und ich kann mich wieder an die Arbeit mit dem Computer machen, anstatt den Computer selbst als Arbeitsauftrag zu haben. Und ich kann nachschauen, welchen Pfad die geschätzten Leser mir und dem Herrn Haberling vor die Füße legen wollen.

Samstag, 17. Oktober 2009

Nur für Juppi: Zeitgesteuert Bloggen

Wie kann man nachts um 01:11 Uhr einen Beitrag veröffentlichen und gleichzeitig in den Kissen (falls man mehrere hat) schlummern? Juppi stand vor einem Rätselberg, den ich hiermit gerne überwinden helfe.

Falls man mit Blogger arbeitet, klickt man links unter dem Eingabefeld auf Post-Optionen, und wie von Zauberhand eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten. Kommentare und Backlinks kann man zulassen oder nicht, und man kann Tag und Stunde bestimmen, wann der Beitrag sichtbar werden soll. Das ist natürlich unbiblisch, da es uns ja nicht gebührt, Tag und Stunde zu wissen. Aber es funktioniert!


Wer es vorzieht, mit Wordpress zu bloggen, muss nicht traurig sein. Dort kann man genau den gleichen Schlummern-und-doch-Veröffentlichen-Effekt erzielen.
Allerdings wird man hier nicht unter, sondern rechts neben dem Texteingabefeld fündig. Da steht »Veröffentlichen am: Irgendwas«, und daneben kann man auf »Bearbeiten« klicken. Und schon kann man eintragen, wann das geschätzte Publikum den Beitrag zu sehen bekommen soll.


Da fällt mir ein: Vielleicht ist das Ganze ja doch biblisch, da das Publikum Tag und Stunde nicht kennt? Wie auch immer, diesbezüglich dürfen die Theologen in den nächsten Jahrzehnten Abhandlungen schreiben.

Zu guter Letzt geht das Ganze natürlich auch mit dem Windows-Life-Writer, den ich (wegen seiner komfortablen Gestaltungsmöglichkeiten) am meisten schätze. Egal, wo der Blog beheimatet ist, ob bei Google oder Wordpress oder sonst irgendwo, auch hier gibt es die biblisch riskante Funktion.
Unten rechts im Fenster klickt man auf »Veröffentlichungsdatum«, wählt ein Datum aus und kann, wenn man auf die automatisch eingesteuerte Uhrzeit klickt, auch noch diese verändern.

juppi3
Na siehste. War doch nicht so schwer, oder?

Freitag, 16. Oktober 2009

Die Entblößung - Teil 3

Heute geht es, manche Leser werden rufen »endlich!«, mit der Entblößung des Stephan Haberling weiter. Es empfiehlt sich, Teil 1 und Teil 2 zu kennen - dieser Hinweis nur für den Fall, dass jemand auf verschlungenen Internetpfaden irgendwie unvermittelt zu diesem dritten Teil gelangt ist.

Am Schluss des vorangegangenen Abschnittes hatte ich die Leser eingeladen, den Fortgang mitzugestalten. Auch am Ende dieses Teiles gibt es kein Ende der Geschichte, sondern eine Frage an die Leser, denn wiederum ist die Fortsetzung noch nicht geschrieben. Doch nun erfahren wir zunächst, was in der E-Mail stand, die Stephan Haberling um 11:45 Uhr bekommen hatte.

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»Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andren zu« las er. Nun ja. Wie erwartet nicht wirklich hilfreich, was alter.ego da schrieb. Aber immerhin ein kleiner Hinweis, dass der ominöse Tunichtgut meinte, einen Anlass für die Entblößung zu haben.
Stephan Haberling überlegte, was er wohl wem wann angetan haben mochte, um diese seltsame Galerie auszulösen. Ihm fiel nichts ein, so sehr er auch grübelte. Seine journalistischen Aktivitäten waren seriös, er schrieb nicht für niveaulose Blätter wie die BILD-Zeitung oder die Regenbogenpresse. Er bemühte sich bei seiner Arbeit stets um Objektivität, selbst wenn er – auch das war nun mal Aufgabe eines Journalisten – einen Missstand aufzudecken, Machenschaften beim Namen zu nennen oder kriminelles Tun zu beschreiben hatte, unterschied er nach bestem Wissen und Gewissen zwischen zu verurteilendem Handeln und Herabwürdigung einer Person. Und manches, was einschlägige Blätter und Sender für berichtenswert hielten, war für ihn einfach keine Nachricht. Ob Veronica Ferres in Rom geheiratet oder Stephen Gatley vor seinem Tod einen Schwulenclub besucht hatte – das gehörte nicht zu dem, was in der Öffentlichkeit breitgetreten werden musste. Natürlich passierte genau das trotzdem, und die Auflage mancher Publikation hing genauso davon ab wie die Einschaltquoten gewisser Sender. Es gab einen Markt für derartige Inhalte, aber Stephan Haberling weigerte sich, diesen zu bedienen.
Er war sich keines einzigen Falles bewusst, wo er jemanden auf eine Weise öffentlich bloßgestellt hätte, die alter.ego nun zur sonderbaren Entblößung seiner Person hätte veranlassen können.
Auch seine Geschichten und Romane kamen nicht in Betracht, denn darin traten ausschließlich fiktive Personen auf.
Also blieb nur das wirkliche Leben, falls es überhaupt einen Anlass geben sollte. Stephan Haberling grübelte, ohne Erfolg. Es gab keine Episode in seiner Biographie, bei der er jemanden buchstäblich oder metaphorisch entblößt hätte. Er lebte ohne Ausschweifungen und Skandale, hatte keine Affären, stellte niemanden bloß, nur sich selbst gelegentlich, in der Sauna oder am geeigneten Strand. Das konnte alter.ego ja nicht meinen?

