Samstag, 13. September 2014

Geheimnisverrat

seufz.
musst du denn immer so lang schreiben?

… seufzte unlängst eine treue Blogbesucherin. Mal sehen. Hier fasse ich mich kurz:

Es kommt beim Fotografieren nicht in erster Linie auf die Kamera an, behaupten viele Profis. Ich behaupte das auch. Wer die Maus in meinen Fotoalben über der geeigneten Stelle schweben lässt, erfährt ein paar Geheimnisse zum jeweiligen Foto. Kameramodell, ISO, Blende, Brennweite und Belichtungszeit. Das sei als Beweis der Behauptung hinreichend.

collage

So. War das wieder zu viel Text?

.

Freitag, 12. September 2014

Du hast keine kreative Ader? Von wegen!

So gib mir auch die Zeiten wieder,
Da ich noch selbst im Werden war,
Da sich ein Quell gedrängter Lieder
Ununterbrochen neu gebar.
(Johann Wolfgang von Goethe, Faust I)

Es ist gar nicht so schwer, kreativ zu sein, etwas zu erschaffen, sich etwas vorzustellen und die Vorstellung Wirklichkeit werden zu lassen. Das Einzige, was uns oft davon abhält, sind all die Ablenkungen durch elektronische Medien, die einen Großteil unserer eigentlich freien Zeit verschlingen können, wenn wir es zulassen. Wer aber immer nur konsumiert, beraubt sich selbst. Unser Geist, unsere Seele sind aus Sicht der Schöpfung schöpferisch. Der erste Schritt ist immer eine Entscheidung: Ich will kreativ sein oder werden.

Unabhängig davon, auf welchem Gebiet oder auf welchen Gebieten du kreativ sein willst, als Autor, Maler, Musiker, Fotograf, Blogger, Designer, Elternteil, Geschäftsinhaber … du wirst nach einer Weile fast automatisch ständig auf der Suche nach Inspiration sein, danach Ausschau halten, wie du deine Kreativität einsetzen kannst. Wenn du deine kreative Ader erst einmal aktiviert hast, fängt der schöpferische Blutstrom an, selbstständig zu pulsieren.

Es gibt unzählige Kreativtipps im Internet, in Zeitschriften, Büchern und sogar im Fernsehen, das eigentlich ein eher kreativitätsfeindliches Medium ist. Ich habe in meinem Leben bereits etliche Kreativratgeber gelesen; manches war realitätsfern, manches praktisch anwendbar. Ein paar Tipps, die ich für wirklich hilfreich erachte, will ich heute meinen geschätzten Blogbesuchern anvertrauen. Was sie damit anfangen oder nicht, sei ihrer Kreativität überlassen.

Die Reihenfolge der Aufzählung hat übrigens absolute keine Bedeutung.

  • Spielerisch experimentieren, nicht verbissen arbeiten. Wenn das kreative Hobby zur Qual wird, ist es das falsche Hobby. Das heißt nicht, dass man nicht an seiner Kreativität arbeiten und feilen muss (siehe weiter unten). Den Unterschied zwischen Mühewaltung und Qual wirst du schon herausfinden, da bin ich zuversichtlich.
  • Nicht gleichzeitig konsumieren und kreieren. Der eine Prozess sollte immer vom anderen getrennt sein. Ich lese durchaus Fachbücher, über das Schreiben, das Fotografieren zum Beispiel. Um die Anregungen daraus beim Lesen umzusetzen müsste ich »multitaskingwillig« sein, und genau das ist kreativitätsschädlich.
  • Abkapseln, soweit möglich und sachdienlich, nicht gleichzeitig gesellig und kreativ sein. Selbst wenn ich in Gesellschaft anderer die Kamera mitführe und ein geselliger Mensch bin – im Augenblick des Fotografierens, wenn ich ein Motiv gefunden und ausgewählt habe, gibt es nur den Sucher, das Licht und mich.
  • Bewusst leben und Kreativität zum täglichen Thema machen. Sogar das Warten in der endlosen Schlange am Postschalter kann Inspiration sein, wenn man bewusst die griesgrämigen Gesichter, die genervten Angestellten, die Körpersprache von Kindern, Eltern, Geschäftsleuten, Rentnern … betrachtet.
  • Überall nach Inspirationen Ausschau halten, auch im scheinbar Unscheinbaren. Das Gras, das sich zwischen Pflastersteinen ins Leben zwängt … das Mauerblümchen … das Kind auf dem Straßenfest, das seinen Ballon anstrahlt als wäre es der größte Schatz der Welt. Eine eingedrückte Motorhaube, die ich bei einem Spaziergang im Industriegebiet von Neukölln in der Mittagspause gesehen habe, war die Inspiration, die zum Roman »Sabrinas Geheimnis« geworden ist.
  • Erschaffe dein Werk, egal wie gelungen oder misslungen es am Anfang aussieht. Wenn ich heute alte Fotos betrachte oder alte Texte lese, muss ich manches Mal den Kopf schütteln. Aber ich habe sie damals geschaffen, habe probiert und probiert – das zählt. Auch heute noch.
  • Perfektion muss nicht sein und wird nicht sein. Sei schöpferisch und lass dir Kritik gefallen, solange sie konstruktiv ist und dir weiterhilft. Wenn die beste aller Ehefrauen mich ermahnt, bei der Moderation einer Veranstaltung nicht so viel abzulesen, dann hat sie recht, weil ich gerne in die Falle tappe, mich zu sehr an meinen Zetteln auf dem Pult festzuhalten. (Jawohl, auch Moderation ist Kreativität.)
  • tumblr_nbobhwhomN1tqm1uvo2_400Werde immer besser. Das geht natürlich nur dadurch, dass man etwas tut. Die Fotos sind alle misslungen? Gut so. Dann werden nämlich die nächsten besser. Du weißt ja jetzt, wie es nicht geht. Die Ausbeute beim nächsten Ausflug mit der Kamera ist wieder ziemlich bescheiden? Prima. Nun weißt du schon zwei Konstellationen, die nicht funktionieren. Also brich auf zur nächsten Expedition.
  • Ignoriere alle Nörgeleien. Wer dir nicht konstruktiv weiterhelfen kann oder will, sondern nur herummeckert, muss keine Aufmerksamkeit von dir ernten.
  • Bring anderen etwas bei – du lernst dabei vielleicht sogar am meisten. Ob du nun einem Freund erklärst, was es mit ISO, Blende und Belichtungszeit auf sich hat oder einer Freundin die Seidenmalerei zeigst … oft genug profitierst du selbst mehr, als erwartet. Mir jedenfalls ging es schon öfter so.
  • Es schadet nichts, mal alle Gewohnheiten durcheinanderzuwirbeln und zu schauen, was dabei herauskommt. Wenn alle Lieder, die du komponierst, im dreiviertel-Takt und in C-Dur erklingen … ist das nicht auf Dauer etwas ermüdend? Mal ein gewagtes a-Moll wagen?
  • Probiere aus, ob ein Trick aus einem Kreativbereich nicht auch bei einem anderen funktioniert. Zum Beispiel der Perspektivwechsel beim Fotografieren – was bewirkt der beim Schreiben einer Kurzgeschichte? Beim Dichten einer Ode?
  • Trink jede Menge guten Kaffee.
  • Notier dir Ideen für deine Kreativität sofort – sonst sind sie weg, wenn du Zeit dafür hättest. Wenn mir etwas einfällt und ich habe absolut nichts bei mir, womit ich den Einfall notieren könnte, dann versuche ich, ihn mir als kleine Melodie einzuprägen. Bei mir funktioniert das meistens – probiere es mal bei Gelegenheit aus.
  • Geh raus in die Natur, in die Stadt, unter Menschen, in die Einsamkeit, entdecke Neues abseits der gewohnten Pfade und Umgebung. Und wenn du da draußen bist, dann schau auch hin. Siehe oben – der verbeulte Kotflügel und Sabrinas Geheimnis.
  • Lies eine große Bandbreite an unterschiedlicher Literatur und Texten. Auch und vor allem zu Themen, bei denen du anderer Meinung bist als der Autor.
  • Ruhe und Schlaf sollten nicht zu kurz kommen. Wer überarbeitet ist, wird nicht mehr kreativ sein können.
  • Erzwingen kannst du nichts. Wenn die Inspiration fehlt, dann entspann dich, spiele ein bisschen mit Ideen und vielleicht entwickelt sich etwas. Oder auch nicht, dann geht die Welt trotzdem nicht unter. Wenn ich etwas schreiben möchte und über den ersten Satz nicht hinauskomme, dann lasse ich es nach einer Weile sein und lege statt dessen eine Schallplatte auf oder CD ein. Dann ist eben in dem Moment die Zeit zum Genießen da, nicht zum Kreieren.
  • Beim kreativen Prozess sollten deine Gedanken nicht abschweifen, aber auf der Suche nach Inspirationen dürfen sie frei umherwandern.
  • Wenn dich eine Idee begeistert, dann setze sie möglichst sofort um.
  • Hab keine Angst, albern und verrückt zu wirken. Natürlich war es eine völlig verrückte Idee, mit elektrischem Strom Licht erzeugen zu wollen. Selbstverständlich war es albern, wie ein Vogel in die Lüfte aufsteigen zu wollen. Und heute verreisen wir in elektrisch beleuchteten Flugzeugen.
  • Kleine Ideen sind prima. Man muss nicht gleich die ganze Welt aus den Angeln heben, es reicht ein kleiner Schritt. Es muss nicht gleich eine Oper in vier Aufzügen sein, es genügt vielleicht ein Menuett.
  • Was deine Kreativität erstickt, solltest du ersticken. Man kann auch zu viel Theorie ansammeln, so viel, dass man entmutigt wird. ISO, Blende, Belichtungszeit und Autofokus sind zu viel auf einmal? Dann fang damit an, zu erkunden, wie die ISO-Einstellung sich auf das Bild auswirkt. Dann erst kombinierst du sie mit der großen Blende, die durch eine kleine Zahl zu erkennen ist …
  • Hör jetzt auf, Tipps zur Kreativität zu lesen und fang an, etwas zu erschaffen!

