Samstag, 3. November 2007

Wohlstand durch Gerechtigkeit?

Der Bundeskanzler Helmut Schmidt hat einmal im Bundestag gesagt:
Jeder sucht sich aus der Bibel das heraus, was für den jeweiligen Sonntag gerade passt.
Vor ein paar Wochen diskutierte ich in einer Gruppe von etwa 15 Gläubigen über den Zehnten, der - so eine Teilnehmerin sinngemäß - unbedingt an die örtliche Gemeinde abzuführen sei, dafür erhielte man dann eine Wohlstandsgarantie von Gott, denn dann sei man gerecht vor Gott. Die Verheißung stünde ja schließlich in der Bibel. Wenn jemand den Zehnten in das Haus des Herrn gebracht habe, dürfe er auch einfordern:
Blicke herab von deiner heiligen Wohnung vom Himmel, und segne dein Volk Israel und das Land, das du uns gegeben, wie du es unseren Vätern geschworen hast, ein Land, das von Milch und Honig überfließt. (5. Mose 26, 15)
Zweifellos steht diese Bitte im fünften Buch Mose im unmittelbaren Zusammenhang mit der Treue des Volkes Israel, von jeglichen Erträgen den Zehnten abzugeben. Allerdings - und das wird schon eher ungern zitiert - sollten diese Gaben (und die Erstlingsgaben, von denen heute sowieso nicht mehr geredet wird) nicht in den Tempel, sondern:
Am Ende von drei Jahren sollst du den ganzen Zehnten deines Ertrages von jenem Jahr aussondern und ihn in deinen Toren niederlegen. Und der Levit - denn er hat keinen Anteil noch Erbe mit dir - und der Fremde und die Waise und die Witwe, die in deinen Toren wohnen, sollen kommen und essen und sich sättigen, damit der HERR, dein Gott, dich in allem Werk deiner Hand, das du tust, segnet. (5. Mose 14, 28-29)
Auf heute übertragen hieße das: Der Priester / Levit / Pastor / Pfarrer / Prediger bekommt einen Teil vom Einkommen der Gläubigen, weil er nämlich besitzlos ist. Das bedeutet: Er hat kein regelmäßiges Gehalt, keinen Grundbesitz, keine Altersvorsorge... Er lebt von dem, was die Gläubigen ihm bringen. Welcher Priester / Levit / Pastor / Pfarrer / Prediger mag da heute die Hand heben und sagen: "Das bin ja ich!" - mit gutem Gewissen? Der Rest der Gaben des Volkes geht an die Asylanten, in die Waisenhäuser, an die Witwen... Doch das nur am Rande.

Meine Frage in jener Diskussion, warum denn dann Paulus sowohl Mangel als auch Überfluss gekannt habe, und warum es in vielen Ländern heute Christen gibt, die Hunger und Durst leiden, blieb ohne Antwort.

Natürlich ist jeder froh, wenn er keine Not leiden muss. Es ist auch ganz gewiss keine Sünde, Geld und Besitz zu haben - nicht einmal für einen Priester / Levit / Pastor / Pfarrer / Prediger. Aber darf man als Rezept zum finanziellen Auskommen alttestamentarische Vorschriften predigen? Ich bin überzeugt, dass Paulus die Schriften besser kannte als wir. Und doch war er in Zeiten des Mangels so zufrieden wie in Zeiten des Überflusses. Ihm ging es nämlich um Gerechtigkeit.

Der Apostel hatte eine ganz präzise Vorstellung davon, was Gerechtigkeit vor Gott ausmacht. Das hat mit viel mehr zu tun als mit Geld und Opfern.