Einstweilen gab Stephan Haberling das Grübeln auf, um den zweiten Auftrag zu erledigen, der heute noch fällig war. Er hatte eine Routineaufgabe für die Redaktion der Deutschen Presseagentur zu erledigen: Den Nachruf für Bernhard Victor Christoph-Carl von Bülow, allgemein bekannter als Loriot, aktualisieren. Für Prominente, die ein gewisses Lebensalter erreicht hatten, wurden Nekrologe bereit gehalten, damit im Fall des Falles nicht erst recherchiert werden musste, und Loriot gehörte seit einigen Jahren zu denjenigen, deren Lebensdaten in diesem Archiv vorgehalten wurden. Insgesamt war Stephan Haberling für 40 Nachrufe für Personen aus dem kulturellen Bereich verantwortlich, er überprüfte und ergänzte an jedem Arbeitstag einen, so dass er ungefähr alle zwei Monate jedem einzelnen potentiell demnächst Verstorbenen gedanklich begegnete.
In den letzten Jahren war bei Loriot nicht viel dazu gekommen, am 8. Juni 2009 hatte die Stiftung Deutsches Kabarett den Künstler mit einem Stern der Satire bedacht, davor hatte es sie Verleihung des Ehrenpreises der Deutschen Filmakademie gegeben. Im September hatte eine Ausstellung im Bonner Haus der Geschichte begonnen, aber das war für den Nachruf unerheblich, zumal sie vorher in Berlin zu sehen gewesen war. Die beiden Ehrungen waren schon vermerkt.
Bernhard Victor Christoph-Carl von Bülow war nun 86 Jahre alt und Stephan Haberling gönnte ihm noch viele Jahre des wohlverdienten Ruhestandes. Loriot gehörte zu denjenigen, deren Filme und Sketche ihn auch beim x-ten Mal nicht langweilten. Für seine Schaffensperiode war er gelegentlich etwas risqué gewesen, von den entblößten Busen der vermeintlichen Mainzelmännchen (die ja wohl dem Oberkörper zufolge eher Mainzelmädchen waren) bis zu den Herren im Bad, die sich gelegentlich aus der Badewanne erhoben, wobei auch die etwas klein geratene Männlichkeit nicht verborgen blieb. Da war auch die Dame im Spielzeuggeschäft, die versonnen einen Holzstab in einem Bauklötzchen mit passendem Loch hin und her bewegte, oder die alkoholgeschwängerte Feststellung: »Es saugt und bläst der Heinzelmann, wo Mutti sonst nur blasen kann.« Nicht zu vergessen die Frage »Und wann wird er steif?« im Sketch mit der hochmodernen Feuerwehrspritze…

Solche Dinge waren natürlich verglichen mit dem, was heute im Kino und Fernsehen oder im Internet zu sehen war, harmlos. Wie harmlos mochte, überlegte Stephan Haberling, wohl seine Entblößung im Internet ausfallen, die ja kaum noch aufzuhalten schien? Er blickte auf seine Armbanduhr. 12:30 Uhr, somit konnte er sich ein Bier genehmigen, ohne sein selbst auferlegtes Gesetz zu brechen: Kein Alkohol vor 12 Uhr Mittags. Vielleicht sollte er auch einen Happen essen?