Das Geheimnis der Kreativität liegt darin, dass man seine Quellen zu verstecken weiß.
(Albert Einstein)

.

Montag, 8. September 2014

Von der Perspektive–im Leben und auf Fotos

Perspektive (von lateinisch perspicere‚ hindurchsehen, hindurchblicken) bezeichnet die räumlichen, insbesondere linearen Verhältnisse von Objekten im Raum: Das Verhältnis von Objekten im Raum in Bezug auf den Standort des Betrachters. -Wikipedia

Beim Fotografieren kann man durch einen Perspektivwechsel vor dem Druck auf den Auslöser trotz identischem Motiv zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen kommen.

Am vergangenen Sonntagmorgen, unterwegs mit Max, unserem treuen, liebenswerten und meist fröhlichen vierbeinigen Familienmitglied, nahm ich ein Bild des Pfades auf, den wir so gut wie bei jedem Spaziergang durchschreiten. Mir gefällt dieser fast tunnelartige Weg zwischen ungehindert wuchernder Vegetation (das Gelände ist »Niemandsland«, kein Gartenbauamt oder sonst jemand pfuscht der Natur ins Handwerk).

01

Ich hatte meine Kamera nicht dabei, sondern nur das Mobiltelefon … daher die nicht so ganz akzeptable Qualität. Doch abgesehen von den technischen Details – das Motiv wirkte auf dem Bildschirm des kleinen Samsung etwas langweilig, als ich es betrachtete. Nach nur kurzem Überlegen wusste ich, warum ich unzufrieden war: Fotos, bei denen das Hauptmotiv genau im Mittelpunkt liegt, sehen in der Regel eben zufällig geknipst aus, nicht bewusst fotografiert. Also nahm ich ein zweites Bild auf, bei dem der tunnelartige Pfad etwas nach unten rutschte.

02

Und siehe da: Schon war ein Teil der Langeweile aus dem Foto verschwunden. Beim dritten Versuch hatte ich dann das vor Augen, was ich auch beim Blick ohne Kamera beziehungsweise Mobiltelefon sah: Ein beeindruckendes Zeugnis dessen, wie klein der Mensch beziehungsweise sein Pfad im Vergleich zu den Bäumen ringsum ist:

03

Als ich dann mit Max weiter spazierte, wurde mir wieder einmal klar, dass es im Leben auch oft so ist wie in der Fotografie. Es genügt ein gering erscheinender Perspektivwechsel, um den gleichen Sachverhalt ganz anders wahrnehmen zu können.

Ich könnte ständig die Krebserkrankung, mögliche Metastasen, die Schäden aus der Chemotherapie und all die mit dem Krebs verbundenen Befürchtungen und Ängste in den Mittelpunkt meines Lebens und Denkens rücken. So wie beim Fotografieren die meisten Menschen dazu neigen, das Objekt genau ins Zentrum des Bildes zu nehmen. Deshalb gibt es so viele mittelmäßige und nichtssagende Schnappschüsse, von denen sogar diejenigen oft enttäuscht sind, die das Bild aufgenommen haben. Wenn man aber den Blick etwas hebt, kann das eine bedeutende Veränderung auslösen.

So haben mich der Spaziergang mit Max, das Mobiltelefon mit seiner Fotofunktion und die drei aufgenommenen Bilder wieder einmal daran erinnert, dass sogar der Krebs kleiner erscheint, wenn der Blick sich weitet, wenn die Perspektive wechselt.

Das ändert nichts an den Tatsachen, klar. Es macht die tödliche Krankheit nicht weniger gefährlich. Aber die Lebensqualität gewinnt eine ganze Menge, wenn ich Gottes Größe und die Schönheit seiner Schöpfung mit ins Bild nehme. Wenn ich achtsam lebe. Wenn ich mir bewusst mache, dass ich nunmehr schon zweieinhalb Jahre »geschenktes« Leben an der Seite der besten aller Ehefrauen und mit Anteilnahme und Freundschaft vieler lieber Menschen genießen konnte. Das macht Mut und gibt Hoffnung für die Zukunft.

Ein geweiteter oder angehobener Blick, eine veränderte Perspektive tut gut. Beim Fotografieren und im Leben. Solche Perspektivwechsel wünsche ich auch meinen Lesern gerne und von Herzen.

.

Montag, 1. September 2014

Jogging/Dauerlauf: Von wegen Langeweile!

Langweilig sei das Joggen (neudeutsch für den guten alten Dauerlauf), hörte ich kürzlich jemanden sagen. Das ist jedoch ein Irrtum, dem zu entrinnen ein Leichtes ist.

Wer sich zu zweit auf den Weg macht, hat schon mal die Möglichkeit zum je nach Laune philosophischen, politischen, familiären, heiteren, ernsthaften oder sonstirgendwieigen Gedankenaustausch. Wer so schnell läuft, dass er oder sie außer Atem gerät und sich nicht mehr unterhalten kann, macht etwas falsch und sollte schleunigst den Lauf entschleunigen. Es geht ja schließlich nicht um ein Wettrennen oder einen neuen Rekord beim Dauerlauf.

Doch auch alleine unterwegs kommt keineswegs zwangsläufig Langeweile auf. Man kann unterhaltsame, spannende und ungewöhnliche Momentaufnahmen des Lebens sammeln, wenn man aufmerksam und bei der Sache ist und sich nicht mit Musik abschottet und permanent zu Boden blickt.

Auf dem Laufband im Sportstudio höre auch ich Musik nach eigener Wahl via Kopfhörer, um die meist nervende Geräuschkulisse, die die Verantwortlichen im Sportstudio wohl für Musik halten und deshalb durch die Lautsprecheranlage in alle Winkel der Trainingsflächen verbreiten, nicht hören zu müssen. Aus unerfindlichen Gründen scheint es niemandem von den Angestellten aufzufallen, dass so gut wie jeder Besucher mit Kopfhörern ausgestattet Sport treibt, um dieser Zwangsbeschallung aus dem Wege zu gehen. Lediglich im Schwimmbad und in der Saunalandschaft sind Gott sei Dank keine Lautsprecher geschaltet. Ummts ummts ummts auch noch in der Sauna - ich glaube das würde zum massenhaften Exodus der Mitglieder führen.

Ich laufe normalerweise ohne Nummer auf der Brust ...Hoppla! Ich merke, dass ich vom geplanten Thema abschweife - also flugs zurück zum Laufen draußen, sei es ruhige Straßen entlang oder auf Spazierwegen oder ganz abseits auf Trampelpfaden und über Wiesen oder durch Wälder. Da brauche ich keine Kopfhörer, vielmehr kann ich da Unterhaltsames zuhauf entdecken. Bei meinen letzten Läufen habe ich mir ein paar Momentaufnahmen gemerkt, weil mir die Idee zu diesem kleinen Aufsatz in den Sinn gekommen war.

Zum Beispiel Gesprächsfetzen beim Überholen von Spaziergängern:

  • ... (sie:) und dann können wir nämlich - (er:) grummel grummel - (sie:) dann können wir - (er:) grummel grummel - (sie:) nun lass mich doch mal ausreden! ...
  • ... all the way from Poland by bicycle. They started on one side of the canal and went through Berlin, then ...
  • ... hat dann Gisela aber nicht erzählt. - Woher weißt du es denn? - Von Martin, der hat ...
  • ... einhundertsiebzehn Euro! Ich dachte, mich trifft der Schlag! Ich sag noch das muss aber reichen, sag ich. Aber ...