Wenn es heute noch nach dem Gesetz des Alten Testamentes ginge, hätte mancher von uns ein paar Probleme mehr. Zum Beispiel dieses:
Wenn ein Mann zwei Frauen hat, eine geliebte und eine gehaßte, und sie gebären ihm Söhne, die geliebte und die gehaßte, und der erstgeborene Sohn ist von der gehaßten: dann soll es geschehen an dem Tag, an dem er seine Söhne erben läßt, was ihm gehört, daß er nicht den Sohn der geliebten zum Erstgeborenen machen kann gegen den Sohn der gehaßten, der doch der Erstgeborene ist. (5. Mose 21, 15-16)
Oder, was die Erziehung der Söhne betrifft, vielleicht auch jenes:
Wenn ein Mann einen störrischen und widerspenstigen Sohn hat, der auf die Stimme seines Vaters und auf die Stimme seiner Mutter nicht hört, und sie züchtigen ihn, er aber hört weiterhin nicht auf sie, dann sollen sein Vater und seine Mutter ihn ergreifen und ihn hinausführen zu den Ältesten seiner Stadt und zum Tor seines Ortes. Und sie sollen zu den Ältesten seiner Stadt sagen: Dieser unser Sohn ist störrisch und widerspenstig, er hört nicht auf unsere Stimme, er ist ein Schlemmer und Säufer! Dann sollen ihn alle Leute seiner Stadt steinigen, daß er stirbt; so sollst du das Böse aus deiner Mitte wegschaffen. (5. Mose 21, 18-21)
Wie kommt es eigentlich, dass wir das eine und andere aus den Gesetzes- und Vorschriftensammlungen für "Wort Gottes" halten und anderes nicht?

Paulus war eindeutig: Gerecht im Sinne der Heiligen Schriften ist nur jemand, der das ganze Gesetz hält (es dürfte allerdings heute juristische Probleme geben, wenn widerspenstige Kinder künftig gesteinigt und mehrere Ehefrauen genommen werden). Wer das Gesetz einmal nicht hält, kann zur Sühne Opfer bringen, also Tauben schlachten, Böcken die Kehle durchschneiden, Geld in den Tempel tragen und ähnliches. Paulus hielt, nachdem er Christ geworden war, diesen Weg zur Gerechtigkeit allerdings, je nach Übersetzung, für Kot / Dreck (Philipper 3, 8). Heute würde mancher sagen: Scheiße.

Alternativ gibt es die Gerechtigkeit Gottes, die auch weniger mit unseren staatlichen Gesetzen (Mehrehe, Steinigung von ungezogenen Söhnen und vieles mehr) kollidiert.
...indem ich nicht meine Gerechtigkeit habe, die aus dem Gesetz ist, sondern die durch den Glauben an Christus, die Gerechtigkeit aus Gott aufgrund des Glaubens... (Philipper 3, 9)
Gerechtigkeit im biblischen Sinn hat nichts mit unserem Rechtsempfinden oder den Gesetzen des Staates zu tun. Unser Empfinden, meist vom Humanismus geprägt, betrachtet manches als gerecht oder ungerecht, was absolut nichts mit dem Begriff zu tun hat, wie ihn die Bibel verwendet: Gerecht ist, wer ohne eine einzige Sünde dasteht.

Ich ziehe es vor, durch den Glauben gerecht zu werden, denn ich habe weder Vergnügen daran, ungezogene Bengel zu steinigen, noch Schafe zu schlachten, noch einer Frau nach einer Balgerei die Hand abzuhacken. Nun gut, ich raufe nicht mit anderen Männern, aber denkbar wäre ja, dass ich angegriffen werde und eine Frau mir zu Hilfe eilt. Wenn dabei unabsichtlich ihre Hand in eine gewisse Gegend gerät, wird es brenzlig:
Wenn Männer miteinander raufen, ein Mann und sein Bruder, und die Frau des einen eilt herbei, um ihren Mann aus der Hand dessen, der ihn schlägt, zu retten, und sie streckt ihre Hand aus und greift an seine Geschlechtsteile: dann sollst du ihr die Hand abhauen; du sollst nicht schonen. (5. Mose 25, 11)
Gerecht oder ungerecht? Jeder hat die Wahl. Gesetzestreue oder Glaube? Mir ist zweiteres sympatischer. Ersteres würde ich sowieso nicht schaffen.