Ein Blick in den Kühlschrank überzeugte Stephan Haberling davon, dass der Besuch im Supermarkt nicht mehr aufzuschieben war. Der kümmerliche Rest Butter und eine einzige Scheibe Maasdamer ließen keine magenfüllende Mahlzeit erwarten, im Gefrierfach wartete eine einsame Pizza Tonno auf ihren Verzehr, mehr Vorräte gab es nicht. Er wusste selten, was er an Lebensmitteln einkaufen wollte, deshalb ging er so ungern zu Reichelt oder Rewe. Die endlosen Regale mit den verwirrend vielen Angeboten irritierten ihn jedes Mal, und in der Regel kam er Woche für Woche mit der gleichen Ausbeute zurück. Maasdamer und Kochschinken, Butter, Krustenbrot und Ölsardinen, Bier aus der Brauerei Krušovice oder Staropramen, zur Abwechslung auch mal Breznak. Dazu irgend etwas aus der Tiefkühlabteilung, meist Pizza. Langweilig, zugegeben, aber dafür war er sicher, dass ihm seine Mahlzeiten schmecken würden.
Er verließ die Wohnung und begegnete im Treppenhaus seinem Nachbarn Detlef Fischer. Genau der Mann, der ihm vielleicht bei seinem Entblößungsproblem helfen konnte. Warum war er nicht früher darauf gekommen? Detlef Fischer war Kriminalpolizist im Ruhestand, ein liebenswerter, gebildeter und immer freundlicher Mensch, dem Stephan Haberling schon bei einigen Computerproblemen hatte helfen können.
Der Einkauf war einstweilen vergessen.
»Guten Tag, Herr Fischer, haben Sie einen Moment Zeit?«
»Gerne, kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
»Das hoffe ich. Würden Sie so freundlich sein, in mein Arbeitszimmer zu kommen? Ich muss ihnen etwas zeigen, das nur so zu erklären, wäre zu schwierig. Und außerdem auch gar nicht logisch. Weil das, was da vor sich geht, gar nicht geht.«
»Da bin ich aber gespannt!«
Die beiden setzten sich an den PC und Stephan Haberling zeigte seinem Nachbarn die E-Mails und die Galerie mit den Bildern der fortschreitenden Entblößung. Er erklärte, dass er keine Ahnung hatte, wer alter.ego sein mochte und worauf er eigentlich hinaus wollte. Dann fragte er: »Und was mache ich nun?«
Detlef Fischer runzelte die Stirn und zuckte mit den Schultern. »Viel können Sie da nicht tun. Soweit ich es beurteilen kann, liegt keine strafbare Handlung vor.«
»Jemand zieht mich im Internet aus, und das ist nicht strafbar?«
»Darüber könnten die Juristen sich vermutlich jahrelang streiten. Die Fakten sehen für mich als Polizist so aus: Sie sind als Journalist und vor allem als Autor eine Person öffentlichen Interesses. Daher ist es zulässig, Fotos von Ihnen aufzunehmen und diese auch öffentlich zugänglich zu machen, ohne dass Sie vorher zustimmen müssen. Die Bilder zeigen einen Mann, der ein Kleidungsstück nach dem anderen – äh – ablegt wäre ja falsch, also verliert. Bisher ist nichts zu sehen, was als anstößig gelten könnte, Männer in Unterhose und T-Shirt sind kein Grund, sich zu entrüsten. Vorausgesetzt es geht so weiter, werden Sie übermorgen im Adamskostüm zu sehen sein. Dann – aber auch erst dann – könnte die Schwelle des Zulässigen überschritten sein, weil Ihre Intimsphäre verletzt ist. Voraussetzung ist, dass die Aufnahmen nicht an einem öffentlichen Ort gemacht wurden, zum Beispiel am FKK-Strand. Das ist ja ersichtlich nicht der Fall. Also sind es private Bilder. Wenn die in der Wohnung der Person entstanden sind, der sie nun veröffentlicht, ist dagegen erst mal nichts zu unternehmen. Wenn die Aufnahmen aus Ihrem Wohnzimmer stammen würden, wäre das eventuell anders, es sei denn, Sie hätten zugestimmt.«
»Habe ich nicht. Und die Bilder sind auch überhaupt nicht echt. Ich kenne weder den Raum, noch habe ich mich jemals auf diese Weise fotografieren lassen.«
»Aber die Narbe am Knie ist Ihre?«
»Ja.«
»Und die Kleidungsstücke?«
»Ich besitze das, was hier zu sehen ist, wenngleich es keine Einzelstücke sind.«
»Haben Sie nachgeschaut, ob vielleicht gerade dieses Freizeithemd oder diese Unterhose in ihrem Kleiderschrank fehlen?«
Darauf war Stephan Haberling nicht gekommen. Er stand auf und ging ins Schlafzimmer. Das gestreifte Hemd hing auf einem Bügel, die drei Jockey-Briefs lagen vollzählig in der Schublade.
»Alles da«, erklärte er seinem Nachbarn.
Detlef Fischer war einigermaßen ratlos. »Was mit Fotos beziehungsweise der Bildbearbeitung am Computer alles möglich ist, da kann man heutzutage nur noch staunen. Ich könnte einen ehemaligen Kollegen bitten, sich das anzuschauen, nicht dienstlich natürlich, da ja keine strafbare Handlung vorzuliegen scheint. Der Mann ist noch nicht pensioniert, hat also die komplette polizeiliche Ausrüstung zur Verfügung, und er ist Experte für Fälschungen und Manipulationen an Bildern. Er könnte, da die Auflösung ja sehr hoch ist, zumindest zweifelsfrei feststellen, dass es stimmt, was Sie sagen, nämlich dass diese Bilder nie aufgenommen wurden, sondern durch technische Manipulation zustande gekommen sind.«
»Würde er Ihnen denn diesen Gefallen tun?«
»Bestimmt. Soll ich?«
»Ja. Schon um meine Zweifel an der eigenen Zurechnungsfähigkeit zu beseitigen. Und dann?«
»Dann wüssten Sie, womit Sie es zu tun haben. Mit welchen technischen Tricks hier gearbeitet wird, vorausgesetzt, mein früherer Kollege kann das herausfinden.«
»Immerhin wäre ich einen Schritt weiter. Danke, Herr Fischer! Darf ich Sie zu einem Bier einladen?«
»Gerne. Sie haben immer diese tschechischen Sorten, ausgesprochen lecker.«
Stephan Haberling ging zum Kühlschrank und blickte auf eine Scheibe Maasdamer und einen Rest Butter.
»Entschuldigung, ich wollte gerade zum Supermarkt gehen, als wir uns im Treppenhaus gesehen haben. Nach dem Einkauf gibt es auch wieder Bier in meinem Kühlschrank. Im Augenblick leider nicht.«
Detlef Fischer nahm es nicht krumm, er versprach, am späten Nachmittag – womöglich schon mit Ergebnissen bezüglich der Fotos – auf die Einladung zurückzukommen.
Kann man innerhalb weniger Minuten vergessen, dass der Kühlschrank leer ist? Stephan Haberling schüttelte den Kopf. Werde ich mit meinen 48 Jahren schon senil? Wenn ja, was ist dann mit diesen Fotos? Habe ich mich vor einer Kamera entblößt und das einfach vergessen? Gibt es so etwas?
Verlorene Minuten, Stunden Tage – so etwas mochte es in Romanen und Filmen geben. Es mochte vorkommen, dass Menschen sich so betranken oder mit Drogen anfüllten, dass sich ihnen später Erinnerungslücken auftaten. Stephan Haberling konnte sich nicht erinnern, sich in den letzten zwanzig Jahren dermaßen betrunken zu haben, und von Drogen hielt er sich sowieso fern.
Er nahm seinen Mantel vom Haken im Flur und schloss die Tür hinter sich. Vielleicht klärte die frische Luft auf dem Weg zum Einkaufen ein wenig sein wie vernebeltes Gehirn. Im Treppenhaus meinte er, das Klingeln seines Telefons aus der Wohnung zu hören, aber er machte nicht kehrt sondern ging hinaus auf die Straße.

