Dienstag, 31. Juli 2012

Deutlich besser, noch nicht gut.

Seit meinem letzten Bericht hier sind schon wieder 11 Tage vergangen … eigentlich wollte ich ja etwas regelmäßiger meine Leser teilnehmen lassen an meinem Ergehen. Nun ja – vielleicht gelingt das ja auch wieder.

Foto von heute, 31. Juli 2012 Die gute Nachricht: Mein Arm schwillt nach und nach ab, die Schmerzen sind so gut wie völlig verschwunden, lediglich das starke Beugen oder vollständige Ausstrecken des Arms ist noch schmerzhaft und wird von mir deshalb gemieden. Aber ich kann fast alle alltäglichen Verrichtungen, zu denen so ein Arm samt Hand am Ende in der Regel tauglich ist, wieder ausüben.

Die Ärztin war bei der Begutachtung in der vergangenen Woche ganz zufrieden damit, wie mein Körper gegen die Vergiftung vom Mittwoch kämpft. Bisher offensichtlich siegreich. Ich brauche aber, sagte sie, noch viel Geduld, erst in etwa zwei Monaten wird man sehen können, ob und welche bleibenden Schäden am Arm vorhanden sein werden.

Einstweilen herrscht weiter Kühlverbot (also ist auch kein Schwimmen nach dem Sport und vor der Sauna erlaubt) und es bleibt dabei, dass Chemo-Tabletten tabu sind. Dieser vierte Zyklus meiner Chemotherapie fällt also ersatzlos aus. Das führt inzwischen dazu, dass meine ansonsten permanent vorhandene Übelkeit deutlich weniger bemerkbar ist und dass die Kälteempfindlichkeit zu schwinden beginnt. Ich kann ohne Handschuhe Gegenstände aus dem Kühlschrank nehmen … ein schon ganz ungewohntes Erlebnis!

Ich darf damit rechnen, dass die Schmerzen und die Schwellung ganz langsam, eben innerhalb von zwei Monaten, verschwinden. Immerhin. Und ich darf hoffen, dass die erhoffte Wirksamkeit der ganzen Chemotherapie durch diesen ausfallenden Zyklus nicht nachhaltig beschädigt ist, sondern dass aus der ärztlicherseits genannten »Option Heilung« eine Realität wird und sich auch langfristig kein Krebs mehr entwickelt.

Dass ich jetzt den Arm schon fast wieder wie vor dem Chemie-Unfall gebrauchen kann, verdanke ich nicht eigenem Bemühen oder unerklärlichen Kräften, die da am Werk sind, sondern den vielen und anhaltenden Gebeten und der anteilnehmenden Begleitung durch Familie und sehr viele gute Freunde, die via Facebook und Blog und (auch das gibt es noch im Jahr 2012!) persönliche Kontakte mit uns durch diese Monate gehen.

Ich danke euch allen und dem Schöpfer, der so offensichtlich auf die vorgetragenen Bitten reagiert.

Freitag, 20. Juli 2012

Unterbrochene Chemotherapie

»Unter Abwägung aller Risiken muss man sich in einem solchen Moment der Vernunft gehorchend für die Lösung entscheiden, die voraussichtlich am wenigsten Schaden anrichtet.«

So ungefähr lässt sich das Resümee des ausführlichen Gespräches mit der Onkologin von heute kurz zusammengefasst formulieren.

image Der »solche Moment« ist die Tatsache, dass das am Mittwoch ins Gewebe statt ins Blutgefäß gelangte Oxaliplatin Schaden angerichtet hat, mit dem der Körper jetzt erst einmal zurechtzukommen sich bemüht. »Die Schmerzen«, erklärte mir die Ärztin, »werden Sie wohl noch zwei Wochen aushalten müssen, es gibt nun einmal leider kein einziges Gegenmittel. Es sollte langsam immer etwas besser werden, aber mit zwei Wochen müssen Sie rechnen. Zumindest sieht es jetzt, 48 Stunden nach dem Vorfall, so aus, als wären keine chirurgischen Maßnahmen notwendig.«

Der rechte Arm ist nach wie vor geschwollen, im Vergleich zum Mittwoch zwar unwesentlich, aber weg ist die Schwellung nicht. Unter der Haut tut es weh wie bei einem starken Muskelkater und die Haut selbst ist so berührungsempfindlich, dass ich lieber friere als einen Pullover oder ein langärmeliges Hemd zu tragen. Immerhin konnte ich heute früh nach dem Duschen den Arm behutsam trockentupfen, an ein Trockenreiben mit dem Handtuch wäre jedoch nicht zu denken.