Jeder dieser Gesprächsfetzen ist, wenn man nur will, Ausgangspunkt für eine spannende, lustige, kafkaeske, lehrreiche Geschichte. Wenn man möchte, lässt man solche Episoden beim Laufen im Kopf entstehen und wachsen. Dann ist von Langeweile garantiert keine Rede mehr.

Man hört nicht nur Gesprächsfragmente, man macht auch allerlei unterhaltsame Beobachtungen:

  • Die fein gewandete Dame, die ihren kleinen Hund (lila Schleifchen am Halsband) auf den Arm nimmt, sobald sich jemand auf dem Fahrrad nähert. Kommt ein Jogger angelaufen, hat offenbar der Hund Vorrang, er wird nicht einmal zur Seite gerufen.
  • Der Augenblick, in dem mein Fuß an einer Wurzel hängen bleibt: Ohne Nachdenken entscheidet das Gehirn in Sekundenbruchteilen, ob ein Sturz auf den Weg (überwiegend weicher Sandboden) oder neben den Weg (Grasbüschel, aber auch harte Wurzeln dazwischen) besser ist und ich lande mit beiden Knien und Händen im Sand. Unbeschadet stehe ich auf, renne weiter und überlege, warum ich nicht überlegen musste, in welche Richtung ich fallen sollte. Und dass das Gehirn offenbar in den Millisekunden zuvor auch festgestellt hat, ob der Sturz noch vermeidbar war, das Gleichgewicht wiederhergestellt werden könnte.
  • Das Verhalten von entgegenkommenden Dauerläufern: Herren neigen dazu, meinen Gruß (freundliche Mine, leicht erhobene Hand) zu erwidern, oft sogar mit einem »Hallo!« verbunden. Damen schauen eher an mir vorbei stur auf den Weg, der vor ihren emsigen Füßen liegt.
  • Zwei Kinder, vielleicht sieben oder acht Jahre alt, die vergnügt ein paar Meter mitrennen und mir versichern, dass sie noch viel schneller könnten, wenn sie nur wollten. Von hinten ertönt mütterliche Zurechtweisung: »Tim, Christian, hiergeblieben!« Tim oder Christian ruft mir nach: »Tschüß! Aber wir hätten schneller gekonnt!«

Was könnten aus diesen Momentaufnahmen für Geschichten entstehen ... wiederum ist eine gewaltige Bandbreite von absurd über kriminalistisch bis dramatisch denk- und vorstellbar. Zum Beispiel die beiden Jungs – die waren Opfer einer Entführung und hatten versucht, durch das Mitlaufen eine Botschaft an mich zu übermitteln. Ich hätte, wenn das gelungen wäre, außer Sichtweite die Polizei informieren können, die dann etwa drei Kilometer weiter einen Hinterhalt aufgebaut hätte, um die vermeintliche Mutter zu verhaften … oder so ähnlich.

Ich kann auch beim Laufen Lieder in meinem Kopf singen und dabei, je nach Laune, über Sinn und Unsinn der Texte nachdenken oder nach Gutdünken mit den Texten anstellen, was ich will.

  • Bei einem Lauf ging mir Leonard Cohens Lullaby durch den Kopf. Da heißt es: »Well the mouse ate the crumb / Then the cat ate the crust / Now they've fallen in love / They're talking in tongues«. In diesen vier Zeilen, fand ich beim Joggen, steckt jede Menge List, Philosophie und sogar Religionswissenschaft. Denn wenn man hört, dass die Maus die Krume, also das Innere eines Brotes, vertilgt hat und dann heißt es »then the cat ate the« - da erwartet man natürlich, dass die Maus das Opfer des Katzenhungers wurde. Von wegen! Leonard Cohen ist ein listiger Poet, er führt uns auf das Glatteis! Die Katze begnügt sich nämlich mit der Kruste. Was folgt daraus? Die beiden lieben sich. Jawohl. Und sie sprechen in Zungen. Das ist religiös und philosophisch zugleich. In Zungen geredet wurde am Pfingsttag in Jerusalem, als die verängstigten Nachfolger des auferstandenen und gen Himmel entschwundenen Jesus von Nazareth vom Heiligen Geist überrascht wurden. Und dass Katze und Maus sich lieben, das deutet auf das Paradies hin, in dem Lamm und Löwe friedlich miteinander kuscheln. Wenn der Löwe zum Grasfresser wird, dann kann aus der Katze ja ein Brotfeinschmecker werden.
  • Man kann auch Lieder, die man tausend mal gehört und vielleicht mitgesungen hat, mit neuen Texten ausprobieren. Da tönt es dann vielleicht im Kopf: »Das Laufen ist des Günters Lust / dabei hat er auch schon mal Durst / beim Lau-hau-fen. / Das müsst ein schlechter Günter sein / dem niemals fiel’ das Laufen ein …« und so weiter. Oder »Weine nicht, wenn das Pferd hinfällt / dam dam, dam dam. / Du bist ja der Einz’ge dem das auffällt, dam dam, dam dam!«

Soweit ein paar Exempel, wie so ein Dauerlauf, auch wenn man auf angenehme Gesellschaft verzichten muss und alleine unterwegs ist, unterhaltsam sein oder werden kann. Daneben gibt es ja noch all die Düfte in der Luft, die Klänge der Natur (vom Rauschen der Blätter bis zum Vogelsang), die Vielfalt der Farben und Formen vom unscheinbaren Gras bis zum gewaltigen Baum, das Wechselspiel des Lichts am Himmel … oder bei Stadtläufen die höchst unterschiedliche Gestaltung von Fassaden, Zäunen, Balkons, Türen und Toren … es gibt viel zu entdecken, wenn man nur will.

Langweilig sei das Joggen, hörte ich kürzlich jemanden sagen. Nun, liebe Blogbesucher, wissen wir es besser. Also auf geht's! Laufkleidung und -schuhe anziehen und ab nach draußen! Vielleicht begegnen wir uns ja? Ich bin der, der andere Läufer freundlich zu grüßen pflegt.

---
Mehr zum Thema gesünderes und glücklicheres Leben aus persönllichem Erleben steht in diesem Buch:
.

Sonntag, 31. August 2014

Vom Eiswassereimer und der Eitelkeit

Stephen King bei der DuscheNicht nur Hinz, sondern auch Kunz kippen sich mehr oder weniger große Behältnisse, die mit mehr oder weniger kaltem Wasser gefüllt sind, über dem Kopf aus – oder sie lassen sich begießen. Das ganze Geschehen wird als Videofilmchen auf Facebook (oder in anderen sozialen Netzwerken) veröffentlicht, wobei dann einige Personen »nominiert« werden, die es dem begossenen Pudel gleichtun sollen.

Das ist mal lustig, mal peinlich, mal doof … und es wird immer deutlicher, dass es für viele nur ein Jux ist. Was eigentlich der Sinn der Sache war, davon haben die Nassgemachten häufig keine Ahnung. Dabei reicht ja ein Klick rüber zu Wikipedia …

Die ALS Ice Bucket Challenge (zu Deutsch Eiskübelherausforderung) ist eine als Spendenkampagne gedachte Aktion. Sie soll auf die Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) aufmerksam machen und Spendengelder für deren Erforschung und Bekämpfung generieren. Die Herausforderung darin besteht, sich einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf zu gießen und danach drei oder mehrere Personen zu nominieren, die dann 24 Stunden Zeit haben, es einem gleichzutun und zehn US-Dollar beziehungsweise zehn Euro an die ALS Association zu spenden. Will man sich keinen Eimer Wasser über den Kopf gießen, soll man 100 US-Dollar, beziehungsweise 100 Euro, an die ALS Association spenden.

Bei vielen Kindern, die man nassgemacht auf Facebook bewundern kann, ist vom Spenden überhaupt nicht die Rede … es geht nur um den Jux und darum, dass sich dann die anschließend »Nominierten« ebenfalls der Dusche zu unterziehen haben. Dennoch hat sich die clevere Werbeaktion längst bezahlt gemacht: Vom 15. Juli bis zum 21. August 2014 nahm die ALS Association 41,8 Millionen US-Dollar durch Spenden ein, gegenüber 2,1 Millionen US-Dollar im Vorjahreszeitraum. Ich hätte an die ALS Association nicht gespendet, weil dort grausame und unnötige Tierversuche die Regel sind, gegebenenfalls hätte ich mir eine gemeinnützige Organisation ausgesucht, bei der auch weniger Geld in der Verwaltung und bei den Gehältern hängen bleibt.

