Mittwoch, 1. September 2010

Neuland – Teil 1

Ich habe neulich eine Erzählung ausgebuddelt, die ich vor etwa 20 Jahren geschrieben habe. Beim Lesen war sie mir fast wie fremd, und an den Schluss konnte ich mich tatsächlich nicht erinnern. Wenn man so will, habe ich mich also zeitversetzt selbst überrascht.

Stilistisch war die Geschichte, so wie ich sie damals geschrieben habe, unbrauchbar. Aber beim Lesen fand ich, dass sie mit einiger Überarbeitung denn doch den Lesern aufzutischen wäre, soweit sie interessiert sind. Geschmäcker sind verschieden, und das ist auch gut so. Also muss diese Erzählung nicht allen gefallen, aber es könnte ja sein, dass … fische ich hier nach Komplimenten? Möglich. Also lassen wir das.

Nur noch so viel: In welchem zeitlichen Rahmen ich meinen geschätzten Blogbesuchern die Geschichte hier präsentieren kann, vermag ich noch nicht zu sagen. Ich bin dabei, Stück für Stück, Seite für Seite den Text zu be- und überarbeiten und werde nach und nach das Ergebnis dieser Bemühungen hier vorstellen. Hierzu passt ein deutsches Sprichwort, das ich eben erfunden habe: Wer lesen will, muss warten.

So. Ende der Vorrede. Hier kommt Teil 1.

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This is the end, the end of the world
-Bob Geldof

Look, how long we’ve been telling you about it!
-Ziggy Marley

Morgengrauen

Fritz Wegmann hatte sich geirrt. Sein ganzes bisheriges Leben lang hatte er sich geirrt. Er war der Ansicht gewesen, die Nacht seien die Stunden, vor denen man sich fürchten müsse, wenn es denn überhaupt eine Zeit zum Fürchten geben sollte. Aber das stimmte jetzt nicht mehr. Die Nacht war seine Freundin gewesen, denn sie verbarg gnädig das, was das erste fahle Tageslicht erbarmungslos offenbarte. Das Grauen des Morgens, ging es ihm durch den Kopf, als er hinausblickte.

Er war kein ängstlicher Typ, neigte nicht zur Panik, aber er wünschte, die Nacht hätte angedauert, dann hätte er nicht sehen müssen, was er sah und doch nicht begriff.

In der Dunkelheit waren es nur Geräusche gewesen, die alles Mögliche hätten bedeuten können. Es wäre mit etwas Überwindung denkbar gewesen, dass der Wind mit dem Unterholz hinter dem Haus spielte, dass irgendwelche großen Tiere aus dem Wald sich draußen zu schaffen machten, womit auch immer, die aber bei Tagesanbruch wieder ihre dunklen Verstecke aufsuchen würden. Es wäre sogar die Vorstellung möglich gewesen, dass Menschen irgendeine lärmende Tätigkeit ausübten, die sie vor den Blicken Fritz Wegmanns verstecken wollten. Menschen waren hier zwar eine Rarität, gerade deshalb hatte er ja diesen Ort zum Lebensmittelpunkt erkoren; aber es hätten zur Not Menschen sein können, deren Verrichtung dort knarzte und knurrte in der Nacht, wenn es auch viel Phantasie und Selbstüberwindung erfordert hätte, sich das vorzustellen. Er hatte sich immerhin einigermaßen erfolgreich eingeredet, dass in dieser finsteren Nacht dort draußen nichts wirklich Bedrohliches geschah. An seiner Hütte immerhin hatte nichts und niemand sich zu schaffen gemacht.

MorgengrauenDas Grauen offenbarte sich jetzt mit der Dämmerung. Es waren keine Menschen, keine Tiere, kein Wind am Werk gewesen. Allerdings hatte er auch keine Ahnung, was er da eigentlich ash.

Er hätte doch fliehen sollen. Er hatte die Warnung nicht ernst genug genommen, bis zu diesem Morgen. Nun war es offenbar auch für ihn zu spät. Sie waren da. Woher sie gekommen waren, ob sie waren, was er vermutete, ob sie schon immer da gewesen waren, wie uralte Fabeln es berichteten, das war in diesem Moment unerheblich.

Ein betagter, wettergegerbter Mann, der im letzten Winter wie aus dem Nicht aufgetaucht und nach zwei Tagen wieder verschwunden war, hatte ihm von ihnen erzählt.