Die Chemotherapie muss nun, um dem Körper zu helfen, pausieren und erst am 8. August zum fünften Zyklus wieder aufgenommen werden. Das Medikament Xeloda, mit dem ich es eigentlich jetzt zu tun hätte, könnte – und da sind wir bei der Abwägung der Risiken – zu einer Verschlimmerung der Vergiftung im Arm führen. Im schlimmsten denkbaren Fall (der unwahrscheinlich aber nicht ausgeschlossen wäre) endet das mit dem Verlust des Unterarmes. Damit verglichen ist die Einbuße an der Wirksamkeit der Chemotherapie von einigen gedanklichen Prozentpunkten eine Tatsache, mit der ich lieber lebe als ohne rechten (oder durch chirurgische Entfernung von Muskelgewebe verunstalteten und funktionsberaubten) Unterarm.

Es könnte – könnte – natürlich auch alles gut gehen: Xerloda einnehmen und den Arm trotzdem behalten … könnte. Das weiß aber kein Arzt im voraus zu sagen und das will ich nun beim besten Willen und trotz meines Ja zur Chemotherapie nicht riskieren.

Positive Seiten hat die Sache sogar auch: Darm und Magen bekommen drei Wochen Zeit, sich ein wenig von dem chemischen Dauerangriff zu erholen und zu regenerieren. In den drei Wochen kann der Körper sogar wieder ein paar wenige Blutkörperchen produzieren, die dem momentan ausgeschalteten Immunsystem einen kleinen Auftrieb geben. Bis zur nächsten Infusion zumindest.

Ob der geschädigte Arm sich vollständig wieder erholt oder ob gewisse Schäden zurückbleiben, konnte mir die Ärztin nicht sagen, das bleibt wie so vieles abzuwarten. Es hängt eben davon ab, was mein Organismus an Widerstandskraft zu leisten im Stande sein wird. Was ich dazu tun kann, wurde mir auch gesagt: Nicht einigeln, aber bei aller Aktivität (Sport zum Beispiel) besonders aufmerksam auf Signale des Körpers achten. Den Arm schonen, aber auch nicht total auf seinen Gebrauch verzichten. Und, das hörte ich nun heute zum vierten oder fünften Mal: »Auf gar keinen Fall kühlen!«

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Donnerstag, 19. Juli 2012

Fehlstart in den Zyklus 4

Wenn Zytostatika neben dem Blutgefäß ins Gewebe laufen, kann es zu schweren Hautschäden mit nachfolgendem Absterben des Gewebes (Gewebsnekrose), störender Narbenbildung oder Minderdurchblutung des Unterarmes kommen.

So steht es eher nüchtern in den Unterlagen über Risiken und Nebenwirkungen der Chemotherapie, deren Kenntnisnahme ich vor Beginn der Behandlung unterschrieben habe. Als gestern das Infusionsgerät signalisierte, dass die Flüssigkeit restlos in meinen Körper transportiert worden war, ahnte ich noch nichts. Das lag daran, dass ich es einerseits seit dem ersten Zyklus gewohnt bin, dass die Infusionsgegend nach ein paar Stunden weh tut und dass ich andererseits gelesen habe, anstatt ständig meinen Arm zu beobachten.

Als die Arzthelferin kam, um die Nadel zu entfernen, fiel mir zuerst ihr erschrockenes Gesicht auf, noch bevor sie etwas sagen konnte. Sie meinte: »Tut das sehr weh? Das ist ja grausam geschwollen. Ich hole mal einen Arzt.« Es ist ein Vorteil, dass in der onkologischen Schwerpunktpraxis am Oskar-Helene-Heim fünf Onkologen arbeiten, denn mein behandelnder Arzt ist zur Zeit im Urlaub, eine Kollegin war jedoch in Minutenschnelle bei mir. Sie sah sich die Bescherung an, entschuldigte sich kurz, um in der Fachliteratur nachzulesen, was zu tun sei … und dann kam sie ziemlich bedrückt zurück.
Das obige Zitat, Anfang Mai gelesen und unterschrieben, hatte ich natürlich nicht mehr im Kopf, insofern war ich wohl der am wenigsten besorgte Mensch von uns dreien, Arzthelferin, Ärztin und ich.