Joelina M. bei der DuscheDennoch finde ich, dass das in den letzten Tagen aufkommende Gemecker an der Wasserorgie auch nicht sein muss. Die Frankfurter Rundschau mault:

Bei der aktuellen Flut an Eiswasser in sozialen Netzwerken bekommt man den Eindruck, es werde nur noch Wasser geschüttet, um sich ins Gespräch zu bringen …

Natürlich sind viele der Videos schlecht gemacht, haben viele der Selbstdarsteller wenig Talent und sind über Sinn und Unsinn der Aktion überhaupt nicht im Bilde. Aber ist denn an der Lust der Selbstdarstellung grundsätzlich etwas auszusetzen? Nein, meine ich, nein. Ganz und gar nicht. Und das meine ich mit gutem Grund:

Ohne Eitelkeit gibt es kein Schreiben. Egal, ob Autor oder Kritiker - Eitelkeit muss dabei sein. Sonst entsteht nichts. Thomas Mann war wahnsinnig eitel, Richard Wagner auch, und Goethe und natürlich Schiller. –Marcel Reich-Ranicki in Die Weltwoche, 2009

Eben. Was für das Schreiben gilt, gilt auch generell. Es ist doch jedem der Spaß zu gönnen, sich als Nassgemachter und Begossene zu präsentieren, warum denn nicht. Wenn wir uns solchen Jux nicht mehr anschauen oder gönnen könnten, ohne gleich den griesgrämig erhobenen Zeigefinger zu präsentieren, dann wäre das sehr schade.

Also denn: Wasser Marsch – für einen guten Zweck oder auch völlig zweckfrei. Das Leben ist ernst genug, ein wenig Spaß darf schon sein

.

Freitag, 29. August 2014

Die Kunst der Lebenskunst - fällt ein Meister vom Himmel?

Auf deinem Teller liegt eine saftige, dunkelrote Erdbeere. Du nimmst sie behutsam auf, legst sie auf deine Zunge und fängst an, den vollen aromatischen Geschmack zu genießen. Du weißt bereits, wie Erdbeeren schmecken, und ausgerechnet dieses Exemplar ist etwas überreif und nicht so ganz nach deinem Geschmack. Du verziehst leicht das Gesicht und schluckst die Erdbeere schnell herunter. Vielleicht ist sie aber auch genau richtig gereift und schmeckt genau so, wie du es erwartet hast - keine große Überraschung also. Du verspeist sie und wendest dich wieder dem Tagesgeschehen zu.

Im ersten Fall bist du enttäuscht, weil deine Erwartungen nicht erfüllt wurden. Im zweiten Fall war der Vorgang langweilig, weil du nichts anderes erwartet hast. Beides ist keine Lebenskunst.

Aber stell dir einmal vor, du hättest keinerlei Erwartungen bezüglich dieser Erdbeere gehabt, weil dir solche Früchte unbekannt waren. Du wärest neugierig gewesen, offen für eine große Bandbreite von möglichen Empfindungen. Säuerlich? Süß? Fest oder weich? Mit Kernen oder nicht? Sättigend? Saftig oder trocken? Du nimmst die Frucht in die Hand, riechst das einzigartige Aroma. Im Mund spürt deine Zunge die unterschiedlichen Texturen, die relativ feste Haut, das weiche Fruchtfleisch. Komplexe Geschmacksempfindungen entfalten sich, während du isst. Du hattest keine Ahnung, was dich erwarten würde - nun bist du begeistert, weil Geschmack und Aroma so exquisit sind.

Normalerweise erleben wir solche eindrücklichen Erfahrungen nur als Kinder, die täglich neu die Welt entdecken beziehungsweise Neues in der Welt aufspüren. Der Geist eines Kindes ist noch frei von Erwartungen - Alltägliches kann mannigfache Überraschungen in sich bergen. Ist es nicht schade, dass wir irgendwann alles zu kennen und zu wissen meinen? Dass die Erdbeere so langweilig wird?

Sieh, das ist Lebenskunst: Vom schweren Wahn des Lebens sich befrein, fein hinzulächeln übers große Muß. –Christian Morgenstern

Die Erdbeere kann für alles mögliche in deinem Leben stehen: Menschen, Ausflüge, eine Mahlzeit, ein Kaffee, ein Konzert, eine CD, eine Tätigkeit ... bis hin zur morgendlichen Dusche. Wenn du voller vorgefasster Erwartungen durch den Tag gehst, kommt es zu jeder Menge langweiligen bis enttäuschenden Empfindungen, weil die Erdbeere genau so oder sogar weniger gut schmeckt als erwartet. Die meiste Zeit bemerkst du deine Empfindungen noch nicht einmal bewusst.

Aber wenn du jedem Menschen, jeder Aufgabe, jedem Ereignis ohne bereits fertige Erwartungen entgegen gehst, den Moment, die Person als etwas Neues betrachtest, dann kann eine ganze Menge mehr an Lebensqualität entstehen. Natürlich ist es nicht sinnvoll, dabei den Verstand auszuschalten: Die Kerzenflamme ist heiß und bleibt heiß - das darfst du ruhig auch zukünftig erwarten. Aber in vielen Bereichen besteht die Kunst des Lebens darin, offen zu sein und zu bleiben. Dann tut sich dir plötzlich eine ganz neue Welt auf - dein Leben und Erleben wird sehr positiv verändert.

Ein paar Beispiele? Bitteschön:

  • Nehmen wir als Stichwort das schöne Modewort Prokrastination (früher als Aufschieberitis bekannt). Da gibt es eine Aufgabe, die du hinausschiebst und hinausschiebst und hinausschiebst. Ein großes Projekt womöglich, von dem du dich schon vorher überfordert fühlst. Und tatsächlich bedeutet es einen Haufen Arbeit, womöglich auch noch eine Art von Arbeit, die dir nicht liegt, die dir schwer fällt, in der du sogar schlechte Erfahrungen hast. In solchen Fällen heißt das Fallenlassen der Erwartungen, dass du zuerst einmal beschließt, dass du nicht weißt, wie und ob dir die Aufgabe gelingen wird. Du fängst einfach damit an und bist bezüglich des Ergebnisses und des Tempos offen. Einfach anfangen und schauen, was funktioniert, wie es funktioniert und falls es nicht funktioniert, wie du es besser oder anders versuchen kannst. Selbst wenn alles schief geht, lernst du ja etwas aus dem Erlebnis, so wie Edison hunderte von Fehlversuchen beim Entwickeln der Glühlampe als Gewinn betrachtete: »Jetzt kenne ich tausend Möglichkeiten, wie es nicht funktioniert«, soll er einem Reporter nach vielen Fehlschläge gesagt haben.
  • Gute Vorsätze eignen sich leider auch hervorragend als Hindernisse für ein erfülltes und zufriedenes Leben. Du unternimmst voller Begeisterung und Hoffnung einen Anlauf, überflüssiges Fett abzubauen und deinen Körper in Form zu bringen, indem du zu einem Dauerlauf aufbrichst. Das willst du, so der gute Vorsatz, ab sofort mindestens zweimal wöchentlich tun. Und dann stellst du beim ersten Lauf bereits fest, dass du weit weniger schaffst, als du dachtest. Hinterher spürst du leicht schmerzhaft deine Muskeln und am Fuß hast du eine Blase, weil der Schuh gerieben hat. Beim zweiten Dauerlauf ein paar Tage später fängt es auch noch an zu regnen ... und du bist so frustriert, dass das Thema Jogging für dich beerdigt ist. Obwohl du weißt, dass es dir letztendlich gut tun und deine Lebensdauer sowie -qualität erheblich steigern könnte. Schade.
    Du könntest das Erlebte aber auch als Erfahrung betrachten: So geht es nicht, mal sehen, wie es dann eben anders funktioniert. Mir jedenfalls ging es so, als ich vor einigen Jahren beschloss, endlich Laufen zu gehen. Der erste Versuch endete atemlos und entkräftet nach wenigen Minuten. Der zweite Versuch brachte nicht viel mehr, außer dass zusätzlich Schmerzen im Knie auftauchten. Anstatt zu sagen »Dauerlauf ist eben nicht mein Ding«, besorgte ich mir einen Trainingsplan für Anfänger und passendes Schuhwerk. Immer wieder gab es Rückschläge und »miese Tage«, aber ich blieb dran. Und das war auch gut so, wie mir etliche Ärzte später attestiert haben. Du solltest auch an gute Vorsätze nicht mit übersteigerten oder von vorne herein festgelegten Erwartungen herangehen, sondern offen sein für das, was sich bei der Verwirklichung entwickelt.
  • Und mit dem Sport sind wir bei einem generell wichtigen und gleichzeitig schwierigen Bereich: Dein Körper, magst du ihn so, wie er ist? Oder siehst du lauter Mängel? Hier sollte die Haut straffer sein, dort ist eine unschöne Verfärbung, die Nase ist zu groß oder zu klein oder schief, die Augenbrauen zu buschig oder zu dünn, der Bauch zu dick, die Beine zu stämmig ... und so weiter. Du bist unzufrieden, weil dein Körper nicht perfekt ist. Du hast abweichende Idealvorstellungen. Und so schade es auch ist - je weniger ein Mensch seinen Körper so akzeptiert, wie er im Moment ist, desto weniger wird dieser Mensch für die Gesundheit des Organismus tun, das wurde in zahlreichen Forschungsprojekten immer und immer wieder beobachtet. Man sollte meinen, dass die Unzufriedenheit gerade Ansporn wäre, etwas zur Veränderung des Zustandes beizutragen, aber in der Regel ist genau das nicht der Fall. Statt dessen werden immer mehr Ausreden und Ausflüchte angeführt, warum es sowieso hoffnungslos wäre, beispielsweise etwas gegen die überzähligen Pfunde zu unternehmen. Das wäre nämlich anstrengend. Das wäre unbequem. Unser Geist will uns daher weismachen, dass es sowieso sinnlos wäre.
    Wenn du dich von den übersteigerten Erwartungen an deinen Körper (die wahrscheinlich tatsächlich nicht realistisch sind) trennen kannst und erst einmal akzeptierst, dass du so bist, wie du bist, wenn du sagen kannst »das bin ich und das ist auch gut so«, dann ist der erste und entscheidende Schritt getan. Dadurch wächst dein Selbstvertrauen. Mehr Selbstvertrauen bedeutet mehr Durchhaltevermögen, wenn etwas schwierig und unbequem wird. Und siehe da - Veränderungen werden möglich. Dauerhafte Veränderungen. Nicht sofort, aber nach und nach, weil du dir zu jeder Zeit beim Blick in den Spiegel zurufen kannst: »Das bin ich, und das ist auch gut so. Ich bin nicht Adonis oder Venus, aber das muss ich auch nicht sein. Ich bin ich. Ein glücklicher und selbstbewusster Mensch.«

Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. –Die Bibel, Matthäusevangelium

Foto: https://www.pinterest.com/pin/206180489160809556/Jesus hielt es offensichtlich für normal und richtig, sich selbst zu lieben, sonst hätte er das nicht als Vorbild für die Liebe zu anderen genannt. Kannst du dich selbst lieben? So, wie du aussiehst? Gilt das folgende alttestamentarische Wort auch für dich?

Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bild, nach dem Bild Gottes schuf er ihn. –Die Bibel, Genesis

Falls du an den Schöpfer glaubst, sollte es dir möglich sein, auch dieses Zitat ernst zu nehmen. Falls du nicht gläubig bist, versuch es trotzdem: Liebe dich selbst.

Der Dichter Matthias Claudius hat es so ausgedrückt:

Selig ist der Mensch, der mit sich selbst in Frieden lebt. Es gibt auf Erden kein größeres Glück. –Matthias Claudius, Pseudonym Asmus

Mit dir selbst in Frieden leben kannst du, sobald du dich so akzeptierst, wie du bist und aussiehst. Lass diese Erfahrung in allen Bereichen deines Lebens zu, nicht nur bei der physischen Erscheinung. Sei dankbar für den Augenblick und gespannt auf die Zukunft - das ist die Grundlage der wahren Lebenskunst.

Und wie wird man nun zum Meister?

Ganz langsam, nach und nach. Übung macht den Meister, sagt das Sprichwort, und das Sprichwort trifft zu. Man kann und muss es erst lernen, bewusst und achtsam zu leben und die Gegenwart zu akzeptieren, jeden Augenblick, jeden Tag. Natürlich haben wir unsere Idealvorstellungen, Wünsche, Träume ... und die werden nicht immer wahr. Im Leben kommt es auch weiterhin zu Enttäuschungen, Rückschlägen, Umwegen, Trauer, Frustration, Wut und Sackgassen. Die betrachtest du dann, wenn du ein paar Mal tief durchgeatmet hast und ein wenig zur Ruhe kommst, als Indizien für übersteigerte oder ungerechtfertigte Erwartungen. Und dann gehst du weiter, um eine wertvolle Erfahrung reicher.

Und irgendwann beerdigst du auch die Vorstellung, dass du perfekt in der Lebenskunst sei kannst und wirst. Es genügt dir, auf dem Weg zu sein und schon wieder hast du etwas gelernt, bist der Meisterschaft ein Stück näher gerückt. Immer besser gelingt es dir, dein Leben und dich selbst anzunehmen und zu genießen. Und das ist etwas Wunderbares.

.

Montag, 25. August 2014

Die hohe Kunst des Nichtstuns

Berta: Herrmann?
Hermann: Ja?
Berta: Was machst du da?
Hermann: Nichts!
Berta: Nichts? Wieso nichts?
Hermann: Ich mache nichts!
Berta: Gar nichts?
Hermann: Nein.
Berta: Überhaupt nichts?
Hermann: Nein, ich sitze hier!
Berta: Du sitzt da?
Hermann: Ja.
Berta: Aber irgendwas machst du doch!
Hermann: Nein.
~Loriot – Szenen einer Ehe

Wir wissen doch sicher alle, wie man nichts tut, oder? Wir können herumlungern und Zeit verschwenden. Aber für viele Menschen heißt das noch lange nicht, dass sie sich dabei auch entspannen. Wir sind viel zu beschäftigt, um öfter mal Muße zu suchen, und wenn wir dann tatsächlich mal nur so auf dem Sofa sitzen oder liegen, sind unsere Gedanken immer noch mit tausend Dingen beschäftigt. Entspannen und das Nichts genießen - das fällt den meisten Menschen schwer.

Nichtstun kann reine Zeitverschwendung sein, genauso aber auch eine hohe, gesundheitsfördernde, wertvolle Kunst. In diesem Beitrag geht es um ein paar Schritte auf dem Weg zur Meisterschaft im Nichtstun. Schritte, mit denen die Lebensqualität deutlich erhöht, Stress vermindert und - das mag manche überraschen - die Produktivität bei der Arbeit gesteigert werden kann.

Berta: Also was willst du denn nun?
Hermann: Ich möchte hier sitzen!
Berta: Du kannst einen ja wahnsinnig machen!
Hermann: Ach.
Berta: Erst willst du spazieren gehen, dann wieder nicht. Dann soll ich deinen Mantel holen, dann wieder nicht. Was denn nun?
Hermann: Ich möchte hier sitzen!
Berta: Und jetzt möchtest du plötzlich da sitzen!
Hermann: Gar nicht plötzlich. Ich wollte immer nur hier sitzen!
Berta: Sitzen?
Hermann: Ich möchte hier sitzen und mich entspannen!
~Loriot – Szenen einer Ehe

Klein anfangen

Das Nichtstun im wahrsten Sinne des Wortes kann überwältigend sein, wenn man sich auf Anhieb zu viel des Guten zumutet. Es empfiehlt sich, mit dem kleinen Nichts zu beginnen: Nur fünf bis zehn Minuten, und zwar zu Hause oder an einem anderen abgeschirmten Ort, aber nicht am Arbeitsplatz oder in der Öffentlichkeit. Am Anfang sind Wohnzimmer oder Schlafzimmer die geeignetsten Orte, zumal Ablenkungen, Unterbrechungen, Lärm oder andere Störfaktoren so weit wie es nur geht ausgeschlossen sein sollten. Logisch: Telefon, Fernseher, Computer schaltet man aus, bevor das kleine Nichts dran kommt. Aber man sollte auch nicht in zehn Minuten Besuch erwarten oder damit rechnen müssen, dass jeden Moment jemand hereinkommen könnte.

Free Stock FotosNun legt oder setzt man sich hin, schließt man die Augen und tut nichts. Natürlich wird der eine oder andere - wie Berta im Loriot-Sketch - sofort sagen, dass man doch etwas tut, nämlich da sitzen oder da liegen. Und die Augen zumachen. Aber Berta hat uns in diesen Minuten nichts zu sagen, denn wir tun wirklich nichts und versuchen auch, die möglicherweise noch herumschwirrenden Gedanken zur Ruhe zu bringen.

Nach fünf bis zehn Minuten reicht es erst einmal. Man steht auf und tut etwas, ganz bewusst. Zum kleinen Anfang gehört Übung: Wer es schafft, täglich ein bis zwei Mal solch ein kleines Nichts in den Tagesablauf einzubauen und dabei dann wirklich völlig abzuschalten, hat die erste Stufe erklommen.

