Dienstag, 25. September 2007

Beweisführungen

Ich habe letzte Woche (in meiner Eigenschaft als Mitarbeiter einer Redaktion) mehrere Artikel und Abhandlungen über ein in manchen Kreisen immer noch strittiges Thema gelesen: Masturbation. Für die Mehrzahl dieser Texte gilt das, was Storch in einem ganz anderen Zusammenhang, dem Dorn im Fleisch des Paulus, schreibt:


Die Stelle ist geradezu ein Paradebeispiel dafür wie Christen oft zu falschen Ansichten kommen. ... Interessanterweise muss der Stachel für einige absurde Theologien als „Beweisführung“ herhalten – wo die Bibel schweigt kann man offenbar hineininterpretieren, was man will.


Die Bibel schweigt, und es wird in dieses Schweigen hineininterpretiert, was die jeweilige durch Erziehung, kulturelles Umfeld oder sonstwie erworbene Meinung verlangt. Es wird munter nachgeplappert, was man hier oder dort gehört oder gelesen hat, ohne zu hinterfragen. Das gilt nicht nur für den Dorn im Fleisch.

Jeder darf, kann und soll seine persönliche Meinung zu verschiedenen Fragen haben, dagegen spricht ja nichts. Aber es spricht sehr viel dagegen, finde ich, diese Auffassung dann als "christlich" oder gar als "biblisch" zu verkünden. Was die Bibel nicht sagt, kann nicht biblisch werden, indem man die Lücken auf mehr oder weniger abenteuerliche Weise zu schließen versucht.

Ebenfalls als Redaktionsmitarbeiter habe ich mir ein Buch zugemutet, das vor drei Wochen erschienen ist. Aus einem "christlichen Verlag", von einem "christlichen Autor". Es ist (abgesehen von der hundsmiserablen handwerklichen Qualität) haarsträubend. Es ist grauenhaft Es ist voller Mutmaßungen, was Gott meinen und wollen könnte - und diese (oft genug lächerlichen) Spekulationen werden als "biblisch fundiert" verkauft. Es ist voller Behauptungen, die der mir vorliegenden Bibel, egal welche Übersetzung ich wähle, widersprechen. "Gott redet überwiegend durch Träume zu den Menschen", behauptet das Buch zum Beispiel. Der Autor verkündet, dass Gott fast ständig "geheime Botschaften" von sich gibt, die es zu entschlüsseln gilt. "Gott wird Namen, die sich reimen, Wortspiele, Rätsel, Sprüche, einfach alles, was vorstellbar ist ... gebrauchen."
Pardon, aber das ist nicht der Gott, der in meiner Bibel mit seinen Kindern kommuniziert.

Es gibt noch immer viel zu wenig Christen, die selbst die Bibel lesen. Der Pastor oder ein "christlicher Autor" verkündet etwas, und damit muss es ja schließlich stimmen. Das könnte auch tatsächlich gelten, wenn Pastoren oder andere geistliche Leiter Menschen wären, die gegen jeden Irrtum, jede Fehlinterpretation gefeit wären. Sind sie aber nicht, so weit meine Kenntnisse reichen.

Jeder kann selbstverständlich seine Meinung zu in der Bibel nicht behandelten Themen haben und sagen, dagegen spricht ja nichts. Es ist zulässig, für sich selbst Schlüsse zu ziehen, aus dem Alltag, aus Erlebnissen, aus Erfahrungen. Wenn Gott zu einer Person überwiegend durch Träume spricht, ist das völlig in Ordnung, solange daraus keine allgemein gültige Regel gebastelt wird. Wer meint, dass der Stachel im paulinischen Fleisch ein Augenleiden gewesen sei, sündigt nicht.

Beweisführungen, die Lücken füllen wollen, wo die Bibel nichts sagt, sind so wertvoll wie eine Mineralwasserflasche ohne Etikett im Rückgabeautomaten. Mein Tipp: In die Tonne damit.

Lieber selber forschen und für sich selbst Antworten finden.