--- --- ---

Und nun, verehrtes virtuelles Publikum, liegt es in Eurer Hand, zu entscheiden, ob die Fotos der fortschreitenden Entblößung »echt« sind oder durch technische Tricks zustande gekommen sind. Davon wird letztendlich der Schluss dieser Erzählung abhängen, falls es jemals einen geben wird. Ich habe für beide Fälle eine ganz vage Idee, aber – Hand aufs Herz! – noch keine Ahnung, was wirklich als nächstes passiert.
Paul Auster schrieb in seinem Buch Leviathan: »Nobody knows where a book comes from, least of all the person who writes it.« Im Fall dieser Geschichte weiß ich zumindest, woher ein Teil der Wendungen kommt: Von den geschätzten Lesern.

Klarer Fall:
Die Fotos sind echt!
Die Fotos sind manipuliert!
Auswertung

Nachtrag 19. Oktober: Wer mag, kann noch klicken, aber ich nehme das Ergebnis von heute zur Kenntnis und als Grundlage für die Fortsetzung. Eine Zweidrittelmehrheit wünscht sich, dass die Fotos echt sind. Au weia!

Donnerstag, 15. Oktober 2009

Panama: Schön. Erweckung: Schön.

Panama Wappen von WikiCommons
»Wenn dann die Erweckung kommt, werden die Reihen hier voll sein«, sagte kürzlich ein Pastor in den überwiegend mit leeren Stühlen dekorierten Saal hinein. Begeistert klatschten viele der wenigen Anwesenden und freuten sich auf bessere Zeiten.

Charles G. Finney (1792-1875) hat es einmal so ausgedrückt: »Erweckung besteht aus der Erneuerung der Liebe und Gnade des Volkes Gottes und einer daraus resultierenden Bekehrung von Sündern zu Christus.«
Das macht eine Wahrheit deutlich, die oft nicht erkannt wird. Erweckung heißt nicht, dass die Sünder in Scharen Buße tun und an Jesus Christus glauben, um dann die Reihen in unseren Gemeindehäusern und Kirchen zu füllen. Erweckung heißt vielmehr, dass die Gläubigen aufwachen.
Finney sagte auch: »Eine Erweckung ist nötig, wenn Christen ihr mitfühlendes Herz für Nichtbekehrte verloren haben.« Andrew Murray (1828-1917) meinte: »Ich fürchte, eine große Selbstzufriedenheit unter vielen Christen lässt sie ein Leben auf der unteren Ebene führen. Sie meinen, mit der Bekehrung den Geist zu haben, kennen aber die Freude des Heiligen Geistes und seine Kraft kaum. «
Erweckung kommt für die und zu den Gläubigen, sie ist nicht für Menschen, die Gott noch nicht kennen. Erweckung heißt, dass wir als Christen erstens wach werden und zweitens etwas tun.

Normalerweise werden wir morgens nach dem Klingeln des Weckers aufstehen und die Zähne putzen, eine Dusche nehmen und uns anziehen.
Wir können dann frisch gewaschen und ordentlich gekleidet in unserer Wohnung sitzen bleiben und darüber nachdenken, dass da draußen irgendwo eine Arbeitsstelle vorhanden ist, an der wir eigentlich die nächsten acht Stunden verbringen sollten – oder dass es da eine Schule gibt, in der wir jetzt etwas zu lernen hätten, dass die Universität heute interessante Vorlesungen bietet…
Genauso können wir geistig erfrischt und ordentlich ausgerüstet sitzen bleiben und darüber nachdenken, dass da draußen eine Welt ist, die verloren geht. Wir können darüber nachdenken, wie gut es doch wäre, wenn die Menschen errettet würden.

»Oh, wie schön ist Panama«, sagte der kleine Tiger, als er eine Kiste fand, die nach Bananen roch.
»Oh, wie schön ist Erweckung«, freute sich der Pastor, weil dann sein Saal nicht mehr so leer aussehen wird.

Mittwoch, 14. Oktober 2009

A pothy key

Betty, unser amerikanischer Besuch, meinte während der Heimfahrt von einem Ausflug in die City:
I know we're almost there. I just saw the red sign »A pothy key«.
Ich musste mir das erst mal im Geist aufschreiben, übersetzen, hin und her schieben und mehrfach radieren, bevor ich wusste, welches Schild sie über einem Geschäft in unserer Nachbarschaft gesehen hatte.

Und, liebe Leser? Geistesblitze irgendwo?

Gann gein Schinesisch!

Wir haben gerade Besuch aus Kansas. Kansas liegt mitten in Amerika. Amerika liegt woanders. Wie auch immer: Jedenfalls habe ich versucht, chinesische Schriftzeichen ins Englische zu übersetzen.

chinesischZur Erheiterung trugen meine Übersetzungskünste jedenfalls bei. Geschmeckt hat auch alles. Was will man mehr.

Dienstag, 13. Oktober 2009

Das klassische Patt …

… gab es Montag früh zu sehen, als ich nach dem Ausgang der Abstimmung über den Fortgang der Erzählung »Die Entblößung« Ausschau hielt.