Berta: Jetzt hättest du doch mal Zeit irgendwas zu tun, was dir Spaß macht!
Hermann: Ja.
Berta: Liest du was?
Hermann: Im Moment nicht!
Berta: Dann lies doch mal was!
Hermann: Nachher, nachher vielleicht!
Berta: Hol dir doch die Illustrierten!
Hermann: Ich möchte erst noch etwas hier sitzen.
Berta: Soll ich sie dir holen?
Hermann: Nein, nein. Vielen Dank.
Berta: Will sich der Herr auch noch bedienen lassen, was. Ich renne den ganzen Tag hin und her. Du könntest wohl einmal aufstehen und dir die Illustrierten holen!
Hermann: Ich möchte jetzt nicht lesen!
Berta: Mal möchtest du lesen, mal nicht.
Hermann: Ich möchte einfach hier sitzen.
~Loriot – Szenen einer Ehe

Atmen

Auf dem Weg zur Meisterschaft nehmen wir uns nun das Atmen vor. Wer meint, das klänge verdächtig nach Meditation, der möge diesen Gedanken gleich beerdigen. Wir wollen jetzt nicht Verdacht schöpfen, sondern nichts tun.

Es geht einfach darum, langsam und bewusst ruhig ein- und auszuatmen. Man lernt es, die eingeatmete Luft zu fühlen, wie sie durch die Nase gezogen wird, durch den Hals, und wie sie die Lunge füllt. Genauso lernt man es, beim Ausatmen zu fühlen, wie sich die Lunge leert, wie der Atem durch den Hals, durch den Mund oder die Nase hinaus strömt. Wir sind immer noch bei fünf bis zehn Minuten und wir tun immer noch nichts - empfinden aber dabei bewusst, wie der Atem ein- und ausströmt.

Wenn man sich dabei ertappt, dass die Gedanken um irgend etwas zu kreisen beginnen, zum Beispiel wann wohl der nächste hilfreiche Artikel auf diesem Blog erscheinen wird, dann ist das kein Grund zur Aufregung, sondern nur ein Anlass, die Gedanken sanft und ruhig wieder einzufangen, indem man sich auf das Empfinden beim Atmen besinnt. Und das ist dann am Ende das angestrebte Nichts, denn wir atmen ohne Anstrengung, das macht der Körper ganz alleine. Wir sind passiv. Wenn wir dieses Tun des Körpers einfach nur mitempfinden, tun wir ... nichts.

Berta: Du kannst doch tun, was Dir Spaß macht!
Hermann: Das tue ich ja!
Berta: Dann quengle doch nicht dauernd so rum!
Hermann: -
Berta: Hermann?
Hermann: -
Berta: Bist du taub?
Hermann: Nein, nein.
Berta: Du tust eben nicht, was dir Spaß macht. Statt dessen sitzt du da!
Hermann: Ich sitze hier, weil es mir Spaß macht!
~Loriot – Szenen einer Ehe

Entspannen

Ein wichtiger Bestandteil am Nichtstun ist die völlige Entspannung. Wenn wir angespannt sind, bringt die Nichtstun-Pause wenig. Entspannung fängt damit an, dass wir einen Ort finden, an dem wir erstens ungestört sind (Berta sollte möglichst nicht nebenan in der Küche hin- und hergehen – oder Hermann, bei vertauschten Rollen). Zweitens brauchen wir einen bequemen Sessel oder - noch besser - eine bequeme Liege. Das kann natürlich auch das Bett sein. Darauf machen wir es uns dann richtig bequem, auch einengende Kleidung sollte abgelegt oder zumindest geöffnet werden.

Wer bequem liegt, kann leichter ganz entspannt und aufmerksam atmen, wie eben beschrieben. Es kann helfen, sich Gesicht und Schläfen oder Genick und Schultern zu massieren. Natürlich ist Massage weitaus angenehmer und effektiver, wenn sie von anderen Händen durchgeführt wird, aber für den Zweck des Nichtstuns ist die Selbstmassage die richtige Mittel, um verspannte Muskeln zu lockern. Für mich ist die »progressive Muskelentspannung« ebenfalls eine hervorragende und wirksame Methode, ich habe sie in der Rehabilitation kennen und schätzen gelernt. Dabei spannt man, bei den Füßen angefangen, bewusst Muskeln an und lässt sie dann los ... den ganzen Körper hinauf bis zum Gesicht. Mein empfohlener Link vom 30. Juli auf diesem Blog zu einer Anleitung: [mp3 Muskelentspannung] (Ich empfehle aus Erfahrung die Langversion mit 160 kbps.)

Wie auch immer es am besten funktioniert - Entspannung, auch und gerade körperlich, ist entscheidend wichtig, damit das heilsame Nichtstun gelingt.

Badewanne

Es gibt Menschen, denen gelingt totale Entspannung am ehesten (oder sogar nur) in der Badewanne. Dabei sollte das Wasser heiß sein, nicht lauwarm, und ein duftender Badezusatz (Lavendel wirkt wohl Wunder) ist sehr zu empfehlen. Auch in der Badewanne kommt es natürlich darauf an, dass alle Störungen und Ablenkungen ausgeschaltet sind.

Ich bin nun niemand, der gerne Wannenbäder nimmt - die Dusche ist mir da wesentlich lieber. Außerdem ist unsere Badewanne zu kurz, als dass ich da mit meiner Körperlänge komplett eintauchen könnte - entweder der Oberkörper oder die Knie samt eines beträchtlichen Beinanteils schauen heraus. Daher kann ich nur von Empfehlungen anderer Nichtstuer ausgehen, die das vollständige Eintauchen (samt Kopf am Beginn des Bades) empfehlen, allerdings sollte man es natürlich nicht zur Atemnot kommen lassen. Das Ziel ist ja Entspannung, nicht ein Erstickungsanfall.

Wer über eine geeignete Wanne verfügt, kann ja ausprobieren, ob sie der totalen Entspannung dienlich ist.

Foto: Germany Travel / Brandenburg - Steintherme Belzig

Gut gelungen ist mir das totale Entspannen allerdings im 34 Grad warmen Heilsole-Becken der Steintherme in Belzig. Wenn sich alle Besucher an das Schweigegebot im Raum halten, kann ich dort mühelos dem Alltag und der Welt entschwinden.

Genauso leicht verreise ich für eine Weile ins Nichts, wenn ich in einer Sauna, vorzugsweise in einer Dampfsauna, bin, in der Ruhe herrscht.

Sekunden des Nichts

Nichtstun, nur Empfinden - das geht auch bei ganz alltäglichen Vorgängen wie dem Essen oder Trinken. Für ein paar Sekunden jeweils. Ein guter Kaffee, Tee oder Kakao zum Beispiel kann der Kunst des Nichtstuns dienlich sein. Man nimmt die Tasse und legt alle Ablenkungen aus der Hand: Das gute Buch, die aktuelle Zeitung, die Handarbeit. Fernseher und Radio sind natürlich ausgeschaltet. Das Telefon ist zumindest zum Stummsein verurteilt, noch besser ebenfalls aus.

Und nun? Nun nimmt man einen Schluck des köstlichen Getränks und schmeckt es ganz bewusst, spürt der Temperatur nach, bewegt die Flüssigkeit im Mund. Die Augen sind geschlossen. Beim Herunterschlucken richtet sich die Aufmerksamkeit auf das Gefühl, wie das Getränk durch den Hals die Speiseröhre hinabfließt.

Ähnlich kann man mit einem Stück Schokolade oder auch einem herzhaft schmeckenden Bissen verfahren. Lutschen oder kauen, langsam, aufmerksam, dem Geschmack nachspürend ... das ist ein ganz und gar anderes Erlebnis als das hastige Herunterschlingen oder -kippen, das wir leider viel zu oft praktizieren.

Nichtstun in der Natur

Berta: Es könnte ja nicht schaden, wenn du mal etwas spazieren gingest!
Hermann: Nein, nein.
Berta: Ich bringe dir deinen Mantel!
Hermann: Nein, danke.
Berta: Aber es ist zu kalt ohne Mantel!
Hermann: Ich geh ja nicht spazieren.
Berta: Aber eben wolltest du doch noch!
Hermann: Nein, du wolltest, dass ich spazieren gehe!
Berta: Ich? Mir ist es doch völlig egal, ob du spazieren gehst!
Hermann: Gut.
Berta: Ich meinte nur, es könnte ja nicht schaden, wenn du mal spazieren gehen würdest!
Hermann: Nein, nein, schaden könnte es nicht.
Berta: Also was willst du denn nun?
Hermann: Ich möchte hier sitzen!
Berta: Du kannst einen ja wahnsinnig machen!
Hermann: Ach.
~Loriot – Szenen einer Ehe

Wem es gelingt, zu Hause die Kunst des Nichtstuns in der oben skizzierten Weise zu zelebrieren, der kann den nächsten Schritt probieren. Hinaus in die Natur. Ein friedliches Plätzchen lässt sich sicher finden. Der Vorgarten, an dem Autos vorbeibrummen und Nachbarn über den Zaun grüßen, ist sicher ungeeignet.