»Es gibt leider«, sagte die Onkologin, »kein Gegenmittel beim Oxaliplatin. Wir können jetzt überhaupt gar nichts tun.« Sie wandte sich zur bleichen Arzthelferin: »Konnten sie noch etwas wieder herausdrücken?« »Nein«, erwiderte die junge Frau wahrheitsgemäß, »das habe ich gar nicht versucht.« Die Ärztin versuchte, meinem Arm durch Druck noch ein Paar Tropfen wieder zu entlocken, aber vergeblich. Der Effekt beschränkte sich auf rasende Schmerzen, die mir die Tränen in die Augen trieben.

circa 2 Stunden nach der Infusion »Sie dürfen auf gar keinen Fall kühlen. Wir legen jetzt einen leichten Verband an, damit die Haut ein wenig gegen Berührung geschützt ist, wenn der Arm aber weiter anschwillt und der Verband den Blutfluss abdrückt, müssen Sie ihn entfernen. Auf gar keinen Fall dürfen Sie kühlen. Versuchen Sie, den Arm möglichst ständig hoch zu lagern, wenig zu bewegen … und was immer Sie tun, kühlen dürfen Sie nicht.«

Das dreimalige Kühlverbot hatte ich begriffen. »Und nehme ich jetzt wie vorgesehen die Xelox-Tabletten nach dem Behandlungsschema?«

»Nein, auf keinen Fall. Xelox greift ja wie Sie wissen unter anderem die Haut an, und das wäre nun etwas, was wir nicht noch zusätzlich brauchen können. Setzen Sie die Tabletten aus, ich will Sie und ihren Arm spätestens übermorgen hier sehen, dann können wir entscheiden, ob es ein verkürzter Zyklus wird. Wenn die Schwellung noch erheblich zunimmt, wenn die Haut aufplatzt, wenn Sie Fieber bekommen, wenn die Schmerzen unerträglich werden, dann begeben Sie sich bitte unverzüglich in die Notaufnahme des Behring-Krankenhauses. Dort gibt es einen Gefäß- und Hautchirurgen, der auf solche Schäden spezialisiert ist. Ansonsten stellen Sie sich bitte am Freitag hier vor, und bitte versuchen Sie nicht, den Arm zu kühlen. Mir bleibt jetzt nichts, als Ihnen und uns alles Gute zu wünschen, zu hoffen, dass die Schwellung zurück geht und die Schmerzen nachlassen. Das kann dauern, aber es ist auch nicht ausgeschlossen.«

Erst zu Hause, nachdem ich mir die Risiken und Nebenwirkungen noch einmal durchgelesen hatte, begann ich dann, den möglichen Schaden zu begreifen. Schwere Hautschäden mit absterbendem Gewebe … chirurgische Entfernung des Gewebes … keine schönen Aussichten, wirklich nicht. Und die Schuldfrage? Hätte das Personal besser (beziehungsweise überhaupt) die Infusion während der dreieinhalb Stunden überwachen müssen? Hätte ich darauf achten müssen oder können, dass die Nadel nicht verrutscht, ob der Arm anschwillt? Eine müßige Frage, wenn der Schaden erst einmal eingetreten ist. Höchstens für die nächsten Infusionen wäre es wohl wichtig, sowohl die Arzthelferinnen regelmäßig um Begutachtung zu bitten als auch selbst den Arm kritisch zu beobachten.

Der Rest des Tages war ein sehr schmerzhafter, selbst wenn der Arm unbeweglich auf einem Kissen ruhte, tat er ringsherum weh, und jede Bewegung verursachte höllische Schmerzen, am schlimmsten war alles, was die Haut berührte, und sei es auch nur eine leichte Decke gewesen, die ich über mich legte, weil ich mehr und mehr fror. Inzwischen waren unsere Freunde und Verwandten via Facebook informiert und schickten je nach ihren Überzeugungen Gebete zum Himmel, gute Wünsche und positive Gedanken auf den Weg zu uns – es war wieder kostbar für mich, zu wissen, dass wir nicht alleine mit der Situation dastanden. Mein eigenes Gebet hörte sich ungefähr so an: »Ich bin mir sicher, Vater im Himmel, dass es für meinen Schöpfer kein sonderliches Problem darstellt, jetzt heilend einzugreifen. Ob das geschieht, weiß ich nicht, aber ich will dich herzlich bitten: Das Gift soll aus dem Gewebe, wo es nicht hin gehört, entweichen und dabei keine bleibenden Schäden an der Haut oder darunter verursachen. Die Schmerzen, da wäre ich sehr dankbar, sollten nicht noch schlimmer, sondern eher weniger werden. Falls du das Gebet erhören kannst und willst, bedanke ich mich sehr herzlich; falls nicht, dann hilf mir durch die Folgen des Infusionsunfalls hindurch.«

Als gegen 18 Uhr mein Chef zu Besuch kam, war das eine willkommene Ablenkung und Abwechslung für mich. Seit meiner Einlieferung ins Krankenhaus im März hatten wir zwar telefoniert und E-Mails geschrieben, aber gesehen hatten wir uns nicht. Ich freute mich sehr, dass er endlich zu Besuch kommen konnte. Die beste aller Ehefrauen hatte zwei Brote gebacken und Obatzda zubereitet sowie andere Leckereien, so dass der Besucher nach dem langen Bürotag zum Bierchen auch ein paar Bissen zu sich nehmen konnte, was er auch mit Freude tat, während ich diese und jene Neuigkeiten aus der Firma erfuhr. Wir plauderten natürlich auch über andere Dinge … Eva und ich freuten uns beide über die Zeit mit unserem Gast.