Gastfreundschaft war Fritz Wegemann selbstverständlich; wer in der unwegsamen Einöde an seine Tür klopfte, wurde hereingebeten, beköstigt und beherbergt. Der Fall trag äußerst selten ein, die Besuche in den letzten Jahren konnte er an einer Hand abzählen.

Der Wanderer, der die seltsame Fabel mitbrachte, stand eines Nachmittags auf der Lichtung, in einen Mantel aus Fell gehüllt, schwere Stiefel an den Füßen, über denen sich Hosen aus rauem Stoff sehen ließen. Auf dem Kopf trug er einen Filzhut, die Hände steckten in Fäustlingen aus Leder. Er stand auf der Lichtung und betrachtete stumm die Hütte und Fritz Wegemann, der gerade Holz vor ihrer Türe hackte.

Er musste den Blick gefühlt haben, konnte aber nicht sagen, wie lange der Fremde schon dort gestanden hatte, bevor er sich umdrehte und ihn erblickte.

»Guten Tag«, sagte er nach einem Moment der Überraschung.

»Gott zum Gruße.«

»Ich habe Sie nicht kommen hören. Stehen Sie schon länger da?«

Der Alte schüttelte den Kopf und blickte zur Hütte.

Fritz Wegemann sagte: »Kommen Sie herein, das Kleinholz reicht für heute und morgen. Setzen Sie sich ans Feuer, ich koche uns einen Tee.«

Der Besucher trat ein und klopfte den Schnee von den Stiefeln. »Friede sei mit diesem Haus«, sagte er, während er die Handschuhe auf das Brett neben der Tür legte, seinen Hut abnahm und den Mantel aufknöpfte.

Fritz Wegemann legte frisches Holz auf das fast heruntergebrannte Feuer und deutete auf die Bank unter dem Fenster. »Setzen Sie sich. Herzlich willkommen in meiner bescheidenen Behausung.«

Nachdem er einen Topf mit Wasser auf den Rost über den Flammen gestellt hatte, betrachtete Fritz Wegemann seinen Gast. Er mochte über 70 Jahre alt sein, die zerzausten Haare und der Bart schimmerten weiß im Feuerschein. Seine Gestalt war schmächtig, aber er wirkte nicht kraftlos, und die Augen blickten klar aus dem runzeligen Gesicht, ein freundliches Lächeln lag auf den Gesichtszügen.

»Bernhard heiße ich«, sagte er nach einer Weile.

»Ich bin Fritz.«

»Du hast es schön hier, und alles, was du zum Leben brauchst.«

Das Wasser kochte, Fritz Wegemann nahm den Deckel von seiner Teekiste, streute einige der getrockneten Blätter in die größere seiner beiden Kannen und goss auf. Der Duft von Pfefferminz durchzog den Raum. Vom Regal neben der Feuerstelle nahm er zwei Becher aus Ton und stellte sie neben die Kanne auf den Tisch. »Das meiste habe ich selbst gezimmert«, sagte er, »die Bank, den Tisch, die Stühle, die Regale und das Bett.«

»Ich weiß«, entgegnete der Alte.

»Woher wissen Sie…«

»Wollen wir nicht das förmliche Sie beiseite legen? Zwei Männer mitten in der Wildnis dürfen sich doch sicher duzen.«

Fritz Wegemann hatte nichts dagegen. Er war an Gesellschaft nicht mehr gewöhnt, genau deshalb, weil er die Menschen und ihre Zivilisation meiden wollte, war er ja hier in den Wald gezogen. Dieser Gast war ihm jedoch sympathisch, seine Ausstattung trug sicher dazu bei. Er trug Kleidung, die so selbstgefertigt aussah wie seine eigene, war offensichtlich kein verirrter Wochenendwanderer im teuren »Outdoor-Outfit«, kein technikverwöhnter Freizeitabenteurer, der sich einbildete, bei einem kleinen Ausflug in den Wald Natur erleben zu können und in Panik geriet, wenn sein Mobiltelefon keine Verbindung zum Netz aufbauen konnte.