Eine kleine Lichtung im Wald, ein geschütztes Plätzchen am Ufer eines Sees oder Flusses, eine Ecke zwischen Feldern und Weiden, eine abgeschiedene Bank im Park - so etwas sollte es schon sein. Auf jeden Fall abgeschirmt von Verkehrslärm und Unruhe.

Hat man einen solchen Ort gefunden, kann man zehn, zwanzig, dreißig Minuten oder auch eine Stunde das Nichtstun praktizieren. Wenn die Gedanken in den Alltag schweifen wollen, fangen wir sie wieder ein und konzentrieren sie auf das Empfinden des Ortes, an dem wir sind. Raschelt der Wind mit den Blättern? Summt ein Insekt von Blüte zu Blüte? Plätschert das Wasser über Steine oder weil Wellen ans Ufer schlagen? Wie riecht die Luft? Haben die Pflanzen verschiedene Grüntöne? Sind alle Blüten am Baum identisch oder zeigt sich da Vielfalt im Kleinen? Der Käfer, der da zwischen den Grashalmen unterwegs ist, wie bewegt er sich?

Fortgeschrittene in der Kunst des Nichtstuns können auch beim Spazierengehen genau solche Empfindungen erspüren und erleben. Wer die Natur so aufmerksam wahrnimmt, der wird ins Staunen geraten über die Vielfalt und Schönheit der Schöpfung - und zutiefst entspannt und innerlich erfrischt wieder in den Alltag aufbrechen.

Im Alltag

Und damit sind wir bei der Meisterklasse angelangt: Nichtstun in den Alltag integrieren. Es ist sehr zu empfehlen, klein anzufangen (wie oben beschrieben), bevor man sich an diese Kunst wagt.

Da funktioniert das Nichtstun zum Beispiel in der Warteschlange vor dem Postschalter. Nicht die Zeitung lesen, nicht zum Mobiltelefon greifen und Nachrichten schreiben oder lesen, nicht darüber nachdenken, wie die verlorene Zeit aufgeholt werden kann, was noch zu tun ist, was man statt der Zeit in der Warteschlange alles hätte erledigen können ... statt dessen bewusst atmen (siehe weiter oben), die Muskeln (das geht auch weitgehend im Stehen) entspannen, die Wartezeit als Chance begreifen. Die anderen Menschen in der Warteschlange kann man dabei durchaus wahrnehmen, sogar beobachten und versuchen, sie (und ihre mürrischen oder schläfrigen Minen, ihr unruhiges von Fuß zu Fuß Wechseln, das häufige Räuspern) zu verstehen.

Auf dem Weg irgendwo hin geht das ähnlich: Beim Autofahren bewusst die Musik ausschalten, tief und ruhig atmen, nicht an den bevorstehenden Stress im Büro denken oder an den unerledigten Einkauf ... einfach nur fahren. Die Landschaft oder Häuser wahrnehmen, wie sie am Auto vorbeiziehen. Ich stelle mir gerne vor, dass quer über meine Windschutzscheibe in grüner Schrift »Gelassenheit« zu lesen ist. Das verhindert gleichzeitig, dass man zu schnell fährt oder hektisch bis wütend auf das unerhörte Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer reagiert. In der S-Bahn (oder einem sonstigen Verkehrsmittel, das man nicht selbst steuert) ist das Entspanntsein sogar noch leichter. Man muss es nur bewusst wollen und tun, das Nichtstun.

Die Königsklasse: Nichtstun im Chaos

Wer das bewältigt, ist auch für den letzten Schritt bereit: Mitten im Chaos (des Arbeitsplatzes, der Einkaufsmeile) alles ringsherum abschalten, die Augen schließen und auf den eigenen Atem konzentrieren, wie er ganz von alleine ein- und ausströmt. Eine Minute, fünf Minuten, zehn Minuten - je nach Situation. Nicht an sich heranlassen. Nichts tun außer das Nichtstun zu zelebrieren. Meine Erfahrung am Arbeitsplatz ist die, dass nach einer kurzen derartigen Pause die Konzentration wesentlich besser gelingt, die Arbeit zügiger erledigt wird und selbst schnatternde Kolleginnen oder wohlfühlfeindliche Arbeitsbedingungen im Büro leichter zu ertragen sind.

Vielleicht hätte Hermann ja Berta nicht angeschrien, wenn es ihm gelungen wäre, wenigstens fünf Minuten das Nichtstun zu genießen?

Berta: Du tust eben nicht, was dir Spaß macht. Statt dessen sitzt du da!
Hermann: Ich sitze hier, weil es mir Spaß macht!
Berta: Sei doch nicht gleich so aggressiv!
Hermann: Ich bin doch nicht aggressiv!
Berta: Warum schreist du mich dann so an?
Hermann: Ich schrei dich nicht an!
~Loriot – Szenen einer Ehe

Es ist wirklich eine Kunst, nichts zu tun. Die meistert man nicht über Nacht. Da braucht man Ausdauer und Ausdauer und Ausdauer. Es ist gar nicht so leicht, nichts zu tun. Aber wenn man die Kunst erlernt hat und beherrscht, dann wird man jede Minute genießen - und mit jeder Minute Nichtstun erheblich die Lebensqualität steigern.
.

Freitag, 22. August 2014

Nur noch vier Wochen Lebenszeit–was tust du?

No one can go back and make a brand new start, my friend. But anyone can start from here and make a brand new end. ~Dan Zadra, Autor

Noch vier Wochen ...In jungen Jahren denkt man kaum darüber nach, wie begrenzt die eigene Lebenszeit ist, wie kurz die Zeitspanne sein könnte, in der man etwas Besonderes aus dem Leben machen kann. Unterschwellig meint man meist, es träfe das Unglück wohl mal die anderen, aber doch sicher nicht die eigene Person.

Ich jedenfalls habe dafür als Jugendlicher nicht viele Gedanken übrig gehabt, obwohl der Tod in meinem unmittelbaren Umfeld mehrmals seine Unbarmherzigkeit auch mit jungen Menschen gezeigt hatte.

Stell dir, lieber Leser, einmal vor, du hättest nur noch einen Monat Lebenszeit vor dir. Was würdest du mit den vier Wochen anfangen?

  • Vielleicht würdest du die Zeit mit den Menschen verbringen, die du liebst. Ihnen alle Aufmerksamkeit schenken, jeden Moment des Beisammenseins aufsaugen wie ein Schwamm. Da sein für deine Liebsten, mit deinen Liebsten.
  • Du könntest aufbrechen, um auf Reisen in die weite Welt hinein oder nur ein paar Kilometer ein paar unvergleichliche Erlebnisse zu genießen und die vielfältigen Eindrücke auszukosten, die eine ungewohnte Umgebung zu schenken vermag.
  • Mancher würde vielleicht noch etwas lernen und verstehen wollen, sei es durch Bücher, sei es, indem er das Leben an und für sich studiert und unter die Lupe nimmt.
  • Man könnte kreativ sein und etwas erschaffen, was bleibt. Ein Gemälde, eine Skulptur, ein Buch, ein außergewöhnliches Foto, eine einmalige Handarbeit … oder an Martin Luthers sprichwörtliches Apfelbäumchen denken und ein solches pflanzen.
  • Du könntest meditieren, nachsinnen, zur Ruhe kommen, beten – dich dem Ewigen nähern. Dich mit Philosophie oder Religion beschäftigen, über Gott und die Welt nachdenken und nachforschen und nachfühlen.
  • Oder würdest du in den vier Wochen die Welt ein wenig besser machen, indem du Notleidenden hilfst, dich sozialen Missständen widmest, Almosen gibst, politisch gegen Unrecht die Stimme ergreifst?

Alle (und hier ungenannte weitere) Möglichkeiten wären eine sinnvolle Weise, den letzten Lebensmonat zu gestalten. Oder natürlich eine Kombination aus solchen Ideen.

Kaum jemand würde vermutlich die kurze verbliebene Zeitspanne damit verbringen, sich den ganzen Tag vom Fernsehen berieseln zu lassen, pausenlos in den sozialen Medien herumzusurfen, mit dem mobilen Telefon zu spielen, gemein und selbstsüchtig zu sein, unmotiviert herumzulungern oder sich in Sorgen und Reue über verpasste frühere Chancen zu zerfleischen. Falls jemand von meinen geschätzten Lesern auf solche Ideen käme – es sei ihm unbenommen. Aber für mich wäre das nichts. Es darf allerdings jeder selbst entscheiden, was für den letzten Lebensmonat eine sinnvolle und wertvolle Gestaltung wäre.