Am Abend beim zu Bett gehen sah der Arm eigentlich kaum dünner aus, und wenn ja, dann war da eher der Wunsch der Vater des Gedanken. Den Verband schnitt die beste aller Ehefrauen mir vom Arm, weil ich es nicht riskieren wollte, dass er womöglich im Schlaf einen Blutstau verursachte. Die Nacht war dann mit eher wenig Schlaf versehen, meistens wusste ich nicht recht, wie ich den Arm noch lagern sollte, um möglichst wenig Schmerzen zu verursachen … und weitere Tabletten gegen die Pein wollte ich nicht mehr nehmen. Es pulsierte ziemlich im Arm, was ich einstweilen als gutes Zeichen verbuchte. Als ich nachts gegen zwei Uhr die Toilette aufsuchte, war deutlich sichtbar, dass die Schwellung zurückging. Der Arm war noch nicht wieder wie vorher, aber die Besserung war nicht zu übersehen.

Heute Morgen, 8:30 Uhr Heute Morgen dann konnte ich erfreut sehen, dass kaum noch etwas an den Zustand von gestern erinnert. Der Arm ist nur noch ganz leicht geschwollen, die Haut zeigt zumindest optisch keine Veränderungen abgesehen von einer ganz leichten Rötung. Die Schmerzen sind kaum besser, aber diesbezüglich kann ich mich schon in Geduld üben und da ich ein in der Kindheit umerzogener Linkshänder bin, ist der Alltag auch quasi einarmig zu bewältigen.

Ich bin nun zuversichtlich, dass ich nach dem Arztbesuch morgen gute Nachrichten vermelden kann, dass die Chemotherapie (die ja in ihrer erhofften Wirksamkeit an gewisse zeitliche Abstände zur Operation gebunden ist) wie geplant weiter gehen kann und dass die Schmerzen wie die Schwellung möglichst bald das Weite suchen.

Und allen, die uns mit ihren guten Wünschen, Gebeten, poitiven Gedanken und ihrer Anteilnahme begleiten, will ich an dieser Stelle wieder einmal genz herzlich und aufrichtig danken. Das ist nicht selbstverständlich und es ist uns beiden ein kostbares Privileg, dass so viele Menschen mit uns sind.

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Donnerstag, 12. Juli 2012

Medikamentfreie Woche – Gelegenheit zur Kolonoskopie oder Coloskopie

Am Dienstag habe ich die letzten Tabletten Xelox des dritten Zyklus genommen, die medikamentfreie Woche begann mit dem gestrigen Mittwoch. So konnte endlich die verschobene Darmspiegelung in Angriff genommen werden. (Die Einnahme von Medikamenten verträgt sich nicht sonderlich mit dem Trinken der darmreinigenden Moviprep-Lösung, denn die Tabletten würden mal eben durchgespült werden …)

Schmeckt das Zeug? Immerhin steht in oranger Farbe »Orange« auf der Packung. Da hofft der Patient auf einen eher angenehmen Geschmack. Und wird dann mit dem ersten Schluck eines Besseren belehrt. Zugegeben: Das Gemisch ohne den Aufdruck »Orange«, das die beste aller Ehefrauen vor ein paar Jahren zu sich nehmen musste, war noch wesentlich widerlicher.
Irgendwie habe ich es geschafft, die vorgesehene Dosis zu trinken und auch nicht gleich wieder rückwärts von mir zu geben. Das im Beipackzettel versprochene Ergebnis »wässriger Durchfall« ließ auch nicht auf sich warten, so dass dann am heutigen Vormittag der Darmspiegelung nichts im Wege stand.

»Alles in Ordnung«, bekam ich zu hören, als ich wieder aus der Narkose erwachte, »keine auffälligen Stellen, die Operationsnaht ist gut verheilt. Noch leicht gerötet, aber das ist normal.« Na da fiel mir dann doch der eine und der andere Stein vom Herzen. Es war ja im Entlassungsbericht aus dem Krankenhaus zu lesen: »Bei Herrn Matthia konnte präoperativ keine vollständige Kolonoskopie erfolgen. Wir empfehlen daher, diese innerhalb von sechs Monaten postoperativ durchzuführen.«
Nun weiß ich zumindest, dass sich im Darm nicht noch irgendwo ein weiterer Tumor versteckt hält, die beiden operativ entfernten Tumore waren also die einzigen. Das ist eine frohe Botschaft, für die ich sehr dankbar bin. Dabei wird es hoffentlich auch in den nächsten Jahren bleiben. Mir gefällt die ärztlicherseits erwähnte »Option vollständige Heilung«. Möge aus der Option eine Tatsache werden!