FiftyFifty

Erneut eine angesichts der Lesermenge sehr geringe Wahlbeteiligung (der Beitrag hatte von Freitag bis Montag früh weit über 700 Zugriffe), und heraus kam ein Ergebnis, das mir eine Koalition mit alter.ego genauso ermöglicht wie eine Koalition mit Stephan Haberling.

Also wartete ich noch mal 24 Stunden, und siehe da:

Na so was Wie ich mich entscheide, lasse ich einstweilen offen, die Fortsetzung der Geschichte folgt demnächst an dieser Stelle…

Montag, 12. Oktober 2009

Bob Dylan: Christmas in the Heart

Bob Dylan scheut nicht vor der lateinischen Strophe von »O Come All Ye Faithful« zurück. Er unterlässt es nicht, »Here Comes Santa Claus« mit Schlittenschellen einzuleiten. Auch schmachtende Hawaii-Gitarren fehlen nicht bei »Christmas Island«. Die einzige interpretatorische Überraschung ist die High-Speed-Polka-Version von »Must Be Santa«.

Selten gab es so viele kontroverse Diskussionen vor dem Erscheinen eines neuen Albums von Bob Dylan wie in diesem Fall. Und die gegensätzlichen Meinungen werden auch nicht aufhören, nachdem sich nun die CD in zahlreichen Abspielgeräten dreht.

cidh Dieses Album ist kein Bob Dylan Album. Kein einziges der 15 Lieder hat er selbst komponiert. Ich weiß nicht, ob ihm ein eigenes Weihnachtslied gelungen wäre, wenn er gewollt hätte, aber er wollte gar nicht. Schon das klassisch anmutende Cover der CD macht klar, worum es hier geht: Traditionelle Weihnachtslieder, mehr oder weniger gesungen von Bob Dylan.

Auch die Interpretationen sind nicht seine oder irgendwie ausgefallen (abgesehen von »Must be Santa«, aber auch das ist keineswegs »typisch Dylan«), sondern genauso konservativ wie die Auswahl der Lieder. Die Musiker (Tony Garnier, George Receli, Donnie Herron, David Hidalgo, Phil Upchurch und Patrick Warren) sind im wesentliche seine aktuelle Tourband beziehungsweise bei »Together Through Life« zu hören, dazu kommen sieben »mixed voice singers« – bei Konzerten des Meisters gibt es solche nicht. Aber zu manchen Weihnachtsliedern gehört nun mal ein Chor. Und der klingt dann so weihnachtlich, wie amerikanische Weihnachtslieder nun einmal klingen.

Das einzige, was an dieser CD einzigartig ist, und das war zu erwarten, ist die Stimme. Wer die CD »Together through Life« kennt oder ein Konzert aus den letzten Jahren gehört hat, weiß, wie das klingt: Bob Dylan »singt« auf seine unvergleichlieche Art, und das können manche nicht leiden, andere sind begeistert. Dazwischen dürfte es so gut wie keine Grauzone geben. Ein Fan schrieb: »YES! He sounds like a toothless drunk Irish guy!!!! That totally nails it!!!« Genau das kann man / wird man mögen oder nicht.

Passt nun diese Stimme ausgerechnet zu Weihnachtsliedern der klassischen Variante? Für mich: Ja. Für andere (einigen Kritiken zufolge): Nein. Die hören lieber zu weichgespülten Songs auch einen weichgespülten Gesang, aber bei Bob Dylan gibt es alles mögliche zu hören, bloß nichts derartiges.

Er kann bei einigen Liedern durchaus sanfte Töne anschlagen, bei anderen wiederum fröhlich draufloskrächzen, er kann sentimental gurgeln oder lauthals knarzen… – und genau das mag ich an den CDs der letzten Jahre. Einschließlich dieser Weihnachtsscheibe.

Wem »If you ever go to Houston« gefällt, wer bei »Joleen« einfach gute Laune bekommen muss, wer gerne »Thunder on the Mountain« grummeln hört oder bei »Cold Irons Bound« richtig warm wird, der wird auch diese CD genießen können.

Wer dagegen die »Christmas Songs« von Bing Crosby mag, oder Frank Sinatras »Christmas Album«, ganz zu schweigen von Mariah Caryes »Merry Christmas«, der sollte um Bob Dylans »Christmas in the Heart« einen Bogen machen, obwohl zum großen Teil die gleichen Lieder enthalten sind. Auf »Christmas in the Heart« singt jemand auf seine Art aus spürbar vollem Herzen, mit Hingabe und Eifer die Weihnachtsbotschaft - aber es ist eben Bob Dylan und nicht irgendjemand sonst.

Dass er und die Musiker eine Menge Spaß hatten, als sie diese 15 Songs einspielten, ist unverkennbar herauszuhören. Nicht zuletzt an den Namen der Rentiere vor dem Schlitten im 10ten Track. Ich will den Spaß des selbst Entdeckens niemandem verderben, daher verkneife ich es mir, hier zu offenbaren, worüber ich an dieser Stelle vergnügt lachen musste. Mein Eindruck ist derselbe wie beim Album »Together through Life«: Die Musiker haben die Aufnahmesessions insofern ernst genommen, dass sie nicht aus Verpflichtung, sondern aus Freude an der Musik zusammen spielen - und daher viel Spaß und bestes Gelingen im Studio gehabt. Das bleibt dem Zuhörer nicht verborgen.