9 Kommentare:

storch hat gesagt…

interessanterweise stimmt die these dann ja doch fast. ich glaube zwar nicht an ein wohlstandsevangelium und bin kein calvinist, aber ich glaube, dass gott die seinen versorgt.
das habe ich auch erlebt.
dann führt die gerechtigkeit in christus also dazu, dass wir tatsächlich versorgt werden denn ohne sie gelten uns nicht die verheissungen.
dennoch mag ich diesen selektiven umgang mit dem AT so wenig wie du.

Günter J. Matthia hat gesagt…

Dass Gott die Seinen versorgt habe ich oft erlebt, auch in menschlich unlösbaren Situationen.
Ich habe aber Probleme mit einem Evangelium, das den Wohlstand - oder zumindest die Versorgung mit materiellen Notwendigkeiten - zum Ziel macht, statt der Gerechtigkeit vor Gott.

storch hat gesagt…

die gerechtigkeit vor gott ist nicht wirklich unser ziel, sie ist unser anfangspunkt. wenn jesus im leben ist bringt er seine gerechtigkeit mit sich.
dennoch ist versorgung kein ziel für mich, sie ist eine konsequnez des normalen lebens mit jesus.

Günter J. Matthia hat gesagt…

Da sind wir uns ja einig.

"Tut Buße, und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden! Und ihr werdet die Gabe des Heiligen Geistes empfangen", meinte Petrus auf die Frage der Zuhörer, was sie denn nun tun sollten.
Buße - Vergebung der Sünden - Gerechtigkeit vor Gott.
Und daraus folgt dann alles andere, als Konsequenz der Lebens mit Jesus. Das Ziel ist doch sicher eine Ewigkeit mit Gott anstelle einer Ewigkeit in der Verdammnis, um das alte Wort zu gebrauchen. Buße - Vergebung - Gerechtigkeit sind der Anfang.

storch hat gesagt…

natürlich ist der zehnte freiwillig. wie sollte man jemanden zwingen, ihn zu geben?

Bento hat gesagt…

Auweia - da habe ich ja auch schon Diskussionen erlebt - schon seltsam, aber der Mensch will oft lieber klare Vorgaben, als die Freiheit, die wir in Christus haben. Wenn jmd. bei sich beschliesst, den 10. zu geben - ok, doch daraus eine Lehre oder Forderung zu machen ist wirklich übel...ausserdem ist es oft auch eine Legitimation knickerich zu sein, denken wir nur an die Witwe die alles einlegte...

Hatte kürzlich erst eine Mega-Diskussion wegen den 10 Geboten / Sabbath usw.- ein Hammer, dass Christen tatsächl. meinen, so Gerechtigkeit und Wohlgefallen bei Gott finden zu können...

Das mit der abgeschlagenen Hand war mir gar nicht geläufig - siehste, tja da müssten einige Damen wohl das 5-Finger tippen lernen ...;-)

Günter J. Matthia hat gesagt…

Ulkig: Ich wollte eigentlich auf das hinaus, was bento wieder aufgegriffen hat, der "Zehnte" war nur der aufhänger. Vielleicht ist der Aufhänger zu groß gewesen...

Anyway, Paulus meinte in einer seiner satirischen Stellen: "Gerühmt muß werden; zwar nützt es nichts, aber ich will auf Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn kommen."

Also rühme ich mich auch mal, nur der Klarheit wegen: Ich gebe nicht den 10ten, sondern stets darüber hinaus und habe mehrmals in den letzten Jahren bereits den 50ten, also die Hälte meines Einkommens ins Reich Gottes gegteben. Mangel habe ich dadurch noch nicht erlebt.

So, genug gerühmt. Demnächst schreibe ich mal über das finanzielle Wunder, das in unserem Leben alles umgedreht hat. Buchstäblich aus heiterem Himmel, als menschlich nichts zu hoffen war.

storch hat gesagt…

die hälfte des einkommens ist der zweite: jedes zweite tier, das unter dem stab durchgeht - alttestamentlich gesprochen. jedes 50. wäre kein grund zum rühmen ;-)

zur paulinischen satire in bezug auf wohlstand: "die frömmigkeit bringt in der tat reichen gewinn, wenn man nur genügsam ist." - 1.tim 6

Günter J. Matthia hat gesagt…

stimmt. der 50ste wäre ja wahrlich knauserig...

:-)