Nächste Woche geht es dann in den vierten Zyklus hinein – und wenn der vorbei sein wird, ist die Hälfte der Chemotherapie geschafft.

(Warum der Gastro-Enterologe »Coloskopie« schreibt und der Onkologe »Kolonoskopie«, darüber mögen sich Fachleute Gedanken machen. Mir reicht das erfreuliche Ergebnis.)
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Dienstag, 10. Juli 2012

Von den Gefahren des Bibellesens – am Beispiel von Krankheit und Heilung im Alten Testament

Manche Menschen erfreuen sich eines sehr simplen Glaubens und Gottesbildes. Auf alle Fragen des Lebens gibt es einfache Antworten – in Form eines halb zitierten Satzes aus dem Fundus der Paulusbriefe etwa, oder in Form von Behauptungen, die nicht näher unterfüttert oder gar untermauert werden müssen, weil sie ja »aus dem Wort Gottes« stammen. Dass »Bibel« und »Wort Gottes« aus meiner Sicht keineswegs synonym verstanden werden dürfen, habe ich in einem anderen Artikel erläutert.

Hier spüre ich Gefahren nach, die aus der Lektüre der Bibel erwachsen. Gefahren für den simplen Glauben und das schwarz-weiße Gottesbild. Allerdings sind diese Gefahren für Menschen, die eben diesem schlichten Patentglauben angehören, gering: Sie lesen nämlich kaum einmal in der Bibel. Es reicht ihnen, morgens das fromme Horoskop, das man Losung nennt (per Zufallsprinzip ausgewählte Mini-Schnipsel aus der Bibel), zu konsumieren und ansonsten höchstens mal im »Hauskreis« zehn oder gar zwanzig Zeilen aus einem beliebigen, zum jeweiligen Gesprächsthema passenden Abschnitt zu lesen.

Gefährlich wird es nur dann, wenn man sich daran macht, die Bibel so zu lesen, wie man es normalerweise mit Büchern oder Berichten oder Briefen zu tun pflegt. Man beginnt vorne und liest Seite für Seite bis zum Ende. Schwierige Stellen, besonders spannende Abschnitte oder außerordentlich gelungene Formulierungen liest man dabei womöglich zwei- oder dreimal; gelegentlich blättert man auch ein paar Seiten zurück um nachzuschauen, ob da vorher etwas Abweichendes zum Thema stand … wenn man so die Bibel liest, und das mehr als einmal, dann ist es aus mit den einfachen Antworten und dem lieben Gott, dem alles Gute und Schöne zu verdanken ist und dem bösen Teufel, der für alles Hässliche und Schlechte herhalten muss.

Zum Beispiel – in meiner Situation als an Krebs erkrankter Mensch naheliegend – die biblische Sicht bezüglich Krankheit und Heilung. Die gibt es gar nicht, sondern es gibt mehrere Sichtweisen, verschiedene Modelle, diverse Schattierungen und widersprüchliche Denkmodelle in der Bibel.

Krankheit und Gebrechen – dafür hat das Hebräische (die Sprache, in der das Alte Testament geschrieben ist) kein Abstraktum, sondern nur Begriffe, die Schwäche und Leiden zum Ausdruck bringen. Es werden Nomina von »berühren« verwendet, von »schlagen« beziehungsweise »niederschlagen« oder »Schmerz erleiden« und ähnliche Wortformen.

Hiob (Léon Bonnat; 1833-1922)Zunächst, also in den ältesten Texten, wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass Gott der Verursacher der Krankheit ist. Beispielsweise in der Weisheitsparabel von Hiob, wo es bezüglich der schlimmen Erkrankung des Protagonisten heißt: »Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?«[i] Aus Prophetenmund hört das Volk Gottes eines Tages: »Siehe, so wird dich der HERR mit einer großen Plage schlagen an deinem Volk, an deinen Kindern, an deinen Frauen und an aller deiner Habe. Du aber wirst viel Krankheit haben in deinen Eingeweiden, bis über Jahr und Tag deine Eingeweide vor Krankheit heraustreten.«[ii]

Die erste Biblische Sicht ist diese: Gott verursacht Krankheit und Leid, um für ein Fehlverhalten zu bestrafen – sowohl beim Einzelnen als auch kollektiv. Allerdings kann Gott auch um Heilung gebeten werden, denn derjenige, der Krankheit verursacht, ist auch in der Lage, sie zu entfernen.