»Also Bernhard, woher weißt du von meinem Leben hier?«

»Auch ich lebe im Wald. Ein gutes Stück entfernt von dir, aber gelegentlich bin ich in den letzten Jahren hier vorbei gekommen.«

»Aber ich habe dich nie bemerkt.«

»Es gab ja keinen Anlass. Du suchst hier die Ruhe, den Frieden, die Einsamkeit. Warum sollte ich dich darin stören?«

Fritz Wegemann schenkte Tee in die beiden Becher ein. Er fragte: »Und heute gibt es einen Anlass, mich zu besuchen?«

»Ja«, sagte der Alte, und dann begann er, zu erzählen. Lange zu erzählen. Sie saßen bis in die Nacht zusammen, schließlich bereitete Fritz Wegemann seinem Gast ein Lager neben seinem Bett. Er blieb noch den nächsten Tag und eine weitere Nacht, bevor er sich wieder auf den Weg machte.

Manche Details hatte Fritz Wegemann längst vergessen, aber an diesem Morgen des Grauens fiel ihm ein Satz wieder ein: »Sie sind hier in den Wäldern, immer schon, und eines Nachts erscheinen sie. Dann ist es zu spät. Dann kannst du nur noch beten und hoffen, dass sie dich mögen«, hatte der alte Mann abschließend erklärt.

Fritz Wegmann hatte alles als Fabel abgetan. Er lebte mittlerweile sieben Jahre hier, allein, im Frieden mit sich und der Natur. Er brauchte nicht viel, und was er benötigte, gab ihm das Land. Er jagte, aber nur das, was tatsächlich zum Stillen des Hungers notwendig war. Er hatte seinen kleinen Ackerbau vor der Hütte, Strom gab es hier nicht, wozu auch. Gekocht wurde auf der Feuerstelle im Wohnraum der Hütte, das Herdfeuer war im Winter auch seine Heizung. Wasser schöpfte er frisch aus dem Bach, der sich fünf Minuten entfernt durch den Bergwald schlängelte, Kleidung brauchte er nur im Winter, wenn die klirrende Kälte das Land erstarren ließ. Er hatte sich aus Fellen das Notwendige hergestellt, wie wohl auch sein merkwürdiger Besucher in jenem Winter. Wenn er tatsächlich einmal etwas aus der Zivilisation brauchte, Nägel beispielsweise oder eine neue Axt zum Holzhacken, dann musste er zwei Tage wandern, um in das nächstgelegene Dorf zu gelangen. Aus seinem früheren Leben besaß er genügend Bargeld, um solche gelegentlichen Ausgaben zu bestreiten.

Nun starrte er nach der lärmerfüllten Nacht aus der Fensteröffnung, durch die ein kühler Wind herein zog. Sie waren wirklich. Und sie hatten ihn umzingelt, wie der alte Mann es vorausgesagt hatte.

Rings um die Hütte standen sie, ordentlich aufgereiht und wie mit dem Zirkel gezogen, jeweils etwa zehn Zentimeter Abstand lag zwischen ihnen. Sie waren metallisch grau, ein leichtes Schimmern schien sie von innen zu erhellen. Jedes von ihnen hatte einen Durchmesser von circa einem Meter, sie standen aufrecht, ragten etwa drei Meter in die Höhe. Vollkommen glatte Zylinder?, die aus dem Nichts aufgetaucht waren. Sie hatten plattgedrückt oder beiseite geschoben, was immer ihre exakte Aufstellung behindert hätte. Sogar der Felsbrocken links von der Hütte war gesprengt worden. Die nächtlichen Geräusche fanden endlich eine Erklärung.

Er musste versuchen, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Der alte Mann hatte erzählt, dass sie gelegentlich wieder verschwunden seien, wenn sie von der Friedfertigkeit des Eingekreisten überzeugt waren. Dies sei sehr selten, aber doch ab und zu in den letzten Jahrhunderten der Fall gewesen. Ja, er habe eine Begegnung mit ihnen gehabt, und sie seien ihm nicht feindlich gesinnt gewesen. Er sei von ihnen als Teil der Natur akzeptiert worden, hatte der leicht wunderliche Gast seinerzeit berichtet. Er wusste jedoch auch von Menschen zu berichten, deren Spur nie gefunden wurde, nachdem sie – so seine Fabel – eine Begegnung mit diesen Wesen hatten.

Fritz Wegmann trat aus seiner Hütte. Sie stand im Mittelpunkt des Kreises von etwa zwanzig Metern Durchmesser. Lange blickte er aufmerksam an dem Spalier von Säulen? entlang. Sie waren absolut identisch miteinander, keine Unregelmäßigkeit, keine Abweichung in der Farbe oder Form, als seien sie einem Computerprogramm entsprungen, und doch mussten sie so etwas wie ein Bewusstsein, einen Willen, haben, falls der Alte damals recht gehabt hatte.