Worauf ich hinaus will? Ganz einfach: Wenn du dir überlegt hast, womit du die knappen letzten vier Wochen deines Lebens füllen würdest, falls du um deinen nahen Tod wüsstest, warum fängst du dann nicht jetzt damit an, entsprechend zu leben?

Entscheide dich für das Sinnvolle, Bleibende, Wertvolle, jeden Tag. Denn jeder Tag ist kostbar, auch wenn du noch mehr als vier Wochen vor dir hast (was ich dir und mir von Herzen wünsche!).

I want to do with you what spring does with the cherry trees. ~Pablo Neruda, Autor

Die Kirsche im FrühlingWarum sollten wir unsere kostbaren Wochen, Monate und Jahre mit Tätigkeiten und Dingen anfüllen, für die uns die letzten vier Wochen des Lebens zu schade wären?

Natürlich stimmt es: Wir müssen, die meisten von uns jedenfalls, arbeiten, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Es gibt zweifellos Tätigkeiten und Dinge im Leben, die notwendig und unumgänglich sind, ohne dass sie uns Freude machen oder innerlich voranbringen oder für die Welt in irgendeiner Weise verändernd wertvoll wären. Aber das Pflichtprogramm füllt garantiert nicht den gesamten Tag, die komplette Woche und den vollständigen Monat oder das 365 Tage umfassende Jahr aus.

Jeder Augenblick deines Lebens ist kostbar, wichtig, unwiederbringlich. Jetzt schon, nicht erst kurz vor dem Ende. Entscheide dich, was du damit anfangen willst. Mein Rat: Liebe das Leben und lebe bewusst.

.

Mittwoch, 20. August 2014

Glaube an dich selbst!

Verboten?Zu einem gesunden Leben mit einem starken und funktionierenden Immunsystem gehört auch ein gesundes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten. Um diesen Glauben an sich selbst zu stärken, muss man manche selbst errichteten Verbotsschilder im eigenen Leben abreißen.

Der erfolgreiche Autor und Trainer Leo Babauta (von dem wesentliche Inspirationen auch zu diesem Beitrag stammen) erzählte unlängst, dass er über lange Jahre seines Lebens den Wunschberuf und die Selbstständigkeit nicht in Angriff genommen hat, weil er sich das nicht zutraute. Er trennte sich nicht von schlechten Gewohnheiten, weil er überzeugt war, nicht die notwendige Disziplin zu besitzen. Er war als Heranwachsender Mädchen gegenüber besonders scheu und später im Leben gelang es ihm kaum, Freunde zu finden oder sich am Arbeitsplatz zu behaupten – weil er sich nie den Schritt aus dem vertrauten Umfeld, weg von gewohnten Pfaden, zugetraut hat. Er glaubte einfach nicht, dass er dazu fähig wäre.

Niemand wird wohl jemals völlig davon frei sein, dass sich gelegentlich Zweifel bezüglich der eigenen Möglichkeiten einstellen, aber man kann es lernen, mehr und mehr an sich selbst zu glauben. Das bedeutet allerdings nicht, dass man nie wieder auf die Nase fallen oder scheitern wird. Im Gegenteil. Genau das wird passieren.

Und das ist gut so.

Der Trick ist nämlich der, dass man begreift: Es ist vollkommen in Ordnung, zu scheitern, sich auf ein Wagnis einzulassen und dabei nicht perfekt zu sein. Jemanden freundlich zu begrüßen – und derjenige ist nicht sofort hin und weg. Kreativ etwas erschaffen und dafür von Menschen verurteilt werden. Misserfolg erleben, nicht vollkommen sein, Fehler machen, nicht von allen Menschen Zustimmung ernten, nicht von jedermann akzeptiert werden: Das sind keine negativen Dinge, sondern positive.

Nun mag jemand fragen: Wie kann Versagen positiv sein? Ganz einfach: So lernt man wirklich etwas hinzu. Du kannst zum Beispiel ganz gemütlich ein dickes Buch über die Mathematik lesen, aber du wirst erst dann feststellen, ob du es wirklich kapierst, wenn du anfängst, Aufgaben zu lösen. Erst dann entdeckst du, wo dir noch Verständnis oder Wissen fehlt. Oder du lernst und lernst eine Menge über das Fotografieren, über Blende, Tiefenschärfe, Belichtungszeit, Licht … du musst schon Fotos machen und betrachten, um festzustellen, ob es dir gelingt, mit dem Wissen im Kopf und der geeigneten Kamera in der Hand auch gute Fotos zu machen.

Man lernt etwas am besten, indem man studiert und die praktische Anwendung ausprobiert. Dabei passieren Fehler, also lernt man etwas dazu, probiert wieder … und so weiter. So betrachtet sind Fehler und Misserfolge nichts anderes als kleine Resonanzen, die notwendig sind, um dazuzulernen und zu wachsen.

Und was soll daran positiv sein, wenn man Ablehnung erfährt? Ganz einfach: Man lernt es, über den Bereich des sozial minimal Akzeptablen hinaus zu gehen. Die besten Menschen in der Geschichte wurden nicht von allen und jedem akzeptiert. Zum Beispiel Verkünder der Wahrheit: Sokrates, Jesus, Gandhi, Proudhon und Bakunin, Martin Luther King Jr. und viele weitere.

Einer meiner Freunde experimentiert mit künstlerischen Formen der Darstellung und Selbstdarstellung – dabei erntete er für einige Nacktfotos (die keineswegs auch nur im Entferntesten pornographisch oder erotisch waren), vehementen Gegenwind. Erschrocken löschte er das Album aus dem Internet. Nicht, weil er mit den Fotos unzufrieden war, sondern weil er beschimpft wurde. Ich riet ihm dann dazu, dem eigenen Empfinden zu folgen: Wenn die Bilder ausdrückten, was er ausdrücken wollte, dann waren sie gut. Punkt. Dass das nicht jedem gefallen würde, damit musste er dann genauso rechnen wie jeder andere Mensch, der seine Kunst der Öffentlichkeit vorstellt.

Mancher traut sich gar nicht erst, sich kreativ auszudrücken. Das ist schade. Vieles, vor dem wir uns fürchten, sollten wir stattdessen anstreben. Das kann man aber nur dadurch lernen, dass man es praktiziert. Wenn ich heute einige meiner frühen Texte lese, muss ich den Kopf schütteln. Aber damals habe ich mich damit an die Öffentlichkeit getraut. Heute würde ich anders – besser aus meiner Sicht – schreiben, aber immerhin habe ich seinerzeit nicht für nur die Schublade formuliert. Und nur so konnte ich dazulernen.

Alle Theorie ist als Unterbau nicht zu verachten und gut, aber ohne Praxis hat sie keine Auswirkungen auf unser Leben und Befinden.

Ein paar Vorschläge:

  • Durchbrich ab und zu das Unbehagen bezüglich ungewohnter Situationen. Mit jedem Durchbruch erweiterst du deine Grenzen. Du kannst ja gar nicht vorher wissen, ob du dich wohlfühlen wirst.
  • Stell dich der Begegnung mit Menschen, ohne vorher zu wissen, ob sie dich akzeptieren, ignorieren oder ablehnen werden.
  • Halte gute Vorsätze bewusst fest und höre nicht auf die negative innere Stimme, die dir weismachen will, dass du es sowieso nie schaffst.
  • Wenn dein guter Vorsatz verloren geht (nun hast du doch wieder Zigaretten gekauft!), dann heb ihn wieder auf und lass nicht locker. Dass du es heute nicht geschafft hast, heiß ja nicht, dass es nicht morgen klappt.
  • Durch wiederholte Versuche lernst du, dass es okay ist, zu versagen und zu scheitern, weil du dadurch letztendlich entscheidend weiter kommst. Und ob etwas gescheitert ist, hängt nicht vom Jubel oder den Buhrufen anderer Menschen ab.
  • Durch wiederholtes Experimentieren lernst du, dass du stärker bist, als du dachtest, dass du mehr Fähigkeiten hast, als du vermutetest und dass du mehr Unbehagen aushältst, als du für möglich gehalten hast.

Mit dieser Praxis wirst du mehr und mehr dich selbst finden. Und feststellen, dass du schon die ganze Zeit großartig warst.

.

Donnerstag, 14. August 2014

Vierzig mal Zehn

Inzwischen sind es 40 Fotoalben mit je 10 Bildern – Kreativität mit der Kamera und anschließend beim Bearbeiten macht Spaß und tut gut.

Vielleicht kommt ja jemand auf den Geschmack? Bittesehr:

tumblr_na99gsDwkV1tqm1uvo1_1280

Textlink: Startseite / Archiv

.