Später im Alten Testament, mit der Entwicklung und Durchsetzung des Monotheismus, wird es immer wichtiger zu fragen, warum ein Mensch krank ist. Dies kann den biblischen Texten zufolge auch an Sünden der Vorfahren oder eben an der Schuld des ganzen Volkes liegen, obwohl der Einzelne, der Kranke, nichts falsch gemacht hat. Bei Jeremia beispielsweise wird das deutlich: »Denn so spricht der HERR von den Söhnen und Töchtern, die an diesem Ort geboren werden, und von ihren Müttern, die sie gebären, und von ihren Vätern, die sie zeugen in diesem Lande: Sie sollen an bösen Krankheiten sterben und nicht beklagt noch begraben werden, sondern sollen Dung werden auf dem Acker.«[iii] Die noch nicht einmal geborenen Kinder sind schon jetzt zum Tod durch Krankheiten verurteilt – bevor sie überhaupt sündigen können.

Gott wird im Falle der Krankheit von den biblischen Autoren oft als grausam und ungerecht, auch als unnahbar empfunden. »Wenn ich ihn auch anrufe, dass er mir antwortet, so glaube ich nicht, dass er meine Stimme hört, vielmehr greift er nach mir im Wettersturm und schlägt mir viele Wunden ohne Grund.«[iv] »HERR, wie lange willst du mich so ganz vergessen?

Wie lange verbirgst du dein Antlitz vor mir? Wie lange soll ich sorgen in meiner Seele und mich ängsten in meinem Herzen täglich?«[v]

Im 5. Buch Mose wird Gott gar als derjenige wörtlich zitiert, der nach Gutdünken verfährt: »Sehet nun, dass ich's allein bin und ist kein Gott neben mir! Ich kann töten und lebendig machen, ich kann schlagen und kann heilen, und niemand ist da, der aus meiner Hand errettet.«[vi]

Und die Heilung? Was sagt die Bibel dazu? In den frühen Zeiten des Alten Testamentes war wohl JHWH, der Gott Israels, nicht ursprünglich als für die Heilung zuständiger Gott bekannt, wie die Erzählung von König Ahasja zeigt, der nach einem Fenstersturz ein Heilsorakel bei dem nach seiner Kenntnis zuständigen Gott erfragte. »Und Ahasja fiel durch das Gitter in seinem Obergemach in Samaria und wurde krank. Und er sandte Boten und sprach zu ihnen: Geht hin und befragt Baal-Sebub, den Gott von Ekron, ob ich von dieser Krankheit genesen werde.«[vii] Die Erkrankung war Folge eines Unfalls – und dass der König nicht wieder auf die Beine kam, die Strafe des Gottes JHWH, weil Baal-Sebub, ein anderer Gott, befragt wurde. »So spricht der HERR: Weil du Boten hingesandt hast und hast befragen lassen Baal-Sebub, den Gott von Ekron, als wäre kein Gott in Israel, dessen Wort man erfragen könnte, so sollst du von dem Bett nicht mehr herunterkommen, auf das du dich gelegt hast, sondern sollst des Todes sterben.«[viii]

In noch späteren Schriften ist es dann Allgemeinwissen geworden: Heilung gibt es nur bei unserem Gott, dem Gott Israels. Heilung muss sogar zunächst durch Gott selbst und nicht durch das Aufsuchen von Ärzten erfolgen, da ja Gott die Krankheit verursacht, um ein Fehlverhalten (der Vorfahren oder des Volkes womöglich) zu bestrafen. Die Strafe kann nur derjenige erlassen, der sie verhängt hat.

Mit fortschreitenden medizinischen Erkenntnissen, zum Beispiel über Heilkräuter, werden die Ärzte allerdings im Verlauf der Jahrhunderte immer zuverlässiger in ihrem Tun – und es wird immer klarer, dass sie gegen Krankheiten auch ohne Gott erfolgreich vorgehen können. Israel war ja nicht das einzige Volk auf der Erde; in anderen Völkern ging der medizinische Fortschritt zum Teil wesentlich rascher voran, was auch dem alttestamentlichen Volk Gottes nicht verborgen blieb. Vor allem in den Schriften zwischen Altem und Neuem Testament, die es beim Zusammenstellen des biblischen Kanons nicht in die »Heilige Schrift« geschafft haben, zeigt sich der Zwiespalt im Denken: Einerseits wird medizinische Hilfe durch Gott, den Schöpfer der Heilpflanzen, den Verleiher ärztlicher Weisheit, geschickt, andererseits gilt es noch als Abfall von Gott, sich an Ärzte zu wenden. Das passt irgendwie nicht zusammen im Denken. Es ist ja gerade Gott selbst, der durch die Weisheit Salomo gelehrt hat, auch die »Kraft der Wurzeln« zu gebrauchen und die Gaben der Natur zu schätzen, und es ist gerade Gott selbst, der eifersüchtig (mit schlimmer Bestrafung) reagiert, wenn er nicht persönlich um die Heilung gebeten wird.