»Ich begrüße euch und würde gerne mit euch reden«, sprach er in die Stille.

Er hatte keine Ahnung, wie eine Kommunikation mit diesen Zylindern? ablaufen konnte, ob sie möglicherweise seine Gedanken und Gefühle erforschen würden, oder ob sie seine verbalen Äußerungen wahrnehmen und darauf reagieren mochten. Waren es einzelne Wesen? oder ein Ganzes?, das in Gestalt der vielen Säulen auftrat? Er wusste nur, dass er keine Chance haben würde, wenn er sich feindselig zeigte.

»Ich bin Fritz Wegmann, ich lebe seit sieben Jahren hier und suche den Frieden«, fuhr er fort.

Er versuchte, sich an Einzelheiten dessen zu erinnern, was der alte Mann am abendlichen Feuer erzählt hatte. Er hatte sie die Wächter genannt, die seit dem Beginn der Welt in diesen Wäldern dafür sorgten, dass menschliche Zivilisation keine Schäden anrichtete. Er machte die Wächter verantwortlich für das spurlose Verschwinden von Holzfällertrupps, Forschern und Wochenendausflüglern, die in den letzten Jahrzehnten und schon viel früher in der schier unendlichen Wildnis verschollen waren. Die größte Gruppe hatte aus über 20 Personen bestanden, die mit Motorsägen und schweren Fahrzeugen angerückt waren, um Holz zu schlagen. Man hatte weder von ihnen noch von ihrer Ausrüstung eine Spur gefunden. Die Sache war totgeschwiegen worden, da es keine vernünftige Erklärung gegeben hatte. Nur einige Spinner aus dem Lager der UFO-Gläubigen hatten ihre Theorien verbreitet, die jedoch naturgemäß niemand ernst nahm.

Fritz Wegmann war davor gewarnt worden, hier zu bleiben. Der Alte hatte ihn gefragt: »Bist du sicher, dass du mit dem Wald im Frieden lebst? Dass die Natur dich als Freund akzeptiert?«

Er war ziemlich sicher, zu einem Leben unter den zivilisierten Menschen jedenfalls wollte er auf keinen Fall zurückkehren. Sieben Jahre lang genoss er das Leben, das er sich erträumt hatte. Doch an diesem Morgen konnte nun alles zu Ende sein – es sei denn, er schlief noch und träumte den Anblick des Säulen?kreises um seine Hütte.

»Versteht Ihr mich?«, fragte er.

»Du bist ein Freund des Waldes«, erklärte unvermittelt eine Stimme, deren Ursprung nicht zu lokalisieren war.

»Ja. Darum lebe ich hier.«

»Du musst fliehen. Die Zeit ist da.« Es klang, als spräche jemand direkt in seinem Kopf. Oder hörte er doch eine akustische Stimme?

»Welche Zeit? Warum fliehen? Und wohin?«

»Die Zeit, die den Menschen gegeben war, ist zu Ende. Sie werden sich vernichten. Du kannst hier nicht bleiben. Sie werden in drei Tagen dieses Land für immer unbewohnbar machen.«

Fritz Wegmann starrte auf die bewegungslose Reihe von Säulen?, die ihn eingeschlossen hatten. Sie waren gekommen, um ihn zu warnen? Hatten sie ihn eingesperrt, um ihn im Falle seiner Weigerung zu eliminieren? In seinen Gedanken spielte er die Möglichkeiten durch, die ihm blieben.

Die Stimme unterbrach ihn. »Wir werden dich nicht vernichten, Freund des Waldes, denn wenn du nicht gehst, wirst du in drei Tagen von deinen Artgenossen getötet, die dich nicht einmal kennen. Wir sind deine Freunde, weil du ein Freund des Waldes bist.«

Also konnten sie seine Gedanken erforschen. Demnach mussten sie auch wissen, dass er Angst hatte und sich wie ein Gefangener fühlte.

»Wer seid ihr? Woher kommt ihr?«

»Wir sind die Wächter. Uns gehört der Wald. Wir kommen nirgendwo her, wir waren immer hier. Und du bist nicht gefangen, du bist frei.«

Zögernd ging er auf die Wesen? zu. Er berührte ein der Säulen? und stellte fest, dass sie entsprechend ihrem Aussehen metallisch kühl und von fester Konsistenz waren. Doch auf seinen leichten Druck wich das Exemplar beiseite, wobei es den Boden mit schob, so dass sich ein Erdhügel bildete. Binnen Sekunden war der Platz, an dem der Zylinder? vorher gestanden hatte, wieder mit Gras bedeckt, als sei nichts geschehen.