Der Erlös der CD geht jetzt und in alle Zukunft an drei Wohltätigkeitsorganisationen. Zumindest damit könnte sich derjenige trösten, der nach dem Kauf feststellt, dass die Kombination von traditionellen Weihnachtsliedern mit dieser unbeschreiblichen Stimme ihm nicht gefällt.

Die CD gibt es zum Beispiel hier bei Amazon: Christmas in the Heart

Sonntag, 11. Oktober 2009

Gastbeitrag Jesus: Sonntag bedeutet Gottesdienstbesuch?

Viele werden an jenem Tage zu mir sagen: Herr, Herr! Haben wir nicht jeden Sonntag treu und unermüdlich im Gottesdienst durch deinen Namen geweissagt und durch deinen Namen Dämonen ausgetrieben und durch deinen Namen viele Wunderwerke getan? Und auch jeden Mittwoch waren wir im Hauskreis zusammen, um deine Nähe zu genießen!

Und dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch niemals gekannt. Weicht von mir, ihr Übeltäter!

comeonout

Dann werden andere zu mir sagen: Leider waren wir selten oder gar nicht im Gottesdienst, daher konnten wir nicht die Salbung spüren und dir nicht dienen, denn wann sahen wir dich hungrig und speisten dich? Oder durstig und gaben dir zu trinken? Wann aber sahen wir dich als Fremdling und nahmen dich auf? Oder nackt und bekleideten dich? Wann aber sahen wir dich krank oder im Gefängnis und kamen zu dir? Wir waren leider zu selten im Gottesdienst, wo deine Gegenwart zu finden gewesen wäre...
Und ich werde antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch, was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, habt ihr mir getan.

P.S.: Das klingt zu radikal? Wer mehr oder weniger irritiert ist, der lese freundlicherweise die Kapitel 7 und 25 aus dem Evangelium des Matthäus.

P.P.S.: Bild – wer hätte es nicht erkannt? – vom unvergleichlichen Jon Birch

Samstag, 10. Oktober 2009

Der Kindle ist da ...

... und doch nicht richtig da. Amazon konnte sich offenbar in 100 Ländern außerhalb der USA mit Mobilfunk-Anbietern auf einen Pauschalvertrag einigen, was die Voraussetzung für den sinnvollen Betrieb des Gerätes darstellt. Denn im Gegensatz zu anderen E-Book-Readern braucht der Kindle weder PC noch W-LAN, um Bücher oder Zeitungen zu laden. Wo Mobilfunk funktioniert, funktioniert auch die Kindle-Verbindung zum Download neuer Inhalte - ohne Mobilfunk-Vertrag, ohne jegliche oder einmalige Kosten abgesehen vom Preis für das Buch, das man kaufen will natürlich. Oder die Zeitung.

Allerdings: Bestellen kann man zur Zeit nur über den US-Amazon-Gemischtwarenladen, auch der Versand erfolgt aus den USA. Mit Zoll- und Versandgebühren kommen so rund 300 Euro zusammen, das überlegt man sich dann doch zwei oder dreimal.
Außerdem werden Garantie- und Reparaturfälle ebenfalls über die USA abgewickelt, was im Fall der Fälle zu erheblichen Verzögerungen und weiteren hohen Versandkosten führt.
Die aktuellen Bestseller kosten im Schnitt 9,95 Dollar, im Vergleich zur gedruckten Auflage eine spürbare Einsparung. Man kann dem Vernehmen nach in die Bücher vor dem Kauf hineinlesen, vergleichbar dem Blätter in einer Buchhandlung. Speicherplatz gibt es im Gerät für etwa 1.500 Bücher, das sollte eine Weile reichen. Der Bildschirm ist (wie auch der des Sony-Readers) selbst bei hellem Sonnenlicht gut zu lesen, der Kindle hat eine bessere Auflösung (16 Graustufen) als der Sony-Rivale.

Falls es Amazon irgendwann schafft, die Geräte von der deutschen Zentrale aus zu vertreiben und eine hiesige Garantie- und Reparaturabwicklung anzubieten, dürfte der Preis von derzeit insgesamt 300 Dollar auf etwa 200 Euro purzeln - was den Umsatz vermutlich ganz erheblich ankurbeln könnte. Wenn ein Buch dann etwa 9,95 Euro statt 29,95 Euro kostet, könnte man bei den Büchern, die man nur einmal lesen, aber nicht unbedingt für die Erben aufbewahren will, nach dem 11ten Buch in der Gewinnzone landen.

Für mich gilt allerdings einstweilen: Der Kindle ist zwar da, aber nicht da genug. Ich greife weiter zu Büchern aus Papier und Druckerschwärze. Obwohl ich schon so lange warte, dass der Kindle endlich zu uns kommt. (Beweise: 6. März 2009 / 21. Februar 2009 / 12. August 2008)

  • Mehr zum Gerät bei Spiegel Online
  • Foto der Kindle lesenden Dame am Strand: Amazon

Freitag, 9. Oktober 2009

Die Entblößung - Teil 2

Heute geht es mit der Entblößung weiter, wo es letzte Woche aufgehört hat. Wer den ersten Teil nicht gelesen hat, sollte dies vor der Lektüre dieser Fortsetzung nachholen, sonst hapert es womöglich mit dem Verständnis. In diesem Fall: Hier klicken.

Und noch die faire Warnung: Auch dieser Teil endet nicht mit einem Ende, sondern mitten drin. Am Schluss darf wieder mitbestimmt werden, wie es weitergehen soll.