Die Autoren der Bücher im Alten Testament hatten also offensichtlich sehr unterschiedliche Vorstellungen von Gott und haben aus ihrer jeweiligen Überzeugung heraus – das mag man ihnen nicht absprechen – folgerichtig für den heutigen Leser den einen Gott, den sie meinten, sehr unterschiedlich beschrieben, ihm Widersprüchliches in den Mund gelegt und nach und nach durch die Jahrhunderte an Erfahrung und Wissen hinzugewonnen.

Deshalb ist es für den Gläubigen, der die Bibel für Gottes wörtliches Wort halten möchte, mit hohen Risiken verbunden, die Bibel zu lesen. Früher oder später wird er bei der Lektüre des Alten Testamentes einem Gott begegnen, der sich mit einem anderen Gott im gleichen Buch nicht verträgt, obwohl es der gleiche Gott sein soll.

Deshalb ist es auch so leicht, für jeden Zweck, jede Variante des Gottesverständnisses und jede noch so sektiererische Meinung den passenden Bibelvers zu finden. Im Alten Testament und im Neuen.

Im Neuen Testament? Huch? Ist da nicht wenigstens alles eindeutig und übereinstimmend und klar verständlich?

Dazu schreibe ich meine Gedanken demnächst auf, aber so viel sei schon mal verraten: Pustekuchen!

Quellen: [Bibellexikon] // [Online Bibel]
Bild: Hiob (Léon Bonnat; 1833-1922), zu finden im Louvre


[i] Hiob 2, 10

[ii] 2. Chronik 21, 14

[iii] Jeremia 16, 3-4

[iv] Hiob 9, 16

[v] Psalm 13, 2-3

[vi] 5. Mose 32, 39

[vii] 2. Könige 1, 2

[viii] 2. Könige 1, 15

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Dienstag, 3. Juli 2012

Vom Alltag und von Kleinigkeiten, die gut oder schlecht sein können

Der Alltag, nach zwei Monaten Chemotherapie, gestaltet sich unterschiedlich. Das war zu erwarten und damit rechne ich auch für die nächsten Monate. Es gibt, je nach Blickwinkel, die guten und die schlechten Kleinigkeiten, die so leicht übersehen werden. Kleinigkeiten sind sie deshalb, weil sie so gar nichts von einer Sensation an sich haben, Spektakuläres fällt auf, die Alltäglichkeiten nicht.

Da gibt es bei mir die ständig vorhandene Übelkeit, an die ich mich inzwischen so gewöhnt habe, dass sie mir nicht mehr auffällt, solange sie einigermaßen im Hintergrund bleibt. Nur wenn, vor allem in den ersten fünf bis sechs Tagen nach der Infusion des Oxaliplatin, aus der Übelkeit ein Brechreiz wird, »bemerke« ich das Gefühl und steuere mit Tropfen und Tabletten dem Erbrechen entgegen. Bisher übrigens durchgehend erfolgreich.
Die beste aller Ehefrauen kocht mir leckere Gerichte Also ist das nun eine gute Kleinigkeit oder eine schlechte? Angesichts dessen, dass im Therapie-Tagebuch »ein Mal Erbrechen innerhalb 24 Stunden« als Normalfall gilt, der keine Besorgnis beim Patienten auslösen soll, kann ich eigentlich nur die positive Seite der Dauerübelkeit sehen: Es könnte schlimmer sein. Ich kann trotz und mit der Übelkeit alles unternehmen, was wir planen, ich kann trotz und mit der Übelkeit gute Speisen genießen. Ich würde zwar an 90 Prozent der Tage nicht von mir aus auf die Idee kommen, etwas essen zu wollen, aber wenn es denn vor mir steht, dann schmeckt es doch.

Dann ist da der Dauerdurchfall, mit dem zu leben ich mich inzwischen gewöhnt habe. Gewiss nervt es, mehrmals am Tag und ein bis zwei Mal nachts abführen zu müssen, ausschließlich ungeformten Stuhl noch dazu, aber auch hierbei könnte die Situation wesentlich schlimmer sein und es herrscht ja in unserem Land kein Mangel an Toilettenpapier. Wenn es zu schlimm wird, verhilft ein Tag mit Zwieback, Banane und anderen Hausmitteln in der Regel zur Besserung, die Tabletten, die ich gegen den Dauerdurchfall bekommen habe, sind bisher nur an zwei Tagen zum Einsatz gekommen.
Auch eher – aus meiner Sicht – eine positive Kleinigkeit, die mich bei der Teilnahme am Leben zwar ein wenig beeinträchtigt, aber eben nicht davon abhält.

Gewöhnt habe ich mich auch an das Kälte-Syndrom, das sich in der Intensität inzwischen als schwankend herausgestellt hat. An den Tagen nach der Infusion ist der Schmerz beim Berühren kalter Gegenstände oder beim Händewaschen mit kaltem Leitungswasser besonders deutlich, so ab dem vierten oder fünften Tag geht dann die Empfindlichkeit nach und nach zurück, am Ende des Zyklus wird aus Schmerz dann ein unangenehmes Gefühl, solange ich die Haut nicht zu lange der kalten Berührung aussetze.
Auch damit kann ich zurechtkommen, am Alltag teilnehmen, fast alles erledigen, was zu erledigen ist. Nähme ich die Handschuhe mit zum Einkaufen, könnte ich sogar Butter, Käse und womöglich Tiefkühlkost in den Wagen packen.

Am ehesten noch wirklich die Teilnahme am normalen Leben beeinträchtigend ist das Fatigue Syndrom. Wenn bleierne Müdigkeit mich heimsucht, macht es mir große Mühe, mich weiter am Gespräch zu beteiligen oder die Straße entlang zu gehen oder die Saunabank nicht als Schlafstätte zu benutzen. Dann entgehen mir Teile des Gespräches im Freundeskreis (oder der Handlung des Tatort im Fernsehen), dann wird es zur Anstrengung, zu antworten … aber es bleibt immerhin möglich und die Fälle, in denen ich einen Spaziergang ablehnen oder die Gesellschaft anderer Menschen vorzeitig verlassen muss, sind eher selten.
Bisher ist auch das Fatigue Syndrom nicht in der Lage, mich zu isolieren oder vom Leben auszusperren, und das soll sich auch nicht ändern, da bin ich fest entschlossen. Ich lerne nach und nach, wie ich gegensteuern beziehungsweise vorbeugen kann, und das macht mir Mut, dass ich auch damit immer besser zurecht kommen werde.

Einiges an den Nebenwirkungen ist zur Zeit noch unklar für mich: Bleibt das jetzt oder ist das vorübergehend? Wird das schlimmer oder besser? Zum Beispiel ist seit Ende des zweiten Zyklus beziehungsweise der Zwangspause durch die Mandelentzündung keine Erektionsfähigkeit mehr vorhanden – einstweilen oder längerfristig? Ich werde es wohl oder übel ganz einfach abwarten müssen. In den Unterlagen über die Nebenwirkungen, die ich unterschrieben habe, war die Rede davon, dass eine auftretende Impotenz »in der Regel« spätestens innerhalb einiger Monate nach Ende der Behandlung abklingt und sich die normalen sexuellen Fähigkeiten wieder einstellen. Kann aber auch früher passieren. Oder später. Verlässliche Auskünfte ärztlicherseits wird es dazu (wie zu so vielen Nebenwirkungen) nicht geben, da reagiert jeder Patient eben individuell und unvorhersehbar.
Und mal ganz ehrlich: Dass mein Penis nicht steif wird ist verglichen mit so vielem anderen, was sein könnte (oder vor der Operation schon war) nun wirklich kein Weltuntergang.

Vor allem durch die Mandelentzündung und ihre Folgen ist mir klar geworden, was es heißt, ohne funktionierendes Immunsystem zu leben. Dadurch steigt natürlich bei mir die Vorsicht, wenn es darum geht, mit anderen Menschen zusammen zu sein, sei es anlässlich einer Einladung zur Hochzeit oder eines Gottesdienstbesuches oder eines Einkaufs im Supermarkt oder dem Training im Sportstudio … aber Vorsicht heißt nicht Verbot. Ich halte etwas mehr Abstand, achte darauf, ob jemand niest, schnupft, hustet … aber ich kann und darf trotzdem raus aus der guten Stube, mit Vorsicht und Verstand ab und zu hinein ins Leben. Das ist gut so und mir sehr wertvoll.

Der Alltag gelingt trotz der Nebenwirkungen, die sich bisher eingestellt haben. Und das ist etwas, worüber ich mich freuen kann und freuen will und freuen werde. Weder eine Krebserkrankung noch eine Chemotherapie sind etwas Gutes. Aber es gibt trotz einer Krebserkrankung und einer Chemotherapie immer noch Gutes, in Hülle und Fülle. Man muss es nur sehen wollen.

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