»Ich werde fliehen, aber wo wäre ich sicher, falls dieses Land unbewohnbar wird?«, fragte er.

»Du musst eine Tür zwischen den Welten finden und hinüber gehen.«

Er musste lachen. Einen solch verrückten Traum hatte er noch nie gehabt. Metallzylinder kündigten das Ende der Welt an und er sollte in eine andere Welt hinüberwechseln, durch eine Tür ausgerechnet. Vielleicht in einem Wandschrank, der den Weg nach Narnia verbarg? Dort würde dann ein freundlicher Löwe auf ihn warten.

Doch solange er in diesem Traum gefangen war, konnte er ja ruhig mitspielen. Er fragte: »Wo ist diese Tür?«

»Du wirst sie finden. Vertraue den Wäldern, sie verbergen die Zuflucht.«

Ein Märchentraum, ein Science-Fiction-Märchen. Er überlegte, ob demnächst auch noch eine gute Fee auftauchen würde, oder außerirdische Männchen mit grünen Antennen auf dem Kopf. Immerhin hatte der alte Mann ihm versichert, dass die Gestalt der Wächter veränderlich sei.

»Warum habt ihr mich hier eingesperrt?«

»Wir werden bleiben bis zum Abend, um deine Wohnung vor den Menschen zu verbergen. Sie sehen uns nicht und nicht das, was wir umgeben, deshalb haben wir den Kreis gebildet. Sie werden Jagd auf dich machen.«

Fritz Wegemann verstand nicht, warum ihn jemand jagen sollte, zumal kaum ein Mensch wusste, dass er existierte, wo er lebte. Doch was war hier überhaupt verständlich? Nichts. Gar nichts. Andererseits: In einem Traum herrscht keine Logik. Wozu auch. Das Grauen immerhin, das er beim Blick aus dem Fenster empfunden hatte, war gewichen. Er fand den Traum jetzt unterhaltsam.

»Gut, ich glaube euch. Kann ich zum Bach, um Wasser zu holen, ohne Gefahr?«, fragte er.

»Nur in der nächsten Stunde nach der Zeitrechnung deiner Welt, danach musst du zurück im Kreis sein.«

Fritz Wegemann machte sich auf den Weg. Langsam, ganz langsam wuchs sein Zweifel. Das ist kein Traum, die Tannennadeln pieken in meine Fußsohlen. Ich bin wach. Der alte Mann hat keine Fabel erzählt. Er stieß absichtlich mit dem Ellenbogen an einen Baum. Autsch! Aus einem Traum wäre ich jetzt aufgewacht. Vermutlich bin ich wach, aber von Sinnen.

Er hatte damit gerechnet, dass sich irgendwann die Menschheit in die Luft sprengen würde, aber er hatte nicht gewusst, dass jemand – etwas – ihn warnen und ihm einen Ausweg weisen würde. Das ganze Geschehen dieses Morgens, einschließlich der Geräusche in der Nacht, war undenkbar für den menschlichen Geist, aber er zweifelte nicht an der Realität dessen, was er eben erlebt hatte, als er den Weg zum Bach hinunter ging. Eigentlich das typische Verhalten eines Geistesgestören, dachte er.

Das kühle Wasser plätscherte vergnügt vor sich hin, der Bach speiste einen kleinen Teich, in dem er gewöhnlich jeden Tag ein Bad nahm, selbst im Winter; er war abgehärtet und trainiert. Heute war es schon relativ warm, der Frühsommer zeigte sich seit zwei Wochen von seiner angenehmsten Seite. Fritz Wegmann stieg in den Teich und genoss sein Bad. Er besaß keine Uhr, nahm aber an, dass er eine Stunde relativ sicher anhand der wandernden Schatten abschätzen konnte. Er ließ sich Zeit. Er konnte versuchen, das Erlebnis zu verstehen. Er konnte sich überlegen, was er mitnehmen wollte, vielleicht seine Kleidung für den Winter? Einen Wasservorrat? Für wie lange? In drei Tagen sollte das Land unbewohnbar sein, aber vielleicht war die Tür nicht so weit entfernt?

Schließlich stieg er aus dem Teich und ging langsam zurück zu seiner Hütte. »Ich träume nicht«, erklärte er einer Amsel, die an ihm vorüber flog.

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Fortsetzung folgt irgendwann.