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Eine neue E-Mail von alter.ego lag im Posteingang bereit. Er öffnete die Mail und las: »Man könnte das ja noch aufhalten. Irgendwie.«

Das vierte Foto in der Galerie zeigte wie erwartet die gleiche Szene und ein Kleidungsstück weniger. Stephan Haberling betrachtete es gründlich, um vielleicht doch endlich Sicherheit zu bekommen, ob er selbst oder ein verblüffend ähnlicher Mensch abgebildet war. Verschwunden war – eigentlich hatte er bereits erwartet, dass die »falsche« Reihenfolge sich fortsetzen würde – die Jeans, und nun stand die Person in T-Shirt und Slip unter dem Halogenstrahler. Die Auflösung der Aufnahme war groß genug, um in das Bild hinein zu zoomen, und als er das linke Knie genauer betrachtete, wusste er, dass – wie auch immer die nie aufgenommenen Bilder ins Internet gelangen mochten – er selbst abgebildet war.
Die Narbe war zwar kaum noch zu sehen, aber zweifellos da. Verblüffende Ähnlichkeit zwischen zwei Menschen mochte es geben, aber Narben sind so einzigartig wie Fingerabdrücke.
Er war als 13jähriger bei einem Wettlauf anlässlich der Bundesjugendspiele ins Straucheln geraten und gestürzt. Hautabschürfungen an beiden Armen waren die Folge, aber das war nur der geringste Schaden, über so etwas hätte er als richtiger Junge keine Bemerkung verloren. Ein Indianer, das war so klar wie Quellwasser im Glas, kannte keinen Schmerz. Zwar war er kein Indianer, aber wen interessierten schon solche Kleinigkeiten, wenn es darum ging, ein Junge zu sein? Mädchen durften weinen, Jungs waren hart im Nehmen. Basta.
Er hatte noch versucht, von der Rennbahn auf das Gras neben dem rauen Splitbelag zu fallen, hatte sich im Sturz zur Seite geworfen. Zwischen Rennbahn und Gras gab es jedoch eine Einfassung aus scharfkantigen Pflastersteinen, und sein linkes Knie prallte mit voller Wucht auf deren Rand. Nach dem Unfall wurde der Sportplatz gesperrt und die hochragenden Einfassungen mit den scharfen Kanten entfernt, aber davon profitierte Stephan Haberling nicht mehr.
Zunächst spürte er nichts. Er lag etwas benommen halb auf der Wiese, halb auf dem Split und sah reichlich Blut aus der klaffenden Wunde rinnen. Schüler und Sportlehrer standen um ihn herum und redeten, aber was sie sagten, drang nicht durch. Er war im mentalen Nebel gut aufgehoben, wie ein Beobachter, ein Unbeteiligter. Erst als man ihn auf eine Trage bettete und in den Notarztwagen schob, setzte der Schmerz ein. Der war schlimmer als alles, was er bis dahin gekannt hatte. Indianer hin oder her – die Tränen ließen sich nicht zurückhalten. Und es war ihm in diesem Moment noch nicht einmal peinlich.
Zwei Monate später war die Kniescheibe repariert, die Schmerzen Vergangenheit und das Knie wieder einigermaßen zu gebrauchen. Es dauerte noch einige Zeit, bis er die frühere Beweglichkeit und Belastbarkeit erreichte, und die Narbe war bis heute sichtbar. Das jüngste Foto in der Galerie zeigte sie mit ausreichender Deutlichkeit.

Der ominöse alter.ego hatte also ihn selbst aufs Korn genommen. Wenn es so weiter ging, dann würde er sich in zwei Tagen nackt betrachten können. Das war nicht weiter bedenklich, denn wie er ohne Textilien aussah, wusste er; er brauchte nur vor oder nach dem Duschen in den Spiegel schauen, falls er sich unsicher war, ob sein Bauch eine Wölbung zeigte, die er früher nicht gekannt hatte. Er war nicht dick, nein, das wäre bestimmt übertrieben ausgedrückt, aber kritisch betrachtet konnte nicht die Rede davon sein, dass er einen Waschbrettbauch besaß.
Seine Entblößung war auch insofern unproblematisch, dass er gerne in die Sauna ging oder nach wie vor, obwohl die Anschaffung von Badebekleidung keine finanzielle Hürde mehr darstellte, ohne Bedenken mal einen FKK-Strand aufsuchte. Wenn bei solchen Gelegenheiten ein fremder Blick auf sonst verhüllte Körperregionen fallen sollte, lag das in der Natur der Sache. In der Sauna und am Strand gab es zweifellos unansehnlichere Erscheinungsformen der menschlichen Gestalt als seine. Allerdings auch ansehnlichere, da machte er sich nichts vor.
Aber eine Entblößung im Internet, in einer öffentlich zugänglichen Galerie, das war dann doch etwas anderes, als nackt unter Nackten zu entspannen. Zumal er nicht wusste, was alter.ego eigentlich plante. Am männlichen Körper ist ein Bestandteil in Größe und Winkel sehr veränderlich, und aus einem mehr oder weniger geschmackvollen Aktfoto kann allein dadurch etwas Anstößiges werden, dass die Veränderung ersichtlich ist. »The Excitement« hatte Frank McCourt den Zustand in einem Roman genannt, und ein männlicher Körper einschließlich sichtbarem »Excitement« gehörte eindeutig nicht mehr in die Rubrik Aktfoto.

»Man könnte das ja noch aufhalten. Irgendwie.«, hatte der ominöse Urheber des ganzen Schlamassels geschrieben. Allerdings wusste Stephan Haberling beim besten Willen nicht, wie. Er konnte natürlich zur Polizei gehen und den Fall schildern, die E-Mails vorlegen, auf die Galerie verweisen und dann hoffen, dass dem Spuk ein Ende zu bereiten wäre. Er konnte auch Picasaweb kontaktieren und darum ersuchen, die Galerie zu entfernen. Vielleicht wäre das die einfachere Variante? Wie schnell waren wohl die Reaktionszeiten der Verantwortlichen?
Zunächst einmal antwortete er auf die E-Mail: »Wie könnte man das denn aufhalten?« Er schickte die Antwort ab und ging duschen.

Warum, darüber dachte er nicht nach, aber Stephan Haberling wählte entgegen seiner Gewohnheit die »verkehrte« Reihenfolge. Zuerst schlüpfte er aus der Pyjamahose, dann aus dem Oberteil.
Nach der Dusche zog er sich so an, wie seinerzeit die kleine Natalie. Zuerst das T-Shirt, dann das Oberhemd und darüber, da die Oktobertage schon recht kühl waren, einen leichten Pullover. Er schaute sich beim Anziehen im Spiegel zu und musste grinsen, als sich »The Excitement« einstellte. Das kommt davon, wenn man sich verkehrt herum anzieht, dachte er und schlüpfte belustigt über das Eigenleben unter der Gürtellinie in die übrigen Kleidungsstücke.
Schließlich ging er in die Küche, zapfte einen Kaffee Latte aus der Maschine und setzte sich wieder an den Computer, um das Bild des vierten Tages noch einmal genauer zu untersuchen.
jobr Dass er selbst abgebildet war, wusste er nun, denn die Narbe war unverwechselbar. Demnach gehörten auch die inzwischen verschwundenen und die noch verbliebenen Kleidungsstücke zu seiner Garderobe. Das T-Shirt war Massenware, und auch der Slip keineswegs ein Einzelstück. Allerdings war die Wahrscheinlichkeit, ihn in einer Wäscheschublade zu finden, hierzulande eher gering. Stephan Haberling hatte sich im Vorjahr bei einer Amerika-Rundreise Wäsche gekauft, weil er zu wenig mitgebracht hatte. Wozu auch den Koffer auf dem Hinflug unnötig füllen, wenn der Dollarkurs so günstig und Bekleidung in Amerika sowieso erschwinglich war. So war er in den Besitz von mehreren Jockey-Briefs gekommen, das vierte Foto aus der mysteriösen Sammlung von alter.ego zeigte ein solches Exemplar mit dem in Europa eher seltenen Schnitt.
Er hatte sich im Wal-Mart bei der Größenangabe auf der Packung vertan und eine Nummer zu groß gekauft, aber er trug die Wäsche trotzdem, sie war zwar weiter als gewohnt und gewünscht, aber nicht so weit, dass sie ihm von den Hüften gerutscht wäre.
Seine Gedanken kreisten wieder um die mögliche Anstößigkeit dessen, was alter.ego da am nächsten oder übernächsten Tag zu enthüllen gedachte. Offenbarte dieses Foto bereits, wie es um den Zustand »da unten« bestellt war? Womöglich spielte das auch keine Rolle, denn so undenkbar die Herkunft der Bilder war, so unabwägbar war natürlich die Frage, inwieweit der abgebildete Körper statisch sein mochte. Aber na ja, nachsehen konnte er ruhig mal. Er zoomte wieder in das Bild hinein.

Die nächsten Stunden widmete sich Stephan Haberling seiner Arbeit, die konnte er schließlich nicht einfach liegen lassen. Er war freier Journalist und Autor, zwei Redaktionen erwarteten bis zum Nachmittag Artikel von ihm. Zunächst wollte er sich der schwierigeren Aufgabe widmen: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte eine Analyse dessen angefordert, was Sarrazin wirklich gesagt hatte und in welchem Zusammenhang die gerade heiß diskutierten Zitate standen. Die Ausgabe der »Lettre International« lag neben dem Computer und Stephan Haberling las in Ruhe mit der gebotenen Sorgfalt durch, was es mit den vielen kleinen Kopftuchmädchen auf sich hatte. Mit Textmarker und Bleistift bereitete er seine Analyse vor.
Dabei schaute er gelegentlich in den Posteingang seines Googlemail-Kontos und um 11:45 sah er, dass alter.ego eine Antwort – womöglich immerhin – geschickt hatte. Wahrscheinlich war es auch nur eine weitere Botschaft, die ihm nicht weiterhalf. Vielleicht jedoch verriet die E-Mail, wie aufzuhalten war, was Stephan Haberling hier widerfuhr?

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So, und nun wieder eine Frage zum weiteren Verlauf an die geschätzten Leserinnen und Leser. Alle bis Montag, 12. Oktober, 5:55 Uhr abgegebenen Stimmen entscheiden darüber mit, wie die Geschichte weiter geht. Die Fortsetzung ist noch nicht geschrieben.

Bittesehr, einfach auf die gewünschte Antwort klicken:



Wer mag, kann noch Textvorschläge für die E-Mail als Kommentar hinterlassen, ich habe nämlich keine Ahnung, was alter.ego geschrieben hat.

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Nachtrag 13.10.: Inzwischen schreibe ich weiter, die Entscheidung der Leserinnen und Leser zu berücksichtigen wird dieses mal etwas schwierig: Ein klassisches Patt.

Wer mag, kann weiter fröhlich abstimmen, aber nun natürlich hat das keinen Einfluss auf die Erzählung mehr, da ich an der Fortsetzung